Armenisch-russische Beziehungen: Geschichte, Realität und Beweggründe der beiden Partner

Von Harutyun Grigoryan (Universität Potsdam)

Zusammenfassung
Die armenisch-russischen Beziehungen basieren vor allem auf historisch bedingten, für Russland geostrategischen und für Armenien existentiellen Interessen und werden im 21. Jahrhundert als strategisch-partnerschaftlich bezeichnet. Die geopolitischen Ziele des als Weltmacht agierenden Russland stimmen mit den Zielen der armenischen Nation nicht immer überein. Trotzdem bleiben die beiden Hauptstädte Moskau und Jerewan eng miteinander verbunden. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Retrospektive

Die Geschichte der armenisch-russischen Beziehungen reicht Jahrhunderte zurück. Das historische Ostarmenien, dessen Gebiet sich zum Teil mit dem der heutigen Republik Armenien deckt, wurde 1828 Teil des Russischen Reiches.

Nach dem Niedergang des Zarenreiches waren Armenien und Russland, abgesehen von der kurzen Phase der ersten Republik Armenien von 1918 – 1920, gemeinsam Teil eines russisch dominierten Staates. Erst nach dem Zerfall der UdSSR erhielten die armenisch-russischen Beziehungen einen bilateralen Charakter.

Am 3. April 1992 wurden diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufgenommen. Seitdem wird die Zusammenarbeit kontinuierlich vertieft. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen dafür sind der am 29.12.1991 unterzeichnete, allerdings nicht ratifizierte, später durch den Vertrag »Über kollektive Sicherheit der GUS« vom 15.05.1992 ersetzte, »Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Sicherheit zwischen der Russischen Föderation und der Republik Armenien« (der am 29.08.1997 nochmals unterzeichnet wurde), sowie die »Deklaration über eine alliierte Zusammenarbeit zwischen Russland und Armenien, ausgerichtet auf das 21. Jahrhundert« vom 26.09.2000. Zudem bestehen zwischen den beiden Staaten fast 300 verschiedene Verträge und Abkommen.

Die zwischenstaatlichen Beziehungen lassen sich auch durch die von Russland initiierten überregionalen Integrationsprozesse, wie etwa die Eurasische Wirtschaftsunion oder die Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit, vertiefen.

Sicherheitspolitische Beziehungen

Einige der in der Armenischen SSR stationierten Einheiten der Sowjetarmee fielen Russland als dem Nachfolger der UdSSR zu, verließen aber nicht die unabhängig gewordene Republik Armenien. Sie blieben u. a. in dem bereits zur Zeit des Zarenreiches eingerichteten und später mehrmals modernisierten Militärstützpunkt in der Stadt Gjumri. Rechtlich abgesichert wurde die russische Militärpräsenz in Armenien durch zahlreiche Verträge, die zwischen 1992 und 2017 unterzeichnet wurden. Die Hauptaufgabe des russischen Militärs in Armenien bleibt offiziell der Schutz der armenischen Souveränität sowie die Erhöhung der Stabilität der südöstlichen Grenzen Russlands. 2015 – 2016 wurde der Zusammenschluss der Luftabwehrsysteme und Truppen bestimmter Einheiten der armenischen Armee sowie von den in Armenien stationierten russischen Einheiten vereinbart. Diese gemeinsamen Einheiten funktionieren seit 2017 und können »im Falle einer Aggression« auch unter dem Kommando des russischen Militärbezirks Süd stehen, zu dem unter anderem die Schwarzmeerflotte und die Halbinsel Krim gehören.

Einheiten, die offiziell zum Inlandsgeheimdienst Russlands (FSB) gehören, überwachen die armenische Grenze zur Türkei (ca. 310 km) und zu Iran (ca. 45 km). Darüber hinaus führen russische FSB-Angehörige zusammen mit den armenischen Kollegen auf den Flughäfen von Jerewan und Gjumri Passagierkontrollen durch. Im »Vertrag zwischen der Republik Armenien und der Russischen Föderation über den Status und die Funktion der auf dem Territorium der Republik Armenien stationierten Grenztruppen der Russischen Föderation« vom 30.09.1992 heißt es, dass die Republik Armenien im Interesse der Gewährleistung der eigenen Sicherheit und der Sicherheit der Russischen Föderation den Schutz der Staatsgrenze zur Türkei und zu Iran auf dem eigenen Gebiet an die Grenztruppen der Russischen Föderation delegiert. Obwohl die in Armenien stationierten Grenztruppen Russlands ihre Schritte zum Schutz der Staatsgrenze der Republik Armenien mit der Regierung der Republik Armenien koordinieren, orientieren sie sich dabei auch »an den zwischenstaatlichen Verträgen der ehemaligen UdSSR mit der Türkei und dem Iran und dem sowjetischen Gesetz über die Staatsgrenze der UdSSR.« Aus dem Vertragstext geht eindeutig hervor, dass es für Armenien um die Sicherheit der eigenen Republik und die der Verbündeten geht. Für Moskau geht es – außer um die bloße Gewährleistung der Grenzsicherheit Armeniens – um die Aufrechthaltung der sowjetischen Verträge, was wiederum die geopolitischen Ziele Russlands deutlich macht. In den Verträgen, die die militärische Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern regulieren, sind auch jene Formulierungen bemerkenswert, denen zufolge die russischen Truppen in Armenien auch für »die Gewährleistung der Sicherheit der Russischen Föderation« sorgen sollen, obwohl die Republik Armenien keine gemeinsame Grenze mit Russland hat.

Im Rahmen der militärischen Sicherheitszusammenarbeit darf das armenische Verteidigungsministerium russische Waffen und Munition zu »internen« – für die russische Armee geltenden – Preisen bestellen. Wenn das benötigte Geld nicht vorhanden ist, gewährt Moskau Jerewan hierfür Kredite. Viele armenische Militärangehörige werden im Rahmen diverser Programme in Russland aus- bzw. weitergebildet.

Parallel zur bilateralen Militärkooperation wird die Zusammenarbeit im Rahmen der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) permanent ausgebaut. Auch hier dominiert Russland; Moskau versucht dabei, die bilateral bestehende Kooperation mit Armenien maximal in das OVKS-Format zu integrieren. Hier bilden sich für die armenische Sicherheits- und Außenpolitik zusätzliche Herausforderungen, aber auch Perspektiven heraus. Dies alles scheint jedoch abermals im geopolitischen Interesse Russlands zu liegen: Alle OVKS-Mitglieder verwenden russische (zum Teil auch belarussische) Waffen und verständigen sich untereinander in russischer Sprache.

Die militärische Zusammenarbeit hilft auch der armenischen Wirtschaft: In Armenien werden nach russischer Lizenz Handfeuerwaffen hergestellt. Vor kurzem wurde der Produktionsstart von modernen Maschinengewehren der Marke Kalaschnikow in Armenien angekündigt.

Wirtschaftliche Beziehungen und Energiekooperation

Unter den postsowjetischen Republiken hatte Armenien wirtschaftlich am meisten zu leiden: Das Erdbeben vom Dezember 1988 hatte Nordarmenien verwüstet, es gab die Grenzen zu den anderen postsowjetischen Republiken Aserbaidschan und Georgien, die durch das Chaos und den Krieg in Georgien, bzw. den damals georgischen Nord- bzw. Nordostgebieten Südossetien und Abchasien unsicher waren, es gab den Verlust von Aufträgen für die am sowjetischen Markt orientierte armenische Industrie, die Energieversorgungskrise und schließlich den Krieg mit Aserbaidschan.

Unter den Ländern, die in die Volkswirtschaft Armeniens investieren, steht Russland an erster Stelle. Das Gesamtvolumen der Investitionen aus Russland beläuft sich auf 4 Milliarden US-Dollar (40 Prozent aller ausländischen Investitionen in Armenien). In der Republik sind etwa 1 300 russische Unternehmen tätig.

Zu den größten Investitionsprojekten gehören der Bau von Gas- und Energieanlagen unter Beteiligung des russischen Staatsgiganten »Gazprom«, der Erwerb eines der führenden Kreditinstitute des Landes, der »Armsberbank«, durch die russische »VTB Bank« (der neue Name ist seit 2006 »VTB-Armenia«) sowie das vom russischen Aluminiumkonzern »RUSAL« im Jahr 2006 gekaufte und modernisierte »Rusal-Armenal«. Diese Fabrik ist übrigens eines der größten Industrieunternehmen in Armenien und der einzige Hersteller von Aluminiumfolie im Kaukasus und in Zentralasien.

Von Bedeutung ist auch die Zusammenarbeit im Bereich der Kernenergie. Das Kernkraftwerk »Metsamor«, das einzige im Südkaukasus, wurde im Jahr 1980 unweit von Jerewan in Betrieb genommen. Im Jahr 2014 wurde vereinbart, dessen Laufzeit um weitere zehn Jahre zu verlängern. Die dafür benötigten Modernisierungen werden durch russische Kredite finanziert. Den Auftrag erfüllt der russische Staatskonzern »Rosatom«.

Wichtigste Säule der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist die Energie: Rund 80 Prozent der benötigten Energieträger werden von Russland bereitgestellt. Die russischen Unternehmen besitzen so gut wie alle Anlagen der Brennstoff- und Energiekomplexe von Armenien, beispielsweise die Sewan-Hrasdan-Kaskade (sieben Wasserkraftwerke am Fluss Hrasdan), Verteilernetze und das Wärmekraftwerk Hrasdan. Das russische Unternehmen »Inter RAO JeES« kaufte im Jahr 2006 sämtliche Anteile des Stromversorgers und Monopolisten »Stromnetze Armeniens« mit einem Gesamtnetz von ca. 36 000 km und verkaufte im Jahr 2017 70 Prozent der Aktien an die russische »Taschir Kapital« weiter.

Monopolanbieter von Erdgas auf dem armenischen Inlandsmarkt ist die im Dezember 1997 gegründete »Gazprom Armenia« (eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von »Gazprom«). Das Unternehmen organisiert Gaslieferungen für den armenischen Inlandsmarkt und ist ebenso im Transport, der Lagerung, Verteilung und dem Verkauf von Brennstoffen, Wiederaufbau und Ausbau des Gastransportsystems und der unterirdischen Gasspeicheranlagen des Landes tätig. »Gazprom« investierte insgesamt rund 550 Millionen US-Dollar in Gas- und Energieprojekte Armeniens. »Gazprom« beteiligte sich am Bau des armenischen Abschnitts der Gaspipeline Iran–Armenien (2008 in Betrieb genommen) und kontrolliert somit auch die Gaslieferungen aus dem Iran.

Für den Zeitraum 2014 – 2018 rechnete »Gazprom« mit Gaslieferungen nach Armenien bis zu 2,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr und 189 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter. Mit der Zeit sanken allerdings nicht nur das Liefervolumen (1,87 Mrd. Kubikmeter 2016), sondern auch die Preise (150 US-Dollar für 2017 – 2018). Gestiegen ist der Gaspreis erstmals wieder 2019, nämlich auf 165 US-Dollar für 1.000 Kubikmeter.

Russische Unternehmen haben – fast wie bei der Energiekooperation – auch im Telekommunikationsbereich absolute Oberhand. Die »Vimpel Com« (heute VEON, hinter dem russisches Kapital zu vermuten ist) kaufte sämtliche Aktiva des armenischen nationalen Telekommunikationsanbieters »Armentel« und betreibt es unter dem Namen »Beeline«. Das russische Unternehmen »Mobilnyje Telesistemy« (MTS) kaufte im Jahr 2007 einen Anteil von 80 Prozent der 2004 von der libanesischen »Fattouch Group« gegründeten »VivaCell« und benannte es in »VivaCell MTS-Armenia« um. Die mit russischem Kapital gegründete »UCOM« kaufte im Jahr 2016 alle Aktien des französischen Telekommunikationsbetreibers »Orange Armenia«.

Russland ist auch an der marode gewordenen Wirtschaftsinfrastruktur Armeniens interessiert und investierte in wirtschaftlich nicht rentable Projekte, offensichtlich aus geopolitischen Interessen. In diesem Zusammenhang wäre die im Jahr 2008 erfolgte Übernahme der »eingekreisten« und hoffnungslosen »Eisenbahn Armeniens« für weitere 30 Jahre zu erwähnen. Die zu den staatlichen »Russischen Eisenbahnen« gehörende Tochtergesellschaft »Südkaukasische Eisenbahnen« hat im Laufe der vergangenen 10 Jahren dort fast 230 Millionen US-Dollar investiert.

Im Jahr 2017 betrug das Handelsaufkommen zwischen den beiden Ländern Russland und Armenien rund 1,75 Milliarden US-Dollar (2016 waren es ca. 1,33 Mrd. USD). Davon sind 1,23 Milliarden Dollar russische Ausfuhren in die Republik Armenien (ca. 19 Prozent der Importe Armeniens) und 514 Millionen Dollar armenische Ausfuhren in die Russische Föderation (ca. 23 Prozent aller Exporte Armeniens). So betrug der Anteil der armenischen Warenexporte nach Russland im Jahr 2017 ungefähr 0,22 Prozent aller russischen Importe, und die russischen Exporte nach Armenien machten 2017 nur rund 0,35 Prozent aller russischen Ausfuhren aus.

Das Handelsaufkommen zwischen den beiden Ländern steigt Jahr für Jahr weiter an. Im ersten Halbjahr 2018 betrug es rund 925 Millionen US-Dollar.

Während diese Zahlen für die armenische Wirtschaft von zentraler Bedeutung sind, spielen sie für die russische Wirtschaft eher eine politische, als eine rein ökonomische Rolle.

Bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit hat auch der Tourismus einen führenden Platz. Unter den rund anderthalb Millionen Armenienbesuchern waren ca. 410.000 russische Staatsbürger. Für die Einreise nach Armenien brauchen russische Staatsbürger keinen Reisepass mehr, es reicht der Personalausweis.

Einen wesentlichen Beitrag zur Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit leistet zweifellos die Eurasische Wirtschaftsunion. Seit Juli 2017 funktioniert in Armenien das russische Kartenzahlungssystem »Mir«, und im Gegenzug wurden die armenischen »ArCa«-Karten in der Russischen Föderation eingeführt. Dies war das erste derartige Projekt innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion.

Auf gutem Stand ist auch – im Sinne von gegenseitigen Besuchen hochrangiger Vertreter der Exekutive sowie von enger parlamentarischer Zusammenarbeit – die politische Zusammenarbeit. Allein seit Mai 2018 hat sich der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan fünf Mal mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. Zweimal jährlich tagt die interparlamentarische Kommission für die Zusammenarbeit zwischen der Föderalversammlung der Russischen Föderation und der Nationalversammlung der Republik Armenien.

Russische Soft Power [Die Attraktivität und Einflussfähigkeit eines Staates, die zumeist durch kulturelle Faktoren ausgeübt wird. – Anm. d. Red.] bleibt in Armenien vergleichbar schwach. Russland bemüht sich allerdings auch in diese Richtung. Neben der in Jerewan gegründeten Slawischen Geisteswissenschaftlichen Universität sind in Armenien die Niederlassungen von sechs weiteren Hochschulen Russlands tätig, an denen über 3 500 Studenten auf Russisch diverse Fachrichtungen studieren. Russische staatliche TV-Kanäle sowie viele private sind in Armenien verfügbar. Jährlich studieren auf Kosten Russlands Hunderte von armenischen Staatsbürgern an russischen Universitäten und Hochschulen. Russland wünscht eine weitere Verbreitung der russischen Sprache in Armenien. Ein spürbarer Anteil der Printnachrichten und im Handel stehenden Bücher in Armenien sind auf Russisch. Die russische Sprache genießt den Rang der ersten Fremdsprache an armenischen Gesamtschulen. Bei verschiedenen Gelegenheiten bringen russische Regierungsvertreter den Wunsch zum Ausdruck, dass dem Russischen in Armenien der Status einer zweiten Staatssprache verliehen wird.

In Russland leben über eine Million Armenier und bilden somit weltweit die größte armenische Diaspora. Hinzu kommen russische Staatsangehörige mit armenischen Wurzeln, etwa anderthalb Millionen Menschen. Die Anzahl steigt jährlich: Allein im Jahr 2017 erhielten 25.144 Armenier die russische Staatsbürgerschaft, 13.320 bekamen eine Aufenthaltserlaubnis und ca. 650.000 wurden für einen kurzfristigen Aufenthalt bei den Migrationsbehörden Russlands registriert.

Der russische Anteil an der Bevölkerung Armeniens besteht dagegen hauptsächlich aus Familienangehörigen der im Lande stationieren Militärs und aus zahlreichen russischen Staatsangehörigen mit armenischen Wurzeln. Zum 31. Dezember 2017 betrug die Anzahl der in Armenien ständig ansässigen russischen Staatsbürger 21.609.

Fazit

Bereits ein kurzer Überblick zeigt, dass zur Basis der Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Staaten das Erbe der gemeinsamen Vergangenheit, aber auch die gegenseitigen Interessen gehören. Obwohl sich die Beziehungen auf offizieller Ebene auf Augenhöhe gestalten, ist das fehlende Gleichgewicht bei der Kooperation spürbar. Russische Staatskonzerne und Firmen mit russischem Kapital haben in fast allen wichtigen Bereichen des Wirtschaftssystems Armeniens die Oberhand. Russland, dessen Territorium etwa 570 Mal größer ist, und das rund 50 Mal mehr Einwohner als Armenien hat – ganz abgesehen von sämtlichen Vorteilen einer atomaren Supermacht –, verfolgt diverse Ziele und muss von Wladiwostok bis Kaliningrad Herausforderungen unterschiedlicher Dimension entgegentreten.

Anderseits ist diese riesige Supermacht stark auf die Treue der kleinen südkaukasischen Republik angewiesen. Armenien ist das einzige Land in der Region, das Russland gegenüber bis heute treu geblieben ist. Es ist auch das einzige Land im Südkaukasus, das es Moskau erlaubt, eigenes Militär in der Region zu stationieren und einen, wenn auch kleinen, aber wichtigen Beitrag für russische Interessen auf der internationalen Bühne leistet. Es hat gegen die gegen Russland gewandten UN-Resolutionen zur Halbinsel Krim gestimmt, eine kleine humanitäre Militärmission nach Syrien geschickt usw. Die Schwäche der russischen Soft Power kann durch eine wachsende armenische Diaspora in Russland, bzw. eine Einbürgerung von Armeniern in kurz- bzw. mittelfristiger Zukunft kompensiert werden.

Die Treue zu Moskau hat ihre historischen und politischen Ursachen: Die armenische Nation steht vor gravierenden Herausforderungen. Die im Vergleich zu Armenien sowohl territorial als auch von der Bevölkerungszahl her etwa 26 Mal größere Republik Türkei leugnet den Anfang des 20. Jahrhunderts begangenen Völkermord, hält die Grenze zu Armenien weiterhin geschlossen und ist theoretisch in der Lage, die kleine Republik von Westen her anzugreifen. Schutz kann oder will der Westen nicht anbieten. Aus diesem Grund scheint Armenien kaum über eine Alternative zu Russland zu verfügen. Sogar der Anfang Mai 2018 an die Macht gekommene Ministerpräsident, der als Oppositionspolitiker die enge Zusammenarbeit mit Russland ständig und scharf kritisiert hatte, räumte bereits Ende April 2018 im Laufe eines Interviews mit Journalisten unter anderem ein: »Armenien verfügt über eine unzureichende Armee, die leider nicht alle seine Grenzen ordnungsgemäß schützen kann, und dies ist eine Realität, die jede armenische Regierung berücksichtigen sollte«. Und wie es der ehemalige Staatspräsident Armeniens, Armen Sargsjan, formulierte, bedeutet den Interessen des eigenen Volkes zu dienen, der Freundschaft zwischen dem russischen und armenischen Volk zu dienen.

Hinzu kommt der Konflikt mit dem mindestens dreifach größeren Aserbaidschan, in dem Armenien die Interessen Berg-Karabachs vertritt. Für eine friedliche Beilegung dieses Konfliktes spielt Russland eine zentrale Rolle. In diesem Falle geht aber nicht alles so zügig und reibungslos; es herrscht auf beiden Seiten weiterhin ein gewisses Misstrauen, in der armenischen Öffentlichkeit vor allem wegen russischer Lieferungen von modernen Angriffswaffen an Aserbaidschan, die gegen Armenier verwendet werden. Für die armenische Öffentlichkeit ist eine Realität, bei der ein strategischer Partner Waffenlieferungen an den Feind als »Geschäft« und »die Schaffung eines Kräftegleichgewichts im Südkaukasus« bezeichnet, nicht hinnehmbar.

Trotz aller Meinungsverschiedenheiten zwischen den Hauptstädten und unabhängig davon, welche politische Kraft in Zukunft in Armenien und Russland jeweils an die Macht kommt, werden die armenisch-russischen Beziehungen zu Gunsten der russischen Geopolitik und im Sinne der existentiellen Interessen der armenischen Nation weiter ausgebaut und vertieft, vor allem in den Bereichen der Energie-, Sicherheits- und militärischen Zusammenarbeit. Die relativ schwache russische Soft Power wird mit der Zeit durch die angewachsene und Russisch sprechende armenische Diaspora, bzw. den Zuwachs der eingebürgerten und somit in den russischen Alltag integrierten Armenier kompensiert. Diese Menschen werden als Brücke der zivilgesellschaftlichen Verständigung zwischen Moskau und Jerewan dienen.

Lesetipps / Bibliographie

Grigoryan, Harutyun: Möglichkeiten und Hindernisse von Versöhnung am Beispiel Berg-Karabach, in: Ost-West, Europäische Perspektiven, 2018, Nr. 2, S. 117–124; https://www.owep.de/ausgabe/2018-2.

Russian Analytical Digest 232, Russia’s Relations with the South Caucasus, http://www.css.ethz.ch/publikationen/russian-analytical-digest.html (in Vorbereitung, Publikationsdatum voraussichtlich 05.03.2019)

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