Papst Franziskus in Kasachstan – Religionsdiplomatie auf steinigem Gelände

Von Regina Elsner (Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS), Berlin)

Vom 13. bis 15. September 2022 lud die Regierung Kasachstans die Führer der Welt- und traditionellen Religionen nach Nur-Sultan ein. Zum bereits siebten Mal fand der Kongress statt, dessen erklärte Ziele die »Suche nach universellen Bezugspunkten in den Weltreligionen und den traditionellen Formen der Religionen« sowie »die Einrichtung einer ständigen internationalen interreligiösen Institution für den Dialog zwischen den Religionen und die gemeinsame Entscheidungsfindung« sind. Der Kongress wurde 2003 auf Initiative des Vatikans und des damaligen kasachstanischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew begründet und trifft sich seitdem etwa alle drei Jahre. Teilnehmer:innen sind meistens Delegationen von hochrangigen Religionsvertreter:innen der römisch-katholischen Kirche, verschiedener orthodoxer Kirchen, des Islams, des Judentums, Buddhismus, Hinduismus, Daoismus sowie Vertreter:innen verschiedener internationaler Gremien des Dialogs von Religion und Politik. Die Treffen enden jeweils mit einer Deklaration, die in der Regel in der diplomatischen Sprache von Konsenspapieren die Religionen und alle religiösen Menschen zum Beitrag für Frieden und Verständigung aufrufen.

Der Kongress ist in der Weltöffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen worden. Dies mag zum einen an seinem deklarativen Charakter liegen, der besonders die Selbstdarstellung Kasachstans als Land der interreligiösen und interethnischen Toleranz betont, die in der Europa- und Nordamerika-zentrierten Nachrichtenwelt jedoch kaum Aufmerksamkeit erhält. Vor allem aber verzeichnet der Kongress keine bemerkenswerten Fortschritte bei der Abwendung oder Lösung religiös aufgeladener Konflikte in der ganzen Welt und ist daher bisher auch kaum als relevanter Akteur der internationalen Friedensvermittlung oder Konflikttransformation in Erscheinung getreten.

Im Herbst 2022 sollte sich jedoch beides ändern. Bereits im Sommer wurde klar, dass der Kongress vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine eine besondere Relevanz erhalten kann. Einerseits hat der Krieg eine deutliche religiöse Komponente, da die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) Russlands Kriegsideologie nicht nur ausdrücklich unterstützt, sondern mit dem Narrativ eines »metaphysischen Kampfes« selbst zu dieser beiträgt und die zahlreichen Opfer des Krieges damit legitimiert. Die ROK hatte in den Vorjahren meist eine große Delegation zu dem Kongress geschickt, die orthodoxe Bevölkerung Kasachstans gehört zur Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats. Andererseits hatte der Vatikan bereits im Sommer angekündigt, dass Papst Franziskus in diesem Jahr die Delegation des Vatikan anführen würde und damit die globale Aufmerksamkeit auf den Kongress gelenkt. Papst Franziskus ging bis Ende August davon aus, dass auch Patriarch Kirill, der Primas der ROK, nach Nur-Sultan reisen würde und setzte daher große Hoffnungen auf das Treffen mit dem russischen Kirchenoberhaupt zugunsten einer Vermittlungschance im Ukrainekrieg. Eine Teilnahme ukrainischer Religionsvertreter:innen war nicht geplant, in früheren Jahren gab es einzelne Vertreter in der Delegation der ROK. Grundsätzlich war der Kongress – anders als die Vollversammlung des Weltrates der Kirchen Anfang September in Karlsruhe – nicht ausdrücklich mit dem Thema des Krieges in der Ukraine befasst, der in den Ansprachen daher auch nur eine marginale Rolle einnahm.

Bereits im Vorfeld war das geplante Treffen von Papst Franziskus und Patriarch Kirill stark umstritten. Die vatikanische Diplomatie war seit Februar 2022 immer wieder in die Kritik geraten, da Papst Franziskus weder die russische Aggression gegen die Ukraine noch den Beitrag der ROK zu deren Legitimation jemals deutlich angesprochen hatte. Zu allgemein gehaltenen Verurteilungen von Krieg und Gewalt sowie zahlreichen Mitleids- und Solidaritätsbekundungen mit der zu Unrecht überfallenen Ukraine gesellten sich Äußerungen, die eine Mitschuld der NATO andeuteten und einer klaren Benennung des Aggressors immer wieder auswichen. Darüber hinaus hatte der Papst mehrfach in einer Weise mit der Kirchenführung in Moskau kommuniziert, die es der russischen Seite erlaubte den Vatikan als gleichgesinnten Gesprächspartner darzustellen. Während der Papst keine der nachdrücklichen Einladungen in die Ukraine angenommen hatte, suchte er gleichzeitig aktiv nach Möglichkeiten für ein persönliches Treffen mit Präsident Putin oder Patriarch Kirill.

Die Reise nach Kasachstan sollte dieses Treffen endlich stattfinden lassen. Während der Papst darauf hoffte, Kirill ins Gewissen reden zu können, fürchteten Beobachter:innen neue Bilder eines freundlichen Austausches der Kirchenführer und nichtssagende Erklärungen, welche die russische Seite dann wiederum als Rechtfertigung der eigenen Position sowie Demonstration ihrer hervorgehobenen Rolle unter den Weltreligionen präsentieren könne. Beide Erwartungen wurden durch die Absage von Patriarch Kirill Ende August zunichte gemacht. Im Falle des Vatikan sorgte die Absage für eine gewisse Ent-Täuschung, da aus dieser deutlich wurde, dass die Kirchenleitung in Moskau kein Interesse an einem vermittelnden Gespräch mit dem Papst hat. In den Tagen nach der Absage Kirills veröffentlichte der Vatikan erstmals eine deutliche Verurteilung des Angriffskrieges, in der die Aggression Russlands auch unmissverständlich als solche benannt wurde.

Papst Franziskus reiste dennoch am 13. September nach Nur-Sultan. Er nahm an den Sitzungen des Kongresses teil, hielt mehrere Ansprachen, feierte Gottesdienst mit der kleinen katholischen Gemeinschaft in Kasachstan und traf sich mit Vertreter:innen der Weltreligionen. In keinen seiner Reden, die er während seines Aufenthaltes in Nur-Sultan gehalten hat, unternahm Franziskus eine deutliche Bewertung der Rolle Russlands oder der ROK im Krieg gegen die Ukraine. Eine ähnliche Haltung zeigte er während der katholischen Messe mit 7000 Gläubigen am 14.9. mit Hinsicht auf den wiederaufgeflammten Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Auch mit Bezug auf China vermied der Papst kritische Aussagen. Zuvor haben Sprecher des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der sich zeitgleich mit Franziskus zu einem Besuch in Nur-Sultan aufhielt, einem möglichen Treffen mit dem Papst eine Absage erteilt .

Mit seinen geäußerten Haltungen zu aktuellen Konflikten blieb Franziskus dem Neutralitäts-Prinzip vatikanischer Diplomatie treu. Alle Ansprachen wurden außerdem dem Umstand gerecht, dass verschiedene Religionen weltweit mit unterschiedlichen lokalen Konflikten konfrontiert sind, die eindeutige Bewertungen erschweren. Die bemühte Neutralität entspricht damit auch dem Anliegen des Kongresses, einen eurozentrischen Blick auf globale Krisen zu vermeiden.

Im Rahmen der Treffen mit Religionsvertreter:innen fand eine kurze Begegnung des Papstes mit der Delegation der ROK statt, die vom Vorsitzenden des kirchlichen Außenamtes, Metropolit Antonij von Volokolamsk, geleitet wurde. Die ROK hatte durch Botschaften von Patriarch Kirill und Metropolit Antonij die Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs betont und eine manipulative Informationspolitik im Krieg beklagt. Von dem sehr kurzen Gespräch mit dem Papst sind keine Inhalte verlautbart worden, die vatikanische Delegation machte aber deutlich, dass man weiter den Dialog mit Russland suchen möchte. In dieser Hinsicht hat der Kongress der Religionen also keine Veränderungen gebracht.

Eine zweite Dimension der Papstreise war der Besuch bei der kleinen katholischen Minderheit in Kasachstan. Weniger als 1 % der Bevölkerung bekennen sich zur katholischen Kirche, viele davon haben polnische oder deutsche Wurzeln. Die Kirchenleitung in Kasachstan gilt als ausgesprochen konservativ, unter den Bischöfen sind einige der größten Kritiker der ökumenischen und teilweise progressiven Haltung des Papstes. So ließ der Vikarbischof Athanasius Schneider, der sich während der Papstreise im Ausland befand, verlautbaren, die Teilnahme des Papstes an dem Kongress signalisiere eine falsche Gleichberechtigung der Religionen und verwische die einzige Wahrheit der katholischen Kirche. Kirchliche Vertreter in Kasachstan äußerten die Hoffnung, dass der Besuch des Papstes die Anziehungskraft der katholischen Kirche im Land erhöhen und so einen größeren Austausch mit der kasachstanischen Bevölkerung ermöglichen könnte.

Die Abschlusserklärung des Kongresses enthält eine Reihe von Krisendiagnosen und Selbstverpflichtungen der Religionsgemeinschaften, darunter den Beschluss zur Fortsetzung der interreligiösen Konferenz, zur Verbreitung der gemeinsamen Ergebnisse und ein umfassendes Einstehen der Religionen gegen den Missbrauch religiöser Argumente für kriegerische Konflikte und Hass. Die Vielfalt der Aspekte in der Deklaration spiegelt die zahlreichen Herausforderungen für Religionen in verschiedenen Weltregionen wider und läuft gleichzeitig Gefahr, dass jede Religion die Elemente betonen kann, die dem eigenen Weltbild am besten entsprechen. So betonten sowohl der Leiter des kirchlichen Außenamtes der ROK, Metropolit Antonij, als auch der kasachstanische Präsident Tokajew in ihren Abschlussreden die Notwendigkeit, eine Harmonie der unterschiedlichen Zivilisationen zu finden, während Metropolit Antonij die Bedeutung traditioneller moralischer Werte unterstrichen hat und ein Ende des Kampfes um »globale Hegemonie« forderte. Papst Franziskus hingegen hob besonders die Gemeinschaft der Menschheitsfamilie, den universalen Wert der Menschenrechte und das Verständnis des gerechten Friedens hervor. Der Besuch des Papstes in Nur-Sultan hat für einen Moment die weltweite Aufmerksamkeit auf den Kongress und die Bedeutung Kasachstans als Land der Begegnung gelenkt. Er hat aber auch deutlich gemacht, wie sehr sich die Perspektiven der Weltreligionen auf die aktuellen Konflikte unterscheiden und wie schwer ein wirklich gemeinsames Handeln angesichts dieser Unterschiede jenseits konsensueller Deklarationen ist.

Anmerkung der Redaktion: Das Parlament Kasachstans hat die Hauptstadt des Landes am 16.9.2022 offiziell von Nur-Sultan in Astana rückbenannt. Da sich die hier beschriebenen Entwicklungen auf einen Zeitraum kurz vor der offiziellen Umbenennung beziehen wird im Text der alte Name Nur-Sultan verwendet.

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