Chaos oder Stillstand? Regionale Medien zu den möglichen Auswirkungen des Todes des usbekischen Präsidenten Islam Karimow

Von Beate Eschment

Am 3.9.2016 wurde in Samarkand der langjährige usbekische Präsident Islam Karimow feierlich beigesetzt. Dem vorangegangen war eine Woche voller Vermutungen, Gerüchte und Falschmeldungen. Sie nahmen ihren Ausgang am 28.8. mit einer in den Medien des Landes verbreiteten Mitteilung des Ministerkabinetts, dass der 78jährige Präsident erkrankt sei und sich im Krankenhaus befinde. Am 29.8. bestätigte Präsidententochter Lola Karimowa-Tillajewa via Instagram und Facebook, ihr Vater habe einen Schlaganfall erlitten und befinde sich in der Reanimation. Der Zeitpunkt der Erkrankung Karimows war problematisch, am 1.9. stand der 25. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes an, der natürlich groß gefeiert werden sollte. Die immer wieder auftauchenden Vermutungen, Karimow sei bereits tot, dies würde nur verschwiegen, wurden von Beobachtern damit begründet, dass erst die Feiern abgehalten – und natürlich intern die Nachfolgefrage geklärt – werden müssten. Das große offizielle Festkonzert wurde zwar abgesagt, aber die im ganzen Land geplanten und geprobten öffentlichen Feiern fanden am 1.9. statt. Die traditionelle Rede des Präsidenten zu diesem Anlass wurde von einem Sprecher verlesen und den ebenso traditionellen Besuch Karimows am Denkmal für Unabhängigkeit und Humanismus in Taschkent absolvierte stellvertretend der langjährige Premier Schawkat Mirsijojew in Begleitung der Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern. Am 2.9. wurde dann von Bauarbeiten in Samarkand berichtet. Kasachstanische Medien meldeten, dass Präsident Nasarbajew wegen eines kurzfristigen Usbekistanbesuches seinen Aufenthalt in China abbreche (was er dann gar nicht tat) und der türkische Premier sprach Usbekistan sogar schon ganz offiziell sein Beileid aus, bis dann endlich von Ministerkabinett und Parlament die Nachricht herausgegeben wurde, dass Islam Karimow verstorben sei. An seiner Beisetzung nahmen die Präsidenten Turkmenistans, Tadschikistans und Afghanistans sowie die Premierminister von Russland, Kasachstan und Kirgistan teil. Die skandalumwitterte ältere Tochter des Verstorbenen, Gulnara Karimowa, soll dagegen nicht gesehen worden sein. Der russische Präsident Wladimir Putin und sein kasachstanischer Amtskollege Nursultan Nasarbajew erwiesen Karimow einige Tage später die letzte Ehre.

Ohne dass es eine entsprechende offizielle Erklärung gab, gingen viele Beobachter anfangs selbstverständlich davon aus, dass, wie in der Verfassung vorgesehen, der Vorsitzende des Senats, Nigmatulla Juldaschew, die Amtsgeschäfte des Präsidenten übernommen habe – zu Unrecht, wie sich am 8.9. herausstellte. Die beiden Parlamentskammern ernannten in einer gemeinsamen Sitzung auf Vorschlag eben Juldaschews Premier Mirsijojew, dem auch allgemein die größten Chancen auf die Nachfolge zugesprochen werden, zum amtierenden Präsidenten. Die Wahl eines neuen Präsidenten durch die Bevölkerung ist auf den 4.12.2016 terminiert. Inzwischen hat jede der vier zugelassenen Parteien einen Kandidaten nominiert, die regierende Bewegung der Unternehmer und Geschäftsleute – Liberaldemokratische Partei Usbekistans den derzeitigen Amtsinhaber Mirsijojew. Dieser hat inzwischen erklärt, die Politik seines Vorgängers fortsetzen zu wollen, doch lassen sich bereits neue Akzente erkennen. Der Übergangspräsident nimmt nicht nur – wie in Zentralasien üblich – viele personelle Umbesetzungen in den oberen Führungsebenen vor, sondern Usbekistan hat in den letzten Wochen z. B. auch neue Gesprächsbereitschaft bezüglich alter Streitpunkte gegenüber seinen Nachbarn signalisiert.

Islam Karimow stand seit 1989, zuerst als KP-Chef, seit 1990 als Präsident der Usbekischen SSR und ab 1991 dann ununterbrochen als erster Präsident des unabhängigen Staates, an der Spitze des Landes. Nach eigener Einschätzung hat er Usbekistan in allerbester, nach westlicher Bewertung in höchst problematischer Weise geprägt. Sein Tod, der angesichts seines Lebensalters und bereits lang anhaltender Gerüchte über seinen angeschlagenen Gesundheitszustand nicht so unerwartet kam, wie manche Journalisten schrieben, ist aber in jedem Fall ein Einschnitt und versetzte die Bevölkerung, aber auch viele Journalisten in Aufregung. Schon die erste Mitteilung über Karimows Erkrankung löste in regionalen Medien, (bzw. auf exiloppositionellen Websites und in den sozialen Medien) wie auch auf den auf Zentralasien spezialisierten westlichen Nachrichtenportalen eine rege Publikationstätigkeit aus. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde nicht nur über Karimows Zustand spekuliert, sondern auch über seinen möglichen Nachfolger, die Stabilität des Landes und mögliche Veränderungen der Innen- und Außenpolitik. Nach der Bekanntgabe seines Todes schwoll die Zahl der Beiträge durch eine Vielzahl von Nachrufen und später mehr oder weniger freundlichen Einschätzungen zur Person des neu ernannten Übergangspräsidenten Mirsijojew natürlich noch mehr an. Die Erörterung der Zukunftsoptionen wurde daneben noch ungefähr zwei Wochen lang fortgesetzt. Sowohl quantitativ wie auch qualitativ sind dabei auffällige Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten festzustellen, die nicht nur mit Unterschieden in der Presse(un)freiheit zu erklären sind, dies umso mehr, als auch Exilmedien in diese Betrachtung mit einbezogen sind.

