Gesellschaft und Geschichte

Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine

Eduard Klein (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen), Mattia Nelles (Berlin), 08.03.2023

Korruption wird in der Ukraine von vielen als der größte »innere Feind« angesehen, den es ebenso wie den aktuellen äußeren Feind zu besiegen gilt. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Antikorruptionsreformen durchgeführt. Aktuell werfen mehrere Korruptionsskandale jedoch die Frage nach der Wirksamkeit dieser Reformen auf. Vor allem im Hinblick auf den anvisierten EU-Beitritt und den Wiederaufbau nach Kriegsende, der mit enormen internationalen Geldern finanziert werden muss, muss die Ukraine den nach dem Maidan eingeschlagenen Reformkurs konsequent fortsetzen und vor allem die Justiz umfassend reformieren. Andernfalls droht nicht nur ein Vertrauensverlust der eigenen Bevölkerung, sondern auch der internationalen Gemeinschaft, auf die die Ukraine derzeit stärker denn je angewiesen ist.

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Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat

Petro Burkovskyi (Stiftung Demokratische Initiativen – Ilko Kutscheriw), Olexiy Haran (Nationale Universität Kyjiwer Mohyla-Akademie)

Durch den Krieg ist die ukrainische Gesellschaft stärker zusammengewachsen. Mit Blick auf ihre Zukunft verlassen sich die Menschen auf sich selbst sind optimistisch.

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Der nahende Winter und gezielte russische Angriffe auf die kritische Infrastruktur verschärfen die humanitäre Krise in der Ukraine

Igor Mitchnik (Berlin), 03.11.2022

Die humanitäre Situation in der Ukraine spitzt sich bereits vor dem nahenden Winter zu. Durch gezielte russische Luftangriffe auf die kritische Infrastruktur bis tief ins Landesinnere steht der gesamten Bevölkerung in der Ukraine ein harter Winter bevor, der die humanitäre Krise noch verschärfen wird. Es werden landesweite Versorgungsschwierigkeiten mit Strom, Wärme, Gas und Wasser erwartet und die Ost- und Südostukraine wird es vermutlich am härtesten treffen. Der Notstand betrifft besonders die mehr als sieben Millionen Binnengeflüchteten, die in vielen Fällen weder Arbeit noch finanzielle Rücklagen haben und auf staatliche, internationale und lokale Hilfe angewiesen sind.

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Geschichte als »Waffe«? Russlands Instrumentalisierung der Erinnerungskultur im Zuge des Angriffskrieges gegen die Ukraine

Sergii Pakhomenko (Staatliche Universität Mariupol/Freie Universität Berlin), 22.06.2022

Russlands manipulative Argumentation über die ukrainische Geschichte am Vorabend der russischen militärischen Aggression diente als ideologische Vorbereitung des Einmarschs. Die Hauptbotschaft lief darauf hinaus, dass es in der Ukraine keinerlei nationalstaatliche Tradition gibt. Die historische (oder vielmehr pseudohistorische) Rhetorik des Kreml zielt zusammen mit dem Vorgehen der Besatzungsbehörden, die darauf ausgerichtet sind, das historische Gedächtnis und den symbolischen Raum umzuwandeln, nicht nur darauf ab, die militärische Aggression zu rechtfertigen, sondern ist auch die wichtigste Waffe, um in den besetzten Gebieten die ukrainische Identität zu zerstören und die kollektive Erinnerung auf eine Linie mit den russischen Narrativen zu bringen.

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Stepan Bandera: Geschichte, Erinnerung und Propaganda

Kai Struve (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), 22.06.2022

Über keine andere Person der ukrainischen Geschichte existieren so gegensätzliche Bilder wie über Stepan Bandera. Für die einen ist er der Inbegriff der ukrainischen Kollaboration mit den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs und der Beteiligung von Ukrainern am Holocaust. Die „banderovcy“, die Anhänger Banderas, stehen im Zentrum des propagandistischen russischen Vorwurfs, die Ukraine werde von „Nazis“ beherrscht und müsse „entnazifiziert“ werden. Für andere, insbesondere in der Ukraine, ist er das Symbol des heroischen ukrainischen Unabhängigkeitskampfes. Die historische Wirklichkeit ist deutlich komplizierter. Der folgende Beitrag versucht, die tatsächliche Bedeutung Banderas und die Herkunft der gegensätzlichen und zu einem großen Teil auch falschen Bilder zu skizzieren.

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Flucht in und aus der Ukraine

Irina Mützelburg (Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, Berlin), 30.05.2022

Die am 24. Februar 2022 begonnene russische Invasion in die Ukraine hat die größten Fluchtbewegungen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg in und aus der Ukraine hervorgerufen. Der Beitrag zeigt die Situation der Flüchtenden an verschiedenen Orten auf: Manche leben plötzlich unter russischer Besatzung, andere sehen ihr Leben täglich bedroht und wieder andere sind im Ausland in scheinbarer Sicherheit, können aber (noch) nicht ankommen. Während Fluchtbewegungen aus anderen Krisengebieten in den letzten Jahrzehnten stark behindert wurden, erleichtern die EU Staaten derzeit die Migration aus der Ukraine – jedoch vor allem für ukrainische StaatsbürgerInnen.

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Einstellungen junger Ukrainer:innen zur sowjetischen Vergangenheit

Lina Klymenko (Universitäten Tampere und Helsinki), 03.02.2022

"Der Beitrag untersucht, wie junge Ukrainer:innen die Sowjetära wahrnehmen. Auf der Grundlage von Diskussionen junger Ukrainer:innen in Fokusgruppen stellt der Artikel heraus, dass junge Menschen in der Ukraine eine ambivalente Wahrnehmung der Zeit der kommunistischen Herrschaft haben. Eine Mehrheit der Befragten verurteilte zwar das kommunistische Regime, doch gab es auch einige, die es idealisierten. Die positive Sicht junger Ukrainer:innen auf die sowjetische Vergangenheit ist auf deren Unzufriedenheit mit dem heutigen politischen Regime und mit der sozioökonomischen Lage in der Ukraine zurückzuführen. Sie neigen sogar dazu, die ukrainische Entkommunisierungspolitik in Frage zu stellen."

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Multiple Identitäten und Einstellungen gegenüber der ukrainischen Ethnopolitik: Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage

Aadne Aasland (Norwegian Institute for Urban and Regional Research, OsloMet – Oslo Metropolitan University, Oslo), 16.07.2021

"Eine kürzlich durchgeführte landesweite Erhebung gibt Aufschluss darüber, wie multiple Identitäten in der Ukraine gegenwärtig miteinander interagieren, und zeigt, dass Menschen unterschiedlicher Ethnien und Bewohner unterschiedlicher Regionen von starker Verbundenheit sowohl mit ihren lokalen Kommunen als auch mit dem ukrainischen Staat berichten. Die Beziehungen zwischen den Ethnien werden als gut wahrgenommen, auf lokaler Ebene noch besser als auf nationaler. Die Umfrage zeigt außerdem, dass die ukrainische Bevölkerung die Politik der Ukraine in Bezug auf ihre ethnischen Minderheiten sehr unterschiedlich bewertet. Spannungen zwischen sozioökonomischen Gruppen verursachen mehr lokale Uneinigkeit als Spannungen zwischen Menschen verschiedener Ethnien oder sprachlicher Hintergründe."

