Die Polen haben aufgehört, die Gymnasien zu lieben, und die Reform akzeptiert. Der Propagandaerfolg der PiS (eine Umfrage von CBOS)

Von Anton Ambroziak (OKO.press)

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Die Polen haben aufgehört, die Gymnasien zu mögen, und die Reform akzeptiert. Der Propagandaerfolg der PiS (eine Umfrage von CBOS*)

Anton Ambroziak (OKO.press, 25. September 2018)

Eine schlechter vorbereitete Reform als die Bildungsreform von Ministerin Anna Zalewska ist schwer vorstellbar. Trotzdem finden die Polinnen und Polen ein Jahr nach ihrer Einführung, dass die Reform notwendig war und es in den Schulen eher besser als schlechter ist. OKO.press bespricht die neueste Meinungsumfrage von CBOS* über die Bildungsreform.

Seit September 2017, nach Einführung der Bildungsreform, gehen beim Kinderrechtsbeauftragten, dem Bürgerrechtsbeauftragten und den Medien (auch bei OKO.press) lawinenartig Beschwerden von Eltern über den Schulbetrieb (vor allem der Grundschulen) ein. Die Vorwürfe betreffen vor allem die Überfüllung der Gebäude, die überladenen Stundenpläne und den Unterricht in zwei Schichten (sogar in kleinen Orten).

Als schuldig an dieser Situation benennen sie Bildungsministerin Anna Zalewska, die das Problem nicht sieht und meint, dass die Schulen im neuen System hervorragend arbeiten.

Aus der neuesten Meinungsumfrage von CBOS (veröffentlicht am 24. September 2018)* geht hervor, dass die PiS ein Jahr nach Einführung der Bildungsreform, der Auflösung der Gymnasien sowie der Rückkehr zur 8-jährigen Grundschule und zum 4-jährigen Lyzeum einen Propagandaerfolg vermelden kann.

Trotz der miserabel durchgeführten Reform ist die Mehrheit der Polinnen und Polen den Veränderungen gegenüber positiv eingestellt, die die PiS forcierte.

Innerhalb nur eines Jahres (von September 2017 bis September 2018) fiel die positive Bewertung der Qualität der Ausbildung an den Gymnasien um zehn Prozentpunkte.

Wie ist das zu verstehen?

die Bildungsreform der PiS ist eine Rückkehr zu dem System, in dem die Mehrheit der Gesellschaft ausgebildet wurde – unter den Befragten (älter als 18 Jahre) sind die Absolventen von Gymnasien in der deutlichen Minderheit (Menschen, die zwischen 1986 und 2000 geboren wurden, d. h. heute zwischen 18 und 30 Jahren alt sind);für die Mehrheit der Befragten sind die Veränderungen im Bildungssystem abstrakt und weit weg. Die Reformgegner sind die, die Kinder in der Schule haben und tatsächlich die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Reform erfahren haben;jede Veränderung von oben gewinnt im Laufe der Zeit die gesellschaftliche Unterstützung;die Unterstützung für die Reform wird auch von den Parteipräferenzen bestimmt – kurz gesagt: Die Wähler der PiS sind »dafür«, die Wähler der Oppositionsparteien »dagegen«. Mit anderen Worten, die Unterstützung für die Ideen der PiS ist so stabil wie ihre Wählerschaft;die Gesellschaft beobachtet die Wirkungslosigkeit der Proteste – auch der des Bildungsbereiches; und nach dem Aufruhr tritt das Moment der Normalisierung ein.

Eher besser als schlechter

Insgesamt 34 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Schulen nach der Reform besser funktionieren, 19 Prozent sagen, dass sie genauso funktionieren, und weitere 19 Prozent, dass sie schlechter funktionieren.

Die Wähler der PiS beurteilen die Änderungen am besten. 54 Prozent von ihnen sind der Meinung, dass die Schulen bereits nach einem Jahr besser funktionieren. Zehn Prozent sehen keine Veränderung und nur sechs Prozent meinen, dass es schlechter ist, als es war [siehe Grafik 1 auf S. 10].

Am kritischsten ist die Wählerschaft von Nowoczesna (63 Prozent äußern eine negative Bewertung), der SLD (55 Prozent äußern eine negative Bewertung) und der PO (37 Prozent beurteilen die Reform negativ).

Für die Bewertung der Reform haben die persönlichen Erfahrungen eine Schlüsselbedeutung. 51 Prozent der Befragten, die unmittelbar auf Probleme bei der Umsetzung der Reform stießen, stellten ihre eine negative Note aus. Und umgekehrt finden 52 Prozent der Befragten, die keine Erfahrungen mit Schule haben, dass die Schulen besser funktionieren.

Eine Reform ist notwendig, aber nicht ab sofort

Mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) ist der Meinung, dass die Reform notwendig war. Das ist ein viel höheres Ergebnis als das Ergebnis der Befragung durch IPSOS für OKO.press ein Jahr vor der Einführung der Reform. Damals haben wir allerdings gefragt, ob die Reform

eingeführt werden sollte, wie es das Ministerium wollte, d. h. ab September 2017;um ein Jahr verschoben werden sollte, um Zeit für Beratungen zu geben;vollkommen aufgegeben werden sollte.

Nur 31 Prozent der Befragten wollten, dass die Reform »sofort« eintreten sollte. Gegen die Ideen der PiS waren insgesamt 62 Prozent der Polinnen und Polen.

Im Juni 2017 waren in der Befragung der PiS-Wählerschaft durch IPSOS 65 Prozent der Befragten für die Änderungen. Heute sind es noch mehr. 74 Prozent der PiS-Wähler sagten in der Umfrage von CBOS, dass die Reform notwendig gewesen sei.

Unter den Wählern der Oppositionsparteien ist es genau umgekehrt. Für nicht notwendig hielten sie in der Umfrage von CBOS

62 Prozent der PO-Wähler,69 Prozent der Wähler von Nowoczesna,72 Prozent der SLD-Wähler.

Schlecht vorbereitet und eingeführt

Die PiS überzeugte die Menschen von ihrer Idee für die Schule, aber das bedeutet nicht, dass die Polinnen und Polen nicht die Mängel sehen. Nur ein Drittel der Befragten meint, dass die Reform gut vorbereitet (29 Prozent) und durchgeführt (31 Prozent) wurde [siehe Grafik 2 auf S. 11].

Anders sehen es die Wähler der PiS. Die Hälfte von ihnen ist der Meinung, dass die Reform gut vorbereitet und umgesetzt wurde. Außer den Parteipräferenzen hat hier abermals die persönliche Erfahrung Schlüsselbedeutung – über die Vorbereitung bzw. Umsetzung der Änderungen denken 78 bzw. 72 Prozent der Befragten negativ, die persönliche Erfahrungen mit den Schwierigkeiten in den Schulen nach der Reform gemacht haben.

Wie wir aufhörten, die Gymnasien zu mögen

67 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass das System ohne Gymnasien besser ist. Das ist insofern natürlich, als die Mehrheit der Befragten selbst im System der 8-jährigen Grundschule und des 4-jährigen Lyzeums gelernt hat [siehe Grafik 3 auf S. 11].

Interessanterweise bewerteten erst vor einem Jahr (2017, Umfrage durch IPSOS) 51 Prozent der Befragten die Qualität der Schulbildung an den Gymnasien positiv. Im Jahr 2018, ein Jahr nach Einführung der Reform, fiel diese Anzahl in der CBOS-Umfrage um zehn Prozentpunkte.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Zum Weiterlesen

Analyse

Die Reform des Schulsystems in Polen

Von Andrzej Kaluza
Seit einem Jahr wirkt die Schulreform der Regierung von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), die zu dem zweistufigen Schulsystem aus 8-jähriger Grundschule und weiterführender Schule zurückkehrt, das der Elterngeneration aus der Zeit vor der Reform von 1998 bekannt ist. Der PiS galt das Bildungssystem, wie es zuletzt unter der Vorgängerregierung reformiert worden war, als zu liberal und pluralistisch. In den Vordergrund der jüngsten Reform rückt die schulische Erziehung im Sinne des »guten Wandels«. Das bedeutet weniger moderne Lehrmethoden und kaum Erziehung zur Selbständigkeit, vielmehr die Anknüpfung an traditionelle Inhalte und Lehrformen. Der Autor unterzieht die aktuelle und die ihr vorangegangenen großen Schulreformen einer kritischen Analyse und erläutert, warum sich die betroffenen Gruppen – Lehrer, Schüler und Eltern – heute zufrieden zeigen bzw. (…)
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