Spekulanten – Zu Putins Botschaft an die Nation und neuen Feinden Russlands

Die jährliche »Botschaft des Präsidenten an die Föderalversammlung« wurde traditionsgemäß von den Journalisten und Bloggern mit Interesse erwartet. Mehrere Fernsehsender übertrugen live aus dem prächtigen Saal des Kreml-Palastes. Der staatskontrollierte und historisch äußerst loyale Sender »Rossija 1« hat sich selbst übertroffen, als er die Übertragung unter dem Titel »Die Botschaft von höchster Stelle« ankündigte, um nochmal die exklusive Rolle Wladimir Putins zu betonen. Kritisch, humorvoll und auch enttäuscht reagierten russische Twitter- und Facebook-Nutzer auf die Statements des Präsidenten zum angeblichen Wandel in der Wirtschaftspolitik und neuen Feinden im Westen wie innerhalb des Landes in Gestalt von Spekulanten auf dem Währungsmarkt. Kurz nach dem Ende der feierlichen Botschaft Putins erschienen zahlreiche Kommentare in den Blogs. Es meldeten sich unter anderem die kremlnahe Bloggerin Kristina Potuptschik, der Journalist Anton Orech (Echo Moskau), der Bürgermeister von Jekaterinburg Jewgenij Rojsman, der oppositionelle Politiker und Abgeordnete der Jaroslawler Gebietsduma Boris Nemzow, der Politologe Georgij Satarow und die kritische Journalistin Julia Latynina von der »Nowaja Gaseta« zu Wort.

Was hat Putin gesagt?

»Das Schlüsselthema der Botschaft Wladimir Putins an die Föderale Versammlung war, wie erwartet, die Liberalisierung der Wirtschaft; faktisch wurde ein neuer Wirtschaftskurs angekündigt, der angesichts des externen Druckes auf Russland die einheimische Wirtschaft unterstützen sowie Impulse für die Entwicklung und Konsolidierung geben soll.

Die Sanktionen und äußere Einschränkungen sind, dem Präsidenten zufolge, Anreize, um die gesetzten Ziele effizienter und schneller zu erreichen. Putin hat dabei die Indikatoren des geplanten Wachstums konkret umrissen. […]

Erwähnt hat der Präsident auch das, was wohl momentan Vielen in Russland Sorgen macht – den Kurs der Nationalwährung. Man muss den Spekulanten die Lust auf das Spiel mit den Kursschwankungen austreiben, sagte Putin, und betonte harsch: alle Spekulanten; und diejenigen, die auf dem Markt auf die Abwertung des Rubel spekulieren, sind bekannt; gegen sie werden demnächst Maßnahmen ergriffen. Als eine zusätzliche Maßnahme, die die Russländer vor den Kursschwankungen schützen soll, wurde eine staatliche Preisregulierung für Medikamente und Lebensmittel angekündigt. Dämpfung der Inflation und Förderung des Wachstums, das sind die Ziele, für die Wladimir Putin den Wirtschaftsplan für die nächsten Jahre ausgearbeitet hat.

In diesem Kontext wiederholten die abstrakteren Überlegungen und Äußerungen des Präsidenten erneut die Position, die Russland schon mehrfach in den letzten Monaten zum Ausdruck gebracht hat: Druck und Eindämmungspolitik des Westens sind jene Instrumente, die seit Jahrhunderten gegenüber unserem Lande eingesetzt werden. Die Ukraine, für die wir übrigens immer noch der wichtigste Wirtschaftspartner sind, ist dabei nur ein Anlass; ohne diesen hätte sich der Westen etwas anderes ausdenken müssen. Genau deswegen bleiben für uns Freiheit und Souveränität Schlüsselwerte, ebenso die Förderung traditioneller Werte, die für die Bürger Russlands zentral sind, nämlich Familie, gute und bezahlbare Bildung, die Möglichkeit zur Umsetzung geistiger und unternehmerischer Ambitionen für jeden Bürger. Genau deswegen sind unsere wirtschaftlichen Hauptfeinde nicht die westlichen Länder, mit denen wir trotz allem die Zusammenarbeit fortsetzen werden, sondern diejenigen, die die Wirtschaft innerhalb des Landes unterminieren. Das sind jene Personen, die Haushaltsgelder zweckentfremden, die Korruptionäre, die »Bauleute«, die die Preise für staatliche Bauprojekte um ein Vielfaches überhöhen, wenn nicht gar um ein Zig-faches. Nicht zufällig verglich der Präsident die Überhöhung der Preise bei den Rüstungsaufträgen mit dem Terrorismus: Die Ersparnisse des Landes sollen in die Entwicklung der Wirtschaft fließen und zu einer Entziehungskur von der »Ölspritze«, für Investitionen in Technologien und Unternehmen der Nicht-Rohstoff-Branchen eingesetzt werden, also für diejenigen Quellen des Wachstums, die bei entsprechender Qualität der Waren weder von den Sanktionen noch von der Politik abhängig sein werden.«