Die Zahl der Medien der Russischen Föderation ist im Vergleich zu denen der zentralasiatischen Staaten geradezu gewaltig. Ihre Reaktion auf Karimows Krankheit und Tod erscheint aber auch angesichts dieser Vorbedingung erstaunlich groß. Das Thema wurde in praktisch allen im Internet zugänglichen Medien ausführlich behandelt – auffällig oft mit einem pessimistischen Grundton: Die Autoren sagen Chaos und Instabilität voraus oder schließen sie zumindest nicht aus. Das unterscheidet sie von den (russischsprachigen) Medien Zentralasiens. Dort erwartet man praktisch nirgends Instabilität oder entscheidende Veränderungen des politischen Systems in Usbekistan, sondern allenfalls, abhängig vom Nachfolger, punktuelle Veränderungen. Grundton ist: Es wird sich nicht viel verändern, warten wir erstmal ab und versuchen uns gut zu positionieren. Die Medien Kasachstans widmeten sich dem Thema besonders ausführlich, wobei nicht regierungsnahe Medien auf mögliche Parallelen im eigenen Land hinwiesen. In den Medien Kirgistans waren dagegen, abgesehen von reinen Meldungen, nur wenige über eine Würdigung Karimows hinausgehenden Kommentare o.ä. zu finden, allenfalls der Hinweis, dass sich die Lösung des aktuellen Konfliktes um den Ungar-Too durch den Todesfall hinziehe – offensichtlich war man ganz mit den eigenen Problemen befasst. Erst mit einer gewissen Zeitverzögerung tauchen nun ab und zu ausführlichere Stellungnahmen auf. Ganz ähnlich war die Situation in den Medien Tadschikistans. In Turkmenistan wurde selbst der Tod Karimows nur in einer Meldung über die Teilnahme Präsident Berdymuchammedows an der Beerdigung bzw. die Absage eines zum gleichen Zeitpunkt geplanten Kirgistanbesuches bekannt gemacht. Auch exiloppositionellen Kommentatoren war das Thema nur wenig Aufmerksamkeit wert. Die Medien Usbekistans berichteten natürlich nach der offiziellen Bekanntgabe des Todes ausführlich über das feierliche Begräbnis, ausländische Beileidsbekundungen und die Verdienste Karimows. Unter den gegebenen Umständen genauso natürlich gab es keine kritische Meinungsbildung über die Zukunft des Landes. Doch kommentierten nicht nur ausdrücklich exiloppositionelle Politiker, sondern auch im Ausland lebende usbekische Politologen die neue Situation in russischen wie westlichen Medien – mit recht unterschiedlichem Tenor.

In der folgenden Presseschau haben wir versucht, Aussagen zu den möglichen Auswirkungen des Todes Karimows auf die Stabilität Usbekistans (und Zentralasiens), auf die Innen- und Außenpolitik des Landes und auf das Verhältnis zu seinen Nachbarn aus russischen und zentralasiatischen Medien zusammenzustellen, die zwischen dem 29.8. und 9.9. erschienen sind. Die Auswahl war schwer: Bei der großen Menge von Beiträgen aus der RF und Kasachstan bestand die Qual der Wahl, außerdem handelte es sich z.T. um sehr lange, schwer zu kürzende Analysen. Im Falle Kirgistans und Tadschikistans war es im Gegensatz dazu schwierig, überhaupt Meinungsartikel zum Thema zu finden. Für Usbekistan haben wir auf im Ausland erscheinende Medien zurückgegriffen. Die Zusammenstellung ist in keiner Weise repräsentativ, sondern soll nur einen kleinen Eindruck davon vermitteln, welches Bild (und welche Denkanstöße) politisch Interessierten in der Region über die Folgen des Todes Islam Karimows vermittelt wurde.

Beate Eschment

Lesetipps (westliche Einschätzungen):

Nate Schenkkan, What would an open Uzbekistan look like?, OpenDemocracy, 5.9.2016, = <https://www.open democracy.net/od-russia/nate-schenkkan/what-would-open-uzbekistan-look-like>Birgit Brauer, Uzbekistan: After the Patriarch, IWPR, 6.9.2016,= <https://iwpr.net/global-voices/uzbekistan -after-patriarch>Alexander Kim, Uzbekistan’s Succession: Regime Seeks to Retain Legitimacy, Legacy and Stability, James Town Foundation EDM, 8.9.2016, = <http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=45745&tx_ttnews%5BbackPid%5D=27&cHash=65f0375347cdad060d187f6177440520#.V-jbjiSQZeR>Samuel Ramani, Are Uzbekistan’s Ties With China Headed For A Change?, RFE/RL Qishloq Ovozi, 12.9.2016,= <http://www.rferl.org/a/qishloq-ovozi-uzbekistan-china-relations-change-karimov-death/27982369.html?ltflags=mailer>Bruce Pannier, Podcast: Mirziyaev Moves Fast To Consolidate Position As Uzbek Leader, RFE/RL Qishloq Ovozi, 25.9.2016, = <http://www.rferl.org/a/majlis-podcast-uzbekistan-under-mirziyaev/28011807.html?ltflags=mailer>Uzbekistan Forum and Virtual Special Issue Central Asian Survey, 28.9.2016 = <http://explore.tandfonline.com/page/pgas/cas-uzbekistan-forum>

Russland
Was droht Usbekistan und der Region durch den Tod Islam Karimows

Kommersant, 2.9.2016

<http://kommersant.ru/doc/3078534?utm_source=kommersant&utm_medium=doc&utm_campaign=vrez>

Von Maxim Jusin

Die wichtigste Frage im Zusammenhang mit dem Tod Islam Karimows könnte man folgendermaßen formulieren: Können die neuen Führer Usbekistans das 32 Mio.-Land unter Kontrolle halten?

Diese Frage ist alles andere als belanglos: Ungeachtet der scheinbaren Stabilität ist die Situation in Usbekistan brandgefährlich. Radikale Islamisten, von denen es besonders viele im Fergana-Tal gibt, sind in den Untergrund gegangen, aber nicht verschwunden. Und wenn diese Leute das Machtvakuum spüren, das nach Lockerung des eisernen Griffs entsteht, könnten sie durchaus versuchen, die Situation zu nutzen, um Ausschreitungen zu provozieren – wenn nicht im ganzen Land, dann doch zumindest in einigen Gebieten.

Dabei kann die Destabilisierung Usbekistans – dem Schlüsselstaat Zentralasiens – Chaos in der ganzen Region, darunter in Tadschikistan, Kirgistan und (wenn auch im geringen Maße) Kasachstan, hervorrufen.

Bürgerrechtler, die Taschkent für Menschenrechtsverletzungen kritisieren, sollten sich keinerlei Illusionen hingeben: An die Stelle des harten, teilweise gewalttätigen, aber säkulären Regimes Islam Karimows werden keine liberalen Politiker treten, die das Land in Richtung europäischer Werte und einer offenen Gesellschaft führen. Solche Kräfte sind im heutigen Usbekistan nicht in Sicht.

Die einzige realistische Alternative zur derzeitigen Staatsmacht könnten Vertreter einer Ideologie werden, die Islamismus, Nationalismus und Populismus verbindet. Etwas ähnliches ist in Ägypten passiert, als Präsident Hosni Mubarak von der Muslimbrüderschaft abgelöst wurde, auch wenn diese sich nur kurz an der Macht halten konnte und schon nach einem Jahr von der Armee gestürzt wurde. Doch in Usbekistan könnte eine, wenn auch nur kurze, Regierungsperiode von Nationalpopulisten, insbesondere mit religiösem Einschlag, dramatische Auswirkungen für die ethnischen Minderheiten haben, allen voran die 1,2 Mio. Russen.

Schätzt man die Lage pragmatisch und nicht idealistisch ein, so wäre für Moskau, für die Region, ja für die ganze zivilisierte Welt als Ganzes ein Szenario optimal, nach dem das Umfeld Islam Karimows die Macht behält und für die gesellschaftliche Entwicklung notwendige Änderungen schrittweise stattfinden – evolutionär statt revolutionär.

Usbekistan, das in vielem das sowjetische Modell konserviert hat, benötigt Modernisierung. Aber es sollte eine Modernisierung sein und nicht eine hastige Demontage des gesamten Staatsmodells, das über die letzten 25 Jahre mehr oder weniger funktioniert und das Land vor einem Bürgerkrieg bewahrt hat. Ungeachtet der zahlreichen Probleme, die sich, wie im Jahr 2005 in Andischan, von Zeit zu Zeit in Erinnerung gerufen haben.

Aus dem Russischen von Henryk Alff

Usbekistan bleibt das Machtzentrum Zentralasiens

Nesawisimaja Gazeta, 5.9.2016

<http://www.ng.ru/cis/2016-09-05/1_uzbekistan.html>

Von Wiktorija Panfilowa

[…] Experten gehen davon aus, dass die sozio-politische Stabilität in Usbekistan zumindest in näherer Zukunft erhalten bleibt. Gleichwohl könnten sowohl Demokraten als auch Islamisten versuchen, die Lage anzuheizen. Das könnte Chaos in der gesamten Region, darunter auch in Russland, auslösen.

»Die Gruppe von Politikern, die die Republik weiter regieren wird, ist den gleichen Prinzipien und Werten verpflichtet, wie während der Präsidentschaft Islam Karimows.

Dabei gilt es zu beachten, dass sich mit dem Tod des ersten Präsidenten Usbekistans das politische System wandeln wird: In den vergangenen knapp zehn Jahren haben Reformen in der Gesetzgebung, darunter auch der Verfassung, stattgefunden, die nun alle in Kraft treten«, sagte der Experte für den Nahen Osten und Zentralasien, der promovierte Historiker Aleksandr Knjasew, gegenüber der »NG«.

