Zensur oder Staatsauftrag? Zur Debatte um Raikin, Kulturpolitik und den Druck der national-konservativen Kräfte

Von Sergey Medvedev (Berlin/Moskau)

»Ich glaube den Menschen nicht, die angeben, ihr religiösen Gefühle seien beleidigt worden«

Konstantin Raikin,Direktor des Theaters »Satirikon«

»[…] Mir bereiten gewisse Erscheinungen in unserem Leben große Sorgen (ich denke, Ihnen allen geht es genauso). Mich beunruhigen diese »Attacken«, vor allem auf Kunst und Theater. Diese völlig gesetzeswidrigen, extremistischen, dreisten, aggressiven [Äußerungen], die sich unter dem Deckmantel von Sittlichkeit, Moral und generell hinter so hehren Worten wie »Patriotismus«, »Heimat«, »hohe Sittlichkeit« verstecken. All diese Grüppchen angeblich beleidigter Menschen, die Theateraufführungen schließen, Ausstellungen schließen, sich dreist aufführen, zu denen sich das Regime irgendwie seltsam neutral verhält und sich auf merkwürdige Weise von ihnen distanziert… Ich halte das für widerwärtige Angriffe auf das Kunstschaffen, auf das Zensurverbot.

Dieser Fluch, diese jahrelange Schande unserer Kultur, unserer Kunst war schließlich endlich verboten worden.

Und was geschieht jetzt? Ich sehe, wie es jemandem sehr in den Fingern juckt, alles zu ändern und das Rad zurückzudrehen. Und dabei uns nicht einfach nur in die Zeit der Stagnation zurückzubringen, sondern in weiter zurückliegende Zeiten – in die Stalinzeit. Weil unsere Vorgesetzten mit uns mit diesem Stalinschen Vokabular sprechen, aus dieser Stalinschen Haltung, dass man einfach seinen Ohren nicht traut! Es sind Vertreter des Staats, die so reden, meine unmittelbaren Vorgesetzten, Herr Aristarchow [der Erste stellvertretende Kulturminister; d. Red.], der da so redet. Wobei dieser aus dem »Aristarchowschen« ins Russische übersetzt werden muss. Es ist einfach beschämend, dass ein Mensch im Namen des Kulturministeriums auf diese Art spricht.

Wir sitzen und hören dem zu. Könnten wir uns nicht alle zusammen zu Wort melden? […]

Ich weiß, wir alle wurden im Sowjetstaat geboren. Ich erinnere mich an diesen schändlichen Idiotismus! Das ist der Grund, der einzige, warum ich nicht mehr jung sein will, ich will nicht wieder zurück. Ich werde aber gezwungen, dieses widerliche Kapitel erneut zu lesen. Denn mit Worten von Moral, Heimat und Patriotismus werden in aller Regel sehr niedere Ziele verdeckt. Ich glaube diesen Gruppen empörter und beleidigter Menschen nicht, deren religiöse Gefühle angeblich verletzt worden sind. Ich glaube ihnen nicht! Ich glaube aber, dass die Leute dafür bezahlt werden. Deswegen gibt es diese Grüppchen widerwärtiger Menschen, die sich mit illegalen widerlichen Mitteln vorgeblich für die Moral einsetzen.

Wenn man Fotos mit Urin begießt, soll das etwa ein Kampf für die Moral sein? Überhaupt sollten gesellschaftliche Organisationen nicht für Sittlichkeit in der Kunst kämpfen. Die Kunst selbst verfügt selbst über ausreichende Filter: Regisseure, Kuratoren, Kritiker, Zuschauer, die Seele des Künstlers selbst. Das sind die Träger der Sittlichkeit. Man sollte nicht so tun als sei die Staatsmacht der einzige Träger von Sittlichkeit und Moral ist. Dem ist nicht so. […]

Und unsere Kirche, die arme, die hat vergessen, wie sie gehetzt wurde, wie Geistliche vernichtet, die Kreuze abgerissen wurden und aus den Kirchen Gemüselager wurden, sie fängt heutzutage an, sich der gleichen Mittel zu bedienen. Das bedeutet, Lew Nikolajewitsch Tolstoj hatte recht, als er davon sprach, dass sich die Kirche nicht mit dem Staat vereinigen dürfe, sonst wird sie nicht Gott, sondern dem Staat dienen. Was wir nun auch im größeren Umfang beobachten können. […]

Ich habe das Gefühl, dass heute, in sehr schwierigen Zeiten, sehr gefährlichen, sehr schrecklichen… Das ähnelt sehr…Ich werde nicht sagen wem. Sie verstehen schon selbst. Wir müssen uns zusammentun und sehr vernehmlich dem entgegentreten.«

Konstantin Raikin am 24. Oktober 2016 auf einer Versammlung des Verbandes der Theaterschaffenden in Moskau; <http://www.teatral-online.ru/news/16844/>.

»Das ist keine Zensur, sondern ein öffentlicher Auftrag«

Dmitrij Peskow, Pressesprecher des Kreml

»Zensur ist unzulässig. Dieses Thema ist bei den Treffen des Präsidenten mit Vertretern aus den Bereichen Theater und Kinematographie wiederholt diskutiert worden. […]

Dabei muss man aber genau zwischen den Inszenierungen und Werken differenzieren, die mit Hilfe staatlicher Gelder erzeugt wurden und solchen, die aus anderen Quellen finanziert wurden. [Wenn der Staat das Geld für eine Aufführung gibt, dann] hat er auch das Recht, dieses oder jenes Thema zu bestimmen. […]

Was die Werke betrifft, die ohne staatliche Finanzierung entstehen, so ist hier die Hauptsache, nicht gegen geltende Gesetze zu verstoßen. Damit ist der Kampf gegen Extremismus, das Schüren von religiösen oder sonstigen Konflikten gemeint. […]«

Dmitri Peskow am 25. Oktober 2016 im Interview für »lenta.ru«; <https://lenta.ru/news/2016/10/25/censored/>.

»Vielleicht hat das Theater ein Kreativitätsproblem?«

Wladimir Aristarchow, stellvertretender Kulturminister

»Die finanziellen Mittel für das Theater werden regelmäßig vergeben. [Es] bekommt Gelder. Es bekommt davon nicht weniger, sondern mehr, als früher. Im laufenden Jahr hat man über 200 Millionen Rubel bewilligt. Sobald das Geld knapp wurde, haben wir weitere 40 Millionen hinzugefügt […] Das Theater fristet kein ärmliches Dasein, es bekommt gutes, kein schlechtes Geld. Zensur – das ist eine absurde Behauptung. Es gibt keinen einzigen Fall, in dem etwas mit uns abgestimmt [von uns genehmigt] werden musste. So etwas gab es nie und kann es gar nicht geben. Das Theater hat Probleme mit den Besucherzahlen […] im Durchschnitt ist der Saal halbleer […] Vielleicht haben sie ein Kreativitätsproblem? […]

Wladimir Aristarchow am 27. Oktober 2016 im Interview für »Life.ru«; <https://life.ru/t/%D0%B7%D0%B2%D1%83%D0%BA/923289/aristarkhov_--_raikinu_ia_s_nim_nie_znakom_i_nie_obshchalsia>.

»Der Teufel verführt immer mit Freiheit«

Alexander Saldostanow, Anführer des national-patriotischen Biker-Klubs »Nachtwölfe«

»Der Teufel verführt immer mit Freiheit! Und unter dem Deckmantel der Freiheit wollen diese »Raikins« das Land in eine Gosse verwandeln, in der Fäkalien entlangschwimmen. […] Wir werden nicht untätig bleiben und ich werde alles machen, um uns vor der amerikanischen Demokratie zu schützen, ungeachtet aller ihrer Repressionen gegen die Freiheit, die sie in alle Welt verbreiten, wir werden diese Freiheit verteidigen. In unserem Land gibt es sie wirklich. Solche Raikins würde es in Amerika nicht geben. […]

Ich finde es besser zu handeln als leere Reden zu schwingen. Das gehört nicht zu meinen Regeln. Bei uns ist so etwas nicht üblich – solche Ferndialoge zu führen: So nach dem Motto, ich sag ihm jetzt mal was und er antwortet mir dann. Wozu? Wenn es eine Gelegenheit gibt, sage ich ihm alles bei einem persönlichen Treffen. Das sind grundlegende Sachen, bei denen es keine Kompromisse geben darf!«

Alexander Saldostanow am 25. Oktober 2016 im Interview für »Nazionalnaja Slushba Nowostej« (dt.: »Nationale Nachrichtenagentur«); <http://nsn.fm/culture/zaldostanov-ya-skazhu-raykinu-vse-pri-lichnoy-vstreche.php>.

Aggression ist ein schlechtes Zeichen für unsere Gesellschaft

Oleg Tabakow, Direktor des Moskauer Künstlertheaters (MChT)

»Mein alter Freund Kostja Raikin hat auf dem Theater-Kongress eine Rede gehalten und über unsere Probleme gesprochen. Ich war nicht dabei: Ich leite zwei Theater, eine Schule, und ich habe schon etliche Jährchen auf dem Buckel. Ich weiß, worum es im Wesentlichen in der Rede ging und sage dazu Folgendes: Nehmen Sie es dem guten Schauspieler nicht übel, er hat nur seinem Herzen Luft gemacht. Inzwischen gibt es wirklich Gestalten bei uns, die versuchen den Künstlern zu diktieren, was sie zu tun haben. Bisweilen in inakzeptabel aggressivem Ton diktieren. Diese Genossen, ich würde sie Späher, die Vorhut nennen, sprangen zum Beispiel auf die Bühne des Künstlertheaters, um eine Aufführung zu stoppen, die ihre Gefühle beleidigt. Sie glauben, da es ja keine Zensur gibt, nun die Kunst kontrollieren zu müssen. Ich bin mit allen Wassern gewaschen, habe viel gesehen, deswegen habe ich die Aufführung nicht abgesetzt. Jetzt sind einige Jahre vergangen und es hat sich herausgestellt, dass die Aufführung wunderbar läuft und viele Gäste anzieht. Von daher, aus Sicht meiner großen sowjetischen und postsowjetischen Erfahrung möchte ich einigen ungeduldigen Genossen etwas sagen: Bringt bitte keine Schweinsköpfe zum Moskauer Künstlertheater, springt nicht während der Aufführungen auf die Bühne, denkt nicht, dass ihr auf dieser Weise helft, die richtige Kunst zu schaffen. […] Wir haben selbst viele Methoden, um darüber zu reflektieren, was wir tun, wie das Publikum auf unser Wort reagiert. Deswegen lasst uns ohne Aggression arbeiten, die für unsere Gesellschaft ein sehr schlechtes Zeichen ist.«.

Oleg Tabakow am 28. Oktober 2016 während einer Preisverleihung im Künstlertheater; <https://www.facebook.com/282717641758976/photos/a.289597571070983.76587.282717641758976/1289862037711193>.

»Das sind Barbaren, nicht mehr und nicht weniger«

Wladimir Posner, Fernsehmoderator beim »Ersten Kanal«

»Lieber Konstantin Raikin! Ich möchte Ihnen zu Ihrer jüngsten Rede gratulieren und Sie meiner vollen Unterstützung versichern. Ich möchte Sie bitten, die Aufschreie und Verleumdungen jener zu ignorieren, die sich aus irgendeinem Grund als Stimme des Volkes sehen. Ich lasse hier den Umstand unberührt, dass die Stimme des Volkes längst nicht immer Achtung verdient: Das deutsche Volk hat Hitler unterstützt, das sowjetische hat für »Volksfeinde« den »Hundetod« gefordert, obwohl diese Menschen sich nichts hatten zu Schulden kommen lassen. Die Geschichte zeigt, dass ein Regime, wenn es denn will, das Volk genau dorthin lenkt, wo es vom Regime gebraucht wird. Das Volk ist also ein schlechter Richter, wenn es um Kunst geht. Erinnern Sie sich, wie die Großen – Prokofjew, Schostakowitsch, Pasternak und Achmatowa – an den Pranger gestellt wurden, mit voller und begeisterter Unterstützung des Volkes.

Die heutigen Anwälte für die sogenannte Reinheit der Moral, die sich lautstark über die Beleidigung der Gefühle gläubiger Christen, Muslime und anderer empören, unterscheiden sich durch nichts von den IS-Fanatikern […], die unter der Empörung der ganzen Welt einzigartige Denkmäler des Altertums zerstörten und zerstören, weil sie, diese Denkmäler ihren Glauben beleidigen. Das sind Barbaren, nicht mehr und nicht weniger. […]«

Wladimir Posner am 29. Oktober 2016 auf »Pozneronline.ru«; <http://pozneronline.ru/2016/10/17291/>.

»Bei uns gibt es eine Kaste, die der Überzeugung ist, der Kunst sei alles erlaubt«

Ramsan Kadyrow, Oberhaupt von Tschetschenien

»[…] ich habe mit Befremden die Worte zur Kenntnis genommen, dass die gesellschaftlichen Organisationen nicht »für die Sittlichkeit in der Kunst kämpfen sollen«. Raikin hat diejenigen als »Grüppchen beleidigter Menschen« bezeichnet, die ihre Meinung darüber äußern, dass auf einer Ausstellung Fotos von nackten Kindern gezeigt werden, die gegen die Vorführung von »Jesus Christ Superstar« eintreten, die sich über den viehischen Auftritt von Pussy Riot im Zoologischen Museum und in einer christlichen Kirche empören. Seine Rhetorik hat Konstantin Arkadjewitsch in erschreckende Beispiele aus der Vergangenheit unseres Landes verpackt. […] Ich unterstütze in dieser Frage vollkommen den wahren Patrioten Russlands, den Freund und BRUDER Alexander Saldostanow […] Ich verstehe nicht so ganz, wie man von Saldostanow eine Entschuldigung für die Äußerung seiner Meinung fordern kann, die in Russland von Millionen geteilt wird. Bei uns meint eine gewisse Kaste das Recht zu haben, religiöse Gefühle von Dutzenden Millionen Christen und Muslimen beleidigen zu dürfen und dabei zu behaupten, der Kunst sei alles erlaubt. […]

Ramsan Kadyrow am 29. Oktober 2016 auf Instagram; <https://www.instagram.com/p/BMHJzU_gAoN/?taken-by=kadyrov_95>.

»Der Staat agiert in der Kulturpolitik nach dem Motto: Wer einer Dame Dinner serviert, der tanzt sie auch«

Andrej Swjaginzew, Regisseur, Autor des Films »Leviathan«

»Es ist offensichtlich, dass im kulturellen Raum des Landes die Zensur in voller Blüte steht. Leugnen kann dies nur ein Lügner oder Ignorant. Verbot einer Aufführung, Verbot einer Ausstellung, Verbot einer Artikelveröffentlichung – das alles ist Zensur. Es ist einfach unglaublich, mit welcher Leichtigkeit heute die Begrifflichkeiten ausgetauscht werden. Keiner verzieht dabei das Gesicht. Wir sagen: »Das ist Zensur«, sie sagen: »Das ist ein Staatsauftrag.« Und zusätzlich wird uns nahegelegt, die Begrifflichkeiten nicht zu verwechseln. Sind Sie in der Lage auch nur ein Operntheater oder ein Dutzend Spielfilme nennen, die ohne Unterstützung durch den Staat gemacht wurden? Die derzeitige Lage von Wirtschaft und Kultur erlaubt dies nicht. Folgt man der Logik des Pressesprechers Peskow, für den gilt, ›wenn der Staat Geld gibt … dann bestellt er auch Kunstwerke zu diesem oder jenem Thema‹, so ergibt sich, dass beinahe das ganze kulturelle Leben Russlands heute von der Staatsmacht engagiert wird.

Wer sind all diese Leute, die den Auftrag erteilen? Aristarchow und Medinskij? Oder vielleicht Jarowaja, oder Peskow? Werden die den Auftrag formulieren? Ja, es gibt Beamte, denen die Oberste Macht die Leitung des Kulturministeriums und anderer Fachbehörden übertragen hat. Aber nicht sie haben das Bolschoi-Theater oder eben das »Satirikon« geschaffen, wie auch nicht sie es waren, die die Regeln der Poetik und Ästhetik entwickelt haben und ebenso wenig die Richtungen und Strömungen der modernen Kinematografie und des zeitgenössischen Theaters mitgestaltet haben. Wie können sie ›Kunst in Auftrag geben‹? […] Wann werden die Beamten endlich verstehen, dass ihre Aufgabe darin besteht, die Arbeit der Menschen zu organisieren und unterstützen, und nicht darin, ihnen allen ihre »Aufträge« zu erteilen?

Die Einmischung der Staatsmacht in die professionelle Tätigkeit eines jeden Spezialisten ist oft absurd, und hundert Mal absurder ist eine Einmischung in die Arbeit der Künstler. Dieser Beruf, dessen eigentliches Wesen in freiem Schaffen besteht, also der Geburt von etwas Neuem, das bis zu einem bestimmten Zeitpunkt selbst der Künstler noch nicht kennt. Wenn ein Bürokrat einem Autoren ein Thema vorgibt und dessen »richtige« künstlerische Verwirklichung kontrolliert, schießt er mit einem gezielten Schuss in das Heiligste, das es in diesem Beruf gibt, in das Geheimnis des künstlerischen Schöpfungsprozesses.

Peskow sagt, ohne die Richtigkeit seiner Überlegung in Zweifel zu ziehen, dass wenn der Staat einem Künstler Geld gibt, dieser im Gegenzug den staatlichen Willen bedienen muss. Da gibt es, wenn Sie sich erinnern, diesen vulgären Witz: »Wer einer Dame das Dinner serviert, der tanzt sie auch.« So ungefähr ist die Vorstellung des Regimes über die Kunst. Diese Leute haben entschieden, was das Volk braucht und bestellen auf dessen Kosten ihre dürftigen Objekte. In der Regel ist das Ergebnis äußerst begrenzt, sowohl in seiner handwerklichen Leistung, in der Enge des Blickes auf den Gegenstand, auf jeden Gegenstand. Mit solchen »Aufträgen« kastrieren die Beamten den schöpferischen Gedanken, zwingen den Künstler dazu, die feinste Feder gegen den Meißel groben Handwerkerstils zu tauschen.

Herr Peskow hat die Worte Raikins über die ungeheuerlichen Taten der Menschen, die öffentlich Skulpturen demolieren und Fotos mit Urin begießen, nicht kommentiert. Dadurch hat er den Gedanken von Konstantin Raikin bestätigt: Der Staat zieht es vor, die Augen vor all dem zu verschließen. Die Ursache liegt leider auf der Hand. Die Aktivitäten dieser – sich wie Karnickel vermehrenden – gesellschaftlichen Organisationen, dieser unsittlichen Wächter der Sittlichkeit, das ist der wahre Auftrag des Staates, selbst wenn die Beleidigten aus eigener Überzeugung handeln mögen. Denn der heutige Staat gibt diesen Auftrag, nämlich das Land zu einem durchschnittlichen, einförmigen, isolationistischen und wie eine Herde gehorsamen Imperium zu verwandeln. Aggressive Außenseiter spüren einen solchen »Staatsauftrag« immer sehr gut.

Und jetzt zu dem Wichtigsten, was mich in den Worten von Peskow überrascht hat. […] Das zentrale Merkmal, das die fehlende Moral unseres Regimes belegt, besteht eben gerade darin, dass es der vollen Überzeugung ist: das Geld, über das sie verfügen, gehört ihnen. Sie haben vergessen, mit welcher Leichtigkeit sie einen einfachen und offensichtlichen Gedanken aus ihrer Wahrnehmung gestrichen haben, dass es nicht nämlich ihr, sondern unser Geld ist. Gemeinschaftliches. Das Geld, mit dem sie ihre Agitations-Stückchen bestellen, kommt vom Volk. […]

Und solange ihr den Willen des Volkes erfüllt und euer Gehalt aus den Geldern des Volks bekommt, solange seid ihr wie wir, Bürger unseres Landes; helft den freien Künstlern ihre Arbeit zu machen und stört sie nicht dabei. Versteht doch endlich, dass die eure »Aufträge« nicht wollen. Sie wollen weder das Dinner mit euch, noch den Tanz…«

Andrej Swjaginzew am 26. Oktober 2016 bei »Kommersant«; <http://kommersant.ru/doc/3126654>.

Ausgewählt und eingeleitet von Sergey Medvedev, Berlin

(Die Blogs, auf die verwiesen wird, sind in russischer Sprache verfasst)

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