Die Zeit läuft: Die letzte Chance der Ukraine, Nord Stream 2 zu verhindern

Von Georg Zachmann (Bruegel, Brüssel)

Folgen von Nord Stream 2 für die Ukraine

Nord Stream 2 – die Gaspipeline, die Russland und Deutschland direkt verbinden soll – würde der Ukraine zweifellos schaden. Sie würde Gazprom in die Lage versetzen, Gaskonsumenten in der EU weitgehend unter Umgehung der Ukraine versorgen zu können. Die Ukraine könnte dadurch 2 bis 3 Mrd. US-Dollar pro Jahr an Transiteinnahmen verlieren, was mehr als zwei Prozent des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Und, noch entscheidender: Nord Stream 2 könnte die Gasversorgung der Ukraine aus der EU erschweren. Gegenwärtig wir von der Ukraine Gas vor allem aus der Slowakei importiert, welches zuvor von Russland durch die Ukraine in die EU geliefert wurde. Wenn kein Gas mehr durch die Ukraine transportiert wird, müsste dann russisches Gas über Nord Stream 2, Deutschland und die Tschechische Republik in die Slowakei transportiert werden. Dieses Gas wird dann an der ukrainischen Grenze deutlich mehr kosten, und es ist fraglich, ob die für die Versorgung der Ukraine ausreichenden Mengen überhaupt auf diesem Weg geliefert werden können. Insofern könnte die Ukraine sich gezwungen sehen, wieder große Gasmengen direkt aus Russland zu beziehen. Ohne das Druckmittel des Gastransits, das die Ukraine in der Vergangenheit hatte, werden die entsprechenden Verhandlungen sehr einseitig sein. Die russischen Forderungen könnten sich nicht nur auf hohe Preisforderungen beschränken, sondern auch politische Aspekte einbeziehen.

Handlungsbedarf für die Ukraine

Doch was tut die Ukraine, um das Zustandekommen von Nord Stream 2 zu verhindern? Richtig ist, dass ukrainische Politiker in Washington und Brüssel Unterstützung suchen, um den Bau der Pipeline doch noch zu verhindern. Es fällt ihnen allerdings schwer, die einflussreichen europäischen Gaskonsumenten zu überzeugen. Denn die Gebühren für den Gastransit durch die Ukraine sind derzeit höher als die für Nord Stream 2 erwarteten Gebühren, zudem ist die ukrainische Preispolitik weder transparent noch vorhersehbar. Den europäischen Gaskonsumenten fehlt schlicht das Vertrauen darauf, dass die Ukraine in den nächsten zehn Jahren eine preiswerte und verlässliche Transitroute für Erdgas bieten wird.

Und anstatt ein attraktives Angebot für die Transitkunden zu entwickeln, dreht die ukrainische Regierung seit zwei Jahren Däumchen. Die Energieregulierungsbehörde ist politisiert und dysfunktional. Das Gastransitsystem ist noch immer nicht reformiert und weiterhin Teil von Naftogaz. Die Diskussionen in Kiew drehen sich nach wie vor hauptsächlich darum, wer die Transiteinkommen kontrolliert, während sich Nord Stream 2 mit jedem Tag seiner Fertigstellung nähert.

Ausblick

An diesem Punkt sind politische Willensbekundungen oder zaghafte bis ins Jahr 2020 reichende Reformpläne nicht angebracht. Es geht nun um Taten in der ersten Hälfte dieses Jahres. Der derzeitige Betreiber des Transitnetzes sollte sofort entflochten werden und eine faire Ausschreibung für den Betrieb des Netzes sollte es westlichen Netzbetreibern ermöglichen, das Management des neuen ukrainischen Betreibers des Erdgastransitnetzwerks zu übernehmen.

Diese Maßnahmen könnten bei den westlichen Gaskonsumenten das zur Aufgabe des Projekts Nord Stream 2 notwendige Vertrauen schaffen. Sollte die Ukraine nicht in der Lage sein, eine vertrauenswürdige und wirtschaftlich tragfähige Alternative zu Nord Stream 2 anzubieten, hat sie sich die schwerwiegenden Konsequenzen auch selbst zuzuschreiben. Wobei diese Konsequenzen nicht allein die Ukraine betreffen.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

Der Beitrage erschien zuerst in Європейська правда auf Ukrainisch und auf dem Blog <bruegel.org/blog> in Englisch.


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