Nadija Sawtschenkos Abschlussworte vor Gericht, die sie nicht vorbringen durfte

Ich erkenne weder meine Schuld noch das Urteil oder das russische Gerichtsverfahren an. Im Falle eines Schuldspruchs werde ich keine Berufung einlegen. Ich will, dass die gesamte, zivilisierte, demokratische Welt erkennt, dass Russland ein rückständiges, totalitäres Land mit einem selbstgefälligen Diktator ist, in dem man auf Menschenrechte und internationales Recht pfeift.

Es ist absurd, Menschen zu entführen und zu foltern und dann auch noch den Eindruck zu vermitteln, man hätte das Recht, diese zu verurteilen. Von einem fairen Verfahren kann hier keine Rede sein! In Russland gibt es kein Verfahren und keine Untersuchung, nur eine Farce, inszeniert von Kreml-Marionetten! Und ich halte es für absolut sinnlos, meine Lebenszeit damit zu vergeuden, daran teilzunehmen!

Deshalb werde ich keine Berufung einlegen, sondern Folgendes tun: Nach dem Urteilsspruch führe ich meinen Hungerstreik noch zehn Tage fort, bis das Urteil in Kraft tritt, und das unabhängig von der Übersetzung des Urteils ins Ukrainische. Mit der Übersetzung kann nämlich alles in die Länge gezogen werden.

Nach zehn Tagen verkünde ich einen trockenen Hungerstreik, und dann hat Russland nicht mehr als zehn Tage, um mich in die Ukraine zurückzubringen, von wo aus sie mich entführt haben! Und es ist mir egal, wie sie das begründen.

Mir sind die ziemlich guten, diplomatischen Fähigkeiten von Petro Poroschenko zu Ohren gekommen. Also, ich hoffe, dass seine diplomatischen Fähigkeiten ausreichen, um mit einem Idioten in Russland übereinzukommen. Immerhin hat er meiner Mutter versprochen, dass ich bereits zu den Maifeiertagen 2015 zu Hause sein würde.

Und während man um mich verhandelt, werde ich mein Leben lassen, und Russland wird mich, komme was wolle, in die Ukraine zurückbringen, lebend oder tot! Aber zurück!

Und die ganzen zehn Tage wird vor den Toren des Untersuchungsgefängnisses Tag und Nacht meine Schwester stehen und darauf warten, ob sie mich rauslassen oder raustragen. Wenn ihr sie einsperrt, kommt meine Mutter an ihrer Stelle, sie ist 77 Jahre alt. Ihr wollt sie auch einsperren? An ihrer Stelle kommen dann meine Freundin, mein Freund und danach ein Ukrainer nach dem anderen!

Vergesst nicht – ihr könnt nicht alle hier reinstecken!

Und während meine Landsleute dort stehen, werden einfache, ehrliche und anständige Russen aus den umliegenden Häusern anfangen, heißen Tee, Brote und warme Decken zu bringen, weil ihnen klar ist, dass jedes ihrer Kinder in diesem Völkergefängnis namens Russland in meine Lage geraten kann!

So fangen Maidan-Revolutionen an! Braucht ihr das etwa? Das fürchtet ihr doch wie das Feuer! Deswegen täte der Kreml gut daran, mich schnellstens lebend in die Ukraine zurückzubringen! Und die ganze demokratische Welt sollte rechtzeitig ihre Lehren aus der Geschichte ziehen und sich daran erinnern, dass seinerzeit Europas Toleranz Hitler gegenüber und Amerikas Unentschlossenheit zum Zweiten Weltkrieg geführt haben.

Putin ist ein Tyrann mit imperialistischem Ansinnen und den Komplexen Napoleons und Hitlers zusammen. Ein Bär versteht keine menschliche Sprache, er versteht nur die Sprache der Macht. Wenn wir also nicht entschlossener werden und unsere Prioritäten nicht rechtzeitig festlegen, haben wir bald einen Dritten Weltkrieg.

Als Politikerin werde ich Russland in der politischen Arena nicht mehr die Hand reichen. Ich gebe nicht gerne demjenigen die Hand, der mich in Fesseln und mein Volk in Ketten gehalten hat. Aber bei jeder meiner politischen Entscheidungen werde ich immer die Auswirkungen auf die einfachen Leute bedenken, in der Ukraine wie auch in Russland. Weil es in Russland trotz allem viele ehrliche, anständige, gute und unglückliche Menschen gibt.

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Nina Havryliv, <http://ukraine-nachrichten.de/nadija-sawtschenkos-abschlussworte-gericht-nicht-vorbringen-durfte_4388>Originalquelle: <https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=902331883197446&id=896212553809379>

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