Die erste postsowjetische Dynastie Zentralasiens

Entgegen allgemeiner Annahmen ist es statt in Tadschikistan nun doch zuerst in Turkmenistan passiert: Ein postsowjetisches Regime Zentralasiens hat die Form einer autokratischen Erbdynastie angenommen, in der das Präsidentenamt vom Vater an den Sohn weitergegeben wird. Am 12. März 2022 wurde Serdar Berdymuchammedow, der einzige Sohn des vorherigen Präsidenten Gurbanguly Berdymuchammedow, offiziell mit 72,97 % der Stimmen zum dritten Staatsoberhaupt Turkmenistans gewählt. Die Wahl markiert den Schlusspunkt eines bereits im Oktober 2017 von G. Berdymuchammedow eingeleiteten Prozederes, durch das nicht nur der dynastische Transfer des Präsidentenamtes vorbereitet werden sollte, sondern das ebenso die verfassungsmäßige Grundlage für jene Konstellation geschaffen hat, in der sich Vater und Sohn seit der Amtsübernahme von letzterem nun befinden. Damals hat G. Berdymuchammedow kurz nach Beginn seiner dritten Amtszeit den Ältestenrat, ein vom Parlament (Mejlis) separiertes Gremium mit rein beratender/legitimatorischer Funktion, in einen »Volksrat« (Halk Maslahaty) umgewandelt, einer zuletzt bis zu ihrer Auflösung 2008 bestehenden Körperschaft mit in Konkurrenz zur Mejlisstehenden Kompetenzen. Nach einer intransparenten, von G. Berdymuchammedow selbst initiierten Verfassungsänderung Ende 2020 wurden der Volksrat und die Mejlis zum »Nationalrat« (Milli Geňeş) als neuem Zweikammerparlament verschmolzen, wobei der Volksrat seitdem das Oberhaus darstellt. In einem weiteren Schritt wurde der Volksrat im März 2021 nach international wenig bis gar nicht beachteten indirekten Wahlen, die wie bisher alle in Turkmenistan weder frei noch fair waren, zum ersten Mal als neues parlamentarisches Oberhaus konstituiert, wobei sich G. Berdymuchammedow unter eklatanter Verletzung der Verfassung erst zum Senator und schließlich zum Vorsitzenden des Volksrates hat wählen lassen. Dadurch wurde dieser gleichzeitig zur Nummer 2 im Staat, da es laut neuer Verfassung der Vorsitzende des Volksrates ist, der den Präsidenten nach dessen Rücktritt oder Ableben interimsmäßig ersetzt.

Parallel hat G. Berdymuchammedow für einen rasanten politischen Aufstieg seines Sohnes durch die verschiedenen öffentlichen Ämter gesorgt, der von den staatlichen Medien entsprechend begleitet und inszeniert wurde. Nachdem S. Berdymuchammedow zuvor u. a. diplomatische Posten repräsentativer Natur im Ausland wahrgenommen hat, ist er mittels fingierter Nachwahl im Gebiet Ahal 2016 Mejlis-Abgeordneter geworden. 2018 wurde er von seinem Vater zum stellvertretenden Außenminister ernannt, 2019 zum stellvertretenden Gouverneur des politisch zentralen Gebietes Ahal und noch im selben Jahr zu dessen Gouverneur. 2020 ging es weiter ins Amt des Industrie- und Bauministers und im Februar 2021 in eine Tripelposition, bestehend aus den Ämtern des stellvertretenden Ministerkabinettsvorsitz für Digitalisierung und Innovationen, dem Vorsitz der opaken Obersten Kontrollkammer und einer Mitgliedschaft im Staatssicherheitsrat. Die Ernennung zum ersten stellvertretenden Ministerkabinettsvorsitzenden für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten im Juli 2021 hat S. Berdymuchammedow schließlich offiziell zur Nummer 2 im Kabinett gemacht, die fortan mit Nummer 1 verwandt war, da Staatsoberhaupt und Regierungschef im turkmenischen Superpräsidentialismus als Personalunion bestehen.

In einer Ansprache an den Nationalrat am 11. Februar hat G. Berdymuchammedow verkündet, dass er die Verantwortung für die Leitung der Staatsgeschäfte an »junge Anführer« abgeben möchte, womit er das 2017 eingeleitete Transferprozedere auch rhetorisch zum Abschluss brachte, nachdem er die Umwandlung des Ältesten- zum Volksrat damals mit dem angeblichen Wunsch begründet hat, auch jüngere Personen an der Politik teilhaben zu lassen. Einen Tag nach der Ansprache hat der Nationalrat vorzeitige Präsidentschaftswahlen für den 12. März angesetzt, die den dynastischen Ämtertransfer lediglich formalisierten. Das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE hat direkt im Vorhinein auf die Entsendung von Wahlbeobachtern verzichtet (https://www.osce.org/odihr/elections/turkmenistan/513565).

Mit der Übernahme der Amtsgeschäfte S. Berdymuchammedows am 19. März ist ein bisher einzigartiges System im postsowjetischen Raum entstanden, das einen Dynastismus nach aserbaidschanischem Vorbild mit der Logik eines Duumvirates kombiniert, wie es ähnlicherweise bis zu den schweren Unruhen im Januar diesen Jahres zwischen Kassym-Dschomart Tokajew und Nursultan Nasarbajew in Kasachstan bestanden hat. Wie Nasarbajew (noch (https://www.facebook.com/karin.erlan/posts/705629380628839)) trägt G. Berdymuchammedow mit Arkadag (etwa »Patron«) seit 2013 einen nationalen Ehrentitel, der ihm u. a. absolute Strafimmunität gewährt und den über das Amtsende hinausreichenden Kult um seine Person versinnbildlicht, während er als Vorsitzender des Volksrates offiziell die Nummer 2 im Staat bleibt. Die größte Änderung im turkmenischen Regime besteht somit weniger im eigentlichen Ämtertransfer vom Vater an den Sohn, als eher darin, dass die ungebrochen personalistische Herrschaft ab sofort durch eine ambivalente Konzeption staatlicher Macht definiert wird, die nun zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit nicht mehr exklusiv im Präsidenten repräsentiert sondern unklar auf zwei Personen verteilt ist. Es verwundert somit nicht, dass S. Berdymuchammedow seit seinem Amtsantritt (https://tdh.gov.tm/ru/post/30761/torzhestvennaya-ceremoniya-inauguracii-prezidenta-turkmenistana-2) bisher nur solche Signale ausgesendet hat, die eine bedingungslose Fortführung der Politik seines Vaters ankündigen.

In den ersten zwei Monaten seiner Präsidentschaft konnte S. Berdymuchammedow in dem Entscheidungsdispositiv, das der übermächtige Personenkult des Arkadag um sein Amt legt, nicht den geringsten Handlungsspielraum geltend machen, weshalb er sich er sich bis jetzt vornehmlich mit dem Mikromanagement von Fragen wie der Umstrukturierung des zentralen Personenstandsarchivs (https://tdh.gov.tm/ru/post/31224/zasedanie-kabineta-ministrov-turkmenistana-38), der Verkehrssicherheit in der Hauptstadt (https://turkmenportal.com/blog/45970/v-ashhabade-vyyavleny-mnogochislennye-narusheniya-pravil-dorozhnogo-dvizheniya) oder dem Erlassen von grotesken Vorschriften für Frauen (https://www.rferl.org/a/turkmenistan-restrictions-women-appearance-travel/31834476.html) befasst hat. Sein Kabinett ist, bis auf den Innen-, Handels- und einige stellvertretende Minister, bisher unverändert vom Vorgänger übernommen. Auch wenn S. Berdymuchammedow einige Reformen u. a. im Agrarsektor angeordnet hat (https://www.azernews.az/region/191730.html), was zumindest auf ein Bewusstsein des neuen Präsidenten für die im Land grassierende Ernährungsunsicherheit (https://www.laender-analysen.de/zentralasien-analysen/143/nahrungsmittelunsicherheit-armut-und-autoritaerer-zerfall-in-turkmenistan/) schließen lässt, erscheinen die Möglichkeiten einer tatsächlichen Umsetzung von solchen unter diesen Umständen gering. Steigende Treibstoffpreise haben im Januar Unruhen in Kasachstan ausgelöst, die das Regime in Nur-Sultan nachhaltig erschütterten, als sich der öffentliche Frust über hohe Inflationsraten, wirtschaftliche Disparitäten, sozioökonomische Unsicherheit, strukturelle Korruption und die hemmungslose Selbstbereicherung (https://thediplomat.com/2022/05/the-richest-get-richer-in-kazakhstan/) der kasachstanischen Elite Bahn gebrochen hat. Einige dieser Probleme sind im Fall Turkmenistans noch viel gravierender, weshalb abzuwarten bleibt, wie die neue staatliche Machtkonstellation die Stabilität des Regimes in Aschgabat langfristig beeinflussen wird.

Redaktionsschluss: 31.05.2022

Richard Schmidt

Zum Weiterlesen

Analyse

Nahrungsmittelunsicherheit, Armut und autoritärer Zerfall in Turkmenistan

Von Luca Anceschi
Die Pandemiebekämpfung undemokratischer Regime in ganz Asien offenbarte eine bislang wenig beachtete Problematik im Kern ihrer Strategien zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur. Der Versuch, ein Gleichgewicht zwischen der Gesundheit der Durchschnittsbürger und der Stabilitätssicherung des Regimes zu schaffen, wurde oft unter totaler Missachtung der Rechte und Freiheiten der lokalen Bevölkerung durchgeführt. In einigen extremen Fällen wurde die öffentliche Gesundheit systematisch den Machterhaltungsinteressen der regierenden Elite untergeordnet. Beobachtbar ist ein solches Szenario in Turkmenistan, wo die kategorische Weigerung des Regimes, die Pandemie anzuerkennen, zu einer offensichtlich rasant steigenden Infektionsrate im ganzen Land und einer beträchtlichen Anzahl an Toten in nahezu jeder Gemeinde geführt hat. Dabei handelt es sich sicherlich nicht um die erste öffentliche Gesundheitskrise in Turkmenistan: Stattdessen gibt es ausreichend Belege, dass der Umgang hinsichtlich der Behandlung HIV-positiver Patienten bereits von einer ähnlichen Leugnungshaltung des Regimes in Aschgabat geprägt war. (…)
Zum Artikel

Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS