Die EU vernachlässigt die Förderung der russischen Zivilgesellschaft

Von Stefanie Schiffer (Berlin), Thomas Vogel (Brüssel)

Zusammenfassung
Während die EU-Finanzhilfen für die Zivilgesellschaft der Südlichen und der Östlichen Partnerschaft in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen sind, wurden die Gelder und Personalstellen für die Zusammenarbeit mit Russland massiv zurückgefahren. Ungeachtet der Proteste von Nichtregierungsorganisationen und der Aufforderungen des Europäischen Parlamentes setzt die EU-Kommission diese Politik auch im neuen EUHaushalt bis 2020 fort. Damit schwächt die EU eines der wenigen Instrumente, über das sie verfügt, um diejenigen Institutionen und Personen zu unterstützen, die sich in der Russischen Föderation für die demokratische Transformation des Landes, für Menschenrechte und die europäische Integration einsetzen.

Die EU als Förderer der Zivilgesellschaft

Die Europäische Union verfügt im Rahmen ihrer internationalen Kooperationsprogramme über eine Reihe von Finanzinstrumenten, die speziell auf die Förderung von zivilgesellschaftlichen Initiativen und Menschenrechtsorganisationen ausgerichtet sind. In den vergangenen Jahren wurden diese Instrumente mit erheblichen Mitteln ausgestattet, um die Zivilgesellschaften der Staaten der südlichen und östlichen EU-Nachbarschaft zu unterstützen. Ausschlaggebend waren unter anderem die Ereignisse des Arabischen Frühlings im Süden und die Vorbereitung auf Assoziierungsabkommen mit Staaten der Östlichen Partnerschaft. In diesem Zusammenhang haben die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst im Jahr 2011 eine Mitteilung zur »Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik« herausgegeben, die den Ausgangspunkt für ein grundlegendes Umdenken sein sollte, hin zu stärkerer Demokratieförderung und einer intensiveren Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft und Graswurzelorganisationen (A New Response to a Changing Neighbourhood. A review of European Neighbourhood Policy <http://ec.europa.eu/world/enp/pdf/com_11_303_en.pdf>).

Dem Umgang mit den Zivilgesellschaften der Staaten der 2009 gegründeten Östlichen Partnerschaft (Belarus, Moldau, Ukraine, Armenien, Aserbaidschan und Georgien) hat dieser 2011 eingeführte Ansatz neue Impulse gegeben. Dabei haben die Bemühungen, mit einigen der Staaten der östlichen Partnerschaft Assoziierungsabkommen abzuschließen und damit eine tiefgreifende EU-Annäherung zu betreiben, eine entscheidende Rolle gespielt.

Zu den Förderprogrammen der EU zur weltweiten direkten Unterstützung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen gehören in erster Linie das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) und das Non State Actors and Local Authority-Programm (NSA/LA). Als Folge der erwähnten Revision von 2011 wurde für die Südliche und Östliche EU-Nachbarschaft im Rahmen des damaligen Nachbarschaftsinstruments ENPI außerdem die Civil Society Facility (CSF) eingeführt.

Allein über diese drei Instrumente haben zivilgesellschaftliche Initiativen und Projekte in den sechs Staaten der Östliche Partnerschaft im Zeitraum 2011–2013 rund 72 Millionen Euro erhalten.

Unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings und als Reaktion auf die zu stark bürokratisierte und damit unflexible Förderpolitik der EU wurde Ende 2011 unter der polnischen Ratspräsidentschaft zudem ein weiteres, wesentlich flexibleres Finanzinstrument ins Leben gerufen, die Europäische Demokratiestiftung (European Endowment for Democracy, EED). Anders als die oben genannten Instrumente ist dieses Instrument kein Programm der EU-Kommission, sondern wird durch eine Stiftung umgesetzt, an der die Kommission, vor allem aber die Mitgliedstaaten der EU beteiligt sind. Ziel ist es, Graswurzelbewegungen schnell und unbürokratisch mit kleinen Summen zu unterstützen, ebenso NGOs ohne offizielle Registrierung, Einzelpersonen und sogar politische Parteien. Die Stiftung verfügt für die Jahre 2013–2017 über ungefähr 25 Mio. Euro, mit denen allerdings auch Verwaltungs- und Personalkosten abgedeckt werden sollen. Zielregion der EED ist ebenfalls die Südliche und Östliche Partnerschaft der EU (<https://www.democracyendowment.eu/about-eed/>).

Russland – ein »blinder Fleck«

So richtig die Entscheidung der EU war, bei der Anbindung der Staaten der südlichen und östlichen Partnerschaft an den EU-Raum besonderes Augenmerk auch auf die zivilgesellschaftliche Ebene zu richten, so bedenklich war die fast völlige Vernachlässigung der Unterstützung russischer Nichtregierungsorganisationen über die Förderprogramme der EU, die in den letzten Jahren zu beobachten war und die sich im Nachhinein als folgenschwer herausgestellt hat. Die im EU Haushalt eingestellten Fördermittel für russische NGOs belaufen sich derzeit gerade noch auf 4 Mio. € jährlich. Damit erhalten die sechs Staaten der östlichen Partnerschaft allein aus den drei Instrumenten EIDHR, NSA-LA und CSF zur Stärkung ihrer Zivilgesellschaften derzeit durchschnittlich fünfmal mehr EU-Fördermittel pro Jahr als die Russische Föderation. Diese Entwicklung entspricht dem generellen Trend, bei Kooperationsprogrammen der EU mit der Russischen Föderation die finanzielle Unterstützung in Richtung Russland mehr und mehr zurückzufahren. Das ist einerseits ein Zugeständnis an die offizielle russische Seite, die sich nicht mehr als Empfänger von EU-Förderungen sehen will, anderseits kommt sie den internen Sparzwängen in der EU und der Konzentration auf die Nachbarschaftsländer entgegen. Dem ureigenen Interesse der EU, auch gegenüber der Russischen Föderation eine wertebasierte Außenpolitik mit verlässlichen Partnerschaften auch auf der zivilgesellschaftlichen Ebene zu entwickeln, widerspricht diese Entwicklung jedoch auf ganzer Linie.

Ein weiteres Beispiel für diese Politik ist das Nachbarschaftsinstrument ENI, das auf gemeinsame Kooperationsprojekte zwischen der EU und den Regierungen der Nachbarschaftsländer ausgerichtet ist, und von dem auch zivilgesellschaftliche Projekte profitieren können. Russland kann in der neuen Förderperiode 2014–2020 außer im Bildungssektor (Erasmus+) nur noch in einigen wenigen regionalen Unterprogrammen teilnehmen, ist sonst aber weitestgehend vom ENI Programm, dem fast 2 Mrd. Euro jährlich zur Verfügung stehen, ausgeschlossen. Stattdessen wurde zwar mit der neuen Förderperiode das Partnerschaftsinstrument (PI) für die G20 Staaten, also auch Russland, eingeführt, allerdings ist dort eine Förderung der Zivilgesellschaft nicht explizit vorgesehen.

Für einen Ausbau der zivilgesellschaftlichen Beziehungen

Die EU kann es sich nicht leisten, diejenigen Strukturen, Institutionen und Aktiven weiterhin zu vernachlässigen, die in der Russischen Föderation für Demokratie und Menschenrechte, für Meinungs- und Pressefreiheit, für die Einhaltung internationaler Verpflichtungen und eine Annäherung an die europäischen Staaten und Gesellschaften eintreten.

Gerade wenn sich die geopolitische Krise weiter zuspitzt und Russland sich mit seiner aggressiven Politik gegenüber der Ukraine in eine internationale Isolation manövriert, müssen alle möglichen Gesprächs- und Handlungskanäle erhalten bleiben, die heute noch einen direkten Kontakt zwischen den Gesellschaften der EU und der Russischen Föderation ermöglichen. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt, dass russische Nichtregierungsorganisationen trotz der Einschüchterungen durch das sogenannte »Gesetz über ausländische Agenten« und trotz der derzeitigen aggressiven antiwestlichen Propaganda weiterhin bereit sind, mit europäischen Partnerinstitutionen und auch im Rahmen von EU-finanzierten Projekten zusammen zu arbeiten.

Das EU-Russland Zivilgesellschaftsforum hat bereits im Mai 2013 in einem Policy Paper auf die Notwendigkeit hingewiesen, zivilgesellschaftliche Strukturen in der Russischen Föderation nachhaltig und strategisch zu fördern. Das Europäische Parlament hat diese Empfehlungen in seinen Resolutionen im Juni 2013 und März 2014 nachdrücklich unterstützt und eine erhebliche Aufstockung der Mittel verlangt. Das letzte Wort hierzu hat allerdings die EU-Kommission, die über die Programmierung der Instrumente allein entscheidet und die bislang die von Zivilgesellschaft und EP erhobenen Forderungen nach Anpassung der EU-Hilfe für die russische Demokratiebewegung – zumindest eine Anhebung auf das Niveau, das mit den Staaten der östlichen Partnerschaft bereits erreicht ist – abblockt.

Zu den Empfehlungen des EU-Russland-Zivilgesellschaftsforums gehören:

Erhöhung des EIDHR-Budgets für die Russische Föderation von derzeit drei auf neun Millionen Euro jährlich;Anwendung des NSA/LA Programms in der Russischen Föderation mit einem jährlichen Budget von fünf Millionen Euro;Die Öffnung des neu aufgestellten Nachbarschaftsinstruments ENI für die Beteiligung russischer zivilgesellschaftlicher Organisationen im Rahmen von grenzüberschreitenden und multilateralen Programmen zwischen Organisationen aus der Russischen Föderation, der EU und Staaten der östlichen Partnerschaft;Öffnung des Partnerschaftsinstruments (PI), das für die Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation derzeit zehn Millionen Euro jährlich vorsieht, für eine Förderung zivilgesellschaftlicher Institutionen;Öffnung der Europäischen Demokratiestiftung (EED) für die Arbeit in der Russischen Föderation.

Die Schwächen der EU-Förderprogramme

Eine Erhöhung des Fördervolumens allein ist ein notwendiger aber kein ausreichender Schritt. Die Förderprogramme der EU werden derzeit entweder zentral von Brüssel oder von den EU-Delegationen in den Drittländern verwaltet. Personalkürzungen in den Kommissionsstrukturen führen dazu, dass die Fördermittel in möglichst großen Projekten bewilligt werden, die dann von einigen wenigen Verwaltungsangestellten administriert werden können. Die letzte Veröffentlichung des EIDHR-Programms für Russland sah dementsprechend die Förderung von Projekten ab einer Mindestgröße von 500.000 € vor. Es liegt auf der Hand, dass eine Demokratieförderung mit Augenmaß, die auch regionale und Graswurzelorganisationen berücksichtigt, mit derartigen Vorgaben kaum möglich ist. Die EU-Kommission sollte Programme entwickeln, die von der breiten Masse der russischen Nichtregierungsorganisationen sinnvoll verwaltet und umgesetzt werden können – dafür sind Projekte in einer Größenordnung von 50.000–200.000 € erfahrungsgemäß am besten geeignet. Um einen effizienten Mitteleinsatz zu gewährleisten, müssen selbstverständlich die dafür notwendigen kompetenten Verwaltungsstrukturen auf Seiten der EU bereitgestellt werden. Die EU ist jedoch gerade dabei, den Personalbestand der Delegation in Moskau drastisch zu reduzieren und die Verwaltung in Brüssel zu konzentrieren. Diese Entscheidung ist kontraproduktiv und sollte dringend revidiert werden.

Ein weiteres Problem der derzeitigen EU-Förderrichtlinien ist, dass sie ausschließlich Projekte fördern, aber keine institutionellen Förderungen vorsieht. Eine nachhaltige und perspektivische Demokratieförderung ist auf diese Weise in Transformationsstaaten ohne nennenswerte einheimische Philanthropie oder staatliche Förderprogramme nicht realisierbar. Nachdem die US-amerikanische Entwicklungsagentur USAID im vergangenen Jahr ihre Tätigkeit in der Russischen Föderation einstellen musste, fehlt ein wesentlicher Akteur, der in der Vergangenheit zivilgesellschaftliche Organisationen auch über einen längeren Zeitraum gefördert und damit zu ihrer Institutionalisierung und Professionalisierung beigetragen hat. Das Fehlen einer nachhaltigen, systematisch und langfristig angelegten Förderung der russischen Zivilgesellschaft wird Folgen für die russische Gesellschaft haben, die in den kommenden Jahren noch stärker sichtbar werden. Angesichts der aktuellen politischen Krise in Europa darf es in der EU-Förderpolitik kein business as usual geben. Wie wichtig eine aufgeklärte, offene und demokratieorientierte Zivilgesellschaft ist, hat sich in der Ukraine einmal mehr gezeigt, ebenso wie ihr Fehlen in Russland deutlich wurde. Die künstliche Spaltung und Aufteilung der EU-Politik und finanziellen Förderung zwischen Nachbarschaft und Russland erweist sich gerade jetzt als gravierender Fehler.

Derzeit wird die EU-Demokratisierungsagenda für Russland jedoch von den EU-Haushältern bestimmt. Ob diese aber im Augenblick der gravierenden geopolitischen Krisen nötigen politischen Weitblick haben, darf bezweifelt werden.

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