Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms

Von Eugene Stakhiv (Johns-Hopkins-Universität, Baltimore), Andriy Demydenko (Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine, Riga)

Zusammenfassung
Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine durch Russland wird als »Ökozid« bezeichnet. Der folgende Beitrag zeigt, welche Folgen die Zerstörung des Staudamms für Mensch, Natur und Wirtschaft hat und versucht, die materiellen Kosten zu beziffern.

Einleitung

UN-Generalsekretär Guterres nannte die Zerstörung des Kachowka-Staudamms durch Russland eine »monumentale humanitäre, wirtschaftliche und ökologische Katastrophe in der Region Cherson in der Ukraine«. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, dass »Russland die volle Verantwortung für den durch die Zerstörung des Kachowka-Damms verursachten Ökozid tragen muss«.

Russland hat vorsätzlich und schamlos gegen alle Normen der zivilisierten Welt verstoßen und die ukrainische Bevölkerung und die Umwelt auf das Abscheulichste angegriffen. In der Ukraine besteht eine strafrechtliche Verantwortung für Ökozid in Form einer Freiheitsstrafe von acht bis fünfzehn Jahren für die »massive Zerstörung der Flora oder Fauna, die Vergiftung der Atmosphäre oder der Wasserressourcen sowie andere Handlungen, die eine Umweltkatastrophe verursachen können« (Artikel 441 des Strafgesetzbuches der Ukraine).

Wenn es jemals einen eindeutigen Fall von Ökozid gegeben hat, dann ist die Zerstörung des Kachowka-Staudamms durch die russischen Streitkräfte das beste Beispiel dafür. Wird Russland dafür zur Verantwortung gezogen werden?

Derzeit beschränkt sich die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) auf vier der schwersten Kriegsverbrechen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. 2021 schlug ein internationales Expertengremium von Jurist:innen vor, im Rahmen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs ein fünftes Verbrechen, den Ökozid, einzuführen. Sie definierten Ökozid als »rechtswidrige oder vorsätzliche Handlungen, die in dem Wissen begangen werden, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass durch diese Handlungen ein schwerer und entweder weit verbreiteter oder langfristiger Schaden für die Umwelt verursacht wird«.

Im März 2023 stimmte das Europäische Parlament für die Aufnahme des Begriffs »Ökozid« in das EU-Recht. Die Katastrophe des Kachowka-Staudamms hat die EU dazu veranlasst, ihre Bemühung diesbezüglich voranzutreiben.

Die Verantwortung Russlands für die vorsätzliche Zerstörung des Staudamms wurde durch eine fundierte Recherche der New York Times sowie durch die Untersuchung seismischer und satellitengestützter Daten der Explosionen festgestellt. Nur das russische Militär, das den Kachowka-Damm kontrollierte und vollen Zugang zum inneren des Kachowka-Wasserkraftwerks hatte, konnte eine solche Explosion des Staudamms herbeiführen.

Wie lassen sich die Umweltschäden vor Ort bestimmen?

Die Überwachung und Messung von Umweltschäden in Kriegsgebieten ist äußerst schwierig und gefährlich, und es mangelt an Personal und Ausrüstung. Ein Großteil der Überwachung kann jedoch indirekt über Satellitenüberwachungssysteme erfolgen, von denen sich viele auf Veränderungen der Umwelt konzentrieren. So verfügt das Earth Observing System (EOS) der NASA über eine Reihe von Satelliten, die sich auf die Messung von Landnutzung, Bodenfeuchtigkeit, Vegetationsdecke, landwirtschaftlicher Produktion, Waldwachstum und damit verbundene Krankheiten sowie Wasserqualität konzentrieren.

Vor allem liefern diese Satellitensysteme Bilder, die einen Vergleich »vor, während und nach« dem Krieg bieten – mit anderen Worten, ein sehr wichtiges Zeitreihenprofil der Veränderungen der wichtigsten Umweltvariablen, was zur Bewertung der Schäden genutzt werden kann. Sie können dazu verwendet werden, eventuell vorhandene Daten, die vor Ort erhoben wurden, zu bestätigen und mit Hilfe künstlicher Intelligenz Lücken zu schließen, wo keine Daten verfügbar sind. Satelliten und GIS-Technologien werden bereits eingesetzt, um Infrastrukturschäden und die Folgen von Waldbränden und Sturzfluten in der Ukraine zu bewerten. Diese Satellitensysteme sind zusammen mit den gut entwickelten ukrainischen GIS-Technologien von großer Wichtigkeit zur Bestimmung der ökologischen Schäden und Reparationszahlungen.

Sozioökonomische Folgen

Der Kachowka-Stausee speicherte 18,2 Kubikkilometer Wasser, was etwa einem Drittel der gesamten durchschnittlichen jährlichen Wassermenge des Dnepr (54 Kubikkilometer) entspricht. Der Stausee hat eine Gesamtfläche von 2.155 km2 und ist 240 Kilometer lang und bis zu 23 Kilometer breit (das entspricht einer Fläche etwa viermal so groß wie die des Bodensees, Anm. d. Red). Der Staudamm ist 30 Meter hoch. Die Kapazität des Wasserkraftwerks beträgt 351 MW, was nur einen kleinen Teil der gesamten ukrainischen Wasserkraftproduktion ausmacht, die wiederum 5 % des ukrainischen Energiebedarfs deckt. Während der russischen Besetzung des Staudamms wurde der Strom aus dem Kachowka-Kraftwerk vom Hauptnetz abgetrennt.

Im Fall der Zerstörung des Kachowka-Staudamms ist der Ökozid eindeutig. Die Schäden sind vergleichbar mit der kumulativen Umweltzerstörung im gesamten Kampfgebiet, das Russland seit mehr als 500 Tagen militärisch zerstört. Mehrere Wochen nach der Flutkatastrophe, die durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms ausgelöst wurde, sind die Wassermassen zurückgegangen und haben eine ökologische Trümmerlandschaft aus Müll, giftigen Schadstoffen, verwesenden Fischen und den Überresten vieler anderer Arten hinterlassen – vom stromaufwärts gelegenen Ende des nun leeren Stausees bis zur stromabwärts gelegenen Mündung des Dnepr bei Otschakiw, etwa 200 Kilometer vom Damm entfernt. Trümmer und tote Fische haben auch die Küste des nördlichen Schwarzen Meeres verunreinigt und die Küste von Odesa in eine »Müllhalde und einen Tierfriedhof« verwandelt.

Der plötzliche Wasseraustritt hinter dem zerstörten Kachowka-Damm löste eine Flutwelle aus, die am 8. Juni in Cherson einen Höchststand von 5,6 Metern erreichte und durch das Flusstal unterhalb des Damms bis zur Mündung im Schwarzen Meer schwappte. Da der Dammbruch gegen 3 Uhr in der Nacht des 6. Juni stattfand, gab es keine Vorwarnung für die Menschen in mehr als 80 Städten und Dörfern unterhalb des Damms, die am rechten (ukrainisch kontrollierten, Anm. d. Red.) Flussufer überflutet wurden. Die Siedlungen am unteren linken Ufer, die von der russischen Armee besetzt sind, litten sogar noch mehr, da die Menschen dort keine Hilfe erhielten, auch, weil Russland gezielt ukrainische Rettungskräfte beschoss, die versuchten, den Menschen am linken Ufer zu helfen. Ende Juni lag die Zahl der Todesopfer infolge der Überschwemmungen bei mindestens 58. In den von Moskau kontrollierten Gebieten am linken Flussufer sollen russischen Angaben zufolge 35 Menschen ums Leben gekommen sein, während das ukrainische Innenministerium von deutlich mehr Opfern ausgeht. Mehr als 11.000 Menschen mussten auf beiden Seiten evakuiert werden. Moskau lehnte Angebote der Vereinten Nationen ab, den Menschen in den von Russland besetzten Überschwemmungsgebieten zu helfen.

Der durch die Staudammkatastrophe verursachte Ökozid hat zu viele Dimensionen, um sie alle einzeln aufzuzählen. Der gemeinhin verwendete Begriff »negative Auswirkungen« erfasst die gravierenden wirtschaftlichen, humanitären und ökologischen Folgen dieses einzigartigen Kriegsverbrechens nur unzureichend. Es gibt mehrere Kategorien schwerwiegender und langfristiger Umweltschäden: Verlust von Bewässerungssystemen für landwirtschaftliche Betriebe, Austrocknung der Landschaft, Verlust der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung für Städte und Siedlungen, Gesundheitsprobleme im Zusammenhang mit Cholera und anderen verschmutzungsbedingten Krankheiten. Vor allem aber massive Verluste des Lebensraums, die langfristige Zerstörung der Ökosysteme und der Verlust zahlreicher Wasserlebewesen und der biologischen Vielfalt, nicht nur in den Naturschutzgebieten des unmittelbaren Fluss- und Mündungs-Ökosystems, sondern auch in den weitaus größeren Gebieten, die mit diesen Ökosystemen verbunden sind.

Die wichtigste Funktion des Stausees war die Hauptversorgung mit Trink- und Bewässerungswasser für einen Großteil des Gebiets Cherson und der Krim. Das Wasser aus dem Stausee floss durch mehrere Hauptkanäle und wurde über 12.000 Kilometer Bewässerungskanäle und -gräben weiterverteilt, wodurch fast 600.000 Hektar Land bewässert wurden, von denen aktuell 90 % in von Russland besetztem Territorium liegen.

Der Kachowka-Stausee versorgte mehr als 700.000 Menschen im Süden der Ukraine mit Trinkwasser. Nach Angaben der Vereinten Nationen haben die Städte am Dnepr, darunter Cherson, Nikopol, Marhanez und Pokrow, jetzt zu wenig Wasser für die Wasserversorgung. Weitere 250.000 Menschen in der ländlichen Oblast Cherson sind von Grundwasser abhängig, das von schlechter Qualität ist und eine hohe Konzentration von Chloriden und Mineralien aufweist. Der internationale Standard für Chloride (die den Salzgehalt darstellen) liegt bei 50–250 Teilen pro Million (ppm), während der Standard für die gesamten gelösten Feststoffe (TDS) bei maximal 500 ppm liegt. 37 % der Grundwasserbrunnen in der Oblast Cherson erfüllen diese Normen nicht, wobei der Chloridgehalt weit über 500 ppm und der TDS-Wert über 1.000 ppm liegt.

Nach Angaben des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums werden durch die Zerstörung des Staudamms 584.000 Hektar Land ohne Bewässerung bleiben und drohen, Wüsten zu werden. Zu ihrer Blütezeit in der Sowjetära versorgte das Bewässerungssystem mehr als 2 Millionen Hektar in dieser Region. Durch Vernachlässigung und Wartungsstau verschlechterte sich das Bewässerungssystem erheblich, weshalb die Weltbank 2015 einen Investitionsplan zur Modernisierung des Systems vorlegte. Der Wiederaufbau des Staudamms wird, sollte er beschlossen werden, ein Jahrzehnt dauern und mehr als 1 Milliarde US-Dollar kosten.

Ökologische Folgen

Obwohl die Ukraine weniger als 6 % der Fläche Europas einnimmt, besitzt sie 35 % der europäischen biologischen Artenvielfalt und ist damit das Land mit der größten Biodiversität in Europa. Die Umweltkatastrophe von Kachowka kommt ergänzend zu den mehr als 500 Tagen russischer militärischer Zerstörung und der anhaltenden Verschlechterung der Umwelt in der Ukraine – ihrer Flüsse, Wiesen, Sümpfe, Feuchtgebiete, Wälder, Agrarflächen, Parks und Naturschutzgebiete – hinzu.

Ökologische Lebensräume stellen die Grundlage für eine reiche Artenvielfalt dar. Degradierte oder zerstörte Lebensräume führen zu einem starken Rückgang der Artenvielfalt und gefährden bedrohte Arten. Der Kachowka-Stausee war Lebensraum für mindestens 43 Fischarten, von denen 20 eine kommerzielle Bedeutung haben.

In dem von der Überschwemmung betroffenen Gebiet gibt es 38 seltene Lebensraumtypen, die nach der Berner Konvention geschützt sind und als Teil des Europäischen »Emerald-Netzwerks« als »Gebiete mit besonderem Schutzinteresse« ausgewiesen wurden. Oberhalb des Kachowka-Staudamms werden mindestens 11 Schutzgebiete mit einer Gesamtfläche von über 250.000 Hektar von der Austrocknung betroffen sein.

Das Benthal (der Lebensbereich am, auf und im Boden eines Gewässers, Anm. d. Red.) im Stausee und flussabwärts bildet mit einer Vielzahl von Mollusken, Muscheln, Würmern und anderen Tieren und Pflanzen die Basis der Nahrungskette des Stausees und des Flusses. Diese Nahrungsgrundlage ist im Kachowka-Stausee weitgehend zerstört worden. Frühling und Sommer sind die übliche Zeit für das Laichen von Fischen und den Bau von Nistplätzen von Vögeln. Zahllose Arten sind vom Mündungsgebiet des Dnepr abhängig. Die Ökosysteme von Fluss und Stausee werden drastisch verändert und dezimiert.

Die Ukraine liegt im Zentrum einer wichtigen Zugvogelroute, die sich von Zentralasien bis in den Nahen Osten erstreckt. Das Ausmaß des Vogelzugs ist beeindruckend: Über 2 Milliarden Vögel, 2,5 Millionen Enten und zwei Millionen Greifvögel wandern von ihren Brutgebieten in Europa, Sibirien und Zentralasien zum Überwintern ins tropische Afrika. Der Krieg hat diese Flugroute für viele Zugvogelarten, die in den Feldern, Bewässerungskanälen, Sümpfen, Flüssen und Seen der Ukraine nisten, rasten und sich ernähren, unterbrochen. Kürzlich wurde bei einer Untersuchung von Zugvögeln in Kaschmir ein erheblicher Rückgang bei verschiedenen Arten festgestellt, der auf den Krieg in der Ukraine zurückgeführt wird. Der andauernde Krieg in Verbindung mit der Umweltkatastrophe am Kachowka-Staudamm bedroht nicht nur die vielfältigen Vogelpopulationen der Ukraine, sondern auch die biologische Vielfalt im Allgemeinen, einschließlich einer großen Zahl seltener und weltweit gefährdeter Vogelarten.

Eine Reihe sehr wichtiger Lebensräume an der Mündung des Dnepr, die nach der Ramsar-Konvention über Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung geschützt sind, sind ernsthaft geschädigt und/oder stark verschmutzt, darunter das Biosphärenreservat Schwarzes Meer, ein UNESCO-Biosphärenreservat, der regionale Landschaftspark Kinburn-Nehrung sowie zahlreiche kleinere Gebiete.

Die riesige Menge an Süßwasser, die ins Meer geschwemmt wurde, hat das Gleichgewicht zwischen dem Brackwasser der Dnepr-Mündung und der küstennahen Gebiete und dem des Schwarzen Meeres stark gestört und das Oberflächenwasser, dessen Salzgehalt normalerweise etwa 15 Gramm pro Kilogramm Meerwasser beträgt, stark verdünnt. Mit dem Wasser des Stausees wurden auch Düngemittel und Pestizide aus der Landwirtschaft transportiert, was zu einer hypoxischen toten Zone führen kann, ähnlich der, die jeden Sommer im Mississippi-Delta auftritt. Dadurch wird sich der Zeitraum ungünstiger Umweltbedingungen für die Flora und Fauna des küstennahen Schwarzen Meeres weiter verlängern, insbesondere für wandernde Fisch- und Vogelarten, die auf die Sumpfgebiete des Dnepr als Rast- und Nahrungsgebiete angewiesen sind.

Ein zusätzliches potenzielles Problem besteht darin, dass Radionuklide aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl, die in den letzten drei Jahrzehnten in den Sedimentschichten des Kachowka-Stausees vergraben waren, aufgewirbelt und flussabwärts getragen wurden und sich im Mündungsdelta wieder ablagerten. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass Wasserpflanzen diese Radionuklide absorbieren und ihre Konzentration durch die sog. Biomagnifikation verstärken, indem sie durch die Nahrungskette weiter nach oben gereicht werden.

Der Zustand des Benthos (der Gesamtheit aller in der Bodenzone eines Gewässers vorkommenden Lebewesen, Anm. d. Red.), ist nicht nur für die Nahrungskette des Flusses von entscheidender Bedeutung, sondern auch für das Erreichen des angestrebten »guten« ökologischen Zustands aller Gewässer im Kachowka-Stausee und flussabwärts, den die Ukraine gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie erreichen muss. Es liegt auf der Hand, dass es nach der Sprengung des Damms und dem Verschwinden des Stausees sehr viel schwieriger und kostspieliger sein wird, diesen Zustand zu erreichen.

Berechnung der Entschädigungen für dem Ökozid

Wie kann man die Zerstörung von Lebensraum, biologischer Vielfalt, gefährdeter Arten oder der Natur selbst berechnen? Ökosysteme sind vergleichbar mit Fabriken – sie sind Wirtschaftsgüter, die Dienstleistungen erbringen. Die Grundsätze und Methoden der Schadensbewertung für die Umwelt und Ökosysteme als Grundlage für die finanzielle Entschädigung von Kriegsschäden entsprechen denen für Privateigentum, Wirtschaftsunternehmen und öffentliche Infrastruktur.

Zum Beispiel sollte die Entschädigung die Bewertung aller Komponenten von »Vermögenswerten« (d. h. Arten, Lebensraum) und des »Unternehmenswerts« (Ökosystem) umfassen, die durch den Krieg direkt oder indirekt negativ beeinflusst wurden. Die International Valuation Standards (IVS 2022) werden seit langem weltweit angewandt, um den Wert von Vermögenswerten und Unternehmen in unzähligen Entschädigungsverfahren zu ermitteln. Es gibt vergleichbare Bewertungsstandards und -methoden für die Umwelt, Ökosysteme und wertvolle ökologische Ressourcen, die von den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, USAID und der U.S. National Strategy for Natural Capital Accounting entwickelt wurden.

Eine umfassende Studie zur Bewertung von Ökosystem-Dienstleistungen wurde 2020 vom britischen Ministerium für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten durchgeführt. Sie befasste sich mit mehr als 25 typischen »Dienstleistungen« von Lebensräumen und Ökosystemen, die von Nahrung, genetischen Ressourcen, biologischer Vielfalt, Klimaregulierung bis hin zu ästhetischen Erlebnissen und Jagd reichen. Und sie umfasste ein breites Spektrum von Ökosystemen, vom offenen Ozean und Korallenriffen bis hin zu Mangrovenwäldern, Sümpfen und Süßwasserfeuchtgebieten. Der Mittelwert der verschiedenen Ökosystem-Dienstleistungen für alle Arten von Ökosystemen wurde mit 3.500 USD/ha/Jahr (in 2020 US-Dollar) berechnet. Die Werte reichten von einem Höchstwert von 119.000 USD/ha/Jahr für tropische Wälder bis zu 1.600 US-Dollar für Grasland. Zahlen, die die betroffenen ukrainischen Ökosysteme besser widerspiegeln, waren 49.000 US-Dollar für Binnen- und Küstenfeuchtgebiete, 8.000 US-Dollar für Anbauflächen und 20.700 US-Dollar für Flüsse und Seen.

Eine andere Möglichkeit, die ökologischen Dienstleistungen von Lebensräumen zu bewerten, ist ein Blick auf die Wiederherstellungskosten in Europa und den USA. So gab das U.S. Army Corps of Engineers im vergangenen Jahr 710 Millionen US-Dollar für Projekte zur Wiederherstellung von Gewässern aus. 2019 hat die Behörde 44.000 Hektar und im Jahr 2021 insgesamt 46.500 Hektar wiederhergestellt, verbessert oder geschützt. Dies entspricht im Durchschnitt etwa 13.000 USD/ha an Wiederherstellungskosten.

Das ukrainische Umweltministerium hat einen eigenen Sanierungsplan zur Überwachung und Messung der durch die Katastrophe am Kachowka-Staudamm verursachten Schäden entwickelt. Der Plan umfasst die zu überwachenden Ressourcen und die für die Datenerfassung und -auswertung zuständigen Stellen und Einrichtungen. Allerdings fehlen derzeit die finanziellen Mittel, um dieses Projekt vollständig in Angriff zu nehmen.

»Après moi, le déluge« (Nach mir die Sintflut) ist ein Ausspruch Ludwigs XV., mit dem er seine Gleichgültigkeit gegenüber der Notlage seiner Untertanen zum Ausdruck brachte, wohl wissend, dass er die Nation wirtschaftlich ruiniert hatte. In Anbetracht von Putins erbarmungsloser Taktik der verbrannten Erde gegen die ukrainische Zivilbevölkerung während der mehr als 500 Kriegstage steht die Zerstörung des Wasserkraftwerks Kachowka im Einklang mit Putins gefühlloser Gleichgültigkeit gegenüber den zahlreichen Kriegsverbrechen und der Flutkatastrophe, die er in der Ukraine ausgelöst hat. Nur eine taktische Nuklearexplosion könnte noch katastrophalere Folgen haben. Vielleicht war das die Absicht – Putins Signal für das, was nach der Sintflut passieren könnte – vielleicht ein terroristischer Angriff auf das Kernkraftwerk Saporischschja?


Übersetzung: Dr. Eduard Klein

Der Artikel erschien zuerst unter dem Titel »Ecocide: The Catastrophic Consequences of Kakhovka Dam Demolition« auf dem Portal VoxUkraine. Der vorliegende Text ist eine gekürzte und ins Deutsche übersetzte Fassung. Der ungekürzte englische Originaltext ist frei zugänglich unter: https://voxukraine.org/en/ecocide-the-catastrophic-consequences-of-kakhovka-dam-demolition.

Wir danken VoxUkraine und den Autoren für die Erlaubnis zur Nachnutzung.

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