Ausländische-Agenten-Gesetz vor der Duma-Wahl 2021 ausgeweitet

Von Max Bader (Universität Leiden)

Treten die vor kurzem in Russland vorgeschlagenen Änderungen am »Ausländische-Agenten-Gesetz« in Kraft, wären mehr Organisationen dem Risiko ausgesetzt, als ausländische Agenten zu gelten. Außerdem würden bei der Wahl antretende Kandidaten, die finanzielle oder andere Fördermittel von einer Organisation oder Person erhalten haben, die als »ausländischer Agent« registriert ist, selbst riskieren, als ausländische Agenten zu gelten. Die Änderungen weiten zudem den Kreis von Bürgern, die als »ausländische Agenten« bezeichnet werden können, so stark aus, dass jeder dazu zählt, der »politische Aktivitäten« mithilfe von Geldern, Sachmitteln oder »organisatorisch-methodischer Unterstützung« eines ausländischen Akteurs ausführt. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die jüngst vorgeschlagenen Änderungen auf bestimmte Individuen und Organisationen abzielen und zumindest auch mit Blick auf die Staatsdumawahl 2021 entworfen wurden. Die Änderungen sind in den letzten Monaten inzwischen in Kraft getreten.

Die Präsidialadministration entwickelt für jede landesweite Wahl in Russland eine Strategie, um die Wahlziele des Kremls zu erreichen. Ein Element dieser Strategie für 2021 wurde bereits früh deutlich – möglichst viele Parteien bei den Wahlen zuzulassen. Da viele von ihnen die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden werden, kommen die für sie abgegebenen Stimmen im Endeffekt den Ergebnissen der wenigen Parteien zugute, die es über die Hürde schaffen. Ein weiteres strategisches Element für die anstehenden Wahlen ist die Einführung einer drei Tage dauernden Wahl anstatt eines einzigen Wahltags. Die Ausdehnung auf drei Tage schafft zusätzliche Möglichkeiten für Wahlbetrug und einen missbräuchlichen Einsatz administrativer Mittel, während gleichzeitig die Beobachtung des Prozesses komplizierter und aufwendiger wird.

Unter der Leitung von Andrej Klimow, Mitglied des Föderationsrats, und Wasilij Piskarjow, Mitglied der Staatsduma, schlugen am 18. November einige Abgeordnete eine Reihe von Änderungen an der momentanen Gesetzgebung vor, die auf ein weiteres strategisches Element für die Staatsdumawahl 2021 hindeuten. Sie weiten die Definition und die Anwendung des Konzepts »ausländischer Agent« aus und bezwecken damit allem Anschein nach eine Diskreditierung bestimmter künftiger Kandidaten sowie eine Schwächung der Smart-Voting-Kampagne, der Antikorruptionsstiftung von Alexej Nawalnyj und einer unabhängigen Wahlbeobachtung.

Vor allem zwei der vorgeschlagenen Änderungen könnten sich auf künftige Wahlen auswirken, unter anderem auf die Wahlen zur Staatsduma im September 2021. Seit 2012 müssen sich NGOs in Russland, die »politische Aktivitäten« ausüben, als »ausländische Agenten« registrieren lassen. Sollten die vorgeschlagenen Änderungen verabschiedet werden, könnten auch NGOs (und Bürgerbewegungen), die keine juristischen Personen sind, ins Verzeichnis »ausländischer Agenten« aufgenommen werden. Seit der ursprünglichen Einführung dieser Liste wurde das Gesetz Nr. 1057914-7 eingeführt, das obiges Szenario vorsieht – am 23.12.2020 wurde es verabschiedet, am 30.12.2020 vom Präsidenten unterzeichnet. Gleichzeitig wurde die Definition des »ausländischen Agenten« ausgeweitet und umfasst nun auch Organisationen, die von russischen Organisationen Förderung erhalten, welche ihrerseits aus dem Ausland gefördert werden. Die Zahl der Organisationen, die als »ausländische Agenten« registriert werden könnten, steigt damit also.

Der zweite Änderungsvorschlag, der deutliche Folgen für die Wahl im nächsten Jahr haben könnte, führt zwei neue Typen von Kandidaten ein: den »als ausländischer Agent fungierenden Kandidaten« und den »Kandidaten mit Verbindungen zu einer als ausländischer Agent fungierenden Person«. In die zweite Kategorie fallen alle, die in den letzten zwei Jahren für eine »Ausländische-Agenten-Organisation« gearbeitet oder finanzielle oder andere Förderung von einer Organisation oder Person erhalten haben, die als »ausländischer Agent« registriert ist. Kandidaten, die ein Kriterium oder beide erfüllen, müssen das auf ihren Unterschriftensammellisten erwähnen und ihr komplettes Wahlwerbematerial mit einem Warnhinweis versehen, der sie auf mindestens 15 Prozent der Fläche als »ausländische Agenten« ausweist. Diese Kennzeichnung findet auch neben dem Namen des Kandidaten auf den Wahlzetteln statt. Außerdem können durch die Änderungen mehr Bürger als »ausländische Agenten« bezeichnet werden – alle nämlich, die »politische Aktivitäten« mithilfe von Geldern, Sachmitteln oder »organisatorisch-methodischer Unterstützung« eines ausländischen Akteurs ausführen.

Die existierenden »Ausländische-Agenten«-Gesetze wurden breit dafür kritisiert, dass sie für selektive Interpretation und Anwendung offen sind. Was zählt als »politische Aktivität«? Und sollte Förderung aus dem Ausland verboten sein, wenn sie aus Crowdfunding, Preisgewinnen oder der Teilnahme an einem Forschungsprojekt stammt? Die jüngsten Änderungen werden aus dem gleichen Grund kritisiert. Was bedeutet beispielsweise »organisatorisch-methodische Unterstützung«? Russische Abgeordnete weisen darauf hin, dass auch andere Länder Gesetze haben, die die Tätigkeiten »ausländischer Agenten« einschränken, und dass Wahlen vor ausländischer Beeinflussung geschützt werden müssen. Es gibt jedoch schwerwiegende Gründe für die Annahme, dass sich die jüngsten Änderungsvorschläge gegen bestimmte Individuen und Organisationen richten und zumindest teilweise mit Blick auf die Wahl zur Staatsduma 2021 verfasst wurden.

Die Änderungen könnten es erstens einigen oppositionellen Politikern – unter ihnen Mitarbeiter von Alexej Nawalnyjs Antikorruptionsstiftung – erschweren, bei den Wahlen zu kandidieren. Zwei bekannte Gesichter der Stiftung, Ljubow Sobol und Iwan Schdanow, wollen bei den Dumawahlen in Moskauer Einerwahlkreisen antreten. Sollten die Änderungen verabschiedet werden, ist es wohl unvermeidbar, dass sie den Vermerk »als ausländischer Agent fungierender Kandidat« erhalten, denn die Antikorruptionsstiftung ist auf der Ausländische-Agenten-Liste registriert. Im ganzen Land müssen oppositionelle Kandidaten, die für eine Organisation arbeiten oder Verbindungen zu einer Organisation haben, die auf der Liste »ausländischer Agenten« stehen, davon ausgehen, dass sie bei ihrer Registrierung zur Wahl zum »als ausländischer Agent fungierender Kandidat« oder zum »Kandidat mit Verbindungen zu einer als ausländischer Agent fungierenden Person« erklärt werden. Aufgrund der negativen Konnotation des Begriffs »ausländischer Agent« macht es ihnen das schwerer, Unterschriften für ihre Kandidatur zu sammeln und Wahlkampf zu führen und Wähler zu überzeugen, wenn sie als Kandidaten registriert sind.

Auch der von der Antikorruptionsstiftung ins Leben gerufenen Smart-Voting-Kampagne (Умное Голосование) können die Änderungen schaden. Smart Voting hat seit 2018 die Wahl zahlreicher Einiges-Russland-Kandidaten bei Regional- und Kommunalwahlen in großen Städten erfolgreich verhindert, etwa in Chabarowsk, Moskau, Nowosibirsk, Tambow und Tomsk. Erreicht wurde das, indem die Wahlberechtigten aufgerufen wurden, für bestimmte Oppositionskandidaten zu stimmen – obwohl diese bei weitem nicht perfekt waren –, um die Zersplitterung der oppositionellen Stimmen zu verhindern. Momentan plant die Antikorruptionsstiftung, Smart Voting für die Wahlen zur Staatsduma 2021 in möglichst vielen Wahlkreisen zu organisieren. Führende Köpfe der Stiftung vermuten, dass die neue Gesetzgebung eingesetzt werden könnte, um für das Smart Voting ausgewählte Personen als »Kandidaten mit Verbindungen zu einer als ausländischer Agent fungierenden Person« zu kennzeichnen. Manche Kandidaten werden es aus diesem Grund ablehnen, mit Smart Voting in Verbindung gebracht zu werden. Und Kandidaten, die diese Kennzeichnung annehmen, werden es schwerer haben, Wähler zu überzeugen und erfolgreich Wahlkämpfe zu realisieren.

Schließlich könnten die Änderungen auch die Arbeit von Golos und anderen Wahlbeobachtungsorganisationen erschweren. Nachdem Golos als »ausländischer Agent« gebrandmarkt worden war, entschied die Organisation, sich behördlich abzumelden und als »Bewegung« weiterzuarbeiten. Wenn die vorgeschlagenen Änderungen verabschiedet werden, besteht für Golos – und für Aktivisten, die mit Golos in Verbindung stehen – erneut die Gefahr, als »ausländische Agenten« gekennzeichnet zu werden. Von Golos geschulte Beobachter werden so in der Theorie auch zu »ausländischen Agenten«, indem sie »organisatorisch-methodische Unterstützung« durch die Bewegung erhalten. Die Eintragung als »ausländischer Agent« bringt eine Reihe unwillkommener Folgen für die betroffenen Personen mit sich, unter anderem dürfen diese auf keiner Ebene der staatlichen Administration mehr arbeiten. Infolge der Änderungen könnte es für Golos (und andere Wahlbeobachtungsorganisationen) außerdem schwieriger werden, Wahlbeobachter zu rekrutieren.

Zugegebenermaßen existiert bei den in den letzten Monaten in Kraft getretenen Änderungen eine große Unsicherheit sowohl in Bezug auf die Absichten dahinter als auch hinsichtlich ihrer möglichen Umsetzung. Wer sich für die anstehenden Staatsdumawahlen interessiert, sollte die Umsetzung der Änderungen in den nächsten Monaten jedenfalls im Auge behalten.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

EPDE wird finanziell gefördert von der Europäischen Union, dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland und dem Programm Zivik aus dem Fonds des Instituts für Auslandsbeziehungen beim Auswärtigen Amt. Die hier geäußerten Ansichten geben nicht notwendigerweise die Meinung der Geldgeber wider.

Die Redaktion der Russland-Analysen bedankt sich bei der Europäische Plattform für Demokratische Wahlen-EPDE (www.epde.org) für die Übersetzung und die Erlaubnis, den Text abdrucken zu dürfen. Das Original ist erschienen unter https://www.epde.org/en/news/details/foreign-agents-law-expanded-ahead-of-2021-state-duma-election.html.

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