Stepan Banderas Nachleben wird gefeiert

Von Andre Liebich, Oksana Myshlovska (beide Genf)

Zusammenfassung
Dieser Artikel wirft einen Blick auf das Gedenken an den nationalistischen Anführer Stepan Bandera (1909– 1959) seit der ukrainischen Unabhängigkeit. Er untersucht Bandera gewidmete Denkmäler, Tafeln, Museen und Straßen sowie andere Formen des Gedenkens in der gesamten Ukraine. Zudem behandelt er die Kontroversen um das Gedenken und dessen Politisierung.

Einleitung

In den letzten zwei Jahrzehnten und besonders im letzten Jahr hat das Gedenken an den nationalistischen Anführer Stepan Bandera (1909–1959) die Grenzen der »Banderivskyy kray« (»Orte Banderas«) überschritten, also jene Orte, die mit Banderas Leben und seinen Aktivitäten in der Ukraine verbunden sind. Banderas Heroisierung und Mythisierung haben die Kontroversen um OUN und Ukrainische Aufständische Armee (UPA) überdeckt, jene beiden Organisationen, die mit seinem Namen verknüpft sind – militante nationalistische Formationen, die im Zweiten Weltkrieg und sogar noch danach gegen die Sowjets kämpften und die als faschistisch, totalitär, antisemitisch und xenophob gebrandmarkt wurden. 2010 verlieh Präsident Juschtschenko Bandera den Titel »Held der Ukraine« (der ihm noch im selben Jahr von Wiktor Janukowitsch wieder aberkannt wurde), und jüngst wurde Bandera zu einem Schlüsselsymbol der Euromaidan-Proteste von 2014.

Bandera, der sich nach 1934 weitgehend oder sogar vollständig außerhalb der Ukraine aufgehalten hat, ist weniger eine historische Persönlichkeit aus Fleisch und Blut als vielmehr ein Symbol, wobei die fehlende persönliche Bekanntschaft mit ihm zu seiner umso höheren Wertschätzung führt. Banderas Name wurde einer Generation junger Nationalisten zum Symbol des Befreiungskampfs, obwohl er diesen von weit weg führte und seine tatsächlichen Erfolge weit hinter der Legende um ihn zurückbleiben. In Sowjetzeiten repräsentierte Bandera eine Gegenerinnerung und sein Name stand für einen Kult, der proportional zu seiner Denunziation durch die Sowjets wuchs und besonders in der Diaspora gepflegt wurde.

Topographie des Bandera-Gedenkens

Seit der ukrainischen Unabhängigkeit wird Banderas im öffentlichen Raum gedacht. Anfang 2014 gab es 46 lebensgroße Statuen oder Büsten von Stepan Bandera und 14 Gedenktafeln in den Oblasten Lwiw, Iwano-Frankiwsk und Ternopil sowie jüngst auch in den Oblasten Riwne und Wolhynien, also weit entfernt von den Orten Banderas (s. Tabellen 1 und 2). Sie alle entstanden nach 1990, ihre Errichtung ist relativ gleichmäßig über diesen Zeitraum verteilt, wobei es drei Hochphasen des Baus gab. Die erste fand in den frühen 1990er Jahren auf der Welle des neuerwachten Nationalpatriotismus nach der Erklärung der ukrainischen Unabhängigkeit statt. In dieser Zeit wurden acht Denkmäler errichtet (zwei von ihnen sind inzwischen zerstört). Die zweite Hochphase fiel in die Präsidentschaft Wiktor Juschtschenkos (2005–2010), als OUN und UPA sowie ihre Anführer staatlicherseits stärker als Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine anerkannt wurden. Die dritte Hochphase der Entstehung in den Jahren 2011 und 2012 kann als Reaktion auf und als Protest gegen das »antiukrainische Janukowitsch-Regime« betrachtet werden, das Bandera den »Held der Nation«-Titel aberkannte.

Die Denkmäler sind von ganz unterschiedlicher Größe. Das Bandera-Denkmal in Lwiw misst sieben Meter vor einem 30-Meter-Bogen, das in Iwano-Frankiwsk ist auf einem 4,8-Hektar-Grund errichtet, was etwa sechs Fußballfeldern entspricht. Als anderes Extrem findet man eine bescheidene Statue und eine Reihe entsprechend gestalteter Büsten in den Dörfern Horischne (Oblast Lwiw) und Usyn (Oblast Iwano-Frankiwsk) mit ihren 701 bzw. 927 Einwohnern (im Jahr 2001). Einige Denkmäler sind sehr zentral in den Städten platziert, etwa das in Velyki Mostys (Oblast Lwiw), das auf dem Unabhängigkeitsplatz, dem früheren Lenin-Platz, steht; andere, wie die in Butschatsch oder Pidwolotschysk (Oblast Ternopil), sind an der Peripherie gelegen.

Neben den Denkmälern und Tafeln wurden Hunderte von Straßen nach Bandera benannt, und nicht nur an den Orten, an denen die Denkmäler stehen. Außer den Denkmälern entstanden zwischen 1990 und 2010 auch fünf Bandera-Museen an mit seinen Lebensphasen verbundenen Orten; zudem gibt es Pläne der Allukrainischen Vereinigung Swoboda, ein Bandera-Museum in Lwiw zu eröffnen. 2012 rief der Oblast Lwiw den »Stepan Bandera, Held der Ukraine«-Preis ins Leben, der jeweils am 1. Januar – Banderas Geburtstag – an eine Einzelperson oder eine Organisation für Verdienste an der Entwicklung des ukrainischen Nationalstaats verliehen wird.

Sowjetisches Erbe

Bandera wird als der ultimative antisowjetische Held gefeiert. Dennoch gibt es eine überraschend starke Kontinuität zwischen sowjetischen und postsowjetischen Formen der Erinnerung. Nur wenige Bandera-Denkmäler in der Westukraine ersetzen direkt sowjetische Denkmäler. In Drohobytsch, Welyki Mosty und Turka wurde Bandera an Plätzen aufgestellt, an denen zuvor Lenin stand. In Bereschany ersetzt er Dzierżyński, in Iwano-Frankiwsk einen sowjetischen Panzer, in Sambir ein Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und in Staryj Sambir ein Denkmal für eine Arbeiterin.

Die meisten mit den Plänen für die neuen Bandera-Denkmäler beauftragten Bildhauer waren ausgereifte und nicht durch Assoziationen mit sowjetischen Gedenkstrukturen kompromittierte Künstler. Die Öffentlichkeit war daher umso überraschter, als sie feststellte, dass einige der Bandera-Denkmäler Lenin ähneln. Vielleicht hätte die Überraschung nicht ganz so groß sein müssen, schließlich gibt es auch andere Anleihen an sowjetischem Repertoire, etwa die »Beschlüsse zum Helden der Ukraine« oder patriotische Zeremonien, die seltsam an den Bombast der Breschniew-Ära erinnern. Auffällig ist auch die manchmal verspätete Erkenntnis der Künstler, dass der kleine und schwächliche Bandera kaum von heroischer Gestalt war; sie hielt sie nicht davon ab, ihn in heroischer Pose zu porträtieren. Und der erkennbarste zur Verfügung stehende Prototyp des Helden war Wladimir Iljitsch Lenin.

Erinnerungspolitik

Die Initiative für die Errichtung der Bandera-Denkmäler ging meist »von unten« bzw. von Organisationen, die korrekt als zivilgesellschaftliche Organisationen bezeichnet werden, aus, etwa von Regionalverbänden des Kongresses Ukrainischer Nationalisten, der OUN-UPA-Bruderschaft, der Nationalbewegung Ruch oder der Vereinigung Politischer Gefangener. Hinter der Errichtung einiger Bandera-Denkmäler stehen persönliche oder opportunistische Erwägungen. In Skole wurde die Errichtung des Bandera-Denkmals von Andrij Lopuschanski im Rahmen der Parlamentswahlkampagne 2012 (die er verlor) angestoßen und finanziert; Lopuschanski war ehemaliger Vorsitzender der nationalen Öl- und Gasfirma Naftohaz Ukrainy und 2006–2007 Parlamentsabgeordneter. In Kremenezt ließ der lokale Geschäftsmann Wolodomyr Tschuba eine Bandera-Statue vor dem Gebäude errichten, in dem seine ehemalige Versicherungsgesellschaft sitzt. In Dubljany regte Wolodymyr Snitynski, der Rektor der Staatlichen Landwirtschaftsuniversität Lwiw, an der Bandera von 1930 bis 1933 studierte, die Errichtung einer Statue an und initiierte Gedenkzeremonien für Bandera. In diesen Fällen genügt es, nur eine Bandera-Statue aufzustellen, ohne auf das heroische Erbe zurückzugreifen. Verschiedene Befragte gaben in einer informellen Umfrage an, »ein Denkmal in seinem Dorf zu haben, ist ein Zeichen von Zivilisation«, und fragten: »Wenn andere Orte ein Bandera-Denkmal haben, warum nicht auch wir?«

Die Bandera-Denkmäler und sicherlich auch der Bandera-Mythos wurden von politischen Gruppierungen, besonders von der Allukrainischen Vereinigung Swoboda, auch in hohem Maße ausgenutzt. Die Allukrainische Vereinigung Swoboda hat ihre Ursprünge in einer rechten, von der OUN-Ideologie inspirierten Partei, der Sozial-Nationalen Partei der Ukraine, die 1991 in der Westukraine gegründet wurde. Als sie die Bühne der nationalen Politik betreten wollte, nahm sie ihren derzeitigen Namen an, änderte ihr Erscheinungsbild, schloss einige Radikale aus und stellte 2004 den jungen und dynamischen Oleh Tyahnybok als Parteiführer auf. Sie ist für ihre ultranationalistischen, antirussischen, antisowjetischen, antipolnischen und antisemitischen Äußerungen kritisiert worden.

Es überrascht daher nicht, dass das Führungspersonal der Allukrainischen Vereinigung Swoboda aus der Errichtung von Bandera-Denkmälern Kapital schlug, auch wenn die Initiative für den Bau von der Zivilgesellschaft ausging. Tatsächlich wurden zwei Drittel der Bandera-Denkmäler nach 2005 gebaut, nach der Reorganisation der Allukrainischen Vereinigung Swoboda. Ihre Vertreter legen Wert darauf, die Errichtung der Bandera-Denkmäler nicht nur zu finanzieren, sondern auch bei ihrer Enthüllung zugegen zu sein und Gedenkfeiern abzuhalten, oft in Verbindung mit Bandera-Jahrestagen und am Fuße von Bandera-Denkmälern.

Die Allukrainische Vereinigung Swoboda hat die Tradition der Fackelzüge zu Banderas Geburtstag und zu UPA-Jahrestagen eingeführt und landesweit verbreitet. Die Prozessionen fanden vor dem Konflikt von 2014 sogar in Donezk statt und an Banderas Geburtstag über mehrere Jahre hinweg und mit steigenden Teilnehmerzahlen auch in Kiew. Parteimitglieder der Allukrainischen Vereinigung Swoboda haben sich aktiv an der Zerstörung sowjetischer Denkmäler beteiligt, die Anfang 2013 einsetzte. In mehreren westukrainischen Orten wurde daraufhin Vandalismus an Denkmälern für Bandera und andere OUN-Anführer betrieben. Nach den Euromaidan-Protesten von Anfang 2014 wurden in massivem Ausmaß Denkmäler für Lenin und andere Sowjetführer umgestürzt. Begleitet von Aufmärschen mit OUN-/UPA-Symbolen und Bandera-Porträts fand 2014 über die gesamte Ukraine verteilt die UPA-Feier statt, in Lwiw, Kiew, Charkiw und Odessa.

Zusammenfassung

Das Gedenken an Stepan Bandera, das in den frühen 1990er Jahren mit regionalen Gedenkfeiern in der Westukraine begann, hat sich im ganzen Land verbreitet. Während der Euromaidan-Proteste wurden OUN- und UPA-Symbole auch zur Volksmobilisierung genutzt, zum Einsatz kamen OUN-Fahnen, Bandera-Porträts und der nationalistische OUN-Slogan »Slawa Ukraini, Herojam Slawa« (»Ruhm der Ukraine, Ruhm den Helden«), der neuinterpretiert in die neuen Rituale und Gedenkfeiern integriert wurde. Den OUN- und UPA-Helden wurden die neuernannten Helden zur Seite gestellt, die auf dem Maidan-Platz während der letzten Tage des Janukowitsch-Regimes im Februar 2014 Getöteten (die sogenannte »Nebesna Sotnja«, »Himmlische Hundertschaft«) sowie Teilnehmer der »antiterroristischen Operationen« in der Ostukraine.

Am 14. Oktober 2014 erließ Präsident Petro Poroschenko ein Dekret, das den 14. Oktober zum Tag der Verteidiger der Ukraine erklärt. Dieser Tag ersetzt fortan den sowjetischen Feiertag am 23. Oktober, der in der unabhängigen Ukraine bislang als Tag der ukrainischen Armee gefeiert wurde. Der 14. Oktober, ursprünglich der religiöse Feiertag der Fürbitte der Heiligen Jungfrau (auf Ukrainisch »Pokrowa«), wurde bislang als mythisches Datum der Gründung der UPA im Jahr 1942 gefeiert. Außerdem wurde an diesem Tag des Todes von Stepan Bandera gedacht, der am 15. Oktober 1959 ermordet wurde. Poroschenkos Entscheidung kann als weiterer Schritt des symbolischen Bruchs mit der Sowjetvergangenheit angesehen werden und als offizielle Anerkennung und Feier von OUN und UPA.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

Lesetipps / Bibliographie

  • Liebich, Andre and Oksana Myshlovska. 2014. »Bandera Memorialization and Commemoration.« Nationalities Papers 42:5, 750–770, <http://dx.doi.org/10.1080/00905992.2014.916666>.
  • Marples, David R. 2006. »Stepan Bandera: The Resurrection of a Ukrainian National Hero.« Europe-Asia Studies 58 (4): 555–566.
  • Rudling, Per Anders. 2011. »The OUN, the UPA, and the Holocaust: A Study in the Manufacturing of Historical Myths.« The Carl Beck Papers in Russian & Eurasian Studies 2107.

Zum Weiterlesen

Analyse

Volle Fahrt zurück! Richtungswechsel in der Geschichts- und Identitätspolitik

Von Ingmar Bredies
In der Ukraine konkurrieren zwei gegensätzliche Konzeptionen der Geschichts- und Identitätspolitik. Seit dem Amtsantritt Präsident Janukowitschs im Februar 2010 ist eine klare Abwendung von den Grundlagen und Bezugspunkten der Politik seines Amtsvorgängers Juschtschenko zu erkennen, was unmittelbare Konsequenzen für die Politikgestaltung in vielen Bereichen hat. Die bisherigen Deutungsmuster der ukrainischen Geschichte sowie der staatlich »verordnete« Nationalismus werden nun abgelöst durch ein Wiederaufleben des »autoritären Eklektizismus« (Wilfried Jilge) der Kutschma-Periode und die Vermischung von Elementen der sowjetischen Historiografie mit nationalukrainischen Elementen.
Zum Artikel
Analyse

Umdeutung des »nationalen Heiligtums«. Aktuelle erinnerungskulturelle Kontroversen um Taras Schewtschenko

Von Jenny Marietta Alwart
Der Dichter und Maler Taras Schewtschenko (1814–1861) hat eine herausragende Bedeutung in der Erinnerungskultur der Ukraine und gilt in den unterschiedlichen Regionen des Landes gleichermaßen als positive Gestalt. Dennoch ist er eine politisierte und mitunter kontrovers diskutierte Figur, wie am Beispiel von kulturpolitischen Entscheidungen und Projekten der letzten Monate deutlich wird.
Zum Artikel

Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS