Bildung und soziale Ungleichheit in Bischkek

Von Aigoul Abdoubaetova (OSZE-Akademie in Bischkek)

Zusammenfassung
Private Bildung wird in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek zunehmend beliebter. Ursprünglich den Kindern von Expats und internationalen Fachkräften vorbehalten, richten sich die meisten Privatschulen mittlerweile an eine wachsende Schicht wohlhabenderer Einkommensklassen. In diesem Artikel soll die zunehmende Privatisierung, Vermarktlichung und Elitarisierung von Bildung in Bischkek analysiert werden, wodurch sich ein differenziertes Bild der mit diesen Prozessen zusammenhängenden Stratifizierung der kirgisischen Gesellschaft und der in ihr vorherrschenden sozialen Ungleichheit ergibt. Als neoliberales Phänomen spiegeln der wachsende private Bildungssektor und seine Mechanismen zum Ausschluss großer de-privilegierter Teile der Gesellschaft die hohe sozioökonomische Ungleichheit im postsowjetischen Kirgistan wider, wo sich seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion eine hohe Kluft zwischen Arm und Reich aufgetan hat. Insbesondere nach dem Zerfall der Sowjetunion und den darauffolgenden 1990er Jahren war Armut weit verbreitet und betraf weite Teile der Gesellschaft gleichermaßen. Seit den 2000er Jahren nimmt die Armut in Kirgistan ab, während gleichzeitig die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Private Bildung ist schließlich nicht nur Ausdruck sondern auch Faktor der Perpetuierung sozialer Ungleichheit, da sie die Bindung von bestimmten Ressourcen, die für berufliche Karriere und sozialen Aufstieg nötig sind, innerhalb der urbanen privilegierten Schicht von Bischkek ermöglicht

Vermarktlichung, Privatisierung und Elitisierung der Bildung in Kirgistan

Kirgistan gilt als einer der ärmsten Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Laut Rating der Weltbank hatte das Land 2019 ein BIP von 1.309 US-Dollar pro Kopf und lag damit auf Platz 188 von 223 erfassten Staaten. Trotz niedriger Löhne und der in Kirgistan vorherrschenden Armut hat der Markt für private Sekundarbildung in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung erlebt. Dem Nationalen Statistikkommittee zufolge gab es 2019 bereits 142 private Sekundarschulen im Land, womit sich deren Anzahl seit 2015 beinahe verdoppelt hat.

Die Kosten privater Bildung sind für ein derartig armes Land wie Kirgistan sehr hoch. Private Eliteschulen mit einem international ausgerichteten Curriculum und Englisch als Hauptunterrichtssprache kosten jährlich etwa 9.000 – 19.000 US-Dollar, Schulen, die auf Russisch unterrichten und sich an den lokalen Bildungsstandards orientieren, etwa 2.500 – 7.000 US-Dollar. Angesichts eines monatlichen Durchschnittslohns von umgerechnet 225 US-Dollar sind solche Schulen für die meisten Familien in Kirgistan unerschwinglich, weshalb sie ihre Kinder lediglich an Schulen des öffentlichen Bildungssektors anmelden können, in dem Unterrichts- und Lehrqualität jedoch stark schwanken.

In Wirklichkeit ist auch der Besuch öffentlicher Schulen längst nicht mehr kostenlos. Eltern zahlen dort unterschiedliche »freiwillige« Gebühren, wobei derartige regelmäßige Zahlungen gängig und mehr oder weniger obligatorisch sind. Aufgrund von Budgetengpässen dürfen öffentliche Schulen nach zusätzlichen, nicht-staatlichen Finanzierungsmöglichkeiten suchen. Eine dieser zusätzlichen Geldquellen sind die Eltern, die u. a. für die Verbesserung oder bloße Instandhaltung der schulischen Infrastruktur jährlich bis zu 200 US-Dollar, teilweise sogar mehr, an die jeweilige Einrichtung bezahlen müssen. Schulsachen, spezielle Lehrbücher, Schuluniformen, außerschulische Aktivitäten, Essen und Transport sind weitere Kostenpunkte für Eltern, deren Kinder eine öffentliche Schule besuchen. In der Summe stellen diese Ausgaben insbesondere für Familien mit mehreren Kindern eine hohe finanzielle Belastung dar, weshalb bereits der Besuch einer regulären öffentlichen Schule mit durchschnittlicher Lehr- und Unterrichtsqualität Ursache für große materielle Schwierigkeiten sein kann.

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Einige wenige öffentliche Gymnasien und Lyzeen in Bischkek stechen aus der Masse der durchschnittlichen Schulen hervor, weil sie über ein spezialisiertes Curriculum verfügen. Diese Schulen sind bekannt dafür, dass ihre Schülerinnen und Schüler bei Schulwettbewerben oder den landesweiten, standardisierten Abschlussprüfungen regelmäßig Bestergebnisse erzielen. Sie gelten als »Eliteschulen« und genießen einen hohen Status. An solchen Schulen müssen noch höhere »freiwillige« Gebühren gezahlt werden, es ist schwierig einen ihrer Plätze zu ergattern und die Klassen sind überfüllt. Für die Mehrheit der Bevölkerung stellen deshalb die durchschnittlichen, nicht besonders leistungsstarken öffentlichen Schulen die einzige Option dar.

In einem Land, in dem das Durchschnittsgehalt 225 US-Dollar beträgt, sind Privatschulen mit Gebühren von bis zu 19.000 US-Dollar schließlich ein klarer Indikator für soziale Ungleichheit. Hierbei sei angemerkt, dass Bildung natürlich nicht der einzige gesellschaftliche Bereich ist, in dem sich die allgemeine soziale Ungleichheit manifestiert. Schaut man auf die Premiumappartements, schicken Autos und teuren Restaurants der wohlhabenderen Bevölkerungsteile einerseits, und andererseits auf die heruntergekommenen Gemeinschaftsräume vieler Familien, auf Menschen, die im Müll wühlen müssen, und Rentner, die auf der Straße um Geld betteln, dann lässt sich die alltägliche soziale Kluft innerhalb der kirgisischen Gesellschaft kaum übersehen. Leider wird diese Kluft mit jedem Jahr immer offensichtlicher.

Die soziale Ungleichheit manifestiert sich dabei auch räumlich: Der Zuzug von Binnenmigranten lässt Bischkek vor allem in seiner nördlichen Randlage wachsen. Während in den nowostroika genannten neuen Siedlungen im Süden recht gute Lebensbedingungen herrschen, sind es vor allem die neuen Stadtteile im nördlichen Bischkek, die sehr ärmlich geprägt sind, mit dementsprechend schlechten Lebensverhältnissen. Diese räumlichen Unterschiede werden jedes Jahr größer und sichtbarer.

Die Bildungslandschaft Bischkeks als Spiegel sozialer Ungleichheit

In meiner vorherigen Studie habe ich untersucht, welche Motivationen Eltern zur Auswahl welcher Schule für ihre Kinder haben, und welche Faktoren für diese jeweiligen Motivationen entscheidend sind. Im Ergebnis zeigte sich eine direkte Korrelation zwischen dem Einkommen der Eltern und ihrer Entscheidung für eine private oder öffentliche Schule: je höher das Einkommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Eltern ihre Kinder an eine Privatschule schicken. Meine Untersuchung hat schließlich gezeigt, dass die obersten wirtschaftlichen und politischen Eliten, wohlhabendere Oberschichten und neureiche Familien aus dem kaufmännischen Sektor die Hauptklientel der Privatschulen bilden. Selbst an den internationalen Eliteschulen, die ursprünglich für die Kinder von Expats und internationalen Fachkräften gegründet wurden, machen einheimische Schülerinnen und Schüler mittlerweile durchschnittlich 40–60 % aus.

Wohlhabendere Familien entscheiden sich für Privatschulen, weil ihre Kinder dort eine Reihe von Privilegien genießen, die die Schülerinnen und Schülern an den öffentlichen Schulen nicht besitzen. Die überbelegten Klassen an den öffentlichen Schulen sind der wichtigste Grund, warum Eltern sich für die Alternative einer Privatschule entscheiden. Da die Bevölkerung von Bischkek aufgrund von massiver Binnenmigration in den letzten drei Jahrzehnten stark gewachsen ist, sind die Schulen der Hauptstadt extrem überfüllt. Klassen sind teilweise so groß, dass sie die infrastrukturellen Kapazitäten der Klassenzimmer, die für einen ordentlichen Unterricht notwendig sind, um das Zweifache übersteigen. So gibt es Schulen mit über 50 Erstklässlerinnen und Erstklässlern pro Klasse, die jeweils von einer einzigen Lehrkraft unterrichtet wird. An den meisten staatlichen Schulen ist der Betrieb in zwei Schichten aufgeteilt. Nach einem Bericht der Bildungsverwaltung des Bürgermeisters von Bischkek wird der Unterricht an 12 von 97 öffentlichen Schulen in Bischkek sogar in drei Schichten durchgeführt. Im Gegensatz dazu bieten Privatschulen kleine Klassen, ein deutlich umfangreicheres Betreuungsverhältnis und eine bessere Infrastruktur. Außerdem bieten sie ein Ganztagsprogramm an, d. h. die Kinder werden nach dem Unterricht beaufsichtigt, bekommen Verpflegung und Hausaufgabenhilfe gestellt und können in einer sicheren Umgebung außerschulischen Aktivitäten nachgehen. Diese Privilegien und Annehmlichkeiten können die öffentlichen Schulen in Kirgistan ihren Schülerinnen und Schülern nicht bieten.

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Die Schulauswahl wird auch dadurch beeinflusst, wie mobil die Kinder sind und wo die Schulen liegen. Die Umfragen während der Forschung haben ergeben, dass die räumliche Nähe für Eltern, die ihre Kinder auf einer staatlichen Schule angemeldet haben, eines der Hauptkriterien bei der Wahl der Schule war: 68 % entschieden sich für eine Schule in der Nähe ihres Wohnorts, wobei die Entscheidung in 52 % der Fälle auf die Schule im jeweiligen Bezirk fiel. Staatliche Schulen stellen keine Transportmöglichkeiten für die Kinder zur Verfügung. Tägliches Pendeln ist deshalb nicht nur teuer, sondern zehrt zudem stark an den Kräften der Familienmitglieder. Mobilität ist besonders für die Menschen aus den neueren Siedlungen am Rande Bischkeks ein schwerwiegendes Problem, da sie weit entfernt vom Stadtzentrum liegen, wo sich die besser ausgestatteten Schulen befinden. Die Qualität der Schulen in diesen Siedlungen ist dabei sehr schlecht, sie sind überfüllt und es herrscht ein hohes Maß an Fluktuation innerhalb des Lehrkörpers. Für die Eltern von Privatschülerinnen und Privatschülern ist Mobilität hingegen kein großes Thema: Sie besitzen eigene Autos, können sich Taxis leisten, oder die Schule dafür bezahlen, den Transport zur organisieren. Die räumliche Nähe der Bildungseinrichtung spielt daher nur für 5 % von ihnen bei der Schulwahl eine Rolle.

Meine Studie hat ergeben, dass der Zugang zu Bildungseinrichtungen hauptsächlich von drei Ressourcen der Elternhäuser abhängig ist: finanzielles, soziales (ein soziales Netzwerk haben bzw. einflussreiche Persönlichkeiten kennen) sowie kulturelles (»Humankapital«: gebildet sein, Skills und Know How) Kapital. Teure Eliteschulen werden eher von denjenigen besucht, welche alle drei genannten Ressourcen aufweisen können. Finanzielle Mittel können zudem die anderen beiden Ressourcen überwiegen. So kann eine Familie mit wenigen kulturellen Ressourcen aber großem Finanzkapital ihren Kindern dennoch Privatschulbildung ermöglichen. Auch urbane, gebildete Eltern können trotz mangelnden finanziellen Ressourcen durch ihre sozialen und kulturellen Kapitale die Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder verbessern.

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Wie bereits angedeutet findet auch innerhalb des staatlichen Schulsystems eine sozioökonomische Segregation statt. Die Interviews lassen erkennen, dass gut gebildete Eltern aus der Stadt ihren Kindern viel eher einen Platz an einer der besseren öffentlichen Schulen sichern können als Eltern, die ein geringes Bildungsniveau oder einen Binnenmigrationshintergrund haben. Eine besondere Rolle spielen gebildete, berufstätige Mütter, die über das Wissen und die sozialen Netzwerke verfügen, um ihren Kindern innerhalb der vorgefundenen Strukturen die bestmögliche Bildung zu verschaffen. Da die »freiwilligen« Gebühren an den staatlichen Eliteschulen höher sind und die Curricula deutlich anspruchsvollere Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler stellen, sehen viele ärmere Haushalte mit niedrigem sozialen Kapital in ihnen keine realistische Alternative.

Die größten Benachteiligungen erleben diejenigen, denen es an allen drei dargestellten Kapitalformen mangelt. Insbesondere ärmere Binnenmigranten, die auf der Suche nach Arbeit nach Bischkek kommen, zählen zu dieser Gruppe. Sie arbeiten oft in schlecht bezahlten Jobs und besitzen keinerlei finanzielles Kapital. Sie besitzen nur wenig soziales Kapital, da sie als »Neulinge« in der Stadt über keine ausgeprägten Netzwerke verfügen, ihr Bildungsniveau ist in der Regel niedrig und ihre Kenntnisse des Russischen sind eher begrenzt. Da in diesen Familien oft nur Kirgisisch gesprochen wird, können die Kinder dementsprechend auch nur eine der wenigen rein kirgisischsprachigen Schulen der Stadt besuchen.

Dabei spielt die Sprache in Kirgistan eine wichtige Rolle für den Bildungsweg. Russisch ist vor allem in Bischkek die Sprache der höheren Bildung, fließende Russischkenntnisse sind daher eine Notwendigkeit für den beruflichen Aufstieg. Sprachliche Barrieren stellen für betroffene Eltern oft eine große Schwierigkeit dar, für ihre Kinder eine gute öffentliche Schule zu finden, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen oder eine nachhaltige Kommunikationsbasis mit Lehrern und Schulverwaltung zu etablieren. Neben dem Russischen kommt Englisch im Bereich der höheren Sekundarbildung eine immer wichtigere Bedeutung zu; Englisch ist mittlerweile die Standardunterrichtssprache der teuersten Bildungseinrichtungen mit der höchsten Bildungsqualität. Für ein Studium im Ausland oder zumindest den Top-Universitäten des Landes, wie der American University, der University of Central Asia oder der International University of Central Asia, sind schließlich fließende Englischkenntnisse notwendig.

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Im Ergebnis existieren verschiedene öffentliche und private Schultypen für Familien mit unterschiedlichen sozioökonomischen Hintergründen nebeneinander. Die Mitglieder der höchsten Einkommensklassen schicken ihre Kinder auf teure Privatschulen und die höher gebildeten, städtischen Mittelschichtsfamilien versuchen es in die besser ausgestatteten, staatlichen Eliteschulen hineinzuschaffen. Währenddessen haben ärmere Familien und Eltern mit geringer Bildung oder einem Binnenmigrationshintergrund kaum andere Möglichkeiten, als ihre Kinder auf eine der unterfinanzierten und qualitativ unterdurchschnittlichen Schulen in ihrer Nachbarschaft zu schicken.

Ob Eltern die Schulgebühren zahlen können oder nicht ist, neben den Aspekten von innerstädtischer Mobilität und urbaner Raumkonfiguration, schließlich der wichtigste Faktor, der über den Zugang zu Bildung entscheidet. Diese neoliberale Tendenz vertieft die bereits existierende soziale Ungleichheit, und das in einem Land, in dem hochwertige Bildung noch vor drei Jahrzehnten flächendeckend für alle Teile der Gesellschaft kostenlos war. Unter dieser Tendenz hat Bildung in Kirgistan ihre Eigenschaft als öffentliches Gut verloren und die Form einer Ware angenommen, die und mit der als solche gehandelt wird. Junge Menschen aus benachteiligten und armen Familien werden so von höheren Bildungsformen exkludiert, Chancen für einen sozialen Aufstieg bleiben ihnen nachhaltig verwehrt.

Wie das kirgisische Sekundarbildungssystem soziale Ungleichheit perpetuiert

Einer der stärksten Indikatoren für Bildungsungleichheit ist die Tatsache, dass die Absolventinnen und Absolventen von Privatschulen deutlich bessere Chancen besitzen, eine Hochschulbildung zu erlangen bzw. an einer ausländischen Universität zu studieren. In meinen Interviews mit den Rektoren privater Eliteschulen zeigte sich, dass die Schülerinnen und Schüler dort auf ihren »Export«, also ein Studium im Westen, z. B. in Europa, den USA oder Kanada, vorbereitet werden sollen. Manche Privatschulen werben explizit damit, indem sie sich nach weltbekannten Universitäten wie Oxford, Cambridge und Harvard benennen, obwohl sie keinerlei institutionelle Verbindungen mit diesen besitzen. Von den Eltern der Privatschülerinnen und Privatschüler planen 81 % der Befragten für ihr Kind ein Studium im Ausland.

Wenn es darum geht, an westlichen Universitäten angenommen zu werden, sind die Schülerinnen und Schüler privater Eliteschulen gegenüber den Schülerinnen und Schülern der öffentlichen Schulen in vielerlei Hinsicht bevorteilt. Neben einem international ausgerichteten, auf Englisch unterrichteten Curriculum gibt es an privaten Eliteschulen eigene Hochschulberater, welche die Jugendlichen dabei unterstützen, an der Hochschule ihrer Wahl zugelassen zu werden, indem sie mit ihnen zusammen die Bewerbungsunterlagen vorbereiten und Nachhilfe für die TOEFL (Test of English as a Foreign Language)- oder SAT-Tests (Scholastic Aptitude Test) anbieten. Außerdem organisieren sie jährliche Exkursionen, um den Schülerinnen und Schülern die Universitäten in der EU, dem Vereinigten Königreich und den USA, inklusive der Ivy-League-Universitäten, zu zeigen (zu den Ivy League Schools zählen acht Privatuniversitäten im Nordosten der USA, die allgemein zu den besten Universitäten der Welt gezählt werden). Dadurch sollen die Schülerinnen und Schüler motiviert werden, noch intensiver zu lernen. Der Zugang zum globalen Bildungsmarkt versorgt sie mit Bildungs- und Karrieremöglichkeiten, die sich stark von denen der Schülerinnen und Schüler der öffentlichen Schulen unterscheiden.

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Für Eltern, die einer mittleren Einkommensklasse angehören, die es sich also leisten können, ihre Kinder an günstigeren Privatschulen oder an staatlichen Eliteschulen unterrichten zu lassen, besteht die Möglichkeit, ihre Kinder an die prestigeträchtigeren Universitäten Kirgistans oder Russlands zu schicken. Die Schülerinnen und Schüler staatlicher Elitegymnasien und der unter dem Markennamen Sapat bekannten türkischen Kette von Lyzeen schneiden in den Nationalen Standardisierten Tests (NST) extrem gut ab. Die NSTs entscheiden über die Zulassung an die kirgisischen Universitäten. Die meisten der NST-Goldmedaillen, die an die 50 besten Schülerinnen und Schüler vergeben werden, gehen regelmäßig an die Absolventinnen und Absolventen dieser Schulen. Viele Absolventinnen und Absolventen der Sapat-Schulen schaffen außerdem die stipendienbasierte Zulassungsverfahren für ausländische Universitäten. Die türkischen Lyzeen unterrichten schließlich nicht nur auf Russisch und Kirgisisch, sondern führen auch eine beträchtliche Anzahl an Unterrichtsstunden auf Englisch durch.

Im Zeitraum 2019 – 2020 waren durchschnittlich 74 % der aus Bischkek stammenden Gewinnerinnen und Gewinner einer NST-Goldmedaille Schülerinnen oder Schüler an einer staatlichen Schule und 26 % an einer russischsprachigen Privatschule. Englischsprachige Privatschulen nehmen nicht einmal an den NSTs teil, da sie ohnehin kein Interesse daran haben, ihre Absolventinnen und Absolventen an einer kirgisischen Universität unterzubringen. Auffällig ist, dass eine kleine Anzahl besonders guter staatlicher Schulen den Großteil der Medaillengewinnerinnen und -gewinner der öffentlichen Bildungseinrichtungen stellt: 31 % der Goldmedaillen gingen an eine einzelne öffentliche Eliteschule, während die besten drei unter den 97 öffentlichen Schulen in Bischkek 65 % der Goldmedaillen auf sich vereinigten. Daran lassen sich die großen Qualitätsunterschiede erkennen, die zwischen den einzelnen öffentlichen Schulen bestehen. Der weitaus größte Teil der öffentlichen Schulen schneidet bei der Preisverleihung schlecht ab. Ihnen mangelt es an Ressourcen und qualifiziertem Lehrpersonal. Unter ihnen schneiden diejenigen Schulen am schlechtesten ab, die in den neueren Stadtrandsiedlungen liegen, in denen überwiegend Binnenmigranten leben. Von den 93 Goldmedaillengewinnerinnen und -gewinnern in den letzten drei Jahren, die aus Bischkek stammten, kam nur einer aus einer der neueren Stadtrandsiedlungen, obwohl sich dort 21 der 97 öffentlichen Schulen Bischkeks befinden.

Es ist also keine Überraschung, dass die Karrierewege der Schulkinder von privaten und öffentlichen Bildungseinrichtungen nach dem Schulabschluss sehr unterschiedlich verlaufen: den Privatschülerinnen und Privatschülern eröffnet die Globalisierung eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten zu reisen, im globalen Ausland zu studieren und beruflich tätig zu werden, oder sich eine lukrative Position innerhalb der wirtschaftlichen und politischen Elite Kirgistans zu sichern. Im Gegensatz dazu bietet das Bildungssystem den Schülerinnen und Schülern der schlechteren öffentlichen Schulen lediglich die Möglichkeit, als Arbeitsmigrant nach Russland zu gehen, oder sich höchstens noch für ein Studium an einer der qualitativ unterdurchschnittlichen staatlichen Universitäten einzuschreiben. Dies ermöglicht jedoch den wenigsten, später einer gut bezahlten Berufstätigkeit nachzugehen.

Fazit

Neoliberale Reformen und die Vermarktlichung der Bildung haben Familien mit hohem Einkommen in Bischkek neue Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Diese Familien können sich Schulen mit einer besseren Infrastruktur, kleineren Klassen, qualifizierteren Lehrern und mehr Sicherheit leisten. Während dieser Minderheit von Familien besser ausgestattete Schulen zur Verfügung stehen, hat die arme Mehrheit der Bevölkerung keinen Zugang zu guten Schulen. Sie besuchen die öffentlichen Schulen, die am nächsten zu ihrem Wohnort liegen, und sich durch eine heruntergekommene Infrastruktur, große Klassen sowie unmotivierte und überlastete Lehrer auszeichnen. Bildungsungleichheit schlägt sich dabei auch in der Struktur des urbanen Raumes nieder. Die schlecht ausgestatteten und überfüllten Schulen liegen am Stadtrand und werden von Kindern ärmerer Binnenmigranten besucht, denen das finanzielle, soziale und kulturelle Kapital fehlt, das von wohlhabenden Familien genutzt wird, um ihren Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen. Die meisten öffentlichen Schulen sind in ihrem momentanen Zustand nicht in der Lage, Kindern aus armen Familien den sozialen Aufstieg zu ermöglichen, wodurch ihre Karriere- und Einkommensperspektiven nachhaltig eingeschränkt sind. Im Gegensatz dazu haben Privatschulen ausreichende Mittel, um ihren Schülerinnen und Schüler bessere Perspektiven zu bieten. Am Beispiel der Bildungslandschaft von Bischkek zeigt sich, dass Bildungsungleichheit umfassendere soziale Ungleichheiten zugleich widerspiegelt und weiter vertieft.

Übersetzung aus dem Englischen: Armin Wolking

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