Kristina Potuptschik via Livejournal, 4.12.2014; <http://krispotupchik.livejournal.com/630877.html>

Die Spekulanten sind stärker als Putin

»[…] Der Rubelkurs, dessen Dynamik immer mehr an den Fall des Tscheljabinsker Meteoriten erinnert, ist also von den Spekulanten verdorben worden! Wobei die Spekulanten schon bekannt sind, und es an der Zeit ist, Maßnahmen zu ergreifen. Kurzfristig bedeutet das, dass die Zentralbank angehalten ist, alle Währungsreserven zu verbrennen, damit ein Rubel nicht bald nur einen jämmerlichen US-Cent kostet.

Längerfristig bedeutet es, dass dann, wenn die Reserven ausgeschöpft sein werden und der Rubel weiter fällt, wenn die Preise derart steigen, dass ein Gang in den Supermarkt genauso teuer ist wie ein Urlaub, wenn das Gehalt nicht zweimal im Monat ausgezahlt wird, sondern je nachdem, wann es klappt und wieviel da ist, wenn die Jobsuche nicht nach dem Prinzip ›Wo ist es interessanter und wo verdiene ich mehr?‹ erfolgt sondern nach dem Motto ›Wo kriege ich wenigstens irgendeinen Job?‹, wenn all das kommt, dann werden wir so richtig nach den Übeltätern suchen. Nicht nach Spekulanten an der Börse, sondern nach ›lateinischen Spionen‹ [möglicherweise eine Anspielung auf den russischen Dichter und Fotokünstler Willi (Witalij Robertowitsch) Melnikow, geboren 1962, der während seines Wehrdienstes in der Sowjetarmee wegen seiner Sprachkenntnisse (englisch, deutsch und französisch) von der militärischen Spionageabwehr verhört wurde; als er auf die Frage des vernehmenden Obersts nach weiteren Sprachkenntnissen antwortete, dass er auch Latein könne, soll der Oberst geantwortet haben: ›Aha, dann bist du also auch ein lateinischer Spion?!‹ – Anm. d. Red; siehe: <http://www.ruscur.ru/archive/759>]; ›Saboteur-Ärzten‹ [wahrscheinlich eine Anspielung auf die angebliche Verschwörung vor allem jüdischer Ärzte kurz vor Stalins Tod, um die sowjetische Führung auszuschalten], nach Arbeitern, die Maschinen kaputt machen, um die Produktion von Panzern zu sabotieren, nach Kolchosbauern, die Getreide von den Feldern klauen. Je tiefer der Abgrund, desto mehr Feinde sind rundum zu finden. Anders kann ich das nicht verstehen. Was gibt Putin derart ehrlich seine Schwäche zu? Er ist ein genialer Herrscher; er hat alles in der Hand, die Machtvertikale ist errichtet, das System ist eingespielt, aber irgendwelche räudigen Spekulanten sind in der Lage, all das mir nichts, dir nichts in Wanken zu bringen! Heißt das, die Spekulanten sind stärker als der Präsident? Wenn man aber bedenkt, dass das einfache Bürger sind, die die Wechselstuben leerkaufen und dass der Löwenanteil der US-Dollar und Euro eben von natürlichen Personen gekauft wurde, dann stellt sich heraus, die Spekulanten, das sind Hunderttausende normaler Russen. Und nun muss gegen jeden einzelnen von ihnen der Kampf begonnen werden.«

Anton Orech bei Echo Moskwy,04.12.2014; <http://echo.msk.ru/blog/oreh/1449272-echo/>

Ich bin zufrieden

»Ich war bei der Botschaft des Präsidenten dabei, habe aufmerksam zugehört.

Aus der Deklaration:

Russland geht nicht den Weg der Selbstisolierung, es bleibt ein offenes Land und unterstützt alle seine internationalen, kulturellen und humanitären Projekte sowie den Kampf gegen den Terrorismus.

Aus dem Konkreten:

Bei der Neigung des Polizei- und Justizsystems zum Schuldspruch, bei der riesigen Anzahl von Inspektoren wird kleinen und mittleren Unternehmen das Überleben schwer; deswegen wird die Zahl der Überprüfungen begrenzt; die Überprüfungen werden absolut transparent sein. Neu gegründete Unternehmen werden zwei Jahre lang von Steuern befreit. Unternehmen, die drei Jahre einen soliden Ruf genießen, werden von allen Überprüfungen befreit. Das Steuergesetzbuch (die Spielregeln) bleibt für die nächsten vier Jahre unverändert. Und was ganz wichtig ist – es wurde eine Amnestie für Kapital verkündet, das aus dem Ausland zurückgebracht wird (ein sehr starker, wenn auch erzwungener Schritt). […]

Im Grund bin ich zufrieden, dass ich hingefahren bin und selbst zugehört habe. Ich werde es in Ruhe analysieren; im Grunde habe ich einen positiven Eindruck bekommen, obwohl ich nicht mit allem einverstanden war. […]«

Jewgenij Rojsman auf Livejournal, 4.12.2014; <http://roizman.livejournal.com/1696871.html>

Ich glaube nicht dran

»Ich bin’s, und nicht Stanislawskij [vermutlich eine Anspielung auf den Titel des Blogbeitrags: Der bekannte Regisseur Konstantin Sergejewitsch Stanislawskij (1863–1938) soll gesagt haben ›ich glaube nicht daran‹, wohl wenn er schauspielerische Leistungen für nicht überzeugend hielt. – Anm. d. Red.]. Das wird nichts bei Putin. Es ist klar, dass die Wirtschaftslage nicht einfach nur schlecht ist. Sie ist tragisch furchtbar. Deswegen auch hat er seine Botschaft der Wirtschaft gewidmet. Der Zug ist aber schon abgefahren.

Er kommt mit seinen Ideen 15 Jahre zu spät. Wenn man damals begonnen und es zumindest zu einem Drittel umgesetzt hätte, hätte es keinen Fall Jukos gegeben. Und Chodorkowskij hätte schon längst eine Pipeline nach China gebaut. Und die Unternehmerschaft wäre nicht außer Landes geflüchtet. Zehntausende Unternehmer, die es nicht geschafft haben abzuhauen, säßen nicht im Gefängnis.Hätte er doch den zweiten Teil seiner Botschaft mit einer tatsächlichen Analyse der Lage des Unternehmertums begonnen. Hätte er doch gesagt, dass er heute einen Erlass zur Bildung einer unabhängigen Gruppe von Staatsanwälten unterschrieben hat, die dem Präsidenten unmittelbar unterstellt sind. Dass er mit Müh und Not dafür 365 Menschen ausgewählt hat, die nicht zuvor schon in »Auftrags-Prozesse« involviert waren. Dass innerhalb eines Jahres diese Auftrags-Fälle aufgearbeitet werden sollen. Dass Zehntausende unschuldiger Unternehmer, deren Eigentum beschlagnahmt wurde, freigelassen werden. Dass sie entschädigt werden. Und dass diejenigen, die diese Aufträge geschneidert haben, nun deren Plätze einnehmen. Dann hätten wir es vielleicht geglaubt. Ohne Vertrauen gegenüber der Staatsmacht wird es nicht gehen. Man glaubt aber nicht dran.Aus dem Ersatz von Importwaren wird nichts. 1998 gelang es von selbst. Es gab einfach freie Unternehmer im Land, die haben [die Importwaren] ersetzt, selbst, ohne Putin und Primakow. Und jetzt: nein. Es wird nicht klappen.Es kommt nur das eine dabei heraus: eine Amnestie für alles, was sie in 15 Jahren zusammengeklaut haben. Das ja. Das kann klappen. Die Wirtschaft wird das aber nicht mehr retten. Das wird die Inflation antreiben, und das war’s.Jeder vollwertige Doktor der Wirtschaftswissenschaften weiß: Die wichtigste Wirtschaftsinstitution ist eine unabhängige Justiz. Dazu gab es kein Wort. Unabhängige Gerichte wären Tod für ihn und seine Bande. Deswegen kein Wort davon. Deswegen wird bei denen nichts klappen.

Amen.«

Georgij Satarow auf Echo Moskwy, 4.12.2014;<http://www.echo.msk.ru/blog/satarov/1449230-echo/>

»Gott, bewahre Russland!«

»1. Kalter Krieg ist eine neue Realität, mit der Russland wird leben müssen, solange Putin an der Macht bleibt.2. Aggression und Rüstungswettlauf werden weitergehen.3. Die Amnestie des Kapitals wird nicht zu einer Rückkehr der Gelder nach Russland führen. Damit das Geld zurückkehrt, ist Vertrauen zwischen den Unternehmern und dem Staat vonnöten. Das ist gleich Null. Daher flieht das Geld aus Russland, und zwar in riesigen Mengen. 130 Milliarden [Dollar] sind allein 2014 aus Russland abgezogen worden.4. Sie werden vier Jahre nicht die Steuern erhöhen und die Unternehmer nicht mit Überprüfungen quälen. Gute Nachricht. Allerdings hat er das erst gesagt, nachdem der Zehnt auf kleine Unternehmen schon eingeführt worden ist.5. Inflation von 4 %. Quatsch. In diesem Jahr sind es mindestens 10 %. Im nächsten Jahr laut Prognosen von Zentralbank und Regierung 7,5 %.6. Er wird Setschin, Miller, Jakunin, Timtschenko über staatliche Banken Gelder aus dem Nationalen Wohlstandsfond geben. Wer würde daran zweifeln?!7. Die Arbeitsproduktivität wird um 5 % steigen. Normalerweise steigt die Arbeitsproduktivität entweder bei erhöhtem Wettbewerb oder bei der Gehaltssenkung. Bei Putin wird der Wettbewerb überall zunichte gemacht. Sie können sich also getrost auf einen Rückgang der Reallöhne einstellen.8. Kein einziges Mal das hat er das Wort »Korruption« ausgesprochen. Im Saal saßen Rotenberg, Jakunin, Miller, Kowaltschuk. Wäre ja peinlich, so vor den Jungs….

Aber das Problem ist akut. Putins Russland ist auf Platz 136 in der Welt, mit Nigeria und Kamerun. Belarus und Kasachstan stehen besser da.

Gott, bewahre Russland!«

Boris Nemzow auf Echo Moskwy, 4.12.2012; <http://echo.msk.ru/blog/nemtsov_boris/1449212-echo/>

Der Rubel ist so viel wert, wie das Regime Putins in den Augen des Marktes

» […] In seiner Botschaft an die Föderale Versammlung hat Präsident Wladimir Putin dazu aufgerufen, gegen die Devisenspekulanten zu kämpfen. ›Die Behörden wissen, wer diese Spekulanten sind, und es gibt Instrumente, um auf sie einzuwirken‹, erklärte Wladimir Putin.

Am 11. Dezember rief der Chef des Strafermittlungskomitees Russlands Alexander Bastrykin ebenfalls zum Kampf gegen die Devisenspekulanten auf.

Unmittelbar am nächsten Tag, am 12. Dezember (also am Freitag) erlaubte die Zentralbank den russischen Banken, die Anleihen von »Rosneft«, die einen Tag zuvor für die gigantische Summe von 625 Milliarden Rubel ausgegeben worden waren, als Bürgschaft für Kredite zu verwenden. Grob gesagt, bedeutete das: Die Bank kann diese Anleihen von Rosneft nehmen, zur Zentralbank bringen, dort mit der Hilfe dieser Anleihen einen Kredit bekommen und für das erhaltene Geld Devisen kaufen.

Unmittelbar am nächsten Werktag, also am Montag, d. 15. Dezember stürzte der Rubel ab. Innerhalb eines Tages verlor die Nationalwährung 15 % ihres Wertes (sie fiel von 56 auf 65 Rubel pro Dollar) und brachte das Land an den Rand der Hyperinflation. Ich würde mich nicht wundern, wenn gegen Mitte des kommenden Jahres nach dem Vorbild Venezuelas und Argentiniens der freie Währungsmarkt verboten wird. […]

Was nun die Devisenspekulanten angeht, so muss ich sowohl Putin wie auch Bastrykin mitteilen, dass es die in der Tat gibt. Mit einem kleinen Detail. Heute können nur Beamte auf dem Markt Geld verdienen. Wenn eine Person nämlich weiß, dass es einen Kredit an Rosneft geben soll, wenn er von einer Währungsintervention der Zentralbank weiß, kann er Millionen verdienen. Wenn er es nicht weiß, ist die Volatilität des Marktes derart groß, dass jeder Spekulant vom Markt fliegt.

Nun stellt sich die Frage: Wird Bastrykin wirklich untersuchen, wann Rosneft tatsächlich das Geld bekommen hat und wohin es geflossen ist, oder wird er eine Pressemitteilung über 625 Milliarden Tonnen »Rubel-Wasser« verfassen, das sich über das Unternehmen ergoss und von dem kein Tropfen im Meer gelangte, mit einer wunderbaren und erschöpfenden Erklärung? Und wird dann Nawalnyj der Spekulation gegen den Rubel beschuldigt?«

Julia Latynina in der Nowaja Gaseta, 16.12.2014 <http://www.novayagazeta.ru/columns/66553.html>


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