Alles wie immer – oder doch anders? Die Präsidentenwahl in Usbekistan und ihre Folgen

Von Beate Eschment

Die Republik Usbekistan hat seit der offiziellen Amtseinführung am 14.12. erstmals einen gewählten Präsidenten, der nicht Islam Karimow heißt. Allerdings ist dieser Wechsel im alles entscheidenden, mächtigsten Amt des Staates nicht durch einen regulären demokratischen Machtwechsel zustande gekommen, sondern durch den Tod Karimows am 2.9.2016. Der Wahlsieger und neue Präsident Schawkat Mirsijojew war Anfang September unter Umgehung der Verfassungsbestimmungen zum Übergangspräsidenten bestimmt und dann von der regierenden Liberaldemokratischen Partei für die, verfassungsgemäß, für den 4.12. anberaumte Volkswahl eines neuen Präsidenten benannt worden. Wie zu Zeiten Karimows nominierten auch die drei anderen zugelassenen Parteien ihre (Zähl)Kandidaten: Millij Tiklanisch Sarwar Otamuratow, die Volksdemokratische Partei Chotamschon Ketmonow und die Sozialdemokratische Partei Adolat Narimon Umarow.

Da die Wahl ja außerplanmäßig kurzfristig durchgeführt werden musste, war auch der »Wahlkampf« mit etwas mehr als einem Monat sehr kurz. Anders als bei früheren Wahlkampagnen, bei denen die gegen Islam Karimow antretenden Kandidaten praktisch unsichtbar blieben, hatten dieses Mal formal alle Kandidaten die gleichen Chancen, wobei man es mit der Gleichheit sehr genau nahm: Alle Kandidaten hatten nicht nur die gleiche Zahl von Sendeminuten im Fernsehen und Rundfunk und an Plakatwänden, sondern auch eine übereinstimmende Zahl von Treffen mit Wählern. Sogar die optische Gestaltung ihrer Wahlplakate war genormt. Wie nicht anders zu erwarten, ähnelten sich auch die Wahlprogramme. Alle Kandidaten versprachen die Fortsetzung der Politik Karimows, setzten aber unterschiedliche Schwerpunkte.

Die OSZE/ODIHR, die erstmals eine volle Wahlbeobachtungsmission nach Usbekistan geschickt hatte, kritisierte die Wahl als »ohne echte Konkurrenz« und bemängelte »erhebliche Unregelmäßigkeiten«. Die Wahlbeobachter der GUS und SCO bewerteten sie dagegen wie gewohnt als frei, transparent und kompetitiv. Die Zentrale Wahlkommission betrachtete schon die Anwesenheit von internationalen Wahlbeobachtern als solches als Zeichen dafür, dass die Wahl demokratisch und transparent war. Usbekische Leser erfuhren aber in der staatlichen Presse zumindest von den Grundlinien der OSZE-Kritik.

Am Wahlsieg von Interimspräsident Mirsijojew hatte vorher kein Zweifel bestanden, nur über die Höhe seines Ergebnisses war spekuliert worden. Mit 88,6 % liegt der neue Präsident im Vergleich mit den Wahlergebnissen seiner zentralasiatischen Amtskollegen im guten Mittelfeld. Interessant ist ein Vergleich mit den Wahlergebnissen Islam Karimows (2015: 90,4 %; 2007: 90,6 %; 2000: 95,7 %), nur bei der umstrittenen, einzigen kompetitiven Präsidentenwahl 1991 hatte Karimow ein schlechteres Ergebnis als heute Mirsijojew (1991: Karimow 87,1 %; Muhammad Solih 12,5 %). Sogar die jetzige Wahlbeteiligung wurde geringer angegeben als bei allen Karimow-Wahlen.

Die wirklich entscheidende »Wahl« hatte schon in der Woche vor der offiziellen Todeserklärung Islam Karimows stattgefunden, als die politische und wirtschaftliche Elite sich auf den bisherigen Premier Mirsijojew als Kompromisskandidat verständigte. Die jetzige Volkswahl diente nur noch der Sicherung seiner Legitimität wie der des politischen Systems.

Sowohl die im Ausland lebenden usbekischen Dissidenten wie auch westliche Kommentatoren sind sich uneins in ihren Prognosen bezüglich der zukünftigen Politik Mirsijojews. Einige sind leicht optimistisch, während andere auf das warnende Beispiel Turkmenistan verweisen, wo der nach dem Tod des Turkmenbaschi 2006 ins Amt gekommene Gurbanguly Berdymuchammdow anfangs mit winzigen Reformschritten Hoffnungen weckte, die letztlich aber enttäuscht wurden.

Schawkat Mirsijojew ist einerseits fast 20 Jahre jünger als Karimow und kann damit als Vertreter einer jüngeren Generation gelten. Andererseits war er aber festes Bestandteil des Systems Karimow. Es gibt Berichte, dass er dessen Maßnahmen nicht nur auf Regierungsebene unterstützte, sondern auch im persönlichen Umgang hart durchgriff. Für eine Bewertung seiner ersten politischen Schritte in den letzten Monaten erscheinen weniger der »Wahlkampf« und damit verbundene Wahlgeschenke von Bedeutung, als die Tatsache, dass Mirsijojew seine Position in der Elite noch sichern und entsprechende Interessen berücksichtigen muss. Denn natürlich wird es in Usbekistan eine große Gruppe mächtiger Player geben, die vom Status quo profitieren und große Veränderungen nicht wünschen. Auch den Nationalen Sicherheitsdienst (SNB), der ihn offensichtlich unterstützt, muss er sich gewogen halten. Über die Haltung der Bevölkerung lässt sich keine sichere Aussage machen, doch ist anzunehmen, dass Mirsijojew sich auch hier seine Position noch erarbeiten muss. Daraus erklärt sich das wohl auffälligste Merkmal seiner Reden wie auch der usbekischen Berichterstattung in den letzten Wochen: die ständige Betonung dessen, dass alle neuen Vorschläge und Beschlüsse keine Veränderung, sondern eine Fortsetzung der Politik Karimows seien – selbst wenn viele Usbeken sich sicherlich eine rasche Veränderung ihrer persönlichen Situation sehr wünschen.

Personalpolitik ist in allen zentralasiatischen Staaten die entscheidende Machtbasis, mit der sich die Präsidenten der Loyalität der Eliten versichern. Deshalb wunderte es nicht, dass Mirsijojew sehr schnell nach seiner Ernennung zum Übergangspräsidenten einige Minister und anderes Führungspersonal austauschte. Seit seiner Wahl bzw. Amtseinführung dreht sich ein regelrechtes Personalkarussell und es sind einige von Beobachtern nicht erwartete Umbesetzungen zu vermelden. Dies gilt vor allem für die Besetzung des Postens des Regierungschefs. Denn Mirsijojew machte nicht den neben ihm und dem SNB-Chef Rustam Inojatow als dritten starken Mann gehandelten 1. Stellvertretenden Premier und Finanzminister Rustam Asimow zum Chef des Ministerkabinetts, sondern Abdulla Aripow. Dieser war von 2002–2012 stellvertretender Premier und dann in den Strudel der Ereignisse um den Korruptionsfall um Gulnara Karimowa und die Zahlung von Bestechungsgeldern für den Zugang auf den usbekischen Mobilfunkmarkt geraten und abberufen worden. Genaueres ist nie nach außen gedrungen. Am 15.12. verlor Asimow auch seinen Posten als Finanzminister an Batyr Chodschajew und ist nunmehr auch nur noch einfacher stellvertretender Premier. Über die Hintergründe gibt es bislang nur Spekulationen.

Mirsijojew hat nicht nur eine ganze Reihe von unter Karimow in Ungnade gefallenen und sogar verurteilten Politikern in Führungsämter berufen, Ende November wurde auch der seit 23 Jahren in Haft befindliche ehemalige Deputierte des Obersten Sowjet der Usbekischen SSR Samandar Kukanow freigelassen und eine Reihe bekannter Künstler (Dschuldus Usmanova, Scherali Dschurajew, Obid Asomow), die unter Karimow in Ungnade gefallen waren, dürfen nun wieder auftreten und gesendet werden. Das ist aber nicht mit einem neuen Umgang mit politisch Andersdenkenden zu verwechseln. Kritische Websites sind unverändert blockiert, Hoffnungen von Emigranten, nun wieder ihre Heimat besuchen zu können, blieben bislang unerfüllt, politische Häftlinge sind nach wie vor in Haft. Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass der Bruder des bekannten Exiloppositionellen Muhammad Salih, Muchammad Bekschan, in eine Isolationszelle verlegt wurde.

Auch wenn Mirsijojew bereits mehrfach die wichtigsten Prämissen Karimowscher Außenpolitik – kein Beitritt zu internationalen Militärbündnissen, keine ausländischen Militärbasen im Land, keine usbekischen Truppen ins Ausland – bekräftigt hat, sind gerade gerade in diesem Bereich neue Akzente zu erkennen, vor allem gegenüber den unmittelbaren Nachbarn. Es wird nicht nur immer wieder beteuert, wie wichtig gute Nachbarschaft sei, sondern real wurden auch die Verhandlungen über strittige Grenzfragen intensiviert, endlich die Einrichtung einer Flugverbindung Taschkent–Duschanbe vereinbart und die Grenzen zumindest etwas durchlässiger.

Die Öffnung der Grenzen durch die neu verkündete Visafreiheit (ab 1.4.2017 benötigen Bürger von 27 Staaten, darunter auch Deutschland, für Aufenthalte bis zu 30 Tagen kein Visum mehr) wird man als Bestandteil der Belebung der Wirtschaft betrachten dürfen. Hier liegen Mirsijojews dringendste und wichtigste Aufgaben: Modernisierung, weniger staatliche Einmischung, frisches Kapital, Konvertierbarkeit des Sum, Schaffung von Arbeitsplätzen … Die Liste ließe sich nahezu unendlich fortsetzten. Die dringliche Notwendigkeit ökonomischer Reformen ist der neuen Führung offensichtlich bewusst, im Bereich der Wirtschaft gab es in den letzten Wochen die meisten Initiativen, Ankündigungen und Versprechungen. Hier scheint auch die Wahrscheinlichkeit einer Veränderung am größten, allerdings bleibt abzuwarten, in welche Richtung, wie weitgehend und vor allem, mit welchem Erfolg.

Innenpolitisch ist eine Art Charme-Offensive gegenüber der Bevölkerung zu verzeichnen. Nachdem Ende September eine virtuelle Bürgersprechstunde des Premierministers im Internet eröffnet wurde, in der sich die Bürger des Landes mit ihren Sorgen und Klagen per mail an den Regierungschef wenden können, setzt sich dies wie ein Virus in Ministerien und sonstigen staatlichen Einrichtungen fort. Auf Initiative Mirsijojews wurden zudem Beschlüsse gefasst, mit denen Behördenvertreter auch im echten Leben geradezu gezwungen werden sollen, sich den Anliegen der Bürger zu widmen. Weitere »Vorschläge« des Präsidenten betreffen eine stärkere Verantwortlichkeit der Behörden gegenüber den Bürgern, eine Reform des Rechtssystems, die Wahl der Gouverneure durch die Bevölkerung u. a.. Reale und für die Bevölkerung wirklich spürbare Veränderungen sind (noch) nicht zu beobachten.

Im Vergleich zu seinem Vorgänger hat Mirsijojew in den letzten Wochen geradezu ein Feuerwerk von Vorschlägen und Initiativen gezündet. Die entscheidende Frage ist, ob sie weiter sprühen oder verglühen werden. Ein Systemwechsel ist in Usbekistan gewiss nicht zu erwarten, aber vielleicht doch eine gewisse Öffnung des Landes und ökonomische Verbesserungen. Der wahre Mirsijojew wird sich erst zeigen, wenn er seine Macht konsolidiert hat.

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