Presseerklärung von Golos: Ablauf des Wahltages

Moskau, 9. September 2013. Der 8. September 2013 ist der erste »Allgemeine Wahltag«, der auf den zweiten Sonntag im September gelegt wurde und die beiden allgemeinen Wahltage ablöst, die bislang (seit dem 1. Januar 2006) in den März und den Oktober fielen.

Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission (ZWK) waren 6825 Wahlen und Referenden angesetzt, darunter 8 Wahlen zum regionalen Verwaltungsoberhaupt, 16 Wahlen zum Regionalparlament, 8 Wahlen zum Verwaltungsoberhaupt einer regionalen Hauptstadt, 12 Wahlen zum Kommunalparlament einer regionalen Hauptstadt.

Vertreter der Bewegung GOLOS haben die Stimmabgabe, die Stimmauszählung und die Auflistung der Wahlergebnisse in Wahllokalen in den Gebieten Iwanowo, Wladimir, Wolgograd, Woronesch, Nowgorod, Rostow, Rjasan, Twer, Kaliningrad, Kirow, Kostroma, Lipezk und Saratow sowie den Republiken Adygeja, Baschkortostan, Chakassien, Kalmykien und Karelien, und auch in den Städten Wladiwostok, Jekaterinburg, Moskau und Toljatti beobachtet. In den Wahllokalen der Hauptstadt Moskau sind über 8.000 Vertreter der »Union der Beobachter« in Moskau, darunter einige Hundert Korrespondenten von GOLOS vor Ort gewesen.

Bürgermeisterwahlen in Moskau

Auf Grund der Ergebnisse, die Golos in mehr als fünfzig Prozent der Wahllokale in Moskau erhoben hat, wäre ein zweiter Wahldurchgang erforderlich, um den Sieger zu ermitteln. Den Ergebnissen von Golos zu Folge hat der amtierende Bürgermeister Sobjanin 49,5 % der Stimmen erhalten. Die von den Wahlkommissionen vorgelegten offiziellen Ergebnisse sehen jedoch Sobjanin mit 51,4 % der Stimmen als Sieger im ersten Wahlgang.

In den Wahllokalen, in denen Beobachter anwesend waren, sind die Ergebnisse von Golos und die offiziellen Ergebnisse identisch. Entscheidend für die Ergebnisse, die Sobjanin zum Sieger im ersten Wahlgang machten, sind diejenigen, die von der Wahlkommission aus Wahllokalen vorgelegt wurden, in denen keine Beobachter anwesend waren. Das schürt Zweifel an der Legitimität der Wahlen in Moskau.

Es ist eine öffentliche Untersuchung nötig, um die tatsächlichen Ergebnisse festzustellen, da Golos und die Union der Beobachter Regelverletzungen festgestellt haben. In den Wahllokalen, in denen Beobachter von Golos anwesend waren, sind zwei Maßnahmen festgestellt worden, die anscheinend dazu eingesetzt wurden, die Wahlergebnisse mit Hilfe administrativer Ressourcen zu beeinflussen.

Golos hat einen erhöhten Anteil der mobilen Stimmabgabe beobachtet (5 %), der die Wahlergebnisse dahingehend beeinflussen kann, dass hierdurch Stimmen von Leuten gewonnen werden, die sozialen Vergünstigungen abhängen und dem derzeitigen Regime daher eher loyal gegenüberstehen.Es waren nicht genügend Wahlscheine vorhanden, so dass viele Beobachter und Mitglieder von Wahlkommissionen, die nicht im Wahllokal an ihrem Wohnort wählen konnten, an der Stimmabgabe gehindert wurden, was für die Amtsinhaber von Vorteil ist.

Die Wahlen in den Regionen

In den Regionen ist die gleiche Art von Unregelmäßigkeiten und Fälschungsmethoden wie bei den Wahlen im Jahr 2011 festgestellt worden. Die Manipulationen haben alle Phasen des Wahlprozesses betroffen, von der Registrierung der Kandidaten bis zur Stimmauszählung. Das zeigt, dass die regionalen Regierungen nicht mehr wegen gesellschaftlicher Kontrolle besorgt waren. Dieser offensichtliche Rückschritt ist enttäuschend, da 2012 einige Verbesserungen zu beobachten waren.

Der Beitrag der Zivilgesellschaft zu fairen Wahlen.

Die Beispiel Moskau und Jekaterinburg zeigen, dass politischer Wettbewerb das gesellschaftliche Interesse erhöhen kann und gesellschaftliches Engagement ein wesentlicher Faktor ist, um Versuche der Regierung zu überwinden, die öffentliche Meinung zu entstellen. Es ist offensichtlich, dass es Versuche der Regierung gegeben hat, die Wahlen in Moskau frei und fair abzuhalten: Kandidaten wurden zugelassen und die Wahlkommissionen wurden angewiesen, direkte Fälschungen zu vermeiden. Das ist dem Umstand geschuldet, dass man sich bewusst war, unter den prüfenden Blicken der Öffentlichkeit zu agieren. In Jekaterinburg sind dank der breiten gesellschaftlichen Beteiligung an der Wahlbeobachtung Versuche der Wahlkommission vereitelt worden, die wirklichen Ergebnisse nicht anzuerkennen, was zum Sieg des oppositionellen Kandidaten führte.

Übersetzung: Hartmut Schröder

Überblicksbericht über die Wahlen in Russland

Ausgabe Nr. 1. Die Etappe der Registrierung von Kandidaten

Die Bewegung für den Schutz der Wählerrechte GOLOS stellt ihren ersten Überblicksbericht der Wahlen in Russland vor, die für den 8. September 2013 angesetzt wurden. Der Überblick umfasst Materialien von Aktivisten und Experten von GOLOS sowie Expertenberichte und Analysen aus öffentlich zugänglichen Quellen.

I. Schlussfolgerungen

Für den 8. September 2013 sind in Russland Direktwahlen der Oberhäupter von acht Regionen, 16 Wahlen von Regionalparlamenten, acht Direktwahlen zum Stadtoberhaupt des regionalen Verwaltungszentrums sowie 12 Wahlen zum Kommunalparlament in den regionalen Verwaltungszentren angesetzt. Neben den Wahlen in den regionalen Hauptstädten wird in 2309 weiteren Kommunen das Verwaltungsoberhaupt gewählt, und es finden in 3447 Kommunen allgemeine Wahlen zu den Kommunalräten statt. Der Beginn der Wahlkampagne bei den Regional- und Kommunalwahlen am 8. September 2013 fand unter schwierigen politischen Bedingungen statt. Die Popularität der Partei der Macht schwindet wegen der zahlreichen Korruptionsenthüllungen, deshalb greift die Regierung im Vorfeld der Wahlen zu Repressionen gegen Aktivisten der Zivilgesellschaft, gegen die gesamte außersystemische Opposition und praktisch den gesamten nichtkommerziellen Sektor. Unter Einsatz einer ganzen Reihe repressiver Gesetze, etwa zum Demonstrationsrecht, zur sogenannten »Spionagetätigkeit«, zu »ausländischen Agenten«, zum Verbot einer Arbeit, die durch amerikanische Zuwendungsgeber finanziert wird, und zum Gesetz über Verleumdung, versucht die Regierung, Aktivisten der Zivilgesellschaft und Bürgerrechtler weitestmöglich einzuschüchtern und in den Augen der Öffentlichkeit zu diskreditieren.

So folgten der Verabschiedung der repressiven Gesetze zahlreiche Fälle strafrechtlicher Verfolgung von Aktivisten der Zivilgesellschaft, staatsanwaltschaftliche Überprüfungen von nichtkommerziellen Organisationen und Gerichtsverfahren gegen nichtkommerzielle Organisationen.

Die Regierung hat unter maximalem Einsatz der staatlichen Propagandamaschine eine breitangelegte Diskreditierungskampagne gegen praktisch alle politischen Führer der Opposition und von nichtkommerziellen Organisationen veranstaltet, die internationale Zuwendungen erhalten; dabei wurde das Feindbild der ausländischen Zuwendungsgeber kultiviert. Das Netzwerk für einheimische Wahlbeobachter, die Assoziation GOLOS, ist kurz vor Beginn des Wahlprozesses auf Grund einer zweifelhaften Gerichtsentscheidung geschlossen worden.

Das neue Parteiengesetz enthält liberalisierte Regeln zur Registrierung von Kandidaten, die durch politische Parteien aufgestellt werden. Dies führt im Vergleich zu den vergangenen Kommunalwahlen zu einer größeren Zahl der 2013 an den Wahlen teilnehmenden Parteien.

Obwohl sich der Wettbewerbscharakter insgesamt verstärkt hat, wurden viele lokale Anführer der Opposition als Kandidaten nicht registriert.

Es hat ein beträchtlicher Abzug von Vertretern der regionalen und lokalen Eliten aus praktisch allen Systemparteien, also den in der Staatsduma vertretenen Parteien, eingesetzt, der vor allem die Situation der Partei »Einiges Russland« real bedroht.

Dies hat eine Gegenreaktion ausgelöst: Der Druck auf aussichtsreiche Kandidaten und Kandidatenlisten »alternativer« Parteien ist erhöht worden.

II. Besonderheiten der Wahlkampagne

Erstmals ist der allgemeine Wahltag in Russland auf den zweiten Sonntag im September gelegt worden, anstelle der beiden allgemeinen Wahltage, die früher in den März und den Oktober fielen.

Dieser Zeitpunkt wurde so gewählt, damit der Wahlkampf und die Wahlen im Sommer, in der Phase der größten Demobilisierung des aktiveren Bevölkerungsteils stattfinden und eine Manipulierung der Wahlen möglichst leicht fällt. Hierbei sollen unterschiedliche Methoden zur Aktivierung der gehorsamen Wähler eingesetzt und die Stimmen der in der Stadt gebliebenen Rentner gesammelt werden. Die Hauptphase der Wahlen, z. B. die Nominierung und Registrierung der Kandidaten und Parteilisten sowie der Wahlkampf, fallen in eine Zeit, in der große Bevölkerungsteile in Urlaub sind, was für die meisten der teilnehmenden Kandidaten und politischen Parteien beträchtliche Schwierigkeiten mit sich bringt.

Und das ist kein Zufall. Die Wahlen vom 8. September 2013 bedeuten praktisch ein neues Kapitel in der Geschichte der Wahlen in Russland. Die Änderungen, die nach Annahme eines neuen Gesetzes die Registrierung neuer Parteien erleichtern, führen gerade bei diesen Wahlen zu qualitativ anderen Resultaten. So können bei den Wahlen in den verschiedenen Regionen zwischen 48 und 54 Parteien teilnehmen.

Auch die Liste der anstehenden Wahlen ist nun im Vergleich mit den Wahlen vom Oktober 2012 um einiges repräsentativer. Wenn auch die Liste der Akteure auf dem Feld der politischen Konkurrenz angewachsen ist, hat die Partei der Anhänger von Alexej Nawalnyj – die »Volksallianz«, die »Partei des 5. Dezember« – zum Beginn der Wahlkampagne keine Registrierung erhalten.

Alle Gouverneurswahlen finden turnusmäßig statt, mit den Ausnahmen Moskau, Moskauer Gebiet und Dagestan (in letzterem wird übrigens das Republiksoberhaupt nicht direkt, sondern durch die Abgeordneten des Parlaments gewählt).

Der Moskauer Bürgermeister Sobjanin, dessen Amtszeit im Oktober 2015 auslaufen würde, hat von dem Recht eines Regionsoberhauptes (des Bürgermeisters) Gebrauch gemacht, seine Amtszeit vorzeitig zu beenden (gesetzlich ist das möglich), und tritt nun bei vorzeitigen Wahlen an. Am 5. Juni hat Präsident Putin einen Erlass über das vorzeitige Ende der Amtszeit Sobjanins und gleichzeitig dessen Ernennung zum geschäftsführenden Bürgermeister Moskaus unterzeichnet. Das sichert Sobjanin für die Phase der anstehenden Wahl beträchtliche administrative Ressourcen.

