Markt unter Druck. Der Dordoi-Basar in Kirgistan unter dem Einfluss von Eurasischer Wirtschaftsunion und Wirtschaftskrise

Von Henryk Alff (Berlin und Leipzig)

Zusammenfassung
Der Einzel- und Großhandelsmarkt Dordoi in Bischkek stieg nach dem Ende der Sowjetunion zu einem bedeutenden Zentrum des Konsums und zu einem Knotenpunkt des transkontinentalen Handels auf. Zehntausende Menschen fanden dort seit den 1990er Jahren Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten. Der Dordoi wurde so zur Arena für unternehmerischen Wandel und für innovative Geschäftsformate und regionalen Integrationsprozessen durch Zollunion und EEU und den aktuellen wirtschaftlichen Krisenphänomenen im postsowjetischen Raum in Verbindung stehen. Die Folgen für den Basar, die dort tätigen Handelsunternehmer und ihre Beschäftigten sind erheblich und die Zukunft dieses international bedeutenden Handelsplatzes scheint derzeit ungewiss.

Mit dem Niedergang von Staatsunternehmen und öffentlichen Verwaltungen als bedeutende Arbeitgeber nach dem Ende der Sowjetunion wurde privat organisierter Handel in den frühen 1990er Jahren für die Einkommen privater Haushalte in Kirgistan ein wichtiger Faktor. Fabrik- und Kolchosarbeiter, aber auch Lehrer und medizinisches Personal wurden erwerbslos oder in ihren bisherigen Positionen unterbezahlt. Von sinkenden Einkommen und fehlenden Beschäftigungsalternativen war insbesondere die weibliche Bevölkerung betroffen. Deshalb dominierten Frauen von Beginn an den Verkauf von und Tauschhandel mit Gebrauchswaren auf neu entstandenen oder expandierenden Basaren.

Die Einfuhr preiswert produzierter Konsumgüter aus Polen, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Iran und Südkorea und seit den späten 1990er Jahren zunehmend aus China eröffnete neue Betätigungsfelder und erweiterte das Warenangebot. »Shopping-Touren«, von Reiseagenturen organisierte Einkaufsfahrten, die durch die Aufhebung von Ausreisebeschränkungen und Visaregelungen möglich geworden waren, erfreuten sich regen Interesses in der Bevölkerung. Selbstständige Pendelhändler organisierten über häufige Auslandsreisen den Warennachschub. Ab den späten 1990er Jahren kam der Großhandel auf, bei dem im Vergleich zum Einzelhandel große Umfänge von Waren zum Weiterverkauf angeboten wurden und Geschäftskunden die Mehrheit der Abnehmer bildeten. Viele Großhändler bauten sich oft über Jahre bestehende, durch Vertrauen geprägte Beziehungen zu Produzenten und Mittelsmännern in China auf der einen und zu Abnehmern in Karaganda, Nowosibirsk und vielen anderen Städten vor allem Kasachstans und Russlands auf der anderen Seite auf. Steigende Einfuhren riefen grenzüberschreitend operierende Transport- und Logistikunternehmen auf den Plan, die ihrerseits Kontakte zu einflussreichen Verantwortlichen in Grenz- und Zollverwaltungen entwickelten. Diese häufig als informell bezeichneten Beziehungen sind ein Grund dafür, dass der Umfang des über den Dordoi-Basar abgewickelten grenzüberschreitenden Handels bis heute schwer abzuschätzen ist. Im Jahr 2008 lag das Volumen des Reexports von Gebrauchswaren über kirgisische Basare nach Angaben der Weltbank insgesamt bei rund 8,1 Mrd. US-Dollar, der Dordoi-Basar dürfte daran einen entscheidenden Anteil gehabt haben.

Aufstrebender Basar

Im Dezember 1991 auf einer Brachfläche nahe des Leder verarbeitenden Kombinats am nördlichen Stadtrand Bischkeks gegründet, wurde der Dordoi-Basar rasch zum Symbol postsowjetischer Alltagsrealität im unabhängigen Kirgistan, und insbesondere für die Verquickung von Politik und Wirtschaft. Als Gründer des Basars gilt der ehemalige Komsomol-Funktionär und Leiter des städtischen Komitees für Bildung und Sport von Bischkek, Askar Salymbekow, der im Jahr 1991 die Verwaltung der Basare der Hauptstadt übernahm. Von 1993 bis 1999 war Salymbekow Präsident der Dordoi-Assoziation, einer Gruppe von Unternehmen, die heute nicht nur Basare, sondern auch Sicherheits- und Transportfirmen, Hotelkomplexe und einen Fußballclub umfasst. 1999 übernahm der aus At-Baschy stammende Salymbekow den Gouverneursposten in seinem Heimatgebiet Naryn, war dann kurzzeitig Bürgermeister von Bischkek und Mitglied des Parlaments. Seine unternehmerische Tätigkeit, vor allem der Dordoi-Basar, machte ihn zum zweitreichsten Mann des Landes.

Nachdem der Dordoi in den früheren 1990er Jahren aus kaum mehr als einer unbetonierten Fläche bestand, auf der täglich Tausende Händler und Käufer nach Zahlung eines symbolischen Eintrittspreises Waren des täglichen Bedarfs verkauften bzw. erwarben, wurde die Dienstleistungsinfrastruktur später durch einfache Verkaufsstände ergänzt. Kantinen, Wechselstuben und Banken kamen hinzu. Ab 1998 wurden nach dem Vorbild des Prywos-Marktes nahe Odessa schrittweise die Verkaufsstände durch Tausende zweigeschossig aufeinander gestapelte Container als kombinierte Lager- und Verkaufsräume ersetzt. Die zwölf Sektionen des Dordoi-Basars umfassten 2010 insgesamt ca. 10.000 bis 15.000 Doppelcontainer in langen, überdachten Reihen. Zu Zeiten guter Konjunktur in den Nullerjahren konnte ein Doppelcontainer in bester, vom Großhandel dominierter Lage 40.000 bis 130.000 US-Dollar wert sein – und damit mehr als eine Eigentumswohnung im Stadtzentrum von Bischkek. Entsprechende Mietpreise pro Verkaufseinheit lagen je nach Nutzfläche und Lage bei 500 bis 2.500 US-Dollar monatlich.

Derart hohe Werte ergaben sich aus der großen Nachfrage und den im Basargeschäft realisierten Profiten. Seit den frühen 1990er Jahren war der Dordoi kontinuierlich auf heute 80 bis 100 ha Fläche plus ungefähr noch einmal so viel Lagerfläche angewachsen. Geschätzte 30.000 bis 40.000 selbstständig Beschäftigte, Groß- und Einzelhändler sowie deren Angestellte, erwirtschafteten mit dem Verkauf und Weiterverkauf von Kleidung, Schuhen, Stoffen, Haushaltswaren, Baustoffen und Lebensmitteln teilweise beträchtliche Gewinne. Als Zulassung zur Tätigkeit auf Basaren genügt bis heute der Erwerb eines so genannten Steuerpatents, mit dem Kleinunternehmer zu pauschalen Abgaben herangezogen werden. Im Frühjahr 2012 betrugen die Kosten für ein solches Patent umgerechnet ca. 50 US-Dollar monatlich, hochgerechnet auf die Händlerzahlen ein wesentlicher Beitrag zur chronisch klammen kirgisischen Staatskasse. Hinzu kommen Gebühren von ca. 90 US-Dollar, die monatlich an die Basarverwaltung für Grundsteuer, Elektrizitätsversorgung und Sicherheitsdienst abgeführt werden müssen.

Einheitliche, niedrige Zölle verschafften auf dem Dordoi-Basar aktiven Unternehmern einen Standortvorteil gegenüber Konkurrenten z. B. in Kasachstan. Viele Konsumgüter »Made in China« konnten deshalb auf dem Dordoi nur unwesentlich teurer angeboten werden als in Großhandelszentren im mehr als 2.100 Straßenkilometer entfernten Urumtschi, der Hauptstadt des Uighurischen Autonomen Gebiets Xinjiang (XUAR) in der VR China. Ein wesentlicher Teil der per LKW aus China nach Kirgistan transportierten Einfuhren wurde über den Dordoi weiter in die Nachbarstaaten und nach Russland reexportiert.

Kleidung »Made in Kyrgyzstan«

Das gute wirtschaftliche Umfeld für den Import und Vertrieb chinesischer Güter förderte jedoch nicht nur den Reexport. Dank niedriger Kosten für Energie, Wasser und Arbeitskraft förderte der günstige Export chinesischer Waren auch die Neuetablierung verarbeitender Industrie im Norden Kirgistans. Bereits zu Sowjetzeiten existierte in Bischkek eine Textilindustrie auf Basis von lokal verfügbaren Rohstoffen wie Baumwolle und Leder. Dieser kollabierte jedoch wie fast das gesamte produzierende Gewerbe mit dem Ende des sowjetischen Wirtschaftssystems. Seit den späten 1990er Jahren investierten auf dem Dordoi-Basar aktive Unternehmer in Nähereien, um aus chinesischen Stoffen bzw. mit aus China importierter Technik Kleidung für den Export herzustellen. Die hohe Nachfrage nach Bekleidung »Made in Kyrgyzstan« bei Kunden im postsowjetischen Raum, die auf einem ähnlichen Modegeschmack und niedrigen Preisen basierte, kurbelte die Produktion weiter an. Aus kleinen Nähereien in Kellern und Wohnungen entwickelten sich zum Teil Unternehmen mit Hunderten von Mitarbeitern, die leer stehende Produktionsgebäude im gesamten Stadtgebiet Bischkeks übernahmen. Viele Kleinunternehmer mit oft nur wenigen Angestellten produzierten Textilien je nach Auftragslage. Größere Unternehmen organisieren dagegen sogar Modemessen wie die jährlich stattfindende Bishkek Fashion Week und stellen an aktuellsten Modetrends ausgerichtete Kollektionen her. Nach der Studie eines Beratungsunternehmens beschäftigte die Textilbranche Kirgistans im Jahr 2010 90.000 – 150.000 Angestellte, vor allem Frauen, zu oft überdurchschnittlichen Löhnen. Ihre Produkte werden neben dem Direktexport zu einem wesentlichen Teil über den Dordoi-Basar, dessen Sektion »Alkanov i Ko.« sich auf Kleidung »Made in Kyrgyzstan« spezialisiert hat, an Abnehmer aus dem postsowjetischen Raum vertrieben.

Seine geographische Lage, nur zwölf Kilometer vom Grenzübergang Kordai nach Kasachstan entfernt, förderte die zentrale Stellung des Dordoi-Basars sowohl für den Reexport als auch für den Vertrieb kirgisischer Textilien. Auf dem Höhepunkt des Basarhandels 2006–2008 kamen täglich Zehntausende Menschen allein aus Kasachstan für Warenbestellungen auf den Markt. Daneben knüpften auch viele Kunden aus Russland, Usbekistan, Tadschikistan und anderen GUS-Staaten dort Geschäftsbeziehungen. Ein Bericht der Weltbank bezifferte den akkumulierten Monatsumsatz aus dem operativen Geschäft des Basars im Jahr 2007 auf 331 Mio. US-Dollar, eine im wirtschaftlich schwachen Kirgistan fast unvorstellbar hohe Zahl.

Grenzen im Wandel

Der lange Zeit vorherrschende Eindruck ökonomischer Prosperität und Innovationsfähigkeit täuschte darüber hinweg, dass sich in der Entwicklung des Dordoi-Basars und der Geschäfte vieler grenzüberschreitend aktiver Händler bereits seit 2009 bedeutende Probleme abzeichneten. Ein wichtiger Auslöser für diese schwerwiegenden Veränderungen lässt sich dabei in der Durchlässigkeit von Grenzen für den Warenaustausch, und vor allem derer mit dem nördlichen Nachbarn Kasachstan, erkennen.

Zunächst führten im Sommer 2010 die Ausschreitungen im Süden Kirgistans zur wochenlangen Schließung der kirgisisch-kasachstanischen Grenze, was den grenzüberschreitenden Handel weitestgehend zum Erliegen brachte. Das Volumen des Reexports fiel nach Angaben der Weltbank 2010 auf geschätzte 3,1 Mrd. US-Dollar. Noch wesentlich einschneidendere Auswirkungen hatte der Zusammenschluss von Kasachstan, Russland und Belarus zu einer Zollunion im gleichen Jahr und die Abschaffung der Zollgrenzen zwischen diesen Staaten zum Juli 2011. Die Grenzen zu Drittstaaten der Zollunion wie Kirgistan wurden im selben Schritt intensiver als bisher kontrolliert, was die Durchlässigkeit der Grenze zu Kasachstan stark einschränkte. Zudem erhöhten sich durch gestiegene Gebühren für zahlreiche Warenkategorien bei der Einfuhr in die Zollunion auch die Transportkosten für aus Kirgistan reexportierte Waren vor allem aus China. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Einfuhr und der gestiegenen Kosten für die Ausfuhr von Waren aus Kirgistan blieben zahlreiche Kunden aus Kasachstan und Russland dem Dordoi-Basar fern. Viele dort ansässige Handelsunternehmer blieben infolgedessen schon im Herbst 2011 auf vollen Lagern sitzen. Dies betraf vor allem Waren, die sich aufgrund der saisonalen Prägung des Geschäfts (besonders bei Textilien und Schuhen) kaum noch verkaufen ließen. Zahlreiche Experten prognostizierten aufgrund der Veränderungen mittel- bis langfristig eine Transformation des Dordoi-Basars vom international bedeutsamen Großhandels- zum Einzelhandelsstandort von lediglich nationaler und lokaler Bedeutung.

Als ein möglicher Ausweg für die bedrohliche Lage des Handelsgeschäfts auf dem Dordoi-Basar wurde der Beitritt Kirgistans als Vollmitglied zur 2014 ausgehandelten Eurasischen Wirtschaftsunion (EEU) mit Kasachstan, Russland, Belarus und Armenien in der kirgisischen Öffentlichkeit, nicht zuletzt von Eigentümern, Gewerkschaftlern und Handelsunternehmern selbst, kontrovers diskutiert. Die Befürworter des Beitritts zur Zollunion, darunter zahlreiche kirgisische Spitzenpolitiker, stellten die positiven Aspekte der Abschaffung von Zollschranken mit den Abnehmerländern von Gebrauchsgütern aus Kirgistan und des Zugangs zu einem rund 185 Mio. Einwohner umfassenden Binnenmarkt in den Mittelpunkt ihrer Argumentation. Skeptiker, darunter Dordoi-Eigentümer Salymbekow, verwiesen auf die negativen Auswirkungen eines Beitritts, insbesondere auf die zu erwartende Verteuerung von Einfuhren aus China infolge steigender Zölle. Vor allem die Bekleidungsindustrie, ein noch vor wenigen Jahren dynamisch wachsender, jedoch von günstigen Importen aus China abhängiger, Wirtschaftssektor, sollte auf Betreiben von Präsident Almasbek Atambajew mit Handelspräferenzen (z. B. Befreiung von bzw. Ermäßigungen bei Einfuhrzöllen) vor möglichen Risiken geschützt werden.

Wirtschaftskrise und Währungsverfall

Als kaum weniger bedeutsam für die jüngste Entwicklung des Dordoi-Basar als die Veränderung von Grenz- und Zollregimen erwiesen sich die sozio-ökonomischen Auswirkungen der anhaltenden Wirtschaftskrise im postsowjetischen Raum seit dem Jahr 2014. Die Sanktionen gegen Russland stellten die mit der russischen Wirtschaft eng verwobenen Ökonomien in Zentralasien vor große Herausforderungen. Der Verfall der Weltmarktpreise für Öl und Gas sorgte zudem dafür, dass unter anderem Kasachstan als zweiter bedeutender Absatzmarkt für (Re)-Importe aus Kirgistan mit anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.

Der dramatische Verfall des Wechselkurses des russischen Rubels gegenüber dem US-Dollar machte auch Währungsanpassungen der zentralasiatischen Regierungen notwendig. So hat der kirgisische Som seit dem Jahr 2013 gegenüber dem US-Dollar um 55 % an Wert verloren. Damit ist er nach wie vor überbewertet, was eine weitere Abwertung nicht unwahrscheinlich erscheinen lässt. Im Fall der mit russischen Partnern kooperierenden Handelsunternehmer auf dem Dordoi erweist sich die anhaltende Rubelschwäche zudem als zusätzlich problematisch, da die Geschäfte in Russland in Rubel, der Bezug von Waren von Produzenten und Zulieferern in China allerdings in US-Dollar abgewickelt werden, was den verlustreichen Tausch von Devisen notwendig macht.

Die schwächelnden Währungen im postsowjetischen Raum haben auch maßgeblich zum Sinken der Kaufkraft gerade von einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen in den Regionen Russland und Kasachstan beigetragen, die wesentliche Zielgruppen für den über den Dordoi-Basar abgewickelten Großhandel vor allem mit preisgünstigen Textilien darstellen. Aber auch im Einzelhandel mit kirgisischen Kunden im Inland sorgt der Wertverlust des Som für eine zunehmend sinkende Kaufkraft, noch verstärkt durch den Rückgang der Rücküberweisungen kirgisischer Arbeitsmigranten aus Russland bzw. Kasachstan, die für viele kirgisische Haushalte eine bedeutende Einkommensquelle darstellen. Der noch vor wenigen Jahren hochprofitable Groß- und Einzelhandel auf dem Dordoi durchlebt daher eine tiefe Krise mit schwerwiegenden Folgen für die kirgisische Wirtschaft und Bevölkerung.

Folgen für die Händler

Die kritische Lage des Dordoi findet angesichts der Bedeutung des Basars für die Wirtschaft Kirgistans seit Jahren erhebliche Aufmerksamkeit. Zahlreiche kirgisische Medien prognostizierten seit 2014 sogar den vollständigen Zusammenbruch des Basargeschäfts; was in Kirgistan, anders als in der kasachstanischen Öffentlichkeit, wo Basarhandel heutzutage eher als »unzivilisiert« und überholt angesehen wird, überwiegend negative Reaktionen hervorruft. Aufgrund der geringen Nachfrage wirken viele der einst geschäftigen Durchgänge zwischen den leer stehenden Containern heute verwaist. Verkaufsflächen auf dem Dordoi sind einem Wertverlust ausgesetzt, Inhaber von Ladenflächen vermieten diese inzwischen zum Nulltarif, um zumindest die monatlichen Fixkosten, die an die Basarverwaltung gehen, auf die Mieter abzuwälzen.

In Gesprächen mit Handelsunternehmern auf dem Dordoi wird der Ernst der Lage besonders deutlich. Viele haben seit der Etablierung der Zollunion 2011 und der sich verschärfenden Krisenphänomene mit sinkenden Absätzen und entsprechend mit großen Umsatz- und Gewinnrückgängen zu kämpfen, was sich in sinkenden Löhnen und der Entlassung von Verkaufspersonal niederschlägt. Durch die Aufnahme von Krediten etwa zur Warenbeschaffung sind viele Händler zudem überschuldet. Viele der befragten Unternehmer kritisieren insbesondere den ihrer Ansicht nach unüberlegten und überstürzten Beitritt Kirgistans zur EEU im August 2015, der vor allem zu höheren Kosten für die Zulieferung von Gütern aus China und anderen Drittstaaten geführt hat. So sind nach ihren Angaben die Transportkosten für Waren aus China, die auch die Zollgebühren umfassen, um das Fünffache gestiegen, was ihren Spielraum bei der Preisgestaltung der von ihnen angebotenen Waren stark einschränkt. Diese Kostenexplosion bei der Einfuhr chinesischer Waren trifft jedoch nicht nur die im Reexport beschäftigten Händler, sondern, wenn auch in geringerem Maße, auch diejenigen mit Verbindungen in die kirgisische Bekleidungsindustrie.

Trotz des stagnierenden Absatzes kirgisischer Kleidung werden die Textilindustrie und die Vermarktung ihrer Produkte in die Staaten der EEU von Experten weiterhin als große Chance für Investoren und Unternehmer gesehen. Als entscheidende Hürde gilt hier jedoch auch noch ein Jahr nach dem EEU-Beitritt des Landes die Nichteinhaltung von Produktstandards und die fehlende Zertifizierung kirgisischer Textilerzeugnisse. Obwohl im Jahr 2014 eigens ein hauptsächlich von den Regierungen Russlands und Kasachstans unterstützter Fonds zur Anpassung der kirgisischen Wirtschaft an EEU-Richtlinien, d. h. vor allem zur Schaffung der dafür nötigen technischen Einrichtungen, vereinbart wurde, erschweren Verzögerungen bei der Erreichung dieses Ziels den Zugang kirgisischer Produkte auf den Binnenmarkt der EEU und lähmen so das Handelsgeschäft zusätzlich. Die von zahlreichen Politikern propagierten Vorteile eines kirgisischen EEU-Beitritts für den Handelssektor des Landes, dessen Kernstück der Dordoi-Basar bildet, sind zum jetzigen Zeitpunkt kaum erkennbar.

Fazit

Ein Vierteljahrhundert nach der Unabhängigkeit Kirgi­­stans ergibt sich für die Entwicklung des Groß- und Einzelhandels auf dem Dordoi-Basar in Bischkek ein gespaltenes Bild. In Wechselwirkung zur rasanten Expansion des privaten Basarhandels hat sich eine gut vernetzte Unternehmerschaft herausgebildet, die vom Reexport von Waren aus China in die zentralasiatischen Staaten, vor allem nach Kasachstan, aber auch nach Russland, profitierte. Im Falle des Dordoi-Basars waren die Unternehmer sogar maßgeblich für die Etablierung produzierenden Gewerbes in Form der Bekleidungsindustrie in Bischkek und Umgebung verantwortlich. Vom Dordoi-Basar gingen damit nicht nur bedeutende Impulse für die Schaffung von Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten sowie für die Generierung von Steuern aus, sondern auch für unternehmerische Innovationen und wirtschaftliche Diversifizierung.

Für einen Niedergang des über den Dordoi-Basar abgewickelten Handelsgeschäfts haben seit 2011 jedoch die Gründung der Zollunion zwischen Russland, Kasachstan und Belarus und die anhaltenden wirtschaftlichen Krisenphänomene im postsowjetischen Raum gesorgt. Der offizielle Beitritt Kirgistans zur EEU im August 2015, der im Vorfeld nicht zuletzt von den Basarhändlern selbst, kontrovers diskutiert wurde, hat das Handelsgeschäft auf dem Basar weitgehend negativ beeinflusst und bedroht die wirtschaftliche Existenz Zehntausender Beschäftigter und deren Familien. Es ist mehr als unklar, ob und in welcher Form das vom Dordoi-Basar ausgehende unternehmerische Potential auch in Zukunft eine Rolle in der Entwicklung der kirgisischen Wirtschaft spielen wird.

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