Interview mit Eldor Tulyakov, Direktor des Zentrums für Entwicklungsstrategien in Taschkent

Zusammenfassung
Dr. Birgit Wetzel, Autorin des Leitartikels dieser Ausgabe, war Mitte Juli anlässlich der Konferenz »Central and South Asia: Regional Connectivity. Challenges and Opportunities« in Taschkent. Dort hatte sie Gelegenheit, zwei Interviews zu führen:
Frau Dr. Wetzel sprach dort zum einen mit Eldor Tulyakov, Direktor des Zentrums für Entwicklungsstrategien in Taschkent. Das Institut dient als Koordinationsstelle für die usbekischen Reformprozesse, welche seit dem Amtsantritt von Präsident Schawkat Mirisjojew anhalten. Das Gespräch gibt einen Einblick in die strukturelle Umsetzung der Reformen in Usbekistan. Vorweg sei angemerkt, dass es sich hierbei um eine staatliche Perspektive auf die Prozesse handelt. Um diese Perspektive zu erweitern, bietet sich ein Blick in die Usbekistan-Chronik, aber auch auf unabhängige Beobachtungsstellen an.
Das zweite Gespräch führte Frau Dr. Wetzel schriftlich mit Anvar Nassirov, Direktor des neugegründeten »International Institut for Central Asia«.
Die Redaktion der Zentralasien-Analysen

Unter Islom Karimow war Usbekistan jahrzehntelang abgeschottet und wurde diktatorisch regiert. Nachfolgepräsident Schawkat Mirsijojew setzt zunehmend Reformen durch, auch wenn wichtige Strukturen noch auf Veränderung warten: Parteien, welche für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen kandidieren wollten, wurde die Registrierung verweigert, beim globalen Pressefreiheitsindex von Reportern ohne Grenzen belegt Usbekistan den 157. von 180 Plätzen. Dennoch, im bevölkerungsreichsten Land Zentralasiens hat sich das politische Klima verändert. Ein wichtiges Instrument zum Steuern der vielen Reformen ist das »Development Strategy Center«: Mittels statistischer Erhebungen beobachtet und fordert das Institut Reformen von Regierung und Parlament ein, gibt Neuerungen bekannt und bietet eine Plattform für Diskussionen.

Was sind die Hauptthemen, mit denen Sie und Ihr Institut sich beschäftigen?

Zu unseren Hauptprioritäten gehört die Überwachung der laufenden Reformen im Rahmen der Aktionsstrategie für 2017 bis 2021 sowie jährliche, staatliche Programm. Anlässlich der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen schauen wir inwiefern die Aktionsstrategie bereits ihre Wirksamkeit entfalten konnte. Wir schauen also genau bei einzelnen Ministerien und Behörden was sie bislang im Rahmen der Aktionsstrategie erreicht haben und was nicht.

(…)

Zudem arbeiten wir daran, Informationen über die im Rahmen der Aktionsstrategie erzielten Reformen zu sammeln. Diese Informationen sind in erster Linie für unsere Staatsbürger:innen gedacht. Wir wollen aber auch die internationale Gemeinschaft über die Reformen im Land informieren. Daher haben wir uns selbst als Ziel gesetzt, so präzise wie möglich zu arbeiten, um so konkrete Daten und Zahlen zu liefern. Hierbei ist es besonders wichtig zu erwähnen, dass wir daran arbeiten diese Informationen vergleichend darzustellen.

Unsere Arbeit wird auch öffentlich angehört. In jüngster Zeit haben wir öffentliche Anhörungen zu einer Vielzahl von Themen durchgeführt. Dazu zählen Rentenfonds, Bildungsfragen, Impfungen sowie Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung.

Erhalten Sie auch Feedback von den Menschen?

Die Informationen, die wir veröffentlichen, sind sehr spezifisch. Dementsprechend erhalten wir Feedback aus einer anderen Gruppe von Menschen. Aufgrund der Themen, mit denen wir uns beschäftigen, kommen die Kommentare von normalen Menschen, Expert:innen, und auch Staatsangestellten – sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland. Ich sollte erwähnen, dass die usbekische Gesellschaft in den sozialen Netzwerken sehr aktiv ist. Wenn wir also etwas online publizieren, bekommen wir mehr Kommentare dazu. Wir haben auch Kritiker:innen. Journalist:innen sagen uns regelmäßig, dass wir uns mit diesem oder jenem Thema beschäftigen sollen. Dafür sind wir offen. Wir bewerten die Sinnhaftigkeit solcher Kommentare unvoreingenommen.

Wir veröffentlichen feldspezifische Informationen zu den Reformen. Wir erhalten Feedback von einer anderen Gruppe von Menschen. Aufgrund der Themen, mit denen wir uns beschäftigen, kommen die Kommentare von normalen Menschen, Experten, einschließlich Staatsbeamten, unabhängigen und ausländischen. Ich sollte sagen, dass die usbekische Gesellschaft jetzt in den sozialen Netzwerken sehr aktiv ist. Wenn wir also online publizieren, bekommen wir mehr Kommentare dazu. Wir haben Kritiker. Wir haben andere Journalisten, die uns sagen, wir sollten uns mehr auf diese oder jene Information konzentrieren, die uns fehlt. Dafür sind wir offen. Und wir bewerten die Sinnhaftigkeit dieser Kommentare unvoreingenommen. Wenn sie vernünftig genug sind, machen wir weiter und füllen unsere Publikationen aus. Wenn sie angemessen sind, dann beziehen wir die mit ein in unsere Publikationen.

Abgesehen vom Internet sind wir auch bei öffentlichen Anhörungen präsent. In letzter Zeit haben wir mehrere öffentliche Anhörungen mit dem Justizministerium durchgeführt. Aktuell haben wir die Entwicklungspläne des Präsidenten für die Region Fergana vor Ort überprüft. Wir haben den stellvertretenden Gouverneur zu uns eingeladen und vorsprechen lassen. Aufgrund der großen Zahl an Zuschauer:innen sowie Zuschauer:innenfragen kam er mit einer großen Delegation. Er beantwortete alle unsere Fragen. Unsere Fragen zielten darauf ab herauszufinden, warum die Beamt:innen der Regionen bei der Durchführung von Reformen in bestimmten Schwerpunktbereichen versagt haben. Hierzu zählt die ursprünglich geplante Einführung von digitalen Plattformen und Programmen, insbesondere im medizinischen sowie Bildungsbereich – gerade in der Pandemie wäre beides sehr gefragt. Außerdem haben wir den Bericht der Rentenversicherung angehört, um sicherzustellen, dass alle Menschen ihre Pensionen korrekt sowie pünktlich erhalten.

Heute haben wir eine öffentliche Anhörung gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium zum Thema Impfungen. Alle unsere Veranstaltungen sind live in den sozialen Netzwerken und im Fernsehen zu sehen. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass einige staatliche Kanäle nicht so populär sind wie die privaten. Deshalb versuchen wir zu diversifizieren und die beliebtesten zu bekommen, so wie heute. Heute wird der beliebte Sender UzReport live senden und zusätzlich auch in sozialen Netzwerken live übertragen. Ähnlich wie in anderen Ländern zögern auch in Usbekistan einige Menschen noch, sich impfen zu lassen. Wir sehen manchmal, dass das Tempo nicht so hoch ist, wie es sich die Regierung ursprünglich gewünscht hat. Daher arbeiten wir daran, so genaue Informationen wie möglich zu liefern. Daher versuchen wir Expert:innen, aber auch ganz unterschiedliche Staatsbedienstete, die für dieses Thema relevant sein können, zu engagieren.

Öffentliche Anhörungen helfen uns, kritisch an das Thema heranzugehen und kritisch zu bewerten, was Beamt:innen und die Regierung im Rahmen der Handlungsstrategie erreicht haben. Wenn diese Veröffentlichungen also Zahlen und Fakten zeigen, ermöglicht uns eine öffentliche Anhörung, die Informationen in mündlicher Form zu liefern. Das Gute daran ist, dass es aufgezeichnet wird und immer in unseren sozialen Netzwerken vorhanden ist, offen für unsere Leute, um Kritik zu üben oder Informationen zu erhalten. Wenn wir also sehen, dass es eine weitere Nachfrage gibt, ähnliche öffentliche Anhörungen durchzuführen, dann werden wir natürlich mehr tun.

Wie erhalten Sie Ihr Feedback?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Feedback zu bekommen. Zum Beispiel laden wir so viele Mitglieder der Zivilgesellschaft und NGOs wie möglich zu unseren Veranstaltungen ein, weil sie es sind, die die Regierung am meisten kritisieren. Wenn wir Regierungsvertreter:innen einladen, kritisieren sie uns nicht. Sie sitzen nur und gehen. Daher versuchen wir, so viel wie möglich aus den Institutionen der Zivilgesellschaft einzuladen. Das ist eine Möglichkeit, direkt während der Veranstaltungen Feedback zu bekommen.

Weil wir oft Live-Veranstaltungen durchführen, bekommen wir auch Feedback aus den sozialen Netzwerken. So können die Leute kommentieren oder manchmal auch anrufen. Eine andere Möglichkeit, Feedback zu bekommen, ist unsere Institution. Sie ist offen, also klopfen die Leute an die Tür, bringen ihre Ansprüche und ihre Vorschläge mit.

Eine andere Möglichkeit, Feedback zu bekommen, sind natürlich unsere persönlichen Treffen mit den Menschen. Wir treffen uns regelmäßig mit Menschen in den Regionen, in sozialen Netzwerken oder während der Veranstaltungen.

Finden Sie, dass es genug Feedback von den Menschen gibt, mit denen Sie sprechen, und dass die Menschen merken, dass sie sich einbringen können, weil dies ein bedeutender Wandel vom »alten« zum »neuen« Usbekistan ist, dass die Leute merken, dass sie eine Stimme haben? Oder müssen Sie auf die Leute zugehen, um sie zu motivieren?

Um ehrlich zu sein, hat sich die Situation verändert. Die Menschen sind aktiver geworden, fordern mehr und interagieren sogar direkt mit dem Präsidenten. Natürlich ist er dann auch ein Vorbild. Er ist es, der die Regionen besucht und die Minister müssen ihm folgen, alle. Bei diesen Besuchen erhalten sie Feedback über ihre Arbeit, erhalten Kritik, werden mit Forderungen konfrontiert und erhalten auch konkrete Vorschläge für Verbesserungen. Das sind dann oft die Möglichkeiten, um Feedback zu erhalten und daran zu arbeiten.

(…)

Wir sehen aber auch, dass wir nicht alle in den Prozess miteinbeziehen können. Es gibt immer noch Menschen, die dem Ganzen gleichgültig gegenüberstehen. »Ich will nicht in die Politik, lass mich damit in Ruhe, Politik ist nicht mein Thema, ich hab meine eigenen Probleme, (…) mir ist es egal was da vor sich geht.« Das sind auch Sätze, die wir von Zeit zu Zeit hören. Daher müssen wir als Staat auch Verbesserungsmöglichkeiten suchen, um mehr Menschen einzubeziehen. Der Präsident sagt aber, dass die Ideen für Reformen aus der Zivilgesellschaft kommen sollen. Die Zivilgesellschaft soll ein Initiator für Reformen sein. Leider nutzen dies nicht alle Menschen, auch wenn wir sehen, dass sich die Dinge in eine positive Richtung bewegen. Die Leute lassen sich immer mehr darauf ein. (…).

Aus dem Englischen von Rostam Onsori

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