Die Aufmerksamkeit eines erheblichen Teils der Gesellschaft ist auf die Teilnahme Alexej Nawalnyjs an den Moskauer Bürgermeisterwahlen und die Teilnahme Gennadij Gudkows an den Gouverneurswahlen im Moskauer Gebiet gerichtet. Auch in den meisten Regionen fern der Hauptstadt bieten die Kandidatenlisten bei den Gouverneurswahlen reale Alternativen.

Eine weitere Maßnahme der Regierung im Vorfeld der Wahlen ist der Versuch, unter dem Label der Nicht-Partei »Volksfront – Für Russland« (ehemals »Allrussische Volksfront« – russ. Abk.: »ONF«) eine breite Koalition herzustellen.

In der gegenwärtigen Situation ist in dem Aufbau der »Volksfront« ein Mittel zu sehen, die regionalen Eliten um Wladimir Putin persönlich zu scharen und dessen Status eines überparteilichen Führers wiederherzustellen. Gleichzeitig wird unter den neuen Parteien auf dem liberalen Flügel des politischen Spektrums die »Bürgerplattform«, die Partei Michail Prochorows, immer deutlicher wahrnehmbar; sie wird für die regionalen Eliten zunehmend zur »Partei der zweiten Wahl«. In dieser Nische konkurriert diese Partei mit der Partei »Gerechtes Russland«.

Die Bürgerplattform versammelt zunehmend ernstzunehmende Akteure um sich (vor allem aus den Reihen politisierter Unternehmer), die bei »Einiges Russland« keinen Platz für sich sehen. Die jungen Parteiprojekte stehen jedoch erst am Anfang ihres Weges, und es braucht mehr als eine Wahl, bei gleichbleibenden Spielregeln im Bereich der politischen Parteien, damit das Parteiensystem in Russland tatsächlich einen realen Wettbewerbscharakter erhält.

III. Registrierung der Kandidaten

Der Ausgang der Registrierung der Kandidaten für die Wahlen am 8. September zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die Regierung versucht, zwischen demonstrierter Legitimität der Wahlen und der Angst vor Kontrollverlust in Bezug auf eben diese Wahlen zu lavieren.

Sobald sich in einer Reihe von Regionen eine mögliche Verschlechterung der Wahlergebnisse von Vertretern des Regimes deutlich abzeichnete, wurden Überlegungen fallengelassen, die Legitimität der Wahlen in der Gesellschaft zu erhöhen; stattdessen wurde begonnen, Vertreter der Opposition massenhaft nicht zu den Wahlen zuzulassen.

Auf Grund des Ausgangs der Registrierung der Parteilisten und Kandidaten lassen sich die Regionen Russlands in vier große Gruppen teilen:

Die erste Gruppe ist durch Minimierung von Skandalen bei der Registrierung und sogar die Bereitschaft der Behörden gekennzeichnet, demonstrativ eine Registrierung der prominentesten Listen und Kandidaten oppositioneller Ausrichtung zu fördern.

Zu dieser Gruppe gehören die Bürgermeisterwahlen in Moskau und die Gouverneurswahlen im Moskauer Gebiet. Auch bei den Wahlen zu den Regionalparlamenten in Burjatien und Kalmykien sowie in den Gebieten Archangelsk, Smolensk und Uljanowsk und bei den Wahlen des Bürgermeisters und zur Stadtduma in Jekaterinburg sind alle oder fast alle nominierten Parteilisten registriert worden.

Die zweite Gruppe besteht aus den Regionen, in denen die Registrierung von gehörigen Skandalen begleitet war, und populäre Kandidaten oder Parteilisten sowie wichtige Oppositionspolitiker unter zweifelhaften Vorwänden oder zweifelhaften Umständen nicht zugelassen wurden Der größte Skandal entwickelte sich bei den Wahlen in die Gebietsduma Jaroslawl, wo die Registrierung der Liste einer in der Wahlkampagne aussichtsreichen Partei, der »Bürgerplattform« mit dem verhafteten Bürgermeister von Jaroslawl, Jewgenij Urlaschow, an der Spitze unter zweifelhaften Vorwänden verweigert wurde.

Eine Vielzahl von Skandalen wurde bei den Wahlen zur Stadtduma von Rjasan, zum Obersten Sowjet in Chakassien und zur Stadtduma von Abakan festgestellt. Eine beträchtliche Zahl von verweigerten Registrierungen wurde bei den Wahlen zur Stadtduma von Tjumen festgestellt.

Die dritte Gruppe stellt eine Zwischenvariante dieser beiden Strategien dar. In diesen Regionen wurden einerseits alle führenden Listen und Kandidaten registriert, andererseits sind unter den Listenkandidaten und/oder Kandidaten, die von einer Partei in den Direktwahlkreisen nominiert wurden, eine Reihe wichtiger und recht aussichtsreicher Kandidaten ausgeschlossen worden. Dies schwächte erheblich die betroffenen Listen und verringerte ihre Wahlchancen. Außerdem könnte es die Parteiorganisation demotivieren und deren Wahlkampf desorganisieren.

Diese Strategie wurde bei den Wahlen zur Gesetzgebenden Versammlung des Gebiets Wladimir und der Staatsversammlung von Jakutien festgestellt. Bei den Wahlen zur Stadtduma in Rjasan wurde diese Strategie mit der unter der zweiten Gruppe genannten Strategie kombiniert. Im Gebiet Iwanowo hat das Gericht des Oktjabrskij-Bezirks D. Siganow, die Nummer 2 auf der Kandidatenliste der Partei »Bürgerplattform« für die Wahlen zur Gebietsduma bis zum 12. September unter Hausarrest gesetzt.

Die vierte Gruppe besteht aus den Regionen, in denen eine extreme elektorale Lenkbarkeit herrscht, und in denen die formale Zahl der registrierten Kandidaten praktisch keinerlei Einfluss auf die Wahlergebnisse und deren mathematische Korrektheit hat (Tschetschenische Republik, Gebiet Kemerowo).

Somit gerieten formale politische Erklärungen, die wirklich freie und von Wettbewerb geprägte Wahlen als notwendig deklarierten, in einen bestimmten Widerspruch zur politischen Praxis. Diese Wahrnehmung wird durch die merkwürdigen Ergebnisse der Verlosung der Plätze auf den Stimmzetteln für die Regionalwahlen verstärkt. Hierbei gelangte »Einiges Russland« entgegen aller Regeln mathematischer Wahrscheinlichkeit in einem beträchtlichen Teil der Fälle an die erste Stelle auf dem Wahlzettel.

Nach Ansicht von Experten kann der erste Platz auf dem Stimmzettel den Parteien einen Bonus unter unentschlossenen oder orientierungsschwachen Wählern bringen. Unter den neuen Bedingungen könnte die ungleichmäßige Verteilung der ersten Plätze auf den Stimmzetteln noch gravierender sein als 2006–2011, da die Anzahl der Parteien auf den Stimmzetteln drastisch zugenommen hat, und damit das Risiko, dass sich der Wähler vertut oder zufällig sein Kreuzchen macht.

Der offensichtliche Widerspruch zwischen den Verlosungsergebnissen und dem gesunden Menschenverstand lässt Zweifel an der Neutralität der Wahlkommissionen aufkommen und könnte ein Signal psychologischer Vorbereitung auf mögliche, gefährlichere Verstöße bei der Abstimmung und bei der Stimmauszählung sein.

Ergebnisse der Kandidatenregistrierung bei den Wahlen zum Oberhaupt einer Region

Der Prozess der Registrierung der Kandidaten für das Amt des Oberhaupts einer Region ist höchst kompliziert. Es besteht die Notwendigkeit, Unterschriften von Leitern der Kommunalverwaltungen sowie von Abgeordneten der kommunalen Räte zu sammeln (der so genannte »kommunale Filter«). Zugleich kann ein Abgeordneter nur zugunsten eines einzigen Kandidaten seine Unterschrift geben. Dabei sind die Amtsleiter der Kommunen und Abgeordneten der Kommunalräte entweder Mitglieder der Partei »Einiges Russland« oder sie sind abhängig von den übergeordneten Verwaltungsstrukturen. Das versetzt die oppositionellen Kandidaten in eine ungünstige Lage.

Ohne administrative Unterstützung bei der eigenständigen Sammlung der Unterschriften der Kommunalabgeordneten ist ein Scheitern des Registrierungsversuchs praktisch garantiert. Damit ein Kandidat nicht registriert wird, braucht die Regierung diesen nicht einmal zu behindern; es reicht, ihm einfach nicht zu helfen.

Genau dies geschah mit G. Fetissow in Moskau und dem Moskauer Gebiet (Allianz der Grünen – Volkspartei), O. Iwanow (RPR-PARNAS) in Chakassien, A. Koscheljow in der Transbaikal-Region und A. Filippow im Gebiet Wladimir (beide von der »Bürgerplattform«), die beide im Verlauf der Unterschriftensammlung von keiner administrativen Unterstützung Gebrauch machen konnten. Im Ergebnis wurden Koscheljow und Filippow nicht registriert, obwohl sie die erforderlichen Unterschriften gesammelt haben, weil es das Verfahren der Unterschriftensammlung einem Kandidaten beispielsweise nicht erlaubt, im Voraus festzustellen, ob ein bestimmter Abgeordneter bereits für einen anderen Kandidaten unterschrieben hat.

Gleichzeitig hatten sich auf einer Sitzung der Zentralen Wahlkommission (ZWK) am 7. August 2013 der stellvertretende Vorsitzende der ZWK L. Iwlew und die Leiter der Wahlkommissionen des Moskauer Gebietes und der Stadt Moskau, I. Wildanow und W. Gorbunow, in dem Zusammenhang dahingehend geäußert, dass »der kommunale Filter seine Effizienz bewiesen hat«.

Die Registrierung der Kandidaten für den Posten der Regionsoberhäupter (Gouverneure) macht durch die Praxis den Umstand deutlich, dass der »kommunale Filter« die oppositionellen Kandidaten dazu zwingt, eine Erlaubnis der »Partei der Macht« einzuholen.

Das geschieht vor dem Hintergrund weiterer Verbotsvorschriften in der Gesetzgebung zur Wahl der Regionsoberhäupter (Verbot der Eigennominierung, Verbot für Parteien, Mitglieder anderer Parteien zu nominieren, Verbot für Abgeordnete, mit ihrer Unterschrift mehrere Kandidaten zu unterstützen).

Registrierung der Parteilisten für die Wahlen zu den Regionalparlamenten

Insgesamt wurden 306 Kandidatenlisten nominiert (19,1 pro Region). Registriert wurden 278 Listen (durchschnittlich 17,38 Listen pro Region).

Vergleicht man die durchschnittliche Zahl der an den Wahlen teilnehmenden Parteien vom 14. Oktober 2012 (13,17 Listen pro Region) mit der von den Wahlen vom 8. September 2013, hat der Wettbewerb formal gewachsen.

Dabei ist hervorzuheben, dass die Zunahme dieses formalen Wettbewerbs vor allem technischer Art ist.

So ist die Methode, in den Regionen praktisch identisch besetzte Parteilisten zu nominieren, bei denen die meisten der Kandidaten, wenn nicht gar alle, keine Beziehung zur betreffenden Region haben, dazu geeignet, die Existenz von Kandidaten auf den Stimmzetteln (die in Wirklichkeit keinen eigenen Wahlkampf führen) endlos zu vervielfältigen.

Diese Existenz auf dem Stimmzettel hat in der Regel das Ziel, lediglich seine Teilnahme zu dokumentieren, doch verwirrt das die Wähler und raubt praktisch den real teilnehmenden Parteien Wählerstimmen.

Diese Methode setzen vor allem Parteien des »Bogdanow-Pools« ein, die eng mit dem »Andrej-Bogdanow-Zentrum« verbunden sind: Demokratische Partei Russlands (DPR), die Kommunistische Partei für Soziale Gerechtigkeit (KPSS), die sozialdemokratische SDPR, Volkspartei Russlands (NPR), »Union der Städter«, »Bürgerliche Position« und »Heimatland«. Eine analoge Methode wird mittlerweile auch von der Partei »Bürgerkraft« eingesetzt.

Diese acht Parteien haben insgesamt 83 Listen aufgestellt; 81 davon sind registriert worden (verweigert wurde die Registrierung nur bei der »Bürgerkraft«).

Dabei bestehen die Listen der Parteien des »Bogdanow-Pools« fast überall aus denselben Kandidaten, die gewöhnlich nicht in den Regionen wohnen, in denen sie nominiert werden. Die entsprechenden Unterlagen werden gleichzeitig und oft durch dieselben Bevollmächtigten eingereicht. Nichtsdestotrotz werden diese Parteilisten ohne Schwierigkeiten registriert.

Was die Verweigerung einer Beglaubigung und Registrierung bei anderen Parteien betrifft, so zeigt eine Analyse der Beschlüsse der Wahlkommissionen, dass die meisten Fälle auf Beanstandungen der Unterlagen zurückzuführen sind. Ein beträchtlicher Teil der Verweigerungen ist auf überhöhte Vorgaben in den regionalen Gesetzen hinsichtlich der Mindestzahl an Kandidaten in den Listen und der Mindestzahl der Kreis- und Ortsgruppen zurückzuführen. Dadurch sind die Parteien gezwungen, eine bewusst überhöhte Anzahl an Kandidaten aufzustellen und Gefahr zu laufen, von den Wahlen ausgeschlossen zu werden, wenn ein Teil der Kandidaten abspringt.

Registrierung der Kandidaten für die Direktwahlkreise bei den Wahlen zu den Regionalparlamenten

Den Angaben aus der Tabelle auf der Website der ZWK mit Stand vom 8. August zufolge sind in 378 Direktwahlkreisen bei den wichtigsten Regionalwahlen 2964 Kandidaten nominiert worden (7,9 Kandidaten pro Mandat). Von Parteien sind 2479 Kandidaten nominiert worden, 485 Kandidaten haben sich eigenständig nominiert (1,3 Kandidaten pro Mandat). Wir heben hervor, dass »Einiges Russland« die meisten Kandidaten nominiert hat (371), wobei bis zum 8. August 366 Kandidaten registriert wurden. Mit anderen Worten, diese Partei hat fast alle Direktwahlkreise »abgedeckt«.

Mit Stand vom 10. August wurden 2562 Kandidaten, darunter 2314 durch Parteien und 248 durch Eigennominierung, registriert. Insgesamt betrug der Anteil der bei der Registrierung »ausgesiebten« Kandidaten 13 %, unter den Parteinominierungen waren es 6 %; und unter den eigenständigen Nominierungen wurden 49 % ausgesiebt.

Diese Zahlen bestätigen nur die frühere Schlussfolgerung, dass dieses hohe Niveau der »Aussiebung« nicht auf die hohe Zahl der erforderlichen Unterschriften zurückzuführen ist, sondern auf die drakonischen Vorschriften zu ihrer Prüfung und zur Festlegung der Fehlerquote.

Zur Vorbereitung dieses Berichts wurden folgende Quellen verwendet: Artikel von A. Buzin (www.votas.ru), Autorenbeiträge und Publikationen von A. Kynev und A. Lubarev sowie Berichte des Komitees der Bürgerinitiativen (http://komitetgi.ru/analytics/) Redaktion: L. Shibanova (Vorsitzende von GOLOS)

Übersetzung: Hartmut Schröder

Ausgabe Nr. 2. Der Wahlkampf

Die Bewegung für den Schutz der Wählerrechte GOLOS stellt ihren zweiten Überblicksbericht der Wahlen in Russland vor, die für den 8. September 2013 angesetzt wurden. Der Überblick umfasst Materialien von Aktivisten und Experten von GOLOS sowie Expertenberichte und Analysen aus öffentlich zugänglichen Quellen.

I. Zusammenfassung

Die Zentrale Wahlkommission (ZWK) der Russischen Föderation hat in einer Reihe von Fällen Beschlüsse, durch die die Beglaubigung und Registrierung von Parteilisten und Kandidaten für die Regionalwahlen verweigert wurde, wieder aufgehoben. Diese Fälle stellen jedoch nur einen geringen Teil der Fälle dar, in denen Parteien oder Kandidaten nicht zugelassen wurden.

Der politisch bedeutsamsten Beschwerde, nämlich die auf Wiederherstellung der Registrierung der Parteiliste der Partei »Bürgerplattform« für die Wahlen zur Gebietsduma im Gebiet Jaroslawl, ist nicht stattgegeben worden. Zudem hat die Wahlkommission von Chakassien die Registrierungsunterlagen von »RPR-PARNAS« abgelehnt.

Die Wahlen der Oberhäupter in den wichtigsten Kommunen bleibt einer der problematischsten Bereiche bei Wahlen in Russland. Die »Aussiebe«-Rate in der Registrierungsphase für Bürgermeisterkandidaten betrug 21 %, und unter den eigenständig nominierten Kandidaten 70 %.

In der Wahlkampfphase wird offensichtlich auf eine niedrige Wahlbeteiligung gesetzt. Das ermöglicht es, vor allem administrativ abhängige Wählergruppen zu mobilisieren und dabei Methoden zur Diskreditierung alternativer Parteien und Kandidaten einzusetzen.

Im Verlauf des Beobachtungszeitraums sind Fälle von vorzeitigem Wahlkampf festgestellt worden: Ein beträchtlicher Teil des Wahlkampfes fand bereits vor Beginn der offiziellen Wahlkampfzeit und außerhalb des rechtlichen Rahmens statt, der durch die Wahlgesetzgebung abgesteckt ist.

Die Hauptstrategie der Kandidaten, die die derzeitige Regierung repräsentieren, sieht wie folgt aus: Es erfolgt vorzeitige und indirekte Wahlwerbung in Form einer Berichterstattung über die berufliche Tätigkeit der Kandidaten.

Die massive indirekte Wahlwerbung wird von einer weitgehenden Reduzierung der formalen Wahlwerbung begleitet, sowie von immer häufigeren Fällen, dass Medien sich weigern, Kandidaten oder Parteien entgeltliche oder auch unentgeltliche Sendezeit oder Anzeigenspalten zur Verfügung zu stellen.

II. Beschwerden und Revisionen in Bezug auf die Registrierung von Parteilisten und Kandidaten

In einer Reihe von Fällen hat die Zentrale Wahlkommission Beschlüsse nachgeordneter Wahlkommissionen über eine Nichtbeglaubigung und Nichtregistrierung von Parteilisten oder Kandidaten für die Regionalwahlen aufgehoben. Dies betrifft jedoch nur einen geringen Teil der Fälle, in denen Parteien oder Kandidaten nicht zugelassen wurden.

Bei einer Reihe von Einzelkandidaten sind ebenfalls gesonderte Beschlüsse der ZWK ergangen, durch die Entscheidungen der regionalen Wahlkommissionen im Moskauer Gebiet, in der Region Krasnojarsk, im Gebiet Nowosibirsk und in der Republik Dagestan aufgehoben wurden.

Beschlüsse der ZWK wurden jedoch nicht immer von den nachgeordneten Wahlkommissionen umgesetzt. So hat die ZWK die Beschlüsse der Wahlkommissionen der Republik Chakassien und des Gebietes Rjasan aufgehoben und diese angewiesen, die Unterlagen der Partei »RPR-PARNAS« anzuerkennen. Die Wahlkommission von Chakassien hat jedoch zum dritten Mal die Registrierungsunterlagen von »RPR-PARNAS« abgelehnt.

Es ist festzustellen, dass zum einen viele Wahlteilnehmer sich nicht an die ZWK, sondern an Gerichte wenden, und dass die Gerichte bei der Verhandlung der Beschwerden von Kandidaten oder Parteien fast immer auf der Seite der Wahlkommissionen stehen; darüber hinaus ist parallel zur wiederhergestellten Registrierung eines Teils der Kandidaten und Parteilisten eine sehr viel größere Zahl von Kandidaten und Parteilisten aus den Wahlen ausgeschieden (sowohl auf Grund persönlicher Erklärungen, als auch in einer beträchtlichen Zahl von Fällen durch eine gerichtliche Aufhebung des Registrierungsbeschlusses).

Der politisch wichtigsten Beschwerde in Bezug auf eine Registrierung bei den Regionalwahlen – eingereicht von der Partei »Bürgerplattform« – ist nicht stattgegeben worden. Gerade diese Liste mit dem vorübergehend aus dem Amt entfernten Jaroslawler Bürgermeister Je. Urlaschow an der Spitze hatte bei den Wahlen zur Gebietsduma Jaroslawl von den Listen der neu teilnehmenden Parteien die größten Erfolgsaussichten bei den bevorstehenden Regionalwahlen. In der Region ist nicht nur die Registrierung der Kandidatenliste der »Bürgerplattform« nicht wiederhergestellt worden, sondern es sind gegen Ende der Wahlkampfzeit zunehmend Schlüsselkandidaten dieser Partei in den Direktwahlkreisen aus dem Rennen genommen worden.

Bei den Wahlen zur Staatsversammlung der Republik Sacha (Jakutien) ist die Registrierung der Liste der Agrarpartei Russlands widerrufen worden. Im Gebiet Rjasan hat das Gebietsgericht am 14. August der Partei »Rodina« [dt.: »Heimat«] und der »Allianz der Grünen« die Wiederherstellung der Registrierung ihrer Kandidaten bei den Wahlen zur Stadtduma Rjasan verweigert. Am 16. August hat das Gebietsgericht Rjasan der Partei »Jabloko« die Wiederherstellung der Registrierung der Parteiliste für die Wahlen zum Stadtrat von Skopin verweigert. Das Gebietsgericht Wladimir hat den Beschluss der Gebietswahlkommission über die Registrierung des Vertreters der KPRF und Mitglieds des Föderationsrates Alexandr Sinjagin aufgehoben.

Diese Liste ließe sich durch die meisten Regionen fortführen.

Auf der kommunalen Ebene stellt sich das Bild der Registrierung der Bürgermeisterkandidaten noch bedrückender dar: Die »Aussiebe«-Rate in der Phase der Kandidatenregistrierung betrug 21 %, und unter den eigenständig nominierten Kandidaten 70 %.

Es kann konstatiert werden, dass gerade die Wahlen der Oberhäupter der wichtigsten Kommunen einer der problematischsten Bereiche bei Wahlen in Russland bleiben.

Je schwächer die Position der derzeitigen Stadtregierung ist, desto stärker lassen sich eine Tendenz zur Manipulierung der Wahlen beobachten, sowie Versuche, politische Opponenten nicht zur Wahl zuzulassen. Dabei unterscheidet sich die Situation in den einzelnen Regionen beträchtlich. So sind in Abakan alle Kandidaten registriert worden (allerdings gab es dort von Anfang an weniger Kandidaten als anderswo, und die Position des derzeitigen Stadtoberhauptes ist von Beginn an stark gewesen). In Wladiwostok und Welikij Nowgorod betrug die Aussieberate 30–31 %, wobei in Wladiwostok (wie auch in Wologda, Woronesch und Jekaterinburg) kein einziger eigenständig nominierter Kandidat registriert worden ist.

III. Besonderheiten des Wahlkampfes

Es muss festgestellt werden, dass in einer Reihe von Regionen offensichtlich auf eine niedrige Wahlbeteiligung gesetzt wird. Das ermöglicht es, vor allem administrativ abhängige Wählergruppen zu mobilisieren und dabei Methoden zur Diskreditierung alternativer Parteien und Kandidaten einzusetzen. Diese Strategie führt dazu, dass in der gesellschaftlichen Wahrnehmung die Legitimität der gewählten Staatsorgane sinkt, was hinsichtlich der langfristigen politischen Folgen höchst gefährlich ist.

Gleichzeitig bleibt eine beträchtliche Differenzierung der Wahlkampfaktivität über die Regionen bestehen, je nach dem realen Wettbewerbscharakter bei den betreffenden Wahlen.

So ist praktisch während des gesamten Beobachtungszeitraumes bei den Regionalwahlen in Chakassien und in der Region Chabarowsk sowie bei den Kommunalwahlen in Kysyl, Majkop eine minimale Wahlkampftätigkeit (den indirekten Wahlkampf hier ausgenommen) festzustellen gewesen. Die aktivsten Wahlkämpfe wurden in den Gebieten Archangelsk, Wladimir, Irkutsk, Smolensk und Jaroslawl sowie in der Transbaikal-Region, in Burjatien, in Moskau und in Jekaterinburg registriert. Die Experten stellen fest, dass die Bürgermeisterwahlen in Moskau und die Gouverneurswahlen im Moskauer Gebiet den größten Wettbewerbscharakter aufweisen.

Vorzeitiger Wahlkampf

In vielen Regionen hat hierdurch bereits im März und April verstärkt ein faktischer Wahlkampf eingesetzt, wobei die Wahlkampftätigkeit bis zum Juli erheblich schwächer wurde. Dadurch erfolgte ein wesentlicher Teil des Wahlkampfes bereits vor dessen offiziellen Beginn und außerhalb des rechtlichen Rahmens, der von der Wahlgesetzgebung gesteckt ist. Anschließend folgte in den meisten Regionen beim Wahlkampf Windstille (Ende Juni und im Juli). Eine neuerliche Verstärkung der Wahlkampfaktivitäten setzte in den Regionen ungefähr seit der zweiten Hälfte des Monats August mit dem Näherrücken des Wahltags ein.

Der vorzeitige Wahlkampf war sehr weit verbreitet und hatte mehrere Ziele: Zum einen handelt es sich um einen Kampf innerhalb der politischen Parteien um den Anspruch auf Parteinominierungen, was den Siegern beträchtliche administrative Ressourcen einbringt.

So sind etwa in Jakutien vor Beginn der Wahlzeit praktisch alle Sieger der parteiinternen Ausscheidungen von »Einiges Russland« mit verschiedenen Slogans auf den Werbeflächen aufgetaucht: »Jeden anhören«, »Eine saubere Stadt beginnt bei dir selbst.« usw. Darüber hinaus hat der »Dienst für Informationen, Werbung und Kontrolle« (der faktisch durch die Bürgermeisterkanzlei kontrolliert wird) formale Verstöße ausfindig gemacht und im Stadtzentrum Orte für Plakatwände beschlagnahmt – und dadurch anderen Kandidaten den Raum für ihre Wahlwerbung genommen.

Die bei den innerparteilichen Ausscheidungen Unterlegenen hatten die Chance, einen neuen politischen Partner zu finden, was sie in vielen Fällen auch taten; oder sie versuchten, sich eigenständig nominieren zu lassen. Im Grunde hat die Partei der Macht einen Wechsel der internen Opposition zu anderen Parteiprojekten selbst erleichtert.

Zum zweiten wurde vorzeitiger Wahlkampf als Konkurrenzmechanismus zwischen potentiellen Kandidaten für Schlüsselposten in der Regierung eingesetzt, um die ein persönlicher Kampf im Gange ist – während der Gouverneurs- und Bürgermeisterwahlen –, und bei dem die Wahlaussichten eines Kandidaten und seine Wählbarkeit eine gewichtiges Argument sein konnten.

Drittens führten eine Reihe von Parteien und Kandidaten ganz unabhängig hiervon einen vorzeitigen Wahlkampf, ob sie zur Wahl stehen werden, oder nicht. In erster Linie galt das für Oppositionsparteien und -kandidaten, die in jedem Fall einen Wahlkampf führen wollen. Sie kämpften bereits nicht mehr um einen Listenplatz oder um eine Förderung im Zentrum des Landes, sondern zuallererst und eigentlich um Wählerstimmen.

Eine weitere Besonderheit dieser Wahlen besteht in dem verstärkten Einsatz neuer Wahlkampfinstrumente, die auf einer Nutzung des Internet und der sozialen Netzwerke beruhen. Das betrifft sowohl den Einsatz elektronischer Bezahlsysteme bei der Einwerbung von Spenden für einen Kandidaten, als auch die Wahlkampfkampagnen selbst, bei denen die informationelle und organisatorische Rolle der elektronischen Kommunikationsmittel zunimmt, und wo die Kampagnen dann über Meinungsführer in der Gesellschaft an weniger informierte Bevölkerungsteile weitervermittelt werden. Dieser Prozess wird nicht nur in den Megastädten immer deutlicher spürbar, sondern auch in vielen anderen wichtigen Städten (Irkutsk, Jekaterinburg, Wolgograd usw.); seine Bedeutung für Wahlen wird weiter zunehmen.

Indirekter Wahlkampf

Eine weiterhin stabile Basistechnologie vor allem seitens der Kandidaten, die die derzeit Regierenden repräsentieren, ist der indirekte Wahlkampf unter dem Anschein einer Berichterstattung über die berufliche Tätigkeit der Kandidaten.

Hierzu gehören auch Informationen (faktisch Wahleerbung) über Initiativen und Projekte, die im Zusammenhang mit der Partei der Macht stehen, sowie Versuche, jedwede Tätigkeit der Staatsorgane, der kommunalen Dienste und sogar der Wirtschaft als Verdienste von »Einiges Russland« darzustellen. Dabei veranstalten Vertreter der Bürokratie – vorgeblich als Teil ihrer beruflichen Tätigkeit – verstärkt Treffen mit Wählern, unter anderem in staatlichen Unternehmen und Bildungseinrichtungen, während ihre Opponenten eine solche Möglichkeit nicht haben.

Oft wird der massive indirekte Wahlkampf von einer Minimierung des formellen Wahlkampfes und immer häufigeren Fällen begleitet, dass Medien sich weigern, Kandidaten und Parteien entgeltliche oder unentgeltliche Sendezeit oder Anzeigespalten zur Verfügung zu stellen.

Das Ergebnis war, dass in den populärsten und verbreitungsstärksten Medien formal keine der Parteien und Kandidaten Anzeigenspalten oder Sendezeit erhalten, während in den gleichen Medien ein massiver indirekter Wahlkampf für Kandidaten und Parteien erfolgt, die von der Regierung unterstützt werden (ein drastisches Beispiel ist die formale Wahlkampfenthaltung des Fernsehsenders TVZ, während die Debatten der Bürgermeisterkandidaten auf Sendern stattfanden, die sehr viel weniger Zuschauer erreichen, nämlich den Sendern »Moskwa 24« und »Dowerije«).

Faktische Wahlwerbung wird auch durch ständige Berichte über die laufende Tätigkeit von Vertretern der Exekutive betrieben, die ständig in durch die Medien veröffentlichten Berichten bei Besuchen städtischer Betriebe auftauchen. In Wirklichkeit wird über diese Treffen mit den Bürgern der Stadt regelmäßig Wahlkampf gemacht.

Neben der Dominanz in den Medien werden Treffen mit Ärzten, Pädagogen, Polizisten, Veteranen, Bibliothekaren usw. veranstaltet. Wer an diesen Veranstaltungen teilnimmt, stellt meist fest, dass die Treffen deutlich Wahlkampfcharakter haben.

Verstärkt wurden in diesem Wahlkampf »Spoiler«-Technologien eingesetzt, wo bei den Wahlen Parteien mit zum Verwechseln ähnlichen Namen antreten und Kandidaten mit gleichem Nachnamen aufgestellt werden, um die Wählerstimmen zu streuen.

Es ist festzustellen, dass es im Vergleich zu früheren Jahren bei diesen Wahlen sehr viel weniger zu heftigen öffentlichen Skandalen gekommen ist, die im Zusammenhang mit direktem Druck auf Kandidaten, Wähler oder Medien standen.

Dennoch wurden in einer Reihe von Regionen Zwischenfälle festgestellt, bei denen die Wahlkamptätigkeit von Parteien und Kanidaten behindert wurde:

So ist in der Nacht vom 19. auf den 20. August in Wologda die Polizei überraschend im Wahlkampfstab des Bürgermeisterkandidaten Alexandr Lukitschew (»Bürgerplattform«) aufgetaucht und hat die gesamte Auflage des Wahlkampfnewsletters konfisziert. Im Gebiet Uljanowsk haben sich dreizehn Werbeagenturen geweigert, Wahlwerbung der KPRF zu platzieren.»Im Gebiet Jaroslawl sind viele Fälle festgestellt worden, in denen Werbebanner einzelner Kandidaten und Vereinigungen beschädigt wurden. Zuerst wurden in der Stadt Banner von »Gerechtes Russland« beschädigt. Dann geschah das gleiche mit der Werbung des Kandidaten der »Bürgerplattform«. Der Kandidat der »Bürgerplattform« Oleg Winogradow hat zudem mitgeteilt, dass seine Werbetafeln »abgesägt« werden«, schreiben Experten. Von einem »Absägen« von Werbetafeln und einem Abreißen von Plakaten wird auch in der Partei »Patrioten Russlands« berichtet. Von einer verweigerten Platzierung von Werbung auf Werbetafeln berichtet der mittlerweile aus den Wahlen ausgeschiedene Pawel Fadejitschew, Mitglied von »Einiges Russland« und eigenständig nominierter Kandidat.Der Wahlkampfstab des Gouverneurskandidaten im Moskauer Gebiet Gennadij Gudkow hat Anfang Juli mitgeteilt, dass die Gebietswahlkommission die Verteilung von Wahlwerbung im Zeitungsformat wegen einer Karikatur untersagt hat, weil in dieser angeblich der Finanzminister Moskauer Gebiets auszumachen war.

Eine wichtige Rolle bei den Wahlen spielt die Technologie, dass die Aufmerksamkeit dadurch vom negativen Erscheinungsbild einer Partei (in erster Linie der »Partei der Macht«) abgelenkt wird, dass im Laufe der Wahlen politische Platzhalter eingesetzt werden, in deren Namen für die Partei der Macht Wahlkampf betrieben wird (angefangen von kurzlebigen gesellschaftlichen Bewegungen bis hin zu Kampagnen von verschiedenen Initiativen).

So setzen die meisten Kandidaten der Parteien eigene anstelle der Parteislogans ein und vermeiden den Einsatz von Parteisymbolen. Das gilt für einen beträchtlichen Teil der Wahlkämpfe von »Einiges Russland«, unter anderem bei fast allen Gouverneurswahlen; es gilt aber auch für den Wahlkampf von Alexej Nawalnyj, bei dem die Partei »RPR-PARNAS«, die ihn nominiert hat, praktisch nicht erwähnt wird.

Dieser Umstand illustriert in beträchtlichem Maße den künstlichen Charakter des Parteiensystems, das im Lande geschaffen wurde, und auch, dass die Präferenzen bei der Registrierung von Kandidaten politischer Parteien unbegründet sind. In Wirklichkeit ist der politische Wettbewerb bei den Regional- und Kommunalwahlen – besonders bei den Wahlen für ein Amt und im Wahlkreis – in erster Linie ein persönlicher.

Zur Vorbereitung dieses Berichts wurden folgende Quellen verwendet: Autorenbeiträge und Publikationen von A. Kynev sowie Berichte des Komitees der Bürgerinitiativen (http://komitetgi.ru/analytics/) Redaktion: L. Shibanova (Vorsitzende von GOLOS)

Übersetzung: Hartmut Schröder


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