Aus der russischen Presse

Von Pawel Bykow, Olga Wlassowa, Geworg Mirsajan

Die vergangenen Konsultationen haben gezeigt, dass es für Moskau niemanden gibt, mit dem es über die Zukunft der Ukraine reden könnte. Die Europäische Union ist nicht nur zu keinerlei drastischen Entschlüssen bereit, sondern auch nicht in der Lage, den selbst eingegangenen Verpflichtungen gemäß zu handeln. Hinzu kommt, dass im Mai in der EU die Wahlen zum Europaparlament anstehen und die Europäische Kommission neu besetzt wird. Die derzeitige ukrainische Regierung wird von Russland nicht anerkannt, und die Aussichten dieser Regierung sind höchst unklar, da der geschäftsführende Präsident Alexander Turtschynow und der geschäftsführende Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk weder über die Ressourcen noch über die Autorität oder den Willen verfügen, um das Land in einer kritischen Situation zu lenken. Für das Szenario einer Angliederung der Krim spricht auch die Erklärung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der in einem Telefongespräch mit US-Präsident Barack Obama festgestellt hat, dass Russland die an Moskau ergangenen Hilferufe von Bewohnern der Krim und anderer Regionen der Ukraine nicht ignorieren könne, wenn die derzeitige ukrainische Führung, die durch einen verfassungswidrigen Umsturz an die Macht gelangte und über kein gesamtnationales Mandat verfügt, absolut illegitime Beschlüsse oktroyiert.

Die Situation in der Ukraine ist derart, dass Russland nicht nur aus humanitären, sondern auch aus rein pragmatischen Gründen die Haltung der Bewohner der Krim und anderer ukrainischer Regionen tatsächlich nicht ignorieren kann. […]

Quelle: Expert; 11 (890), 8. März 2014; <http://expert.ru/expert/2014/11/shest‑stsenariev/>

Strategie einer unbequemen Partnerschaft

Dmitrij Jewstafjew, Dr. der politischen Wissenschaften

Für Russland steht ein Paradigmenwechsel sowohl der innen- wie der außenpolitischen Entwicklung an. Die Weltlage hat eine Dynamik angenommen, bei der die Taktik der »vernünftigen Passivität«, die Russland Erfolge eingebracht hat (man denke nur an das Hin und Her der ägyptischen Revolution, das durch die Wiederherstellung des Systems der militärischen und technischen Zusammenarbeit zwischen Kairo und Moskau ein Ende fand), seine Wirksamkeit verlieren könnte. Diese Taktik bringt nur dann Ergebnisse, wenn sie auf einer Reihe geopolitischer und geoökonomischer Konstanten basiert.

Die Konstanten stellen sich für Russland folgendermaßen dar: Zum einen ist da der Vorrang der Zollunion vor anderen Institutionen des postsowjetischen Raumes; und die faktische Anerkennung des Zerfalls des postsowjetischen Raumes. Als zweites ist die deklarierte strategische Partnerschaft mit der Volksrepublik China bei gleichzeitiger Stagnation der realen Zusammenarbeit und einer fehlenden strategischen Agenda zu nennen (dieser Eindruck hat sich besonders nach der durch Peking praktisch vollzogenen »Privatisierung« der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit verstärkt). Drittens das deklarierte Streben nach einer Partnerschaft mit der EU, während im Bereich der realen Politik die konfrontativen Elemente zunehmen. Und viertens die zunehmende verbale Konfrontation mit den USA bei einer äußerst langen Liste von Fragen.

Quelle: Expert, 11 (890), 7. März 2014; <http://expert.ru/expert/2014/11/strategiya‑neudobnogo‑partnerstva/>

Aus der Redaktion: Biegung in der Pipeline

Die möglichen Sanktionen gegen Russland im Öl- und Gasbereich können nicht schnell wirksam werden und werden jetzt, in der heißen Phase der Ukraine-Krise, kaum einen politischen Effekt haben. Aber die Zuspitzung der Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine könnte die sich in Europa und den USA seit Langem abzeichnende Umstrukturierung des Marktes für Energieträger beschleunigen.

Europa hängt zu rund 30 % von Gas aus Russland ab und zu 27 % vom dortigen Öl. Die Importe aus Russland sind auf die Schnelle nicht zu ersetzen, wobei sich die Abhängigkeit vom Gas wegen der langfristigen Verträge über Lieferungen durch die Pipelines von »Gazprom« dramatischer darstellt. Dass Moskau auf die »Energiewaffe« in Form von überzähligen und teuren Gaspipelines nach Europa gesetzt hat, arbeitet jetzt präzise. Zu Friedenszeiten hat man »Gazprom« noch wegen Ineffizienz, Schwerfälligkeit, Korruption beim Pipelinebau und anderem kritisieren können – zu Kriegszeiten stellt sich heraus, dass der Gasexport nach Europa die Wahrscheinlichkeit europäischer Sanktionen auf ein Minimum reduziert. […]

Quelle.: Wedomosti; Nr. 40 (3544), 7. März 2014; <http://www.vedomosti.ru/opinion/news/23702351/povorot-truby>

Staat und Gesellschaft: Uns erwartet eine Mobilisierungspolitik

Jewgenij Gontmacher

Wie auch immer die russisch-ukrainische Krise ausgehen wird, es lässt sich bereits jetzt konstatieren: Es wird forciert zu einer Gesellschaftspolitik des mobilisierenden Typus übergegangen.

Warum habe ich das Wort »forciert« verwendet? Bereits im vergangenen Jahr ist allen klar geworden: Die Wirtschaft Russlands ist ernstlich und auf lange Zeit ins Stocken geraten. Das bedeutet, dass die in die Staatskasse fließenden Steuermittel offensichtlich nicht einmal zur Umsetzung jener höchst bescheidenen Verpflichtungen reichen werden, die öffentlich übernommen wurden. Beispielsweise die verkündeten, sehr baldigen Gehaltserhöhungen der öffentlichen Angestellten zumindest auf das Durchschnittsniveau in der jeweiligen Region. Oder eine Anhebung der Renten, die zumindest die Inflation ausgleicht. Vollendete Tatsache, festgeschrieben im Föderalen Haushalt für 2014–2016, ist eine Verringerung (unter anderem eine absolute) der staatlichen Finanzierung des Gesundheits- und Bildungssystems.

Quelle: Wedomosti, Nr. 40 (3544), 7. März 2014; <http://www.vedomosti.ru/opinion/news/23675711/evgenij -gontmaher-mobilizacionnye-cherty-novoj-politiki>

Die Europarlamentarier überlegen sich Druckmittel gegen Russland

Taras Podres, Darja Zoj

[…]

Die Leiterin des Zentrums für politische Integration des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften Ljudmila Babynina ist der Ansicht, dass ein Einfrieren der Guthaben einzelner Personen das wahrscheinlichste Szenario für Sanktionen gegen Russland sei. Ein solcher Schritt würde es der Europäischen Union ermöglichen, den eigenen Wählern und den USA gegenüber das Gesicht zu wahren, und er würde gleichzeitig die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland nicht im geringsten beeinträchtigen. Auf eine reale wirtschaftliche Isolierung wird die EU nicht zurückgreifen. Der Warenaustausch mit der EU macht 49 % des russischen Außenhandels aus, laut den Daten für 2013 ist der Warenverkehr mit der EU um 2 % auf 417,5 Mrd. US-Dollar angestiegen (nach Angaben des Föderalen Steuerdienstes).

[…]

Quelle: Iswestija; Nr. 40, 5. März 2014

Das Kindergegschwätz der westlichen Politik

Sergej Roganow, Philosoph

Die Welt ist schockiert. Nach nur einer Stunde waren Streitkräfte der Russischen Föderation in der Ukraine Realität, und keine Phantasien oder Träumereien. Als sich die Krim und die ukrainische Flotte unter der Flagge Russlands erhoben. Als über den gesamten Südosten der Ukraine eine Welle prorussischer Versammlungen hinwegzog und über den Verwaltungen der Städte und Gebiete Trikoloren Russlands gehisst wurden. Als die Plätze der größten Industriezentren skandierten: »Putin! Russland!« Das Leben Russlands, Europas, der USA verlagerte sich in die Nachrichtenticker, weil man erstmals seit dem Vierteljahrhundert postsowjetischer Wirren tatsächlich nur auf Nachrichten wartete, sie jagte, fieberhaft las; Nachrichten zum Thema »Moskau. Kreml«. […]

Und wir haben das elementare Gefühl nationaler Selbstachtung noch nicht soweit verloren, dass wir dem Westen erlaubten, unser Land ungestraft zu schikanieren und mit Dreck zu überschütten. Es ohne zu murren, ohne Widerwehr den amerikanischen Expertenhorden erlaubten, sich in der Regierung, den Organen staatlicher Macht auszutoben. Dass wir unsere debil daherkommenden Klugscheißer mit ihren endlosen Absonderungen über »Bolschewiken«, »Diktatur« usw. in die Medien ließen.

Dass wir Idioten erlaubten, ihre Heimat zu unterminieren und ungestraft in die Kommentare Verwünschungen gegen Russland zu streuen und dessen letztendlichen Tod zu beschwören, wegen dessen »endlich endgültigen Zusammenbruchs« zu frohlocken. Gehen Sie nur in die sozialen Netze und lesen sie dort! Da wird von Nordkorea geredet, und von Afghanistan. Von Tyrannen und Interventen. Aber, verehrte Russophobe und Sowjetophobe, alle Duldsamkeit und alle dreisten Taten haben einmal ihr Ende. Behaupten Sie später also nicht, man habe Sie nicht gewarnt.

Aber das für später, sollen sie doch geifern wie tollwütige Hunde.

Jetzt Nachrichten zu kommentieren, ist eine undankbare und riskante Sache, weil im Krieg (und der ist entfacht, ein umfassender und – bislang nur! – Medien- und Propagandakrieg) jeder Kommentar zu spät kommt, ein zukünftiger Kommentar gehört umgehend der Vergangenheit an. Politiker und Analytiker, hier wie im Ausland, wetteifern mit ihren Kindereien.

Quelle: Iswestija; Nr. 38, 02.03.2014; <http://izvestia.ru/news/566844>

Putin verdient den Nachimow-OrdenDer Schriftsteller Alexander Prochanow über Sieg und Wunder, die wir erwarten

Die Krim ist in aller Munde.

Bangigkeit, Andacht, glänzende Augen. Abergläubische Vorahnungen: Ist es wirklich möglich, wird es wirklich geschehen? Wird die [ethnisch] russische Krim tatsächlich wieder mit Russland vereint sein? Davon spricht man in Sibirien und im Fernen Osten [Russlands], davon spricht man in den Riesenstädten und winzigen Dörflein.

Alle Gedanken, alle Gebete gelten der Krim, sind Vorzeichen einer geheimnisvollen russischen Wiedergeburt, eines russischen geistigen Frühlings. Wir zählen die Tage und Stunden bis zum Referendum. Dass es bloß nicht scheitere. Dass bloß nicht wütende Banden die Krim überfallen. Dass nicht die Mehrfachraketenwerfer an den Straßensperren losgehen. Dass der Wille der Krimbewohner bloß nicht erschüttert werde oder, verhüt’s Gott, die [national]russische Politik sich verschiebe. In diesen Ängsten liegt auch etwas Religiöses, Erhabenes und Gebethaftes.

Quelle: Iswestija; 10. März 2014 <http://izvestia.ru/news/567223>

Vernichtende Niederlage des Westens. Der Ukraine und des Westens in der Ukraine

Andranik Migranjan, Politologe

[…] Merkwürdig, dass in den westlichen Medien, besonders den amerikanischen, gesagt wird, dass das Volk sich gegen die Regierung in Kiew erhoben habe. Daraus folgt: Wenn sie die Verfassung verletzt und einen Umsturz verübt haben, ist das normal; wenn aber das Volk auf der Krim ebenfalls beschlossen hat, angesichts der illegitimen Regierung in Kiew die ganze Macht in die eigene Hände zu nehmen und sich die örtlichen Behörden, die örtlichen Justiz- und Machtstrukturen zu unterstellen, gilt das nicht als normal, sondern als Verletzung irgendwelcher Gesetze.

Das Vorgehen Russlands (sogar die Maßnahmen jener Einheiten, die einige Garnisonen ukrainischer Truppen blockierten) erfolgte sowohl in Übereinstimmung mit Vereinbarungen mit den Behörden der Krim als auch in Abstimmung mit dem derzeit noch amtierenden Präsidenten der Ukraine. Es ist daher lachhaft, von der Verletzung irgendwelcher Verträge zu sprechen, wenn hiergegen in Kiew Leute protestieren, die – aus der Sicht Russlands – einen bewaffneten Umsturz verübt haben und keine legitime Regierung darstellen.

Quelle: Iswestija; 6. März 2014 <http://izvestia.ru/news/567089>

Übersetzung: Hartmut Schröder


Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS