Das Minsk-2-Abkommen – fragiler Waffenstillstand

Von Wojciech Kononczuk (Warschau)

Auf der einen Seite kann das in Minsk unterzeichnete Abkommen als Erfolg für Präsident Petro Poroschenko gewertet werden, dem es gelungen ist, deutliche ungünstige geopolitische Zugeständnisse in Punkten zu vermeiden, die Russland zu erzwingen versucht hat und die in Kiew zu ernsthaften internen politischen Konflikten hätten führen können. Auf der anderen Seite lässt das Dokument an vielen Stellen reichlich Raum für unterschiedliche Interpretationen, was zu Auseinandersetzungen zwischen Kiew einerseits und Russland und den Separatisten andererseits führen wird. Die wichtigsten Punkte sind dabei: die Frage, ob Kiew die Grenze zu Russland wieder unter seine Kontrolle bekommt; ein »spezieller Status« für einige Regionen in den Oblasten Donezk und Luhansk; der Wiederaufbau sozioökonomischer Beziehungen zwischen dem Donbass und dem Rest der Ukraine, einschließlich einer Wiederaufnahme der Finanztransfers; Amnestien für die an den Militäraktionen im Donbass Beteiligten; der Rückzug schwerer Waffen aus der Kampfzone.

Das Abkommen sieht mehr Verpflichtungen für die Ukraine vor, wobei die Wirksamkeit vieler Punkte von der Zustimmung der Separatisten abhängt. Das in Minsk verabschiedete Dokument ermöglicht es Russland, Kiew im nicht unwahrscheinlichen Fall des Scheiterns des Abkommens für dieses Scheitern verantwortlich zu machen, während die Separatisten im Fall der Umsetzung des Abkommens mit einer vollen Verhandlungsmacht ausgestattet wären. Weil das Abkommen keine Realisierung der strategischen Ziele Russlands in Bezug auf die Ukraine vorsieht, wird sich seine vollständige Umsetzung als unmöglich erweisen, und es wird nur einen vorübergehenden Stopp des andauernden Konflikts im Osten der Ukraine bewirken.

Die Ukraine sieht das neue Dokument als Bekräftigung der im letzten September im Minsker Abkommen festgelegten Regelungen an, wobei einige Punkte spezifiziert wurden. Außerdem war seine Verabschiedung ohne signifikante strategische Zugeständnisse an Russland möglich (etwa ein neutraler Status oder die Absage an die europäische Integration). Die Ukraine konnte es vermeiden, die Einführung des Föderalismus und eine weitgehende Autonomie für den Donbass zu akzeptieren, was Russland Gelegenheit gegeben hätte, die ukrainische Politik über den Donbass zu beeinflussen.

Russland und den Separatisten ist es nicht gelungen, Kiew die Zustimmung zu einem Autonomiestatus (und einer eigenen Verfassung) für die gesamten Oblaste Donezk und Luhansk abzuringen, einschließlich der momentan von Kiew kontrollierten Regionen. Die Aussichten der Ukraine, die 400-Kilometer-Strecke seiner Grenze mit Russland wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen, bleiben fern und ungewiss. Das Bekenntnis zu einem Waffenstillstand und die Schaffung einer Pufferzone sind von großer Bedeutung. Die Kampfhandlungen aufrechtzuerhalten, ist für Kiew in den letzten Wochen immer schwieriger geworden und mit großen finanziellen Kosten und der Schaffung einer Situation einhergegangen, die für die Reform des Staates ungünstig ist. Trotz des für die Ukraine allgemein vorteilhaften Tons des Abkommens werden etliche seiner Punkte wohl von einigen parlamentarischen Parteien in Frage gestellt werden.

Das neue Abkommen ist keine umfassende Lösung für das Problem des Separatismus im Donbass, das von Russland losgetreten und ausgenutzt wurde. Auch wenn Russland keine eindeutigen geopolitischen Zugeständnisse gemacht wurden, wird es aus den Vereinbarungen des Abkommens und seiner Mehrdeutigkeit sicherlich Vorteile ziehen. So können die Russland-Ukraine-EU-Konsultationen, die auf Russlands Besorgnis über das Assoziierungsabkommen zwischen Kiew und Brüssel zurückgehen, Russland als Vorwand dienen, um ein politisches De-facto-Vetorecht bei Fragen internationaler Abkommen zu etablieren, die unter die Souveränität der ukrainischen Regierung fallen. Der allgemeine oder vage Charakter vieler Punkte des Abkommens wird zu Auseinandersetzungen führen – einige davon in Kiew –, und ihre Umsetzung erschweren sowie in bestimmten Fällen auch unmöglich machen. Dass es in den kommenden Monaten keine Kontrolle über die Grenze geben wird, ermöglicht es Russland, seine bereits vorhandenen Optionen zur Einflussnahme auf die Region aufrechtzuerhalten. Dass die Wirksamkeit vieler Punkte von der Zustimmung der Separatisten abhängt, ist ein Anzeichen dafür, dass Russland die Donezker und Luhansker Behörden nutzen wird, um den »innerukrainischen« politischen Dialog zu torpedieren und so die auf der ukrainischen Regierung lastende Verantwortung zu erhöhen. Im Resultat ist schwerlich zu erwarten, dass dieses neue Dokument zu einer dauernden Stabilisierung der Situation in der Ostukraine führen wird, und das Risiko einer plötzlichen Eskalation der Spannung ist eigentlich überhaupt nicht gesunken. In den kommenden Monaten wird die ukrainische Regierung unter dem konstanten Druck der Separatisten und Russlands stehen, die versuchen werden, weitere Zugeständnisse von Kiew zu erzwingen – mit der Drohung, die bewaffneten Auseinandersetzungen wieder aufzunehmen.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

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Kommentar

Trennlinien in der Ostukraine

Von Heiko Pleines
Zur Beilegung eines gewaltsamen Konfliktes müssen zuerst die Konfliktparteien getrennt und durch eine neutrale Instanz an der Wiederaufnahme von Gewalt gehindert werden. Dieser Logik folgen auch die in Minsk von der Ukraine, Russland und den Separatisten unter Vermittlung der OSZE geschlossenen Vereinbarungen vom September 2014 (Minsk 1) und Februar 2015 (Minsk 2).
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