Putin und Russlands gelähmte Medien

Von Robert W. Orttung, Christopher Walker (beide Washington, D.C.)

Zusammenfassung
Der Kreml setzt unter Putin die Unterdrückung der Medien als festen Bestandteil einer Strategie fort, jedes Aufkommen einer glaubwürdigen Opposition zu verhindern, die das derzeitige Regime ernsthaft herausfordern könnte. Dieser Beitrag betrachtet die jüngste Entwicklung der Medien in Russland und arbeitet einige Schlüsselelemente dieser Strategie heraus. Während das Fernsehen weiterhin das wichtigste Instrument bleibt, mit dem die Regierung den Informationsraum dominiert, schenkt der Kreml dem Internet wegen dessen schnell zunehmender Bedeutung immer mehr Beachtung.

Systematische Unterdrückung und Marginalisierung unabhängiger Medien

Nach seiner Rückkehr in den Kreml 2012 hat Präsident Putin versucht, Russlands anwachsende Oppositionsbewegung einzudämmen, indem er mit noch härteren Maßnahmen gegen das vorging, was in Russland an unabhängigen Medien noch übrig war. Online-Aktivismus war ein integraler Bestandteil beim Entstehen der Protestbewegung, und die russische Regierung hat daher dem Internet zunehmend ihr Interesse gewidmet. Bis jetzt beruhte die Strategie des Kreml beim Medien-Management hauptsächlich auf einer Dominanz im zentralen Fernsehen, auf das die meisten Russen weiterhin zum Erhalt von Nachrichten und Informationen angewiesen sind. Angesichts des Umgangs mit politischer Meinungsäußerung und Andersdenken, den die russischen Behörden in den letzten zwölf Jahren an den Tag gelegt haben, liegt es wegen des wachsenden Einflusses des Internet als Instrument für alternative Diskussion und politische Koordination nahe, dass der Kreml sehr viel aktiver gegen eine ungehinderte Online-Diskussion vorgehen wird. Solch eine Entwicklung würde zu der allgemeineren Strategie passen, mit der Putin versucht, potentielle Alternativen zu seines Herrschaft zu beseitigen oder an den Rand zu drängen; hierzu wurden Wahlen manipuliert, die Aktionsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft eingeengt, die Unabhängigkeit der Justiz beschnitten und gewichtige Unternehmerinteressen kooptiert. Medienbesitz durch regimefreundliche Wirtschaftskonzerne, darunter große Öl- und Gasfirmen, ist ein Schlüsselmerkmal der gegenwärtigen Medienarchitektur in Russland.

Die staatlich kontrollierten Medien liefern heute keine seriöse oder ausgewogene Berichterstattung zu Ereignissen an der Spitze des politischen Systems in Russland. Sie bieten auch kein Forum für eine freie und offene Debatte von Ideen. Stattdessen sind die staatlichen Medien damit beschäftigt, die Zuschauer mit einer offiziell gebilligten Version dessen zu versorgen, was in Russland und der Welt geschieht. Gleichzeitig werden potentielle oppositionelle Stimmen oder Kräfte, die den amtierenden Machthabern kritisch gegenüberstehen, diskreditiert. Ein Schlüsselelement dieser Strategie besteht darin, zur Ablenkung einen steten Strom professionell gemachter Fernsehunterhaltung zu erzeugen, damit die Bürger nicht politisch aktiv werden. Das Internet bietet zwar alternative Informationsquellen und entwickelt sich langsam als potentieller Herausforderer der offiziellen Medienhegemonie, doch ist es noch ein weiter Weg, bis es das Fernsehen als Hauptinformationsquelle für die meisten Russen ablösen wird.

Bei den offiziellen Indizes zu Offenheit und Pluralismus in den Medien schneidet Russland ausgesprochen schlecht ab. »Reporter ohne Grenzen« listete Russland 2013 bei der Pressefreiheit auf Platz 148 von 179 Ländern. Die Organisation hat Russland wegen der Unterdrückung der politischen Opposition kritisiert, und dafür, dass die Behörden nicht jene Kriminellen energisch verfolgen und vor Gericht stellen, die Journalisten ermordet haben. »Freedom House« bewertet Russland als »nicht frei« und weist darauf hin, dass grundlegende Garantien für Journalisten und Medienunternehmen fehlen. Die dominante Rolle des Staates in den Medien lässt sich am deutlichsten daran erkennen, wie der Staat die Kontrolle über die landesweiten Sender ausübt. Der Bericht von »Freedom House« zur Medienfreiheit 2012 stellt fest, dass »der Staat alle sechs landesweiten Fernsehsender, zwei landesweite Radiosender, zwei der 14 überregionalen Zeitungen, über 60 Prozent der rund 45.000 registrierten lokalen Zeitungen und Zeitschriften und zwei landesweite Nachrichtenagenturen direkt oder über Vertreter besitzt.« (http://www.freedomhouse.org/report/freedom-press/2012/russia). Auf den ersten Blick schneidet Russland im Vergleich mit den meisten Ländern schlecht ab, eine Analyse dieser unabhängigen Beobachter zeigt jedoch darüber hinaus, dass die Medienfreiheit in Russland über die Jahre in einem drastischen Maße ausgehöhlt wurde.

Im Endeffekt führt die systematische Unterdrückung der Medieninfrastruktur durch den Kreml dazu, dass der Zugang zu politisch relevanten unabhängigen, ortssprachlichen Nachrichten und Analysen stärker eingeschränkt ist als jemals zuvor seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Lediglich einige Printmedien, von denen die meisten nur eine begrenzte Verbreitung haben, sind in der Lage, wichtige Fragen zu Politik, Korruption sowie Staat und Gesellschaft aufzugreifen. Im Verlauf der Ära Putin hat die in Nachrichtenorganisationen verbreitete Selbstzensur sogar hier tiefe Wurzeln geschlagen. Printjournalisten und Redakteure sind zunehmend auf Unterstützung durch die öffentlichen Haushalte angewiesen und sehen sich regelmäßig Einschüchterungsversuchen, Klagen und anderen Formen der Drangsalierung ausgesetzt, wenn sie über sensible Themen berichten.

Das Fernsehen – Russlands dominantes Medium

Auch wenn die zunehmende Internetnutzung in den Berichten über Russlands Medienlandschaft viel Beachtung findet, bleibt dennoch das Fernsehen das wichtigste Medium, über das die Bürger in Russland ihre Nachrichten beziehen. In der Ära Putin hat die Bereinigung des Äthers von unabhängiger Berichterstattung eine mächtige, negative Wirkung auf die Art und Weise gehabt, in der viele Bürger Politik wahrnehmen. Untersuchungen zu Fernsehgewohnheiten aus dem Jahr 1999 hatten ja gezeigt, dass der Zugang zu unabhängiger Berichterstattung einen Rückgang des aggregierten Stimmenanteils für die herrschende Partei um nahezu 9 % bewirkte, und dass Zuschauer solcher Sendungen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Oppositionsparteien unterstützen.

Bei seinem Machtantritt im Jahre 2000 war es dann auch Putins vorrangiges Ziel, die Kontrolle über das Fernsehen herzustellen, und er hat beträchtliche Anstrengungen unternommen, um eine Dominanz über die Fernsehmedien herzustellen. Angesichts der digitalen Wasserscheide zwischen den städtischen und ländlichen Gebieten in Russland sind ländlichen, weniger vernetzten Bevölkerungsteile stärker auf staatliche Medien angewiesen; sie haben in der Regel weniger Zugang zu unabhängigen Informationsquellen (auch zum Internet) als Städter. In Bezug auf das Fernsehpublikum verfügen die Behörden über die Macht, Personen mit kritischer Stimme unsichtbar werden zu lassen. An Stelle von Oppositionellen, Aktivisten und Sozialkritikern bieten die Polit-Sendungen ein zuverlässiges Ensemble Kreml-geprüfter Kommentatoren. Dadurch verfügt das Regime über direkte Kanäle, zur Sammlung seiner politischen Basis.

Die Nachrichten- und Informationssendungen im Fernsehen werden zu einem großen Teil zur Diskreditierung der Opposition und für Lobeshymnen auf das Regime eingesetzt. Es gibt jedoch Anzeichen, dass die Zuschauer allmählich einer solchen Politik überdrüssig werden. Das Publikum des staatlichen Fernsehens ist zwar immer noch groß und solide, doch nicht mehr so zahlreich, wie in früheren Jahren von Putins Herrschaft. Das vom Staat kontrollierte Fernsehen (»Erster Kanal«, »Rossija«, »Kultura« und die lokalen RTR-Kanäle) hat im Februar 2012 nur noch 73 Prozent der Bevölkerung als primäre Informationsquelle gedient, gegenüber 87 Prozent im Vorjahrsmonat.

Die über das Fernsehen verbreitete Kritik an der Opposition ist in den letzten Monaten notorisch geworden. So hat beispielsweise der im Besitz von Gazprom befindliche Sender NTV mit der als Dokumentationsserie ausgestrahlten »Anatomie des Protestes« eine heftige Attacke gegen die Opposition geritten. Der erste Teil, der Mitte März 2012 ausgestrahlt wurde, enthielt Vorwürfe, dass die Organisatoren der Proteste Demonstrationsteilnehmer dafür bezahlt hätten, für die Forderung nach freien und fairen Wahlen sowie dem Rücktritt Putins auf die Straße zu gehen. Die Sendung löste eine hitzige Debatte im russischen Teil des Internet aus und ließ einige Hundert Demonstranten aus Protest zum Fernsehzentrum Ostankino ziehen und den Einsatz offener Propaganda durch das Regime anprangern. In »Anatomie des Protestes 2«, das am 5. Oktober 2012 ausgestrahlt wurde, wird behauptet, dass Sergej Udalzow, einer der Oppositionsführer, sowie dessen Kollegen Konstantin Lebedew und Leonid Raswosschajew sich mit dem georgischen Parlamentsabgeordneten Giwi Targamadse zur Vorbereitung von Terroranschläge in Russland verschworen hätten. Die Sendung zog eine schnelle Reaktion der Polizei- und Justizbehörden nach sich: Während Lebedew bereits in Haft war, setzten die Behörden Hinweise aus der Sendung ein, um Udalzow zu beschuldigen, bei den Moskauer Protesten vom 6. Mai 2012 Massenunruhen organisiert zu haben. Am 19. Oktober wurde Raswosschajew in Kiew offenbar durch russische Agenten entführt. Er hatte dort mit Vertretern des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen gesprochen und versucht, Asyl zu erhalten. Bei seiner Entführung wurde er zurück nach Russland gebracht, gefoltert und gezwungen, ein Geständnis zu unterzeichnen. Er sitzt immer noch in Sibirien in Haft.

Unmittelbar nach den Protesten im Dezember 2011 hatten die Nachrichtensendungen auf den staatlich kontrollierten Kanälen den Versuch unternommen, ein glaubhafteres