Die hohen Kosten des Krieges: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die Armut verschärft

Von Oleksandra Betliy (Institut für Wirtschaftsforschung und Politikberatung, Kyjiw)

Zusammenfassung
Die sozialen Auswirkungen für die ukrainische Gesellschaft durch den russischen Angriffskrieg sind immens: Die Arbeitslosigkeit ist drastisch gestiegen und Millionen Menschen sind innerhalb des Landes geflohen, wodurch sie ihre Beschäftigung und Existenzgrundlagen verloren. Dadurch ist die Armutsquote schätzungsweise um das Fünffache gestiegen und liegt der UN zufolge bei 24 Prozent. Der Staat reagiert auf die soziale Krise mit zahlreichen Programmen, um die Bürger:innen zu unterstützen.

Einleitung

Die Wirtschaft der Ukraine hat im Laufe der großangelegten Invasion durch Russland, die am 24. Februar 2022 nach acht Jahren russischer Aggression in der Ostukraine und der Annexion der Krim 2014 begann, außerordentlich gelitten. Durch den Konflikt waren und sind Teile der Ukraine zeitweise besetzt, Lieferketten wurden unterbrochen. Die russischen Streitkräfte blockierten Seehäfen, so dass im August nur drei von ihnen offen waren. Dabei blieb deren Nutzung auf Getreide und einige andere landwirtschaftliche Produkte beschränkt. Das war für die Ukraine ein erheblicher Schlag, da das Schwarze Meer die wichtigste Exportroute für Eisenerz, metallurgische und landwirtschaftliche Erzeugnisse darstellt. Die russischen Streitkräfte haben nicht nur den Handel unterbrochen, sondern auch kritische Infrastruktur und Wohnhäuser zerstört. Darüber hinaus sah sich die Ukraine ganz beträchtlichen Engpässen bei der Energieversorgung gegenüber. Russische Angriffe auf die Energieinfrastruktur führten im Herbst zu einem Stromdefizit von 15–20 Prozent und wiederkehrenden Stromausfällen. Die Auswirkungen des Krieges auf die Wirtschaft und die Bevölkerung der Ukraine sind dramatisch.

Jüngst veröffentlichte Daten des ukrainischen Statistikamts »Ukrstat« zufolge ist das reale BIP des Landes im Laufe des Jahres 2022 um 29,1 Prozent gesunken. Auf der Produktionsseite ist die Wertschöpfung in allen Bereichen der Wirtschaft zurückgegangen, wie die nationalen Berichte ausweisen. Auf der Nachfrageseite ist der staatliche Konsum wegen der gestiegenen Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit eingebrochen: Der reale private Endverbrauch sank wegen der Einkommenseinbußen um 26,7 Prozent. Außerdem ist die Kaufkraft gesunken, da im Dezember 2022 die Inflation übers Jahr bei 26,6 Prozent lag. Sie wurde in erster Linie durch höhere Lebensmittel- und Treibstoffpreise angetrieben, während die Energietarife hingegen von der Regierung gedeckelt wurden. Auch wenn die Regierung die rechtzeitige und umfassende Zahlung der Sozialleistungen, Gehälter und Renten sicherstellte, ist der Anteil der von Armut betroffenen Bevölkerung stark gestiegen.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine

Der großangelegte Krieg Russlands gegen die Ukraine hat für die Bevölkerung verheerende Folgen. Viele waren gezwungen, aus ihrem Zuhause zu fliehen und ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung verlor seine Arbeit. Die exakte Zahl derjenigen, die innerhalb des Landes oder ins Ausland fliehen mussten, ist nicht bekannt, doch Schätzungen gehen in die Millionen. Es gibt auch keine verlässlichen Informationen, wie viele zivile Opfer der Krieg bereits gefordert hat. Einige Schätzungen sprechen von 30.000 oder mehr Toten, während die offiziellen Zahlen niedriger sind. Derzeit ist es nicht möglich, die Situation in den vorübergehend besetzten Gebieten zu untersuchen. Das gilt insbesondere für Mariupol und für andere Städte, die von Russland besetzt sind. DDie humanitäre Katastrophe ist in der Tat immens, und die Auswirkungen werden noch auf Jahre zu spüren sein.

Nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) beträgt die Zahl der aus der Ukraine geflüchteten über acht Millionen, wovon knapp über fünf Millionen Menschen in Europa als Vertriebene unter vorübergehendem Schutz oder einem ähnlichen nationalen Schutzprogramm registriert sind. Darüber hinaus wird geschätzt, dass sich rund 2,8 Millionen Ukrainer:innen in Russland oder Belarus aufhalten (freiwillig oder unter Zwang). Das Institut für Demographie und Sozialforschung der ukrainischen Akademie der Wissenschaften betont jedoch, dass die Schätzungen der UN erheblich übertrieben sind. Einer Studie des »Zentrums für Wirtschaftsstrategien« (CES) zufolge gibt es im Ausland (ohne Belarus und Russland) zwischen 3,8 und 4,7 Millionen ukrainische Geflüchtete. Der größte Teil von ihnen sind Frauen zwischen 35 und 49 Jahren und Kinder. Ukrainer:innen, die in andere Länder gegangen sind, erhalten Geld und humanitäre Unterstützung (anders als in Russland und Belarus, wo die Erfahrungen gemischt sind). Der erwähnten Studie des CES zufolge haben allerdings 42 Prozent der ukrainischen Geflüchteten betont, dass das Geld nur für Essen reicht oder sie nicht genug Geld zur Verpflegung haben.

Die große Zahl der Geflüchteten stellt für das Potenzial der Ukraine zum Wiederaufbau nach dem Krieg eine große Herausforderung dar. Die Regierung wird versuchen müssen, eine Politik zu verfolgen, die ihre Rückkehr nach dem Krieg attraktiv macht. Unterdessen legen viele EU-Staaten Programme auf, die Anreize für eine Integration der Ukrainer:innen im Zielland bieten. Allerdings sind viele Ukrainer:innen bereits wieder ins Land zurückgekehrt, nachdem sie einige Zeit in der EU verbracht hatten.

Nicht nur die Emigration ins Ausland, sondern auch die Dimension der Binnenvertreibung war enorm. Nach einem Jahr Krieg ist die Zahl der in der Ukraine registrierten Binnenvertriebenen (IDP) nach Angaben des Ministeriums für Sozialpolitik bis Februar 2023 von 1,5 auf 4,8 Millionen gestiegen. Allerdings sind nicht alle Vertriebenen als Binnengeflüchtete registriert. Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge betrug die Zahl der IDPs mit Stand vom 23. Januar 2023 sogar 5,4 Millionen, wobei sie allmählich von dem Höchststand von acht Millionen Anfang Mai 2022 zurückgeht. Einer der Gründe hierfür ist der Umstand, dass wohlhabendere IDPs wegen der geringen Sozialleistungen nicht an einer Registrierung interessiert sind. Der IOM zufolge sind 55 Prozent der IDPs Frauen und 26,5 Prozent Kinder. 57 Prozent der IDPs sind im erwerbsfähigen Alter und 60 Prozent haben der IOM-Studie zufolge ihre Arbeit verloren.

In früheren Kriegsjahren (2014–2021), waren nur Bewohner:innen der Oblaste Donezk und Luhansk sowie der Krim von Vertreibung betroffen; 2022 galt das wiederum für die meisten Oblaste des Landes. Hinzu kam, dass in einigen Oblasten einige Regionen Ausgangspunkt für IDPs waren, während andere Regionen derselben Oblast IDPs aufnahmen. Diese Situationen gab es insbesondere in den Oblasten Sumy, Charkiw, Donezk, Cherson, Saporischschja und Mykolajiw, die dicht an der Front liegen. Allerdings betrifft dies auch andere Oblaste und Städte der Ukraine, einschließlich Kyjiw, da sich die russischen Raketen- und Drohnenangriffe gegen die gesamte Ukraine richteten.

Dass eine Integration der IDPs notwendig und dringend ist, wird von allen relevanten Beteiligten eingesehen. Viele IDPs und auch ins Ausland geflüchtete haben ihr Zuhause verloren. Schätzungen der Kyiv School of Economics (KSE) zufolge wurden bis Februar 2023 mehr als 150.000 Wohngebäude beschädigt oder zerstört, der Gesamtschaden beläuft sich auf 53,6 Milliarden US-Dollar.

Sozialpolitik während des großangelegten Krieges

Seit Beginn der großangelegten Invasion durch Russland musste die ukrainische Regierung die Finanzierung der Verteidigungs- und Sicherheitsmaßnahmen erheblich aufstocken: Die konsolidierten Haushaltsausgaben hierfür stiegen auf das Neunfache bzw. 2,6-Fache. Gleichzeitig war es für die Regierung auch Priorität, alles zu unternehmen, um die Gehälter, Renten und Sozialleistungen rechtzeitig und umfassend zahlen zu können, damit in der Ukraine eine starke Zunahme der Armut vermieden wird.

Als Reaktion auf den Krieg führte die Regierung eine Reihe von Unterstützungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Armut ein, unter anderem im März 2022 das Programm »ePidtrymka« (dt.: »e-Unterstützung«), das für Bewohner:innen von 14 betroffenen Regionen, die vor dem 24. Februar 2022 einer Beschäftigung nachgegangen waren, eine Einmalzahlung von 6.500 Hrywnja (ca. 200 Euro) vorsah. Die Regierung wendete für das Programm 31 Milliarden Hrywnja (ca. 1 Mrd. Euro) auf, die fast 5 Millionen Menschen zugutekamen. Die Beantragung erfolgte unkompliziert per Smartphone über die staatliche E-Services-App »Diia«. Und um die Anträge auf Sozialhilfe zu vereinfachen, wurde die Registrierung als IDP oder als Arbeitslose/r ebenfalls über »Diia« ermöglicht.

Registrierte IDPs aus den Gebieten, in denen der Krieg in einer aktiven Phase und das Leben gefährlich ist, erhalten monatlich als Erwachsene 2.000 Hrywnja (knapp 50 Euro) und als Kinder oder Menschen mit Behinderungen 3.000 Hrywnja (ca. 73 Euro). Der IOM zufolge leben nur 30 Prozent der IDP-Haushalte von Gehältern als ihrer primären Einnahmequelle. Weitere 20 Prozent stützen sich auf Renten, was es für die Wohlfahrtspolitik umso wichtiger macht, dass die Renten rechtzeitig ausgezahlt werden. Bei den IDP-Haushalten sind rund 24 Prozent auf monatliche staatliche Hilfen angewiesen. Das monatliche Einkommen pro Angehörigem eines IDP-Haushalts beläuft sich für 72 Prozent der Haushalte auf durchschnittlich 2.500 Hrywnja (rund 62 Euro), was eine Herausforderung für diese Gruppe darstellt. Gleichzeitig erhalten IDPs auch direkte finanzielle Unterstützung und humanitäre Hilfe von einigen internationalen Organisationen (UNESCO, UN, Rotes Kreuz) sowie aus der Zivilgesellschaft und zahlreichen lokalen Wohlfahrtsorganisationen. Um die Unterstützung für die IDPs besser zu koordinieren, führte die Regierung die Internet-Plattform »eDopomoha« (dt.: »e-Hilfe«) ein, auf der Nutzer:innen staatliche Finanzhilfen beantragen, die Unterstützung von Freiwilligen suchen oder Hilfszahlungen von internationalen Organisationen empfangen können. Da es viele internationale und ukrainische Organisationen gab, die humanitäre oder finanzielle Hilfe leisteten, überprüfte das Ministerium für Sozialpolitik die Daten von Einzelpersonen, um eine Doppelfinanzierung durch unterschiedliche Stellen zu unterbinden, wie sie in den ersten Tagen der Invasion stattgefunden hatte.

Im Frühjahr 2022 und im März 2023 führte die Regierung eine Rentenanpassung durch, damit die Rentner:innen für die hohe Inflation bei den Verbraucherpreisen kompensiert werden. Allen Rentner:innen wurden ihre Renten ausgezahlt. Rentner:innen, die nach dem 24. Februar 2022 in vorübergehend besetzten Gebieten blieben (von denen einige bereits befreit sind) erhielten ihre Renten auf ihre Bankkonten. Falls sie traditionell ihre Renten über die ukrainische Post bezogen, wurden die Renten wenige Tage nach der Befreiung ausgezahlt. Das ist der Grund warum die ukrainische Post zu den ersten Institutionen zählte, die in von der ukrainischen Armee befreite Orte zurückkehrte: Sie spielte bei der Versorgung der Rentner:innen eine zentrale Rolle.

2022 setzte die ukrainische Regierung den geplanten Anstieg des Existenzminimums um, der zu einer nominellen Erhöhung des garantierten Mindesteinkommens (GME) führte. Dieser Faktor wurde bei Zahlungen an geringverdienende Familien im Rahmen des GME-Programms berücksichtigt. Allerdings brachte es die Inflation mit sich, dass die garantierten Mindesteinkommen real beträchtlich schrumpften. Ungeachtet eines Anstiegs der Finanzierung um 9,6 Prozent auf einen Umfang von aktuell 13,8 Milliarden Hrywnja, stieg die Zahl der Familien, die finanzielle Hilfen aus dem Programm für ein Mindesteinkommen erhielten, lediglich um 2,9 Prozent. Dadurch konnte der Schutz trotz der zunehmenden Armut nicht ausgeweitet werden. Einer der Faktoren könnte hier das niedrige Niveau des GME sein, und die erhöhten Sozialhilfen für IDPs, die über andere Programme bereitgestellt werden. Die begrenzte Reichweite des Programms deutet darauf hin, dass viele unter Armut leidende Haushalte nicht erreicht wurden.

Um die Haushalte zu entlasten, die ihre Einkommensquelle verloren haben, lockerte die Regierung 2022 die Bedingungen für Wohn- und Betriebskostenzuschüsse, wobei IDPs diese Zuschüsse an ihrem neuen Wohnort erhalten konnten. Die Zahl der Haushalte, die diese Zuschüsse erhalten, stieg von September bis Dezember 2022 von 1,4 auf 2,6 Millionen, wahrscheinlich, weil einige IDPs, die ihr Einkommen verloren hatten, weiterhin einen Anspruch auf diese Zuschüsse haben. Die Zahl der Empfänger:innen schnellte allerdings nicht in die Höhe, weil viele ins Ausland emigrierten und die Regierung die Tarife für Gas und Heizung einfror, um extreme Armut zu verhindern. Diese Strategie begrenzt zwar soziale Spannungen und die Inflation, doch sind allgemeine Subventionen in der Regel teurer als zielgerichtete soziale Unterstützung. Insgesamt ist die Finanzierung von Wohn- und Betriebskostenzuschüssen 2022 um 24,5 Prozent auf 24,9 Milliarden Hrywnja zurückgegangen.

Den Menschen in befreiten Gebieten zahlte die Regierung im Oktober 2022 einmalig pro Person 2.000 Hrywnja aus bzw. 3.000 Hrywnja für Kinder und Menschen mit Behinderungen. Außerdem startete im Oktober 2022 das Programm »eOsselja« (dt.: »e-Wohnen«), mit dem subventionierte Immobilienkredite bereitgestellt werden.

Darüber hinaus wurde Anfang 2023 das Gesetz über Entschädigungen für beschädigten oder zerstörten Wohnraum verabschiedet. Somit haben Haushalte, deren Wohnraum durch den Krieg beschädigt wurde, einen Anspruch auf Entschädigung oder ersatzweisen Wohnraum. Es wird erwartet, dass das Programm in nächster Zukunft anlaufen wird. Die genaue Prozedur des Entschädigungsverfahrens steht noch nicht fest, aber die Betroffenen können bereits beschädigten oder zerstörten Wohnraum melden, entweder über die Diia-App oder über die lokalen Zentren für Verwaltungsdienstleistungen. Die Schadensüberprüfung wird durch speziell eingesetzte Kommissionen vorgenommen.

Beschäftigung und Arbeitslosigkeit

Viele Unternehmen mussten ihre Tätigkeit zurückfahren, einige mussten schließen und andere haben ihren Standort in sichere Regionen verlegt. Dadurch ist die Arbeitslosenquote stark gestiegen: Lag sie Ende 2021 bei ca. 10 Prozent, stieg sie Anfang 2023 schätzungsweise auf 20–25 Prozent [Anm. d. Red.: Viele staatliche Statistiken werden seit Februar 2022 nicht mehr veröffentlicht, weshalb es zu einer Reihe von Themen, wie z. B. Arbeitslosigkeit, keine offiziellen Angaben mehr gibt, sondern lediglich Schätzungen]. Aus einer Reihe von Gründen ist diese Schätzung jedoch höher als die tatsächliche Arbeitslosenquote. Der erste und wichtigste Grund ist: Die Schätzung berücksichtigt auch Ukrainer:innen, die in Wirklichkeit im Ausland sind und somit derzeit keine Arbeit in der Ukraine suchen. Zweitens gibt es vereinzelte Belege, dass die informelle Beschäftigung etwas zugenommen hat, weil das den Arbeitgeber:innen mehr Flexibilität bietet, wenn wegen der Kriegsrisiken schwierige Zeiten anbrechen.

Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit hat die Regierung eine Reihe von Initiativen verfolgt, die für Unternehmen Unterstützung bereithalten sollen. Diese Programme zielen auf Beschäftigungssicherung und eine Stärkung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit ab. Sie sind derart gestaltet, dass sie Unternehmen vor der Notwendigkeit bewahren sollen, Beschäftigte zu entlassen. Diese Maßnahme ist wichtig, um zu verhindern, dass weitere Haushalte in Armut abrutschen.

Armut

2022 hat Ukrstat seine Erhebung zu den Privathaushalten, die die beste Informationsquelle zur Armut darstellt, nicht durchgeführt, weil große Teile der Bevölkerung migriert sind und weil die Rahmenbedingungen aufgrund der landesweiten Raketen- und Drohnenangriffe solche Umfragen schwierig machen. Auch die Daten zu den Löhnen und Gehältern sowie die Verteilung der Beschäftigten werden von Ukrstat nicht veröffentlicht. Die Weltbank hat allerdings versucht, die Armut anhand der globalen Armutsgrenze von 6,85 US-Dollar pro Kopf am Tag abzuschätzen. Diesen Schätzungen zufolge hat die Armut von 5,5 Prozent 2021 auf 24,1 Prozent 2022 zugenommen. Das bedeutet, dass der Krieg zusätzliche 7,1 Millionen Menschen in die Armut getrieben hat und die Ukraine bei der Armutsbekämpfung um 15 Jahre zurückgeworfen hat. Diese Zunahme der Armut ist aber auch zum Teil auf die kriegsbedingte Abwertung der Hrywnja zurückzuführen: Im Dezember 2021 lag der Hrywnja-Kurs pro US-Dollar bei 26,8; im Dezember 2022 waren es 36,57. Die vom Krieg am stärksten betroffenen Regionen weisen einen stärkeren Anstieg der Armut auf, weil die Inflation dort wegen der teureren Logistik und größeren Risiken höher ist. Der UNESCO zufolge ist auch die Kinderarmut drastisch gestiegen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Regierung während des großangelegten russischen Krieges gegen die Ukraine beharrlich bemüht war, Mittel für Sozialprogramme bereitzustellen und die Beschäftigung anzukurbeln. Das Ziel war, die soziale Absicherung im Land in Kriegszeiten aufrecht zu erhalten, den Anstieg der Armut zu begrenzen und die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft zu erhöhen. Die Anstrengungen trugen Früchte, weil die Regierung es schaffte, die Finanzierung für diese Programme durch erfolgreiche Verhandlungen mit internationalen humanitären und Finanzorganisationen sowie mit anderen Staaten abzusichern. Diese Finanzierung hatte Priorität, weil die gesunkenen Steuereinnahmen gerade so ausreichten, um die stark gestiegenen Ausgaben für Verteidigungs- und Sicherheitsmaßnahmen zu decken. Die Reaktion der Regierung auf die sich stetig wandelnde Lage war ungeachtet dieser Leistungen uneinheitlich und könnte eine umfassende Überarbeitung gebrauchen.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

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