Usbekistan geht von der präsidialen zur parlamentarischen Regierungsform über: Die Machtbefugnisse des Parlaments werden erweitert und die des Präsidenten erkennbar gekürzt. Jedoch unter Bewahrung von Elementen des Autoritarismus.

[…]

Doch, so glaubt Aleksandr Knjasew, sie alle (die möglichen Kandidaten für die Nachfolge Karimows, Anm. der Red.) werden dem bisherigen politischen Kurs folgen, der auf einigen wenigen Prinzipien beruhte: auf der pragmatischen Verfolgung der Interessen Usbekistans, auf der Priorität bilateraler gegenüber multilateralen Beziehungen, auf dem Verzicht auf die Teilnahme an solchen multilateralen Formaten wie der Eurasischen Wirtschaftsunion (EEU) oder der CSTO, auf der gleich weiten Distanzierung von den äußeren Machtzentren – den USA, Russland, Chinas und der EU. Wer gegen diese grundlegenden Regeln verstößt, auf inneres Chaos setzt oder auf die Anlehnung an eine der äußeren Kräfte, ist politisch erledigt.

Im Unterschied zu seinen Nachbarstaaten ist in Usbekistan auch jener Raum »gesäubert«, in dem Instrumente äußerer Kräfte, die sogenannte »soft power«, wirksam werden könnten. Die Tätigkeit westlicher NGOs ist minimal und wird penibel kontrolliert, im Land gibt es keine der berühmt-berüchtigten türkischen Bildungseinrichtungen. Was Gruppierungen radikal-religiösen Charakters angeht, so könnte sich deren Aktivität während der Übergangszeit in Versuchen äußern, die Stabilität der Staatsmacht nach dem Tod Islam Karimows auszutesten. Doch, so ist der Experte überzeugt, dies dürften höchstens lokale Episoden sein, für deren Niederschlagung und Neutralisierung man in Usbekistan auf äußerst erfolgreiche Erfahrungen zurückgreifen kann.

»Ich denke, dass sich aus Sicht der russischen Sicherheitsinteressen prinzipiell nichts ändern wird. In den Beziehungen zu den ausländischen Partnern wird alles beim Alten bleiben, es gibt keine Anhaltspunkte für irgendwelche Änderungen, das heißt, dass alle Kanäle für die Wechselwirkung in diesem Bereich zwischen Russland und Usbekistan funktionstüchtig bleiben. Versuchen einer »Demokratisierung« von außen dürfte kein Erfolg beschieden sein, wahrscheinlich werden sie sich auf Aktivitäten informationellen Charakters über emigrantische Kreise im Westen beschränken. […]

Aus dem Russischen von Henryk Alff

Usbekistan: Erinnerung an die Zukunft

Jeschednewnyj Schurnal, 30.8.2016

<http://www.ej.ru/?a=note&id=30112>

Von Aleksandr Golz

[…]

Und siehe da, wenn die Zeit reif ist, fällt das über Jahrhunderte sorgfältig ausbalancierte System zusammen, wie ein Kartenhaus. Noch wurde der Abgang Karimows nicht offiziell verkündet, die noch verwirrten Erben des Diktators grübeln über einer zeitgenössischen Variante einer Erklärung zur »Cheyne-Stokes-Atmung« (unregelmäßige Form der Atmung, die häufig bei ungenügender Hirndurchblutung auftritt, Anm. der Red.), aber es hat bereits eine heftige Schlacht um die Macht begonnen. Vor unseren Augen hat sich das gesamte sowjetische 1953 (Anspielung auf die dem Tod Stalins folgenden Ereignisse, Anm. der Redaktion) in zwei Tagen abgespielt. Ich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die im Kampf um die Macht Unterlegenen die Islamisten in Afghanistan um Hilfe bitten werden. Dem gestern noch »stabilen Land« droht die Perspektive des Bürgerkriegs. Und diejenigen, die leidenschaftlich die Stabilität Putinscher Prägung in den Himmel loben (so es solche überhaupt noch gibt), sollten einmal genau auf das schauen, was sich in Usbekistan abspielt.

Ich hege den Verdacht, dass die dortigen Ereignisse Russland vor durchaus praktische Probleme stellen werden. Wenn Usbekistan, die wichtigste Regionalmacht, von Unruhen erfasst wird, können diese sofort auf Nachbarstaaten übergreifen, deren Sicherheit zu gewährleisten sich Moskau verpflichtet hat. Der Zufall will, dass unsere Streitkräfte gerade erst im letzten Jahr im Rahmen der strategischen Manöver »Zentrum-2016« eine Operation zum Eingreifen in einen vom Bürgerkrieg erfassten Staat ausgearbeitet haben. Unheil hingegen verspricht, dass Moskau, um schneller auf die Verstärkung des militärischen Potentials der NATO reagieren zu können, die Kampfstärke der 201. Basis in Tadschikistan, unseres Vorpostens in Zentralasien, stark verringert hat. Mehr noch, aus dem Kommando des Zentralen Militärbezirks wurden zwei motorisierte Schützenbrigaden ausgelagert, die näher der Westgrenzen stationiert werden sollen. »Trischkas Gewand« (Metapher aus Krylows gleichnamiger Fabel, steht in übertragenem Sinn für eine Veränderung, die zur Verbesserung auf der einen Seite, aber Verschlechterung auf der anderen führt, Anm. der Red.) der russischen Verteidigung beginnt zu knacken. … Auf diese Weise kann die Ablösung des autoritären Führers in Usbekistan einen Domino-Effekt auslösen.

Aus dem Russischen von Henryk Alff

Kasachstan
Islam Karimow ist tot. Nursultan Nasarbajew bleibt als letzter von 15 übrig

Zonakz, 5.9.2016

<http://www.zonakz.net/articles/91452>

Von Wladislaw Jurizyn

Der Präsident Kasachstans hat den letzten der noch im Amt befindlichen Kollegen verloren, mit denen er sich im Schicksalsjahr 1991 auf den Wogen der großen Politik als Führer eines selbstständigen Staates aufgemacht hatte. […] Nun verfolgt man im Akorda (Sitz der Regierung, Anm. der Red.) genau, wie die riesigen Machtbefugnisse übergeben werden – in gesetzeskonformer oder alternativer Art und Weise?

[…] Nun besteht Anlass, mit einem gewissen Maß von Zittern und Panik wegen der direkten und indirekten Analogien hinter die Vorgänge im Nachbarland zu blicken. Das politische System Taschkents ist recht verschlossen, doch die Formel »unser Chan ist der Klügste und Beste, weil er neben sich niemand Klugen und Guten duldet«, passt nur bedingt.

[…]

Sind die Querverbindungen und Eigenheiten innerhalb der usbekischen Elite eher etwas für sehr Neugierige, so sind die wahrscheinlichen geopolitischen Veränderungen anderer Qualität. Russische alarmistische Szenarien zur Entwicklung der Situation in Usbekistan sehen die Destabilisierung des eurasischen Raums einschließlich des Urals voraus, werden jedoch von Beteuerungen begleitet, dass die Regierung in Taschkent es dazu nicht kommen lassen wird. Im Endeffekt bleibt unklar, was es in Usbekistan potentiell mehr gibt – Stabilität oder explosives Material. Im Orient sind Dinge oft ganz und gar anders, als sie scheinen. Durch den Tod Islam Karimows haben sich die materiellen Ressourcen im Land nicht vermehrt und der demographische Druck auf die Macht bleibt bestehen.

Die regierende Elite Usbekistans absolviert erstmals eine ernsthafte Prüfung auf Wohlstand und Effektivität ohne Islam Karimow. In dieser Hinsicht hat Astana einen Vorteil: Man kann den Nachbarn dabei zusehen, wie sie die grundlegenden Probleme ohne den ersten Präsidenten lösen und was sich daraus entwickelt. Doch dieser Vorteil Kasachstans ist zeitlich begrenzt. Nursultan Nasarbajew kann schon allein aus biologischen Gründen den Titel des seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion regierenden Staatsoberhauptes nicht endlos tragen (alle anderen sind aus dem informellen Wettstreit bereits ausgeschieden). Selbst wenn in Usbekistan mit dem Machtwechsel alles hervorragend funktioniert, garantiert das noch keine erfolgreiche Wiederholung dieses Szenarios in Kasachstan – am Hofe wird eine in jeder Hinsicht andere Ausgangslage bestehen, andere Bedingungen, eine andere Zeit.

Aus dem Russischen von Henryk Alff

Welche Entwicklungsrichtung Usbekistans nützt Kasachstan

Ratel.kz, 6.9.2016

<http://ratel.kz/outlook/kakoj_vektor_razvitija_uzbekistana_vygoden_kazahstanu>

Von Maxim Kramarenko

Usbeken sind Pragmatiker: Ellenbogenkämpfe wird es geben, doch zu einer offenen Auseinandersetzung wird es nicht kommen.

Usbekistan wird nicht wie ein Kartenhaus zusammenfallen

Die letzte Woche war voller Neuigkeiten aus Usbekistan, die viele andere internationale Ereignisse, darunter die in der Ukraine und Syrien, in den Hintergrund drängten.

Der Tod des Führers eines beliebigen Landes ist ein außergewöhnliches Ereignis, doch Islam Karimows unerwartetes Ableben erwies sich als noch bedeutungsvoller, zumindest für die postsowjetische Medienlandschaft. Und das hat seine Gründe.

Usbekistan ist einer der Schlüsselstaaten im System der regionalen Sicherheit und beliebige, sogar hypothetische, Schwankungen in der Stabilität dieses Landes rufen erhöhte Aufmerksamkeit bei den übrigen Staaten Zentralasiens hervor.

Leider erlauben sich einige Experten angesichts der Dürftigkeit von Informationen über die Vorgänge bei unseren Nachbarn geradezu phantastische Vermutungen.

Vermutungen, wonach dieser Staat wie ein Kartenhaus zusammenfallen und dies einen Domino-Effekt in der gesamten Region auslösen werde, sind kategorisch auszuschließen.

[…]

Welche Entwicklungsrichtung wird nützlich für Kasachstan sein?

Uns wird es zweifellos nützen, wenn dort (in Usbekistan, Anm. der Red.) Patrioten an die Macht kommen, denen ihr Land und ihr Volk am Herzen liegt, die auf den Prinzipien der Gleichheit und der beiderseitigen Zusammenarbeit Beziehungen zu den Nachbarstaaten aufbauen.

Jedes andere Regime – vom Marionettenregime zum isolationistischen – wird Usbekistan mit der Zeit tatsächlich von innen sprengen, was zum Domino-Effekt führt, den wir so fürchten.

Kasachstan hat die Möglichkeit bekommen, aus den Fehlern anderer zu lernen.

Abgesehen von Sicherheitsfragen interessiert Kasachstan selbstverständlich, welches Szenario der südliche Nachbar für den Machtwechsel wählt.

Es kursiert die Meinung, dass Islam Karimow schon im Jahr 2010 geplant hat, Usbekistan allmählich von einer präsidialen zu einer parlamentarischen Republik umzubilden, indem er die Legislative des Landes zu einem Diskussionsforum für die Elitengruppierungen des Landes macht. Der Einfluss des Präsidenten hätte sich nach und nach verringert und die Vertreter der »regierenden« Klans in Usbekistan hätten in Absprache miteinander einen Kompromisskandidaten zum Regierungschef benannt.

Leider hat es Islam Karimow nicht geschafft, dies zu tun.

Möglicherweise wird diese Reform nun von seinem Nachfolger durchgeführt.

Präsident Nasarbajew spricht in letzter Zeit ebenfalls über die Notwendigkeit, eine ähnliche Reform durchzuführen, das usbekische Experiment wäre für uns ein Lehrbeispiel.

Wir haben unterschiedliche politische Systeme, doch es gibt auch viele Gemeinsamkeiten. Für uns wird es von großem Interesse sein, zu beobachten, wie sich die Ereignisse in Usbekistan entwickeln.

Aus dem Russischen von Henryk Alff

Kirgistan
Zainidin Kurmanow: Die kirgisische Regierung sollte die Beziehungen zu Taschkent verbessern, ohne auf eine besondere Einladung zu warten

IA »24.kg«, 2.9.2016

<http://www.24.kg/tsentralnaja_azija/36458/>

Von Darija Podolskaja

»Die kirgisische Führung sollte von sich aus die Beziehungen zu Usbekistan verbessern, ohne vorher eine besondere Einladung auf den Tisch bekommen zu haben«, glaubt der Historiker, Prof. Dr. Zainidin Kurmanow.

Er ist davon überzeugt, dass die Führer unseres Landes nach Taschkent reisen und mit dem neuen Präsidenten über die Grenzen und andere brisante und kontroverse Aspekte der bilateralen Beziehungen verhandeln sollten.

»Ich glaube nicht, dass sich der politische Kurs Usbekistans in Beziehung zu den internationalen Partnern nach Karimow stark verändern wird«, sagt Kurmanow.

»Es ist unmöglich, sich Zentralasien ohne Usbekistan vorzustellen. Dieser Staat wird seine Politik zum Aufbau von Dominanz in der Region fortsetzen. Vergessen Sie nicht das demographische Wachstum der Bevölkerung dieses Landes. So oder so muss man mit den Usbeken Freundschaft halten. Einen anderen Ausweg gibt es nicht«, meint Zainidin Kurmanow.

[…]

Aus dem Russischen von Henryk Alff

Tadschikistan
Warum Tadschikistan seine Chance nicht verspielen sollte?

Asia-Plus, 8.9.2016

<http://www.news.tj/ru/news/tajikistan/politics/20160908/230694>

Von Raschid Gani Abdullo

Für Tadschikistan ist es nun wichtig, nicht an der Seite zu stehen während der zukünftige Führer Usbekistans seine Prioritäten definiert.

In dieser Woche ist etwas passiert, das zweifellos nicht ohne Folgen für die zentralasiatische Region bleiben wird. Präsident Islam Karimow ist gestorben, der Usbekistan – den bevölkerungsreichsten Staat der Region mit einem riesigen bereits ausgeschöpften politischen, weniger jedoch wirtschaftlichen Potential – fast 30 Jahre lang regiert hat. …

[…]

Das wichtigste ist, nicht ins Abseits zu geraten

Die Politik ist in allen postsowjetischen Staaten mit starker präsidialer Machtposition extrem personifiziert. Es ist wenig verwunderlich, dass Bürger unserer Republik darauf hoffen, dass Usbekistans Aufbruch in eine neue Periode der postsowjetischen Geschichte zu positiven Impulsen für die bilateralen Beziehungen führen wird. Prinzipiell sind solche Erwartungen durchaus begründet allein schon aufgrund des Fakts der Personifizierung aller Arten und Level der Politik in den Staaten der Region und der geringen Wahrscheinlichkeit, dass sich eine starke präsidiale Macht in etwas ganz anderes wandelt.

Die Hoffnungen sind objektiv begründet. Die Frage besteht eher darin, wie realistisch die Hoffnung ist, dass sich solche Veränderungen so schnell abspielen, wie die Bürger unser beiden Staaten dies wollen. Leider ist es nicht auszuschließen, dass sich der Übergang der Beziehungen unserer Staaten von ihrem heutigen zum erhofften Zustand in die Länge ziehen wird.

Usbekistan durchläuft heute eine außerordentlich schwierige, ja sogar angespannte Periode seiner postsowjetischen Geschichte. […]

Die Wahl des Staatsoberhauptes in Übereinstimmung mit der Verfassung und Gesetzen ist ein langer Prozess, und auch der Ablauf der vorgeschriebenen Verfahren benötigt Zeit. […]

Doch der gewählte Präsident, wer auch immer das werden sollte, wird dies lediglich de-jure sein. Um auch de-facto Präsident zu werden, braucht es Zeit. Möglicherweise viel Zeit. Diese wird mit der Bildung einer eigenen Regierungsmannschaft und der Etablierung als legitimer Staatschef in den Augen der einflussreichen politischen Elite und der gesamten Gesellschaft vergehen. Dies wird zugleich die Zeit der Ausarbeitung von Prioritäten und eines eigenen politischen Kurses sein, der auf die Erreichung von Zielen ausgerichtet ist, die sich aus den Prioritäten, welche auch immer dies sein werden, ergeben.

Für Tadschikistan, wie es sich darstellt, wäre es dringend erforderlich, gerade in dieser ausgesprochen schwierigen Phase der Etablierung von Prioritäten der zukünftigen Führung Usbekistans nicht außen vor zu bleiben. Nur dann kann man darauf hoffen, dass die Beziehungen zwischen unseren Ländern in absehbarer Zukunft dem Umschwung vom heutigen zu einem besseren Zustand nehmen werden.

Es ist offensichtlich, dass die Republik hier mit der Konkurrenz von Seiten derer, die selbst nicht abseits dieses Prozesses stehen wollen, konfrontiert sein könnte. Es ist nur zu hoffen, dass die Republik ihre Chance nicht verspielt, die ihr, wie man sagen muss, nicht sehr oft zufällt.

Aus dem Russischen von Henryk Alff

(Exil-)Usbekistan
Politischer Übergang in Usbekistan: Das Ende der Usbekischen SSR

Forbes, 2.9.2016

<http://www.forbes.ru/mneniya/mir/327363-politicheskii-tranzit-v-uzbekistane-konets-uzbekskoi-ssr>

Von Rafael Sattarow, unabhängiger Politologe (Usbekistan)

Es ist paradox, gerade die nach dem Grad ihrer Unfreiheit widerwärtigsten Aspekte des usbekischen Lebens können mit größter Wahrscheinlichkeit einen friedlichen Machtwechsel im autoritären Regime sicherstellen.

[…]

Wer auch immer nach dem Tod Islam Karimows an die Macht kommen wird, er dürfte nach dessen »Konspekten« handeln. Deshalb sind auf internationalem Parkett in den Beziehungen Usbekistans zu seinen Nachbarn keine einschneidenden Veränderungen zu erwarten. Auch eine innere Destabilisierung ist unwahrscheinlich.

Der Interessenkonflikt usbekischer Politiker verläuft heute nicht entlang unbefriedeter Clangrenzen, sondern betrifft ganz andere Aspekte: die Kontrolle von Rentenflüssen, Resourcen aus dem Handel mit Devisen, Kraftstoffen, Autos und aus anderen »lebendigen« Wirtschaftszweigen wie Gastronomie, Landwirtschaft und Baumwollexport.

Aber, noch wichtiger, an der Destabilisierung der innenpolitischen Lage (und damit, angesichts der zentralen Lage des Landes, der gesamten Region) sind äußere Faktoren nicht interessiert. Jede beliebige Gruppierung ist für die Erreichung ihrer Ziele auf äußere Unterstützung angewiesen. Und wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die großen äußeren Akteure außerhalb der Region in Form der VR China, der USA, Russlands, der EU und Indiens lenken, dann können wir uns davon überzeugen, dass zwischen diesen keine großen Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte bestehen, die auf eine Destabilisierung wie in der Ukraine Einfluss nehmen könnten.

[…]

Was die innenpolitische Lage in Usbekistan angeht, so sind hier keine ernsthaften Änderungen zu erwarten.

Dennoch bedeutet das Fehlen von ernsthaften Gefahren für das Regime nicht, das dieses vollkommen unverändert erhalten bleiben wird. In der Summe bedeutet der Tod Karimows das Ende der Epoche des Systems Scharaf Raschidows (langjähriger Führer der Usbekischen SSR, 1. Parteisekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Usbekistans).

[…]

Erstens ist die Wirtschaftslage derart schwierig, dass für deren Wiederbelebung neue Ansätze benötigt werden.

Zweitens wird der neue Führer zur Verbesserung seines Images Bereiche reformieren müssen, die in der internationalen Arena heftiger Kritik ausgesetzt sind. Der Agrarsektor, eine solide Devisenquelle des Landes vor allem durch den Baumwollexport, wird heute permanent und scharf von Bürgerrechtlern wegen der systematischen Nutzung von Kinderarbeit und der unbezahlten Arbeit von Staatsbediensteten wie Pädagogen und Ärzten attackiert.

Der dritte wichtige Faktor ist persönlicher Natur. Die wichtigsten Prätendenten auf die Macht sind nicht mit dem sowjetischen System verbunden, ihre gesamte politische Biographie zeigt, dass sie sich lediglich an das entstandene Klima angepasst haben, was wiederum für jeden von ihnen den Aufbau eines neuen, eigenen Systems und einer loyalen Elite notwendig macht. Hier ist eine Abkehr vom System Raschidow – Karimow unumgänglich, da die Erhaltung des Status Quo unter diesen Bedingungen einen Bruch bedeutet, der zu einer Überlastung oder Überhitzung des Systems führen könnte.

Aus dem Russischen von Henryk Alff

Was droht Usbekistan aufgrund des Führungswechsels?

Zentr-1, 8.9.2016

<https://centre1.com/uzbekistan/chto-ugrozhaet-uzbekistanu-v-svyazi-so-smenoj-vlasti/>

o. V.

[…]

— Nennen Sie die wichtigsten Gefahren, die angesichts des Führungswechsels für Usbekistan aktuell sind?

Kamoliddin Rabbimow (Politikwissenschaftler, lebt in Frankreich – Anm. der Redaktion):

Das fundamentale Problem der neuen Führung Usbekistans liegt in der schwierigen sozio-ökonomischen Situation: Im Land herrscht hohe Arbeitslosigkeit, die Einkommen sind niedrig, in der Landwirtschaft hat sich ein System erzwungener Staatsaufträge erhalten.

Das schnelle Bevölkerungswachstum Usbekistans erfordert den Aufbau eines solchen politischen Systems, in dem das Volk nationalen Reichtum schaffen und effektiv verteilen kann. Islam Karimow hat es nicht gewagt, sozio-ökonomische Reformen durchzuführen.

[…]

Taschpulat Juldaschew (Politikwissenschaftler, lebt in den USA – Anm. der Redaktion):

Die größte Gefahr besteht darin, dass das Regime Karimow vom Geheimdienst SNB unter Leitung von Rustam Inojatow getragen wurde. Die Stärke dieser Struktur beträgt 100.000 Mann.

Doch nun stellt ein solcher Status Quo nicht alle zufrieden und es könnte ein Kampf um Besitz und Einfluss beginnen. Inojatow selbst steht vor einer schwierigen Wahl: Sein Alter verbietet es ihm, selbst bei Wahlen anzutreten, doch jeder andere neue Präsident könnte ihn entmachten. […]

— Wie aktuell ist die Gefahr durch Terrorismus?

Kamoliddin Rabbimow:

Die staatliche Einschätzung von Extremismus und Terrorismus entspricht nicht der realen Größenordnung dieser Probleme: Die Führung übertreibt ziemlich. Ein solches System von Einschätzungen ist lästig für die Führung geworden, nicht nur aus der Sicht der Legimität in den Augen der Bevölkerung (die überwältigende Mehrheit der Bürger bezeichnet sich als gläubig und teilt die Sicht der Führung nicht). […]

Selbstverständlich gibt es in jedem muslimischen Land Zeichen von religiösem Extremismus, doch hatten Terroristen weder in den frühen 1990er Jahren noch heute die Ressourcen für einen Regimewechsel. Mit anderen Worten waren Extremismus und Terrorismus immer Unruhefaktoren, aber keine Bedrohungsfaktoren. Die Aufgabe der neuen Führung Usbekistans ist es deshalb dafür zu sorgen, dass sich die Usbekistaner nicht in ihren religiösen Rechten unterdrückt fühlen und loyal zum Staat stehen, ohne dazu gedrängt zu werden. […]

Aus dem Russischen von Henryk Alff

Zum Weiterlesen

Analyse

Revolutionen in Zentralasien? Der »Arabische Frühling« als Herausforderung für die Region

Von Andrea Schmitz, Alexander Wolters
Die Proteste in der arabischen Welt werden in Zentralasien lebhaft rezipiert und wecken dort Hoffnungen und Befürchtungen. Wie in den Revolutionsländern der arabischen Welt ist die Altersgruppe der 15 – 24-Jährigen in Zentralasien überproportional stark vertreten, und auch dort kreieren politische Entmündigung und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit hohe Frustrationspotentiale. Gleichzeitig haben der Ausbau neuer Kommunikationstechnologien und damit der Zugriff auf soziale Medien die Ereignisse in Tunesien, Ägypten und Libyen in den eigenen Erfahrungshorizont gerückt. Die staatlichen Autoritäten in Zentralasien begegnen dem neuen Grad der Vernetzung über das Internet und neuen Hoffnungen auf Veränderung mit verstärkten Kontroll- und Zensurmaßnahmen, die sozialen Protest zwar in Schach halten, dessen Ursachen jedoch nicht berühren und den Anschluss Zentralasiens an die digitale Welt auf Dauer nicht verhindern werden.
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Analyse

Regimekonsolidierung in Tadschikistan: Repression, Kooptation und Indoktrinierung

Von Edward Lemon
Seit dem Ende des Bürgerkriegs in Tadschikistan im Jahr 1997 hat Präsident Rachmon seine Macht auf drei Wegen gefestigt. Erstens hat seine Regierung versucht, die politische Opposition, Massenmedien und Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen; zweitens hat der Präsident in der Hoffnung auf ihre Loyalität Führungspositionen in Regierung und Wirtschaft an Mitglieder seiner weitverzweigten Familie vergeben, und drittens hat das Regime eine nationale Ideologie geschaffen, die die Bürger darin bestärkt, sich aus der Politik heraus zu halten. Obwohl die staatlichen Medien den Eindruck erwecken, dass das Regime sich der aktiven Unterstützung der Bevölkerung erfreut, haben sich viele Menschen nur mit dem Status quo abgefunden. Das Bevölkerungswachstum und eine stagnierende Wirtschaft werden jedoch die Stabilität und Krisenfestigkeit des Regimes auf die Probe stellen.
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