Belarus-Analysen

Ausgabe 60 (20.05.2022) — DOI: 10.31205/BA.060.02, S. 10–12

Die »belarusische« Propaganda in der Berichterstattung über den russisch-ukrainischen Krieg

Von Andrei Yeliseyeu (EAST Centre – Eurasian States in Transition Research Center, Warschau)

Zusammenfassung
Die »belarusischen staatlichen Medien« können nur dem Namen nach als solche gelten. Mehr als anderthalb Jahre schon folgen sie Tag für Tag der Medienagenda Russlands und verbreiten die unglaublichsten Verschwörungstheorien, unter anderem über den russisch-ukrainischen Krieg. So vermeiden sie beispielsweise das Wort »Krieg« und sprechen von einer »militärischen Spezialoperation«, beschuldigen den Westen, dass dieser ihn angezettelt habe und zudem russischsprachige Residenten und Menschen mit russischer Staatsangehörigkeit stark diskriminiert würden. Die ukrainische Regierung wird als nazistisch bezeichnet und es werden Verschwörungstheorien darüber verbreitet, dass Kyjiw angeblich atomare und biologische Waffen entwickele.

Die »belarusichen staatlichen Medien« sind eine großangelegte Fiktion

Der Schriftsteller und Philosoph Voltaire hat sarkastisch angemerkt, dass das Heilige Römische Reich [Deutscher Nation] längst »weder heilig noch römisch, noch ein Reich« sei. Paraphrasiert man diesen Ausspruch Voltaires hinsichtlich der belarusischen staatlichen Medien, so sind diese schon längst weder belarusisch noch staatlich, noch Medien. In Wirklichkeit sind es mit der russischen Propaganda abgestimmte Medien, die nur dem Namen nach »belarusisch« sind.

Die informationelle, politische und finanzielle Unterstützung Moskaus hat es Aljaksandr Lukaschenka ermöglicht, die weitreichendsten Repressionen zu veranstalten, die es im vergangenen halben Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent gegeben hat, um nach den gefälschten Wahlen vom August 2020 mit Hilfe roher Gewalt an der Macht zu bleiben.

Belarus hat im Medienbereich innerhalb weniger Wochen nach den historischen Wahlen von 2020 seine Souveränität verloren. Eine Gruppe von »Medienfachleuten« aus Russland trat an die Stelle der Mitarbeiter:innen belarusischer Staatsmedien, die gestreikt hatten. Bereits im September 2020 war die gesamte mediale Agenda der »belarusischen Staatsmedien« sowohl bei innenpolitischen Themen wie auch in Bezug auf das internationale Geschehen kaum noch von der des Kreml zu unterscheiden. Im November 2021 verpflichtete sich Minsk durch die Unterzeichnung eines neuen Integrationspakts mit Russland dazu, praktisch sämtliche seiner Gesetze an russische Normen anzupassen. Nach dem massiven Aufmarsch russische Truppen auf belarusischem Territorium dann sprach eine Reihe von Experten von einer de facto erfolgten Besetzung des Landes. Somit hätte Lukaschenka die Hilfe des Kreml mit dem Verlust der staatlichen Souveränität von Belarus bezahlt.

Sieben zentrale Postulate der Propaganda

Vor dem Hintergrund des soeben Skizzierten ist es nur logisch und unvermeidlich, dass die »belarusischen Staatsmedien« der offiziellen russischen Medienagenda folgen. Insbesondere hinsichtlich der Berichterstattung über den russisch-ukrainischen Krieg lassen sich sieben zentrale Thesen unterscheiden:

1. Es gibt keinen Krieg, sondern lediglich eine legitime »militärische Spezialoperation«. Belarus ist hier lediglich zum Schutz des russischen Hinterlands beteiligt (Die Nutzung belarusischen Territoriums und seiner Infrastruktur durch die Streitkräfte Russlands werden verschwiegen).

»Wir haben nicht vor, uns in diese Operation verwickeln zu lassen, die Russland in der Ukraine unternimmt […] Unsere Aufgabe ist es – das ist in jedem Kampf sehr wichtig, nicht nur im Krieg –, einem Überfall aus dem Rücken der vorstoßenden russischen Streitkräfte vorzubeugen, das ist es, was wir niemals zulassen dürfen«, erklärte Aljaksandr Lukaschenka am 15. März 2022 (https://youtu.be/49xle70dpAs?t=642)

2. Die ukrainische Regierung folgt einer »nazistischen« Ideologie und verübt Kriegsverbrechen. Die russische Seite befreit die Zivilbevölkerung der Ukraine. Diese (und zwar insbesondere die russischsprachigen Einwohner) wurde erniedrigt und diskriminiert.

In einer Reportage des Fernsehsenders ONT vom 1. März 2022 wurde die Bombardierung des Stadtzentrums von Charkiw als »eine weitere Provokation der Nazi-Kämpfer« bezeichnet (https://youtu.be/-g2QiYrIKdM?t=450).

Der ehemalige Botschafter Russlands in Belarus, Dmitrij Mesenzew, erklärte am 27. Februar 2022 in einem Interview für den Fernsehsender Belarus1: »Präsident Putin hat es sehr deutlich gesagt: Man hat uns keine andere Wahl gelassen. Und sich vorzustellen, wie sich Millionen Menschen fühlen, die plötzlich zu Angehörigen einer gewissen Nationalität wurden, wie sich etwa auch ältere Menschen fühlen, die nicht in die Poliklinik gehen können, wenn sie die Sprache nicht sprechen, die zur Staatssprache erklärt wurde […], und die sich keinen Laib Brot kaufen können, weil sie die Verkäuferin in diesem oder jenem Geschäft nicht auf Russisch ansprechen können« (https://youtu.be/lk_hbirSZJ8?t=378).

3. Den militärische Konflikt haben die Ukraine und der Westen provoziert, der die Ukraine praktisch dirigiert.

Das belarusische Fernsehen zeigte Ausschnitte von Lukaschenkas Treffen mit Vertretern der lokalen Sicherheitsorgane am 1. März, bei dem der Präsident den russischen Einmarsch auf das Territorium der Ukraine als einen Präventivschlag bezeichnete: »Wenn das nicht gemacht worden wäre, dann wären diese Raketen gegen [die belarusischen Sädte] Homel und Mosyr geflogen« (https://youtu.be/-FMrxdP-F60?t=656).

»Es ist jetzt schon völlig offensichtlich, dass wenn die militärische Spezialoperation in der Ukraine nicht unternommen worden wäre, dann wäre buchstäblich am nächsten Tag eine Attacke der NATO erfolgt, von Hand der Bandera-Banden und Neonazis. Die russischen Soldaten kamen gerade rechtzeitig. Und sie haben damit Hunderttausende Menschenleben gerettet«, wurde in einer der »Autorensendungen« des Senders Belarus 1 erklärt (https://youtu.be/J72UyO-AqVc?t=340).

4. Die Ukraine hat mit Hilfe der USA und der NATO unter Verletzung internationaler Regeln Atomwaffen gebaut und an der Entwicklung verbotener biologischer Waffen gearbeitet. Es ist nicht auszuschließen, dass die Ukraine an der Verbreitung des Coronavirus schuld ist.

»Es gibt Meldungen, dass die russische Seite im Atomkraftwerk Tschernobyl Belege für militärische Entwicklungsarbeiten entdeckt hat. Das wird derzeit geklärt; es geht um den Bau einer atomaren oder auch nur »schmutzigen« Bombe«, hieß es am 6. März in einer Nachrichtensendung von Belarus 1 (https://youtu.be/RsiM3-6RoLU?t=127).

In einem anderen Beitrag vom 11. März sprach der Sender dann auch von derartigen Arbeiten, die angeblich in Charkiw stattfinden: »Auch heute wurde vom russischen Verteidigungsministerium berichtet, dass es im Physikalisch-Chemischen Institut in Charkow eine Explosion gab. Nach Angaben des Außenministeriums haben die Kämpfer auf diese Weise versucht, die Arbeit an einer schmutzigen Bombe zu verschleiern. Es wurde ein ganzer Komplex zerstört; unter den Ruinen könnten bis zu 50 Personen liegen« (https://youtu.be/2FBWaJqrm_4?t=105).

Der belarusische Fernsehsender ONT verbreitete am 10. März folgende Erklärung eines Sprechers des russischen Verteidigungsministeriums: »Laut Dokumenten hat die amerikanische Seite geplant, 2022 in der Ukraine Arbeiten mit Krankheitserregern von Vögeln, Fledermäusen und Reptilien durchzuführen, um dann zu Untersuchungen überzugehen, wie diese womöglich die afrikanische Schweinepest und Milzbrand übertragen können. In den [von den USA] geschaffenen und finanzierten Biolaboratorien – das wird durch Dokumente belegt – wurden Experimente mit Varianten des Coronavirus von Fledermäusen durchgeführt. Ziel dieser und anderer vom Pentagon finanzierter Forschungen war die Schaffung eines Mechanismus, mit dem heimlich tödliche Krankheitserreger verbreitet werden können« (https://www.youtube.com/watch?v=m0o7arZMLv4&t=380s).

5. Die Ukraine und der Westen führen einen Informationskrieg gegen Russland; es wird viel Geld für die Herstellung von unterschiedlichen Fakes ausgegeben.

»Die Kriegspropaganda der Ukraine [in den sozialen Medien] nimmt zielstrebig immer größere Ausmaße an; es wird aggressive ukrainische Kriegswerbung verbreitet, die mit Mitteln der NATO aufgenommen und platziert wird. Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Werbung den Timecodes nach zu urteilen schon vor Beginn der Kampfhandlungen vorbereitet wurde, im Januar, Februar«, sagte ein russischer Kommentator am 6. März im belarusischen staatlichen Fernsehen (https://youtu.be/wkkhOTT9l5A?t=234).

Dort wurde auch erklärt, dass für die antirussische Medienkampagne allein im Laufe der ersten sechs Tage der Kriegshandlungen 77 Millionen US-Dollar ausgegeben wurden. Unter anderem entspreche der vermeldete Mangel an Bargeld in den Bankautomaten angeblich nicht der Wahrheit und sei ein Fake der ukrainischen Seite, um in Russland »Panik und Chaos zu verbreiten«.

6. Aufgrund der gegen Russland eingeführten Sanktionen durch Länder des Westens untergraben die Länder des Westens ihren eigenen Wohlstand, bringen sich an den Rand einer extremen Krise und sorgen weltweit für Lebensmittelknappheit und Hunger.

»Angesichts des Wirtschaftskrieges und des totalen Sanktionsregimes gibt es keine europäische wirtschaftliche Geschlossenheit mehr. Es wären umgehend Maßnahmen zu deren Wiederherstellung vonnöten, doch ist genau das Gegenteil zu beobachten, nämlich eine Eskalation der Kriegsrhetorik, wie auch Aufrufe, die Verbindungen schärfer und rücksichtsloser zu kappen«, heißt es in einer der Sendungen des Fernsehsenders Belarus 1 vom 7. März 2022 (https://www.youtube.com/watch?v=nzMiYvqTIRQ&t=284s).

Der belarusische Fernsehsender ONT berichtet am 9. März auf folgende Weise von der sozio-ökonomischen Lage in Italien: »Die wirtschaftliche Lage der Italiener verschlechtert sich, unter anderem vor dem Hintergrund des Preisanstiegs bei Lebensmitteln, Heizkosten und Treibstoff an den Tankstellen. Viele Italiener leben in Armut. Über eine Million Italiener haben ihre Arbeit verloren, weil sie sich nicht impfen lassen wollen. Auf den Straßen der Städte stehen die Menschen nach kostenlosem Essen an« (https://www.youtube.com/watch?v=6SfJdbW9LSU&t=860s).

7. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Ukraine werden Bürger:innen Russlands und russischsprachige Einwohner:innen in den Ländern des Westens nun heftigen Diskriminierungen ausgesetzt. Die Situation erinnert an die Lage der jüdischen Bevölkerung in Nazi-Deutschland. Auch die russische Kultur sieht sich Angriffen gegenüber.

Die Haltung in der Europäischen Union gegenüber Bürger:innen Russlands wird in einem der Berichte des Senders Belarus 1 vom 6. März mit der Lage im Nazi-Reich und der Situation in Spanien im 15. Jahrhundert verglichen (https://www.youtube.com/watch?v=oBAvKf61BiU).

In einer anderen Nachrichtensendung wird am gleichen Tag von einer Verfolgung der russischen Kultur und russischsprachiger Einwohner:innen berichtet (die nicht unbedingt Bürger:innen der Russischen Föderation sind): »In Polen werden Schostakowitsch und Tschajkowskij verboten, in Deutschland wird von Kindern regelmäßig verlangt, dass sie sich von Putin distanzieren, und in Berlin kann man [auf der Straße] wegen Russisch verprügelt werden« (https://youtu.be/bm-1uxauQAo?t=265).

Der gleiche Fernsehsender warnte zudem in einem Beitrag vom 6. März vor einer möglichen »Kristallnacht« gegen Russi:nnen: »In Europa wird man jetzt wegen eines russischen Passes verfolgt, ja sogar einfach wegen der russischen Sprache. Es herrscht Pogromstimmung. Opfer zukünftiger »Kristallnächte« könnten nicht Schwarzhaarige werden, sondern Rothaarige, Stupsnasige, und nicht diejenigen, die eine krumme Nase haben« (https://youtu.be/bm-1uxauQAo?t=228).

Somit verbreiten die »staatlichen Fernsehsender von Belarus« wegen des teilweisen Verlustes der belarusischen Souveränität und in Übereinstimmung mit der Medienagenda des Kreml formal Desinformation, eine Ansammlung antiukrainischer und antiwestlicher Klischees sowie eine ganze Reihe Verschwörungstheorien.

Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder

Stand: 12.04.2022

Lesetipps / Bibliographie


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