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Zum 30. Jahrestag der ukrainischen Unabhängigkeit

Jewgenij Zacharow (Charkiwer Organisation für Menschenrechte) 28.09.2021

„Das wichtigste ist, sich für die Freiheit zusammen zu schließen, die die nationale Idee der Ukrainer ist. Der »Virus des Ungehorsams«, der Wunsch nach freiem Handeln im eigenen Schicksal, ist eines unserer bestimmenden Merkmale. Dieses »Virus« löste den Aufstand im stalinistischen Gulag aus (Ukrainer waren Organisatoren der Aufstände in Norilsk, Kengir und anderen Städten), inspirierte die Menschen in den 1960er Jahren, die in Lagern saßen für das Recht, die Dinge beim Namen zu nennen. Ungehorsam führte im Herbst 2004 und 2013 endlich Menschen auf den Maidan und bewegte 2014 Freiwillige, sich für die Verteidigung des Landes gegen die russische Aggression einzusetzen.“

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»Russland hat kein Monopol auf die russische Sprache!«

Mustafa Najem (Kiew), 20.05.2019

"Am 24. April 2019 hat Präsident Putin einen Erlass unterzeichnet, wonach den Bewohnern der sogenannten Donezker und Lugansker Volksrepubliken die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft erleichtert werden soll. Kurz nach der Wahl des neues ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dem Putin zum Wahlsieg nicht gratuliert hatte, kam der Erlass sehr überraschend. Als aggressives Symbol kritisierten zahlreiche Beobachter das Handeln Putins. Der Kreml dagegen betonte, man habe »nicht den Wunsch, der neuen ukrainischen Führung Probleme zu machen«. Der sogenannte Chefideologe des Kreml Wladislaw Surkow sagte, der Erlass sei »eine Pflicht Russlands gegenüber den Menschen, die auf Russisch denken und sprechen und die sich wegen der repressiven Maßnahmen des Kiewer Regimes jetzt in einer sehr schwierigen Situation befinden«. Mit russischem Pass würden sich »die Menschen beschützter und freier« fühlen. Das russische Onlinemagazin The New Times veröffentlichte mehrere Blogbeiträge zum Thema, unter anderem den Facebook-Post »Russland hat kein Monopol auf die russische Sprache!« von Mustafa Najem. Der einstige Journalist, der heute Mitglied der Rada ist, gilt als Initiator des Euromaidan 2013."

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Geopolitik, Macht und kirchliche Identität: Der Konflikt um die orthodoxe Kirche in der Ukraine

Regina Elsner (Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS), Berlin), Nadezhda Beljakova (Russische Akademie der Wissenschaften, Moskau) 22.01.2019

„Am 6. Januar 2019 ist die neue Orthodoxe Kirche der Ukraine mit dem sogenannten Autokephalie-Tomos anerkannt worden. Damit sollten die anhaltenden Diskussionen um die Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche in der Ukraine von Moskau beendet werden. Politische Verstrickungen und kirchliche Machtkämpfe führen jedoch dazu, dass die kirchliche Lage in der Ukraine noch viele Jahre konfliktreich bleiben wird.“

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Die Identität der russischsprachigen Staatsbürger der Ukraine

Volodymyr Kulyk (Institut für Politische und Ethnische Studien der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, Kiew), 22.02.2018

"Auf Grundlage einer Analyse von Meinungsumfragen aus den Jahren 2012, 2014 und 2017 wird die Identität von russischsprachigen Staatsbürgern der Ukraine beschrieben. Es wird gezeigt, dass ihre stärkere Verbundenheit mit der Ukraine auf kleineren Veränderungen in ihrer ethnonationalen Identität in den vorangegangenen Jahren beruht. Statt eine Gemeinschaft zu formen, die sich durch ihre bevorzugte Sprache von anderen abhebt, haben die russischsprachigen Staatsbürger der Ukraine eine allmähliche Verwandlung von Sowjetbürgern zu Ukrainern vollzogen – und das ohne ihren Sprachgebrauch groß zu verändern. Die meisten von ihnen sprechen weiterhin vorwiegend Russisch. Dies ist jedoch nicht entscheidend für ihre Selbstidentifikation."

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Entwicklungsperspektiven der rechtsradikalen Kräfte in der Ukraine

Anton Shekhovtsov (London), 28.01.2015

"Dieser Artikel betrachtet die Entwicklungen in der ukrainischen rechtsradikalen Szene nach der Revolution, die im Winter 2014 den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch aus dem Amt entfernte. Der Autor diskutiert die Gründe für die Wahlniederlage der beiden rechtsradikalen Parteien, die an den jüngsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen teilgenommen haben, und stellt fest, dass diese Niederlagen nicht das »Ende der Geschichte« der ukrainischen Rechtsradikalen markieren. Im Gegenteil: Einige andere rechtsradikale Organisationen, die in der Vergangenheit in großem Stil in illegale Aktivitäten und Korruption verwickelt waren, haben in ihrem Kampf gegen eine liberale Demokratie in der Ukraine möglicherweise eine bessere Strategie entdeckt."

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Antisemitismus in der Ukraine

Iosif Sissels (Kiew), 05.11.2014

"In den letzten Jahren ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle in der Ukraine allmählich und stetig zurückgegangen, nachdem in den Jahren 2005 bis 2007 ein Höhepunkt erreicht wurde. Auf der einen Seite beschuldigt die russische Propaganda die neue ukrainische Regierung unbegründet und unbeirrt von Widersprüchen des Ultra- und des Neonazismus. Auf der anderen Seite versucht sie, nicht weniger unbegründet, die Probleme in der Ukraine durch Machenschaften von Zionisten, die der Propaganda zufolge die Macht im Land ergriffen haben, zu erklären. Allerdings beweisen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vom Mai dieses Jahres die niedrige Popularität der rechtsradikalen Parteien und Gruppen. Die beiden Anführer dieser Gruppen, Oleh Tjahnibok (»Swoboda«) und Dmytro Jarosch (»Rechter Sektor«), haben nur 1,2 und 0,7 Prozent der Stimmen erhalten."

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Analyse

Einstellungen junger Ukrainer:innen zur sowjetischen Vergangenheit

Von Lina Klymenko
Der Beitrag untersucht, wie junge Ukrainer:innen die Sowjetära wahrnehmen. Auf der Grundlage von Diskussionen junger Ukrainer:innen in Fokusgruppen stellt der Artikel heraus, dass junge Menschen in der Ukraine eine ambivalente Wahrnehmung der Zeit der kommunistischen Herrschaft haben. Eine Mehrheit der Befragten verurteilte zwar das kommunistische Regime, doch gab es auch einige, die es idealisierten. Die positive Sicht junger Ukrainer:innen auf die sowjetische Vergangenheit ist auf deren Unzufriedenheit mit dem heutigen politischen Regime und mit der sozioökonomischen Lage in der Ukraine zurückzuführen. Sie neigen sogar dazu, die ukrainische Entkommunisierungspolitik in Frage zu stellen. (…)
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Analyse

Multiple Identitäten und Einstellungen gegenüber der ukrainischen Ethnopolitik: Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage

Von Aadne Aasland
Eine kürzlich durchgeführte landesweite Erhebung gibt Aufschluss darüber, wie multiple Identitäten in der Ukraine gegenwärtig miteinander interagieren, und zeigt, dass Menschen unterschiedlicher Ethnien und Bewohner unterschiedlicher Regionen von starker Verbundenheit sowohl mit ihren lokalen Kommunen als auch mit dem ukrainischen Staat berichten. Die Beziehungen zwischen den Ethnien werden als gut wahrgenommen, auf lokaler Ebene noch besser als auf nationaler. Die Umfrage zeigt außerdem, dass die ukrainische Bevölkerung die Politik der Ukraine in Bezug auf ihre ethnischen Minderheiten sehr unterschiedlich bewertet. Spannungen zwischen sozioökonomischen Gruppen verursachen mehr lokale Uneinigkeit als Spannungen zwischen Menschen verschiedener Ethnien oder sprachlicher Hintergründe.
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