Die ukrainische Community in Deutschland

Von Nataliya Pryhornytska (Allianz Ukrainischer Organisationen e. V./Open Platform e.V., Berlin)

Zusammenfassung
Die ukrainische Community in Deutschland ist heterogen und besteht aus zahlreichen Organisationen unterschiedlicher Ausrichtung. Gleichzeitig eint die Community die Vision, die Ukraine in Deutschland sichtbarer zu machen und dazu beizutragen, dass die Ukraine als unabhängiges, souveränes, demokratisches und europäisches Land wahrgenommen wird. Die ukrainische Community befindet sich in einem Prozess der strukturellen, nachhaltigen Institutionalisierung und Professionalisierung, um die Ukraine als Subjekt in der öffentlichen Wahrnehmung zu etablieren, die Repräsentation der ukrainischen Community zu stärken und eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Partnern zu gewährleisten. Der folgende Text gibt einen Überblick über die Situation und die Aktivitäten der ukrainischen Community in Deutschland und zeigt, wie signifikant Russlands Überfall auf die Ukraine diese verändert hat.

Die ukrainische Community in Deutschland vor dem vollumfänglichen Überfall Russlands

Nach dem vollumfänglichen russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist die ukrainische Community in Deutschland größer, sichtbarer und selbstbewusster geworden. Sie existierte jedoch bereits schon vorher: Vor allem im Zuge der Euromaidan-Demonstrationen 2013/14 in der Ukraine entstand eine neue aktive »diasporic community« in Deutschland. Hier lebende Menschen aus der Ukraine, die sich nicht zwangsläufig mit der älteren ukrainischen Diaspora identifizierten, vernetzten und koordinierten sich eng auf nationaler sowie internationaler Ebene mit anderen Ukrainer:innen.

Laut dem Statistischem Bundesamt lebten im Jahr 2014 etwa 128.000 Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft in Deutschland. Die ukrainische Community bilden jedoch nicht nur Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft, sondern auch jene, die sich mit der Ukraine identifizieren und sich für das souveräne Land engagieren, den ukrainischen Pass aber nicht mehr besitzen. Die ukrainische Gemeinschaft in Deutschland ist heterogen und besteht aus Vertreter:innen der älteren Diaspora, der neuen »diasporic community« und – nach 2022 – den schutzsuchenden Ukrainer:innen.

Als eher kleine, überwiegend gut integrierte Community, lebte die ukrainische Community weitgehend »unsichtbar« bzw. unbemerkt in Deutschland. Das änderte sich mit dem Euromaidan, bzw. der »Revolution der Würde« 2013/2014, die für viele von ihnen ein wichtiger Impuls war, sich erstens aktiv für die größere Sichtbarkeit der Ukraine in Deutschland einzusetzen und zweitens die Gesellschaft in der Ukraine zu unterstützen.

So entstand beispielsweise die Initiative »Euromaidan Wache Berlin« im November 2013, um über die Euromaidan-Proteste in der Ukraine und über Veranstaltungen dazu in Deutschland zu informieren. Aus dieser Initiative gingen später weitere Initiativen und Vereine hervor, wie die Ukrainische Orthodoxe Kirche Berlin e. V. und einer der größten humanitären deutsch-ukrainischen Vereine, die Ukraine-Hilfe Berlin e. V.. Auch Organisationen wie beispielsweise Kultura e. V. in Berlin, Ukrainisches Atelier für Kultur & Sport e. V. in Stuttgart, Digitales Ukrainisches Haus – UkrDim e. V., CineMova. Ukrainian Film Community Berlin e. V. (der bereits 2009 als nicht kommerzieller Kinoklub gegründet wurde), Bamberg:UA e. V. in Bamberg (Bayern) und zahlreiche andere haben sich nach 2014 etabliert und professionalisiert. Im November 2014 entstand mit dem Dachverband Ukrainischer Organisationen in Deutschland ein Zusammenschluss der Vereine aus der ukrainischen Community in Deutschland in einer Dachorganisation.

Neben zahlreichen Demonstrationen und Aktionen in ganz Deutschland, die sich auf die Aufklärung über die Maidan-Proteste in der Ukraine, die russische Annexion der Krim und den Einmarsch in den Donbas konzentrierten, wurden zahlreiche kulturelle und politische Veranstaltungen organisiert, um die Ukraine als Subjekt in der gesellschaftlichen, politischen und medialen Wahrnehmung zu platzieren und den gegenseitigen Wissensaustausch zu fördern. Denn zu dieser Zeit war die Ukraine ein »weißer Fleck« auf der mentalen Landkarte der deutschen Öffentlichkeit.

Zwischen 2014 und 2022 war das Interesse an der ukrainischen Community in Deutschland eher marginal. Trotz einer Vielzahl aktiver Organisationen blieben ukrainische Stimmen im politischen und gesellschaftlichen Diskurs zumeist außen vor. Die Narrative über die Ukraine wurden stattdessen über Jahrzehnte und auch seit Beginn der militärischen russischen Aggression 2014 sehr von der russischen Sicht geprägt. Vor allem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurden bis zur Vollinvasion nur selten ukrainisch-stämmige Expert:innen eingeladen und stattdessen verbreiteten Pseudo-Expert:innen wie Gabriele Krone-Schmalz oder Ivan Rodionov von RT Deutsch Des- und Falschinformationen (vgl. ausführlich dazu die Studie von Markus Welsch in den Ukraine-Analysen 289).

Nach dem 22. Februar 2022: Konsolidierung der Kräfte und neue Aufgaben der Community

Der vollumfängliche Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 verstärkte das Engagement und auch die Sichtbarkeit der ukrainischen Community in Deutschland erheblich. Plötzlich gab es Interesse an Berichten über Demonstrationen, kulturelle oder politische Veranstaltungen. Zahlreiche Presseanfragen zur Einschätzung der Situation in der Ukraine sowie über die Bedürfnisse und Herausforderungen der in Deutschland Schutz suchenden Ukrainer:innen erreichten landesweit Organisationen aus der lokalen ukrainischen Community. Aus der Ukraine stammende Expert:innen waren nun gefragter denn je in den politischen Talkshows und machten die Stimme der Ukrainer:innen in Deutschland so präsent wie nie zuvor.

In offenen Briefen an die Bundesregierung forderte die ukrainische Community eine nachhaltige und strategische Unterstützung der Ukraine. Die Konsolidierung der Kräfte ermöglichte es eigene Themen zu setzten, Bedarfe zu kommunizieren, Antworten auf die Briefe der »Friedensbewegung« in den Medien zu platzieren und über das Engagement der ukrainischen Community zu berichten.

Insbesondere im Bereich der Kommunikation wurde sehr schnell klar, dass die ukrainische Community mit einer starken Stimme gegenüber der Presse und der Politik auftreten muss. Die infolge des Maidan entstandenen Netzwerke und etablierten Organisationen erwiesen sich nach dem vollumfänglichen Überfall Russlands als ein festes und unabdingbares Fundament für das gemeinsame Handeln.

Um den Herausforderungen gerecht zu werden und mit einer konsolidierten Position nach außen zu kommunizieren, haben sich im März 2022 zehn Berliner Diaspora-Organisationen zu der Initiative Allianz Ukrainischer Organisationen zusammengeschlossen. Die Allianz Ukrainischer Organisationen (AUO) ist inzwischen als eine Dachorganisationen registriert und zählt deutschlandweit aktuell 17 ständige und assoziierte Mitglieder. Die AUO verfolgt das Ziel, nachhaltige Strukturen der ukrainisch-stämmigen Community zu etablieren.

Organisationen der AUO agieren in folgenden Bereichen: humanitäre Hilfe, Geflüchteten-Hilfe, Schul- und Hochschulbildung, Kinder- und Jugendarbeit, Schutz der Menschenrechte und LGBTQI+, Stärkung der Diaspora, Kultur und Kultur-Diplomatie, wissenschaftlicher Austausch und Arbeit mit Studierenden, politische Kommunikation und politische Bildung, Desinformation sowie Wiederaufbau der Ukraine. Die Allianz Ukrainischer Organisationen stärkt die Wahrnehmung der ukrainischen Gemeinschaft in Deutschland, setzt sich zur Professionalisierung der ukrainischen migrantischen Selbstorganisationen (MSOs) und Initiativen ein und fördert die Vernetzung der ukrainischen MSOs deutschlandweit.

Neben der institutionalisierten Form der AUO wurde ein ergänzendes informelles Netzwerk »Merezha« aus über 200 Organisationen und Aktivist:innen deutschlandweit aufgebaut. Merezha ging aus Vernetzungstreffen für ukrainische MSOs hervor, die im Dezember 2022 und April 2023 Vertreter:innen der ukrainischen Community zusammenbrachten. Wichtig dabei war, dass auch die neu angekommen Aktivist:innen aus der Ukraine, die dort NGOs geleitet haben oder darin engagiert waren, ihre Arbeit in der ukrainischen Community fortsetzten konnten. Die Vernetzungstreffen wurden von den Organisationen Open Platform e. V. und Crisp e. V. organisiert und durch mehrere Organisationen der AUO unterstützt. Merezha hat sich als effektives Kommunikationsnetzwerk für die deutschlandweit agierenden Organisationen etabliert, um eine schnelle Koordination ihrer Arbeit, die Ermittlung von Bedarfen, das Teilen wichtiger Informationen sowie die Konsolidierung des politischen Handelns und der aktuellen politischen Themen zu ermöglichen. Neben »Merezha« gibt es zahlreiche Online-Gruppen, die die Koordination der Arbeit auf lokaler Ebene oder thematischen Schwerpunkten ermöglichen.

Insgesamt haben sich die Aufgaben und Herausforderungen der Community stark intensiviert. Neben der politischen Kommunikation ging es vor allem in den ersten Monaten nach der Vollinvasion vor allem darum, schnelle und direkte Hilfe für die in Deutschland ankommenden schutzsuchenden Menschen aus der Ukraine zu leisten.

Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der Ukrainer:innen in Deutschland fast verzehnfacht: von 138.000 Ende Februar 2022 auf 1.156.000 Ende November 2023, womit Ukrainer:innen in Deutschland derzeit die zweitgrößte ausländische Community in Deutschland bilden (nach Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit).

Die Aufnahme von Schutzsuchenden aus der Ukraine war mit großen Herausforderungen verbunden, erzeugte zugleich eine überwältigende Solidarität in Deutschland. Schutzsuchende aus der Ukraine haben sich oft an die ukrainische Community gewandt und von diesen Unterstützung beim Ankommen in Deutschland gesucht (vor allem Abholung der Menschen an Bahnhöfen, Unterstützung bei Amtsbesuchen, Übersetzungen, Registrierung, Wohnungs- und Arbeitssuche). Die ukrainischen Organisationen wurden wiederum unterstützt und standen im engen Austausch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland, ohne die die Situation nicht zu bewältigen gewesen wäre.

Organisationen wie die AUO streben zudem eine Verstärkung des interkulturellen Austauschs an, wobei sie den Dialog über politische Mitwirkungsmöglichkeiten zwischen diversen Gemeinschaften – wie beispielsweise türkischer, syrischer und polnischer – initiiert. Dies markiert einen deutlichen Paradigmenwechsel von einer introspektiven zu einer inklusiven, gemeinschaftsübergreifenden Orientierung, was als bedeutende Neuausrichtung und lehrreiche Entwicklung zu bewerten ist. Das Ziel ist, einen Austausch zwischen den Communities zu schaffen, von geteilten Erfahrungen voneinander zu lernen und letztlich auch andere Community-Mitglieder:innen zu motivieren, an politischen Prozessen aktiv zu partizipieren. Cinemova – Ukrainian Empowerment Network e. V. bietet gezielt Seminare für neu zugewanderte Aktivist:innen aus der Ukraine an, um diese in das deutsche System der Organisationsgründung einzuführen und in die Arbeit der ukrainischen Community einzubinden. Es geht letztlich auch darum, ukrainische Stimmen in politischen und anderen Instanzen zu etablieren und am soziopolitischen Leben zu partizipieren. So wurden erstmals zwei Vertreterinnen aus der ukrainischen Community, Oleksandra Bienert und Maria Borisenko, als Stellvertretende Mitgliederinnen in den Berliner Landesbeirat für Partizipation gewählt. Die gebürtige Ukrainerin Lilia Usik wurde als erste Abgeordnete in das Berliner Landesparlament gewählt.

Die Kommunikation von Bedürfnissen geflüchteter Menschen an die Politik und auf der Kommunalen-, Landes- sowie Bundesebene stellte sich als neue Aufgabe für die Community heraus. Die Vertreter:innen der AUO waren in beratenden Gremien wie dem zivilgesellschaftlichen Beirat der Berliner Bürgermeisterin im Jahr 2022 vertreten. Regelmäßiger Austausch in der Koordinierungsrunde des Bundesinnenministeriums (BMI) wird durch die Vorstandsmitgliederinnen seit 2022 bis heute fortgesetzt. An der Koordinierungsrunde des BMI nehmen sowohl die Bundesministerien als auch die Vertreter:innen der großen Wohltätigkeitsverbände teil. Dieser Austausch bietet die Möglichkeit, die deutschlandweit ermittelten Bedarfe und Anregungen aus der ukrainischen Community an das BMI zu adressieren. Zugleich werden die Anregungen und Vorschläge an die Community weitergegeben, wodurch die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und der Zivilgesellschaft effektiver und nachhaltiger gestaltet werden kann.

Die Unterstützung der Ukrainischen Armee und der Menschen in der Ukraine sind weiterhin zentrale Tätigkeitsbereiche der Community. So hat z. B. die Ukrainische Orthodoxe Kirche e. V. seit Beginn der Vollinvasion mehr als 1.300 Tonnen humanitärer Hilfsgüter in die Ukraine transportiert; Blau-Gelbes-Kreuz e. V. sogar über 2.000 Tonnen, mit denen mehr als 20.000 Menschen in diversen Regionen der Ukraine geholfen werden konnte. Hunderte Hilfstransporte wurden auch durch kleinere und private Initiativen der Community in die Ukraine geliefert.

Sichtbarkeit der Ukraine in Deutschland

Auch die Bekämpfung der Desinformation, deren Einfluss vor allem in den letzten zehn Jahren erheblich zugenommen hat, erweist sich als eine der zentralen Aufgaben der ukrainischen Community. Der von der Autorin und Kateryna Pavlova herausgegebene Sammelband »Ukraine im Fokus: Propaganda erkennen, Fakten verstehen« beinhaltet eine Reihe von kompakten wissenschaftsfundierten Beiträgen, die von Expert:innen verfasst wurden, um Desinformation und Mythen über die Ukraine zu entkräften. Diese Publikation dient als wertvolle Informationsquelle und Diskussionsgrundlage für den deutsch-ukrainischen sowie den innerdeutschen Austausch. Das Buch ist dennoch nur ein Beispiel unter vielen, denn in unterschiedlichen Formaten organisieren beinahe alle Organisationen der ukrainischen Community Veranstaltungen, bei den es um die Aufklärung über Russlands Krieg gegen die Ukraine geht. Oft sind es Kulturveranstaltungen, wie Ausstellungen und Konzerte, die einen guten Raum bieten, um zum einen auf die Situation in der Ukraine aufmerksam zu machen und zum anderen über die Eigenständigkeit und Vielfältigkeit der ukrainischen Kultur und auch für die Ukraine zu machen. Insbesondere das Ukraine-Institut in Deutschland, das 2023 in Berlin als erste Auslandrepräsentanz eröffnet wurde, setzt sich für die Förderung der ukrainischen Kultur ein und setzt dabei auf interkulturellen Dialog und Kooperationen zwischen ukrainischen, deutschen und internationalen Künstler:innen und Kultureinrichtungen. Außerhalb von Berlin, wo das Angebot bereits groß ist, erweisen sich Veranstaltungen mit Ukraine-Bezug als höchst notwendig und fruchtbar. Die ukrainische Community bildet somit eine Brücke zwischen der Ukraine und Deutschland und trägt maßgeblich zur Völkerverständigung bei.

Die Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteur:innen stärkt die Stimme der Ukrainer:innen und schafft eine größere Reichweite. Ein gutes Beispiel ist die Veranstaltung »Women in War« im Februar 2023, die eine Kooperation der Staatskanzlei Berlin, der Europäischen Akademie und der Allianz Ukrainischer Organisationen war und auch von den Medien aufgegriffen wurde. Das ist bei den Aktionen der Organisation Vitsche e. V. regelmäßig der Fall, denn ihre – oft kreativen – Aktionen werden intensiv von den Medien begleitet. Neben zahlreichen Demonstrationen gestalteten die Vitsche-Aktivist:innen z. B. Videos, in denen sie über die Deportation ukrainischer Kinder nach Russland aufmerksam machten, um die strafrechtliche Verfolgung dieser Kriegsverbrechen zu fordern. Auch starke und klare Forderungen zur Unterstützung der Ukraine mit den notwendigen Waffen sowie regelmäßige Fundraising-Aktionen gehören zum Repertoire von Vitsche.

Die Organisation Open Platform e. V. hat es sich in enger Zusammenarbeit mit Crisp e. V. zur Aufgabe gemacht, die Potenziale der ukrainischen Diaspora für den Wiederaufbau auszuschöpfen. Im Oktober 2023 organisierten sie eine Veranstaltung zum Thema »Potentiale der Diaspora heben« der »Plattform Wiederaufbau Ukraine« der Bundesregierung. Gemeinsam mit anderen Organisationen aus der ukrainischen Community wurde anhand von Best Practices das enorme Potenzial einer Zusammenarbeit mit der ukrainischen Diaspora beim Wiederaufbau verdeutlicht. Im Rahmen der im Juni 2024 in Berlin stattfindenden »Ukraine Recovery Conference« soll das Thema »Potentiale der Diaspora und der globalen ukrainischen Community« weiter vertieft werden.

Herausforderungen

Mehr als zwei Jahre nach der vollumfänglichen russischen Invasion in die Ukraine ist klar geworden, dass Russlands verbrecherischer Krieg gegen die Ukraine die neue Realität darstellt. Russland wird seinen Krieg gegen die Ukraine (solange es militärisch dazu fähig ist, woran es alles setzt) fortsetzen. Die Herausforderungen für die ukrainische Gemeinschaft in Deutschland bleiben bestehen oder könnten sogar noch zunehmen.

Die vergangenen zwei Jahre brachten die Ukrainer:innen an die Grenzen ihrer mentalen und physischen Kräfte. Wie die ukrainische Menschenrechtsaktivistin und Nobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk sagte: »Wir laufen einen Marathon mit der Geschwindigkeit eines Sprints«. Doch die Kräfte reichen bei vielen nur für ein paar Schritte. Zeit zum Ausruhen bleibt nicht. Eine Erholung wäre aber auch kaum möglich in einer Zeit, in der die Menschen in der Ukraine tagtäglich ums Überleben kämpfen.

Die allermeisten Menschen engagieren sich ehrenamtlich in der ukrainischen Community. In vielen Fällen gehen die Freiwilligen Vollzeitjobs nach, denn keine der Organisationen der ukrainischen Community bekommt institutionelle Förderung, die es ermöglichen würde, Menschen für ihre Arbeit mittel- und langfristig einzustellen. Viele Menschen kommen an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit, und manche gehen auch darüber hinaus und erleiden einen Burnout.

Daher ist die gegenseitige Unterstützung innerhalb der Community besonders wichtig. Trotz der Konsolidierung der Kräfte erweist sich der Aufbau starker Institutionen mit nachhaltigen Strukturen und Prozessen deutschlandweit als große Herausforderung. Wichtig ist dabei, dass die neu geschaffenen Strukturen und Formate nicht an Personen gebunden sind, sondern unabhängig davon, wer an der Spitze steht, Bestand haben sowie gut miteinander Vernetzt sind.

Fazit

Die ukrainische Community in Deutschland hat sich nach 2022 beachtlich entwickelt. Den neuen Aufgaben und Herausforderungen, die mit der russischen Invasion der Ukraine verbunden waren, ist man mit einer zunehmenden Professionalisierung und einer Skalierung der Kapazitäten begegnet. Die erhöhte Sichtbarkeit der Community trägt nicht nur zur direkten Unterstützung in der Ukraine – einer zentralen Aufgabe der Community – bei, sondern fördert auch den Wissenstransfer in die und den Wissensaustausch mit der deutschen Gesellschaft. Die ukrainische Community ist zu einem wichtigen Akteur geworden, der zunehmend als relevanter Gesprächspartner in politischen und gesellschaftlichen Diskursen anerkannt wird.

Trotz dieser positiven Entwicklung gibt es auch Herausforderungen, wie die psychische Belastung der Community-Mitglieder oder eine fehlende langfristige Finanzierung für die neuentstandenen Strukturen. Daher sind die weitere Professionalisierung, Institutionalisierung und Schaffung einer starken und nachhaltigen Struktur oberste Prioritäten, um die gewachsene ukrainische Community in Deutschland fest als »ukrainische Stimme« zu etablieren.

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