Turkmenistans verbaute Zukunft – ein System kollabiert

Von Hendrik Meurs (Bonn)

In einem von Umbrüchen und teils von Unruhe geprägten Umfeld ist es der turkmenischen Regierung gelungen, ihr stalinistisches Herrschaftssystem seit mehr als 25 Jahren weitgehend unverändert aufrecht zu erhalten. Grundlage hierfür ist ein ausdifferenziertes System aus verlockenden Anreizen und brutalen Bestrafungen, aus komplexen Macht- und Legitimationsmechanismen, aus totaler Kontrolle und freiwilliger internationaler Isolation. Dieses System hat seine Grenzen erreicht.

Sehr selten gelangen Berichte aus Turkmenistan in die westliche Welt. Aufgrund der nach innen wie nach außen nahezu hermetischen medialen Isolation des Landes handelt es sich hierbei in aller Regel um Beiträge zu den Exzessen des Personenkultes um den Präsidenten Gurbanguly Berdymuchammedow.

Hinter diesen Berichten lässt sich ein Herrscher erkennen, der die ihm zuteilwerdende nationale und internationale Anerkennung genießt und immer mehr davon für sich einfordert. Im Februar 2017 mit knapp 98 % der Stimmen für eine Amtszeit von sieben Jahren wiedergewählt, legt er größten Wert darauf, als hochkompetent und umfassend begabt wahrgenommen zu werden. Hierzu gewinnt er Auto- und Pferderennen, Judo- und Scharfschützenwettkämpfe, legt die Saat- und Erntezeit für das ganze Land persönlich fest, belehrt Fabrikbesitzer und Unternehmer, komponiert, dichtet, singt und malt. Von ihm berührte Musikinstrumente werden im Nationalmuseum prominent ausgestellt. Unweit einer vergoldeten Monumentalstatue, die ihn auf dem Rücken eines sich aufbäumenden Pferdes zeigt, ließ er 2017 die erste 18-Loch Golfanlage Zentralasiens bauen und eröffnete sie mit einem Hole-in-one Abschlag.

Als Beweis für Fortschrittlichkeit und hohen Lebensstandard lässt er – oft mehrmals im Jahr – Weltrekorde inszenieren. So bestätigte Guinness die Errichtung der größten Pferdekopfskulptur der Welt (2017), die größte Anzahl von in einer Jurte singenden Menschen (4.166 Menschen sangen 2015 das vom Präsidenten komponierte Lied »Vorwärts, immer vorwärts«), die Fertigstellung des größten Indoorriesenrades der Welt (2013) oder die größte architektonische Realisierung eines achteckigen Sterns (2011). Zugleich wird der uneingeschränkte Machtanspruch durch zahlreiche Verbote untermauert, die zunehmend nachdrücklicher verfolgt werden. Satellitenschüsseln sind verboten, die Straßen der Hauptstadt dürfen ausschließlich mit dort registrierten, weißen Autos befahren werden und sichtbare Klimaanlagen werden seit 2014 systematisch demontiert.

Präsidial angeordnete Prestigeprojekte werden ohne Rücksicht auf Kosten und Mühen umgesetzt. Beispiele hierfür sind der für etwa 2 Mrd. Euro errichtete, zu 5 % ausgelastete größte Flughafen Zentralasiens in Aschgabat, die für etwa 5–8 Mrd. Euro errichtete Ferienanlage Awasa am Kaspischen Meer und die im Jahr 2017 für etwa 5–10 Mrd. Euro nicht zuletzt zur Verbesserung der turkmenischen Medaillenbilanz bei internationalen Wettkämpfen ausgetragenen Asian Indoor and Martial Arts Games.

Machterhalt im Blindflug

Wird der Blickwinkel über diese Anekdoten hinweg geweitet, zeigt sich ein Herrschaftssystem, das durch die Fokussierung auf den Machterhalt und die Bedürfnisse des immer exzentrischer agierenden Präsidenten den Kontakt zu den Bedürfnissen der Bevölkerung und den Blick auf die Notwendigkeiten eines funktionierenden Wirtschaftssystems in weiten Teilen verloren hat. Letztlich mit dem Ziel des Machterhalts wird seit mehr als 25 Jahren ein weltweit in dieser Form fast einzigartiger Kampf gegen Bildung, Wissenschaft und Kultur geführt. Mediale oder persönliche Kontakte zum Ausland sind nahezu ausgeschlossen, während Teile der Bevölkerung zur Vorbereitung und Durchführung immer größerer Massenveranstaltungen in einem Zustand der andauernden Mobilisierung gehalten werden. Das Ausmaß der Einschränkung nahezu aller Freiheits- und Menschenrechte lässt sich, wenn überhaupt, nur mit Nordkorea vergleichen.

Mit massiven Repressionen und harrschen Strafmaßnahmen wird jede Form der Kritik und des unangepassten Verhaltens schon im Ansatz unterdrückt. Das öffentliche Leben ist weitgehend gelähmt. Kreativität, der Mut zur Veränderung und schon einfache Neugierde gelten als verdächtig. Die Wirtschaftspolitik ist innovationsfeindlich, der Mangel an Fachkräften zunehmend dramatisch, Reformen werden verschleppt, die Infrastruktur ist veraltet, Industrieanlagen sind monostrukturell ausgerichtet, die Wirtschaft ist wider allen Versprechungen weiterhin kaum diversifiziert und international trotz niedriger Lohnkosten nicht wettbewerbsfähig. Kommunikationskanäle der Bevölkerung zur Regierung sind nicht vorhanden. Die Regierung agiert im Blindflug.

Als Folge bleibt die wirtschaftliche Entwicklung seit Jahren immer deutlicher hinter den Potenzialen des Landes zurück. Hinzu kommt die einseitige Fokussierung auf die Ausbeutung der gewaltigen Gasreserven als einzige relevante Wirtschaftsgrundlage des Systems. Den Deviseneinnahmen steht die Entwicklung Turkmenistans hin zu einem typischen Rentierstaat einschließlich der damit verbundenen Herausforderungen gegenüber. Hierzu gehören unter anderem die Vernachlässigung aller nicht mit Renteneinnahmen verbundenen Wirtschaftszweige, die Entwicklung eines umfassenden Systems der wirtschaftlich unproduktiven Jagd nach ohne Arbeitsaufwand erzielbaren Einnahmen und des Nepotismus, das durch die vom Präsidenten verfolgte einseitige Förderung der Gruppe der Ahal-Tekke zulasten (und zur Unzufriedenheit) aller anderen Bevölkerungsgruppen aktiv verstärkt wird, sowie die alles umfassende Korruption.

Von der Wirtschaftskrise zur Systemkrise

Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage bahnte sich im Herbst 2016 eine durch den Verfall der Gaspreise verursachte Wirtschaftskrise an, die seit 2017 zunehmend dramatische Ausmaße annimmt. Auslöser war ein mit China geschlossener Vertrag zur langfristigen Lieferung von Erdgas nach China zu für Turkmenistan überaus ungünstigen Bedingungen. Der Vertrag erlaubt es China, die abgenommene Gasmenge flexibel zu bestimmen, während das gelieferte Gas auf längere Zeit vornehmlich dazu dient, die von China finanzierte Pipeline abzubezahlen. Die turkmenischen Förderkapazitäten reichen nicht aus, parallele Verträge zu erfüllen oder neue Absatzmärkte zu erschließen, selbst wenn diese für sich genommen deutlich lukrativer wären.

Spätestens im Herbst 2016, als neben weiten Teilen des von Nahrungsmittelimporten abhängigen Landes zunehmend auch die Hauptstadt von Versorgungsengpässen betroffen war, wurde offenkundig, dass die erprobte Leugnungsstrategie nicht ausreichen würde, die Krise auszusitzen. 2017 verschärfte sich die Versorgungslage bei Grundnahrungsmitteln weiter, immer mehr Importwaren verschwanden aus dem Sortiment der Lebensmittelhändler. Die Substitution durch einheimische Produkte gelang weder qualitativ noch quantitativ. Die drohende Freigabe des nur noch mit größter Mühe gestützten Wechselkurses des turkmenischen Manat lässt aufgrund der hohen Lebensmittelimportquote eine weitere Verschlimmerung der Krise befürchten.

Unklar ist, inwieweit die Führung des Landes bereits erkannt hat, dass aus der Wirtschaftskrise eine Systemkrise geworden ist. Eine erfolgreiche Bewältigungsstrategie ist weiterhin nicht erkennbar: Um den Anschein der Normalität zu wahren, wurde das Schlange stehen vor Lebensmittelgeschäften und das (nicht näher definierte) Leerkaufen von Lebensmittelregalen verboten. Um den Staatshaushalt zu schonen, wurden die bislang sehr großzügig verteilten Subventionen für Lebensmittel, Strom, Benzin, öffentliche Verkehrsmittel und verschiedene Dienstleistungen abgeschafft. Gleichzeitig spricht der Präsident weiterhin von erreichtem Wohlstand und großartigen Reformen, in deren Folge die Bevölkerung mit großzügigen Ernten und Wohlstand belohnt werde.

Der vom ersten turkmenischen Präsidenten Saparmurat Nijasow formulierte und von seinem Nachfolger Berdymuchammedow in ähnlicher Form implizit und explizit regelmäßig wiederholte Anspruch, »einer der Vorreiterstaaten des dritten Jahrtausends« werden zu wollen, ist in Anbetracht eines ausschließlich auf eine katastrophale Wirtschaftspolitik zurückzuführenden Versorgungsnotstands in einem der an Rohstoffen reichsten Staaten der Welt nicht nur perspektivlos, er ist absurd.

Reformunfähigkeit und drohender Systemkollaps

Im Unterschied zur Sowjetunion beinhaltet das wirtschaftspolitische System Turkmenistans kein die Herrschaftslegitimation stützendes Heilsversprechen. Und im Unterschied etwa zu den Golfstaaten bietet die Regierung ihren Staatsbürgern auch keine realistische Wohlstandsperspektive. Wichtigste Legitimationsgrundlagen waren daher bislang das Stabilitäts- und das Leistungsversprechen. Ersteres war schon vor Beginn der Wirtschaftskrise zum Versprechen politischer Stagnation verkommen, das Leistungsversprechen wurde mit der Abschaffung der Subventionen gebrochen.

Ernsthafte wirtschaftspolitische Reformen sind komplex und für die Machthaber mit erheblichen machtpolitischen Risiken verbunden. Die Risiken der aktuellen Krise jedoch sind fundamental: Der Verzicht auf zeitnahe umfassende strukturelle Veränderungen wird den Zusammenbruch des Herrschaftssystems zur unausweichlichen Folge haben.

Weltrekorde, pompöse Feiern, monumentale Marmorbauten und ein sich mit zunehmendem Legitimationsverlust immer großartiger inszenierender Präsident werden der Bevölkerung auf Dauer nicht genügen und könnten im Gegenteil als Zeichen autoritärer Hybris wahrgenommen werden.

Die bisherigen Aktivitäten der Regierung, das Ausweiten präsidialer Inszenierungen und Propaganda in Kombination mit der Verschärfung der Repressionen und der Abschaffung von Vergünstigungen, lassen vermuten, dass sie unfähig ist, Prozesse einzuleiten, die dem Herrschaftssystem einen – reformierten – Fortbestand ermöglichen könnten.

Unklar ist daher nur noch, wann die letzte Möglichkeit der Regierung verstreicht, sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung zu orientieren, die hierzu notwendigen Kommunikationskanäle zu öffnen, Kritik zuzulassen, Innovationen und Investitionen zu ermöglichen, Kultur den Raum zum Atmen und Bildung und Wissenschaft die ihnen zustehenden Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, das wirtschaftspolitische System zu reformieren und letztlich den Systemkollaps zu verhindern.

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Kommentar

Die Funktionsweise des turkmenischen Herrschaftssystems: Kontinuität und Wandel

Von Hannes Meißner
In Bezug auf die Funktionsweise seines Herrschaftssystems zählt Turkmenistan wohl zu den spannendsten Forschungsobjekten weltweit. Dies liegt am Höchstmaß des Autoritarismus, grotesk anmutenden Merkmalen personalisierter Herrschaft und der staatlichen Verfügungsgewalt über den hohen Reichtum an Erdgasressourcen. Die Tatsache, dass Turkmenistan dennoch nach wie vor eher ein Schattendasein in der Forschung fristet, ist maßgeblich auf den anhaltend hohen Isolationsgrad des Landes und das ungastliche Umfeld für Feldforschung zurückzuführen. Allerdings ist die Zahl der Publikationen über das Land in den vergangenen Jahren ein wenig gestiegen.
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Kommentar

Die Konsolidierung der Macht unter dem zweiten Präsidenten Turkmenistans

Von Tatia Chikhladze
Dieser kurze Kommentar behandelt die Entwicklungen unmittelbar nach dem Tod Saparmurat Nijasows und umreißt kurz, von wem und unter welchen Umständen sein Nachfolger gewählt wurde und wie es Gurbanguly Berdymuchammedow nach seiner Amtseinführung als Präsident Turkmenistans gelang, seine Macht zu konsolidieren.
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