Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine

Von Oleksandr Opanasenko (Ecoaction, Kyjiw)

Zusammenfassung
Die ökologischen Folgen der russischen Invasion in der Ukraine sind erheblich und zeigen sich in allen Bereichen. Da der Krieg weiterhin andauert, lassen sich die verursachten Schäden nicht genau bestimmen, doch selbst vorläufige Schätzungen deuten auf erhebliche Auswirkungen für die Umwelt hin. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Auswirkung des Krieges auf die Pflanzen- und Tierwelt sowie Gewässer und die Boden- und Luftqualität. Frühere Kriege und Konflikte in der Welt zeigen, dass die Beseitigung ökologischer Kriegsfolgen mehr als ein Jahrzehnt dauert.

Einleitung

Russland begann 2014 einen Krieg im Osten der Ukraine und auf der Krim. Seit Februar 2022 wird das gesamte Territorium der Ukraine angegriffen, ist aber in sehr unterschiedlichem Ausmaß von Zerstörungen durch das Kriegsgeschehen betroffen. Der Kampf für die Existenz und den Schutz des größten Landes in Europa, die Sicherheit unseres Volkes und die Wahrung unserer Werte ist eine vorrangige Aufgabe. Während des Krieges wurden ganze Städte zerstört; die endgültige Zahl der Toten ist noch unbekannt. Auch die Umwelt wurde durch den Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen: Nach dem Sieg müssen wir nicht nur Wohnraum, Infrastruktur und Unternehmen wiederherstellen, sondern auch die von der russischen Invasion beschädigten und zerstörten Ökosysteme.

Die Ökosysteme der Ukraine sind für Europa von großer Bedeutung. Sie umfassen 35 Prozent der Artenvielfalt Europas (mehr als 70.000 biologische Arten). 29 Prozent des ukrainischen Territoriums bestehen aus natürlichen und naturnahen Ökosystemen und 16 Prozent sind von Wäldern bedeckt. In der Ukraine befinden sich 11 Prozent der Karpaten, wo ein Drittel aller Pflanzenarten Europas wächst. Der Dnepr ist der viertlängste Fluss auf dem europäischen Kontinent. Von den Auswirkungen des russischen Angriffskrieges sind 20 Prozent der Naturschutzgebiete der Ukraine mit einer Gesamtfläche von etwa 1 Million Hektar betroffen. Eine vollständige Bewertung der Auswirkungen des Krieges auf die Ökosysteme kann jedoch nicht erfolgen, solange der Krieg andauert.

Wenn Russland Atomkraftwerke, Fabriken und Lagerhäuser angreift und durch Brände gefährliche Stoffe in die Umwelt gelangen oder Kläranlagen für verschmutztes Wasser zerstört werden, handelt es sich um Verstöße gegen die Genfer Konvention. Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs definiert Verbrechen gegen die Umwelt als »vorsätzliches Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser […] weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis, zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.« Das heißt, die vorsätzliche und sinnlose Zerstörung der Umwelt ist ein weiteres Verbrechen durch Russland.

Im Folgenden wird ein Überblick gegeben über die Auswirkungen des Krieges auf die Pflanzen- und Tierwelt sowie Gewässer und die Boden- und Luftqualität.

Pflanzen- und Tierwelt

Im Krieg werden natürliche Ökosysteme zerstört. Nach vorläufigen Schätzungen befanden sich zum 1. März 2022 insgesamt 900 Objekte des ukrainischen Naturschutzfonds mit einer Fläche von 1,24 Millionen Hektar unter militärischer Besatzung bzw. im Kriegsgebiet. Dies entspricht in etwa einem Drittel der Fläche des Naturschutzfonds der Ukraine. Etwa 200 Naturschutzgebiete mit einer Fläche von 2,9 Millionen Hektar, die zum »Smaragd-Netzwerk« der Berner Konvention zur Erhaltung natürlicher Lebensräume in Europa gehören, sind von der Zerstörung bedroht. Die »Ukrainische Umweltschutzgruppe« berichtete, dass 44 Prozent der wertvollsten Naturschutzgebiete der Ukraine unter russischer Besatzung seien, darunter seit 2014 insgesamt 17 Ramsar-Gebiete (Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung) mit einer Fläche von 627.300 Hektar.

Acht Naturschutzgebiete und zehn Nationalparks sind besetzt oder befinden sich in den Kampfgebieten, darunter die Biosphärenreservate »Askanija-Nowa« und »Schwarzes Meer«, die Nationalparks »Dscharylhatsch«, »Oleschky-Sande« und »Swjati Hory«. Fast 80 Prozent des Nationalparks »Swjati Hory« wurden zerstört. Ende März 2023 intensivierte Russland die militärische Kontrolle über »Askanija-Nowa« – nun herrscht dort eine humanitäre Krise. Etwa 3 Millionen Hektar Wald sind vom Krieg betroffen, was rund ein Drittel aller ukrainischen Wälder ist. Etwa 23.300 Hektar Wald wurden verbrannt, was ungefähr der Fläche von Frankfurt am Main entspricht. Die Fläche der Waldbrände hat sich während des Krieges im Vergleich zu den Vorjahren fast verhundertfacht. Im Mai 2022 brannten wegen des Krieges die Reliktwälder der Kinburn-Nehrung eine ganze Woche lang. Aktuell sind 450.000 Hektar Wald von Russland besetzt und 650.000 Hektar Waldfläche müssen entmint werden. Insgesamt etwa 2,45 Millionen Hektar Waldfläche müssen wiederhergestellt werden. Es dauert durchschnittlich 25 Jahre bis beschädigte oder verbrannte Bäume ersetzt sind.

Die Tierwelt leidet ebenfalls unter den Kriegshandlungen. Etwa 600 Tierarten sind vom Aussterben bedroht. Durch den Krieg werden nicht nur die Überwinterungs- und Nistplätze vieler Vogelarten zerstört, sondern auch die Routen »nicht-ukrainischer« Zugvögel sind betroffen. Die Ukraine liegt am Schnittpunkt der Zugvögel-Routen der Westpaläarktis und der afro-eurasischen Region, wodurch mehr als 400 Vogelarten betroffen sind.

Leider kann verlorene Flora und Fauna nicht schnell wiederhergestellt werden. Natürliche Ökosysteme wie Wälder, Gewässer, Steppen, Meere sind zur Selbstregeneration fähig. Dies dauert jedoch lange. Die Erholungsdauer hängt von individuellen Faktoren ab, beispielsweise der Intensität des Beschusses oder dem Ausmaß der Kontamination. Für die Wiederherstellung jedes Bereichs muss ein individueller Plan entwickelt werden.

Auswirkungen auf das maritime Ökosystem

Der Krieg wirkt sich stark auf die Ökosysteme des Asowschen und Schwarzen Meeres aus. Die Küstenlänge der Ukraine beträgt etwa 2.700 km. In der Ukraine gibt es 45 Meeresnaturschutzgebiete. Durch die Annexion der Krim 2014 verlor die Ukraine den Zugang zu elf Meeresnaturschutzgebiete in ihrer Küstenzone. Seit dem Beginn des großflächigen russischen Angriffskriegs verlor sie auch den Zugang zum »Schwarzmeer-Biosphärenreservat« und zum Nationalpark »Swjatoslaw (Weiße Küste)«, die im Süden der Region Cherson liegen. Die Hauptfolgen des Krieges für Küsten- und Meeresökosysteme sind chemische und akustische Verschmutzung sowie physische Schäden.

An den Küsten der Länder des Schwarzmeerbeckens wurden viele Fälle von gestrandeten Delfinen gemeldet. Allein das Team des Nationalparks »Tuzly-Lagunen« berichtet von tausenden gestrandeten Delfinen, einige mit schweren Verbrennungen, wahrscheinlich durch Bomben- oder Minenexplosionen. Durch die Sonartechnik der russischen Kriegsflotte verlieren die Tiere ihr Orientierungsvermögen und damit ihre Überlebensfähigkeit.

Zu Beginn der großflächigen Invasion griff Russland ukrainische Häfen an. Östlich von Odesa wurden zwei Schiffe, Millennial Spirit und Namura Queen, getroffen, die Treibstoff und Chemikalien geladen hatten, was zu einem Feuer auf der Meeresoberfläche führte. Nach Angaben des Informationssystems »EcoZagroza« des ukrainischen Umweltministeriums gelangten im ersten Kriegsjahr 11.000 Tonnen Erdölprodukte ins Wasser. An den Stränden und Küsten wurden Minenfelder verlegt.

Der Krieg hatte erhebliche Auswirkungen auf die Seeschifffahrt im Schwarzen und Asowschen Meer und veränderte das Management- und Kontrollsystem der Fischerei. Eine Verringerung der Schifffahrt kann sich positiv auf die Meeresumwelt auswirken. Eine Analyse der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ergab, dass ukrainische Fischereiboote im Jahr 2022 nicht mehr ausfuhren und fast den gesamten jährlichen Fischfang im Schwarzen und Asowschen Meer verloren, der sich auf 13.000 Tonnen belief. Dies führte zu einem Anstieg der Fischfänge in Binnengewässern und Flussdeltas.

Im Zeitraum März bis November 2022 kam es zu einem starken Rückgang des Seeverkehrs, der unter anderem auf die russische Seeblockade zurückzuführen ist. Die Belastung der Meeresumwelt durch die kommerzielle Schifffahrt dürfte deutlich zurückgegangen sein.

Die Auswirkungen des Krieges auf Süßwasserreservoirs

Auch Binnengewässer werden durch den russischen Angriffskrieg geschädigt: durch die Zerstörung von Kläranlagen und Dämmen sowie die Behinderung von für die Wasserversorgung zuständigen Dienstleistern. Die Zerstörung des Damms am Kyjiwer Stausee in der Stadt Irpin beschädigte fruchtbare Böden erheblich, hunderte Hektar wurden überflutet.

Der Oskil-Stausee südlich von Kupjansk in der Oblast Charkiw ist flächen- und volumenmäßig einer der zehn größten Stauseen in der Ukraine. Im Oktober 2022 sprengten die russischen Besatzer seinen Damm teilweise, wodurch 76 Prozent des Wassers abflossen. So wurde das Ökosystem des Stausees zerstört, Fische und Weichtiere starben, die Lebens- und Migrationszyklen der Wasservögel wurden gestört.

Im Frühjahr 2022 wurden Kläranlagen in Mariupol, Berdjansk und anderen Städten an der Küste des Asowschen Meeres zerstört. Das Abwasser gelangte nicht in die Kanalisation, sondern in Flüsse, verunreinigte das Grundwasser und gelangte schließlich ins Meer, was sich negativ auf das Meeresökosystem auswirkte. Beispielsweise zerstörte Russland am 14. März 2022 nach dem Beschuss der Kläranlagen des Wasserversorgungs- und Entwässerungswerks Wassylkiwsk das Gebäude der Abwasserpumpstation. Dadurch gelangte für einige Zeit ungeklärtes Rücklaufwasser in den Dnepr.

Seit Februar 2022 wurden in den Regionen Luhansk und Donezk durch russische Maßnahmen zehn Bergbauschächte überflutet, wodurch das Grundwasser ebenfalls verunreinigt wurde. Von 2014 bis 2020 wurden groben Schätzungen zufolge mindestens 39 Schächte im besetzten Gebiet überflutet. Die häufigste Ursache für Überflutungen waren Stromausfälle. Überschwemmungen in Bergwerken, die ein kritisches Ausmaß erreichen, stellen zahlreiche Risiken für die Umwelt dar: Unbehandeltes Grubenwasser kann sich mit Grundwasser vermischen, das als Trinkwasserquelle genutzt wird. Zudem können Grubengase in die Luft gelangen, wenn Bergwerke überflutet sind.

Am 6. Juni 2023 gegen drei Uhr nachts sprengten die russischen Besatzer das Wasserkraftwerk Kachowka. Dieses Kriegsverbrechen betrifft mehr als 80 flussabwärts gelegene Siedlungen, die nukleare Sicherheit des AKW Saporischschja, die Ernährungssicherheit, das Energiesystem und die Umwelt der Ukraine. Diese Katastrophe zeigt ein weiteres Mal, dass Russland für seine Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden muss. Über die langfristigen Auswirkungen dieses »Ökozids« lässt sich noch keine Aussage treffen, da das Ausmaß der Folgen derzeit unklar ist. Auf den kurzzeitigen Anstieg des Wasserspiegels im Dnepr und eine Überschwemmung der Gebiete folgte die Austrocknung weiter Teile des Stausees, mit schwerwiegenden Folgen für das Ökosystem der Region (vgl. die Analysen in dieser Ausgabe).

Die ersten Schritte zur Wiederherstellung der Wasserqualität sollten die Minenräumung und die Sanierung alter bzw. der Bau neuer moderner Kläranlagen sein. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Wiederherstellung von Naturschutzgebieten in den Uferbereichen. Dank der geschützten Uferstreifen werden die Stauseen nicht verschmutzt und verschlammt. Gleichzeitig wird der Oberflächenabfluss aus angrenzenden Gebieten gefiltert. Geschützte Uferstreifen bieten Lebensräume für Fische und andere Wasserlebewesen. Wichtig ist dafür auch die Aktualisierung der entsprechenden Gesetzgebung.

Die Auswirkungen des Krieges auf die Böden

Die Auswirkungen des Krieges auf die Bodenqualität sind kaum zu übersehen, da fast alle Kampfhandlungen mit dem Boden in Berührung kommen. Explosionskrater, Schützengräben, Verminung und Ölverschmutzungen, giftige Substanzen und die Transporte schwerer Maschinen sind nur ein Teil der durch den russischen Krieg verursachten Schäden. Die wichtigsten Arten der Bodenverschmutzung sind mechanische, physikalische und chemische.

Derzeit müssen rund 470.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche in neun Regionen der Ukraine entmint werden, davon etwa 174.000 Hektar sofort. Die Verminung, die mit akuter Lebensgefahr verbunden ist, verhindert den Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen. Erst nach einer gründlichen Kontrolle und Entminung kann das Land wieder bewirtschaftet werden. Trotz der Aufstockung des Personals des Staatlichen Katastrophenschutzes der Ukraine und der außerordentlichen Anstrengungen, die dieses unternimmt, wird es Jahre dauern, bis alle Gebiete entmint sein werden. Ein großer Teil der Arbeit kann erst nach dem Ende der Kampfhandlungen beginnen, wenn der Zugang zu allen Gebieten wieder möglich ist.

Böden und ihre fruchtbare Schicht bilden sich über Tausende von Jahren (unter natürlichen Bedingungen dauert es mehr als 100 Jahre, bis sich 2 cm fruchtbarer Boden gebildet haben). Militärische Operationen können all dies in wenigen Tagen oder Wochen zerstören. Beschuss, der zu Kratern durch Explosionen führt, der Transport von schweren Waffen über Felder, Schützengräben und andere Befestigungen verursachen große Schäden am Boden. Und das hat schwerwiegende Folgen, da sich die Bodenressourcen nur langsam erholen.

Heute kennen wir den Zustand des Bodens in den umkämpften Gebieten nicht. Wir können also nur Schlussfolgerungen aus der Untersuchung der bereits befreiten Gebiete ziehen. Laboruntersuchungen haben gezeigt, dass die chemische Verseuchung des Bodens weit über die Grenzwerte, vor allem mit Schwermetallen wie Kadmium, Arsen, Blei, Zink und Kupfer, ein großes Problem darstellt.

Die Wiederherstellung geschädigter Böden ist ein komplexer, aber machbarer Prozess. Der erste Schritt auf staatlicher Ebene ist eine systematische Erfassung des Bodenzustands, um das Ausmaß der Schäden zu ermitteln. Die NGO »Ecoaction« (»Ecodija«) hat im Frühjahr 2023 eine Analyse der Auswirkungen des Krieges auf den Zustand der ukrainischen Böden verfasst. Ecoaction verfolgt zwei Ansätze: Rekultivierung und Konservierung. Bei der Rekultivierung handelt es sich um Maßnahmen zur künstlichen Wiederherstellung einer nutzbaren Landschaft. Bei der Konservierung wird die Nutzung des Bodens durch Menschen untersagt und der Boden wird der natürlichen Erholung überlassen. Nur die Flächen, die für eine sichere Bewirtschaftung völlig ungeeignet sind, müssen konserviert werden.

Die Auswirkungen des Krieges auf die Luft

Der Krieg verschlechtert die Luftqualität erheblich. Die durch Brände von Erdölprodukten verursachten Luftemissionen beliefen sich auf fast 500.000 Tonnen. Durch russische Angriffe auf Erdöldepots sowie Kraft- und Schmierstofflager verbrannten mehr als 34.100 Tonnen Ölprodukte. Durch solche Brände gelangen gefährliche Stoffe in die Luft: Kohlenmonoxid, Benzo[a]pyren, Schwefel und Schwefelanhydride, Kohlenmonoxid (IV), Stickstoffoxide, gasförmige und feste Produkte unvollständiger Verbrennung von Kraftstoff, Vanadiumverbindungen, Natriumsalze, usw.

Nach Berechnungen von Ökologen der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kyjiw gleicht die Luftverschmutzung beim Brand eines Öldepots mit mehreren Tanks ungefähr der Luftverschmutzung des gesamten Straßenverkehrs der Stadt Kyjiw in einem Monat. Nach Angaben der Kyiv School of Economics hat Russland mindestens 27 solcher Öldepots beschädigt oder zerstört.

Geschosse, die Chemiefabriken trafen, etwa in Rubischne in der Region Luhansk oder in Sumy, führten zum Austritt von Stickstoff und Ammoniak. Am 21. März 2022 kam es infolge des Beschusses des Unternehmens Sumychimprom zum Austritt von Ammoniak aufgrund der Beschädigung einer Pipeline. Mitarbeiter des Staatlichen Katastrophenschutzes ergriffen Maßnahmen zur Bekämpfung der Ammoniakwolke. Außerdem sprengten die russischen Besatzer am 5. und 9. April in der Stadt Rubischne einen Tank mit Salpetersäure. Mit Stand vom 22. Mai 2023 wurden die durch Luftverschmutzung verursachten Kriegsschäden von der staatlichen Umweltinspektion der Ukraine auf 995 Milliarden Hrywnja (zum aktuellen Wechselkurs etwa 25 Milliarden Euro) geschätzt.

Strahlengefahr wegen des Krieges

Der Krieg gefährdet die nukleare Sicherheit der Ukraine. Russland bombardierte wiederholt die experimentelle Nuklearanlage »Neutronenquelle« des Physikalisch-Technischen Instituts Charkiw. Der bekannteste Fall einer Strahlengefahr war jedoch die Besetzung der Atomkraftwerke Saporischschja und Tschernobyl. Das Atomkraftwerk Saporischschja (das größte in Europa) verfügt über sechs Reaktoren und produzierte etwa 20 Prozent des gesamten Stroms der Ukraine. Am 4. März 2022 eroberten russische Truppen die nahegelegen Stadt Enerhodar und beschossen das Atomkraftwerk. Mehrere Stunden lang tobten Kämpfe beim Atomkraftwerk, in deren Verlauf die Besatzer mehrmals einen der Reaktoren trafen. Während des Gefechts fing das Trainingszentrum des Kraftwerks Feuer – glücklicherweise konnte das Feuer rechtzeitig gelöscht werden. Seitdem wird das Atomkraftwerk von der russischen Armee und Vertretern der russischen staatlichen Atomenergieholding Rosatom kontrolliert. Seit der Besetzung befand sich das Atomkraftwerk mehrmals am Rande des Katastrophenzustands. Dank des ukrainischen Personals, das im Besatzungsgebiet verblieben ist, konnte ein nuklearer Unfall bisher verhindert werden. Seit September 2022 ist das Atomkraftwerk komplett heruntergefahren. Während des ersten Jahres der Besatzung kam es im Atomkraftwerk fünf Mal zu völligen Stromausfällen, so dass Dieselgeneratoren eine Notversorgung sicherstellen mussten. Ohne die Dieselgeneratoren wäre es zu einem Reaktorunfall mit Kernschmelze gekommen. Solche Unfälle bedrohen nicht nur die Ukraine, sondern ganz Europa.

Die Auswirkungen des Krieges auf erneuerbare Energien

Der Anteil erneuerbarer Energien begann in der Ukraine im Zeitraum 2019–2020 schnell zu wachsen und erreichte im Jahr 2021 einen Anteil von 9 Prozent an der Stromerzeugung. Da sich der größte Teil der Produktionsanlagen im Süden der Ukraine befand, gingen durch den russischen Angriffskrieg 90 Prozent der Windenergie und etwa 40–50 Prozent der Solarenergie verloren. Insgesamt hat sich der Anteil der Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie im Vergleich zum Vorkriegsniveau mehr als halbiert. Dies ist vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen: Erstens Schäden durch direkte Kampfeinsätze und Zwangsabschaltungen, um Schäden zu verhindern sowie, zweitens, zunehmende Probleme durch fehlende Nachfrage und die große Inflexibilität der Produktion, die von den Wetterbedingungen abhängig ist.

Die Wirtschaftsstrategie der Ukraine bis 2030 definiert die Dekarbonisierung und die Entwicklung erneuerbarer Energien im Einklang mit dem »Green Deal« der EU als einen Schwerpunkt. Der Strategie zufolge soll der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung bis 2030 auf 25 Prozent steigen. Damit sollen die durch den Wiederaufbau steigenden Treibhausemissionen kompensiert werden. Die Ukraine sollte das Ende des Krieges nicht abwarten, sondern bereits jetzt beschädigte Kohle- und Atomkraftwerke durch alternative Energiequellen ersetzen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf dem Ausbau einer dezentralen Stromerzeugung durch Solaranlagen auf Dächern von Wohnhäusern und Fabriken liegen.

Ausblick

Aktuell ist die Dokumentation der Umweltschäden durch die Zivilgesellschaft, das Umweltministerium, die staatliche Umweltinspektion und die Generalstaatsanwaltschaft sehr wichtig, damit alle Schäden an der Umwelt so weit wie möglich erfasst werden können und vom verantwortlichen Aggressor Schadensersatz gefordert werden kann. Eine genaue Berechnung der Kosten ist derzeit nicht möglich. Das Umweltministerium schätzt sie auf 1.961 Milliarden Hrywnja (etwa 50 Milliarden Euro) – dies ist aber nur eine grobe Schätzung, da ein großer Teil des betroffenen Territoriums der Ukraine derzeit nicht zugänglich ist, und die Kampfhandlungen weiter anhalten, was mit immer neuen Fällen von Umweltzerstörung einhergeht. Das Umweltministerium meldet öffentlich mehr als 2.288 Fälle von Umweltschäden durch den Krieg, doch der öffentliche Zugang zu genauen Informationen fehlt. »Ecoaction« erfasst zusammen mit einem Team von Freiwilligen potenzielle Fälle von durch Russland verursachte Umweltschäden aus offenen Quellen – bis Stand Ende Mai waren es 1.031, die in einer interaktiven Karte frei zugänglich sind (zum 30. August waren es bereits 1.269 Fälle, Anm. d. Red.).

Nach Kriegsende wird es neben der Dokumentation aller Umweltschäden und dem Erhalt von Reparationen wichtig sein, die Wiederherstellung und den Schutz von Ökosystemen sowie den »grünen« Wiederaufbau als Beitrag zum Klimaschutz in den Wiederaufbauplan für die Ukraine einzubeziehen.


Übersetzung aus dem Ukrainischen: Lina Pleines

Anmerkung der Redaktion: Das Manuskript wurde Ende Mai, kurz vor der Sprengung des Kachowka-Staudamms am 6. Juni, abgeschlossen, und nachträglich um die Passage zum Staudamm ergänzt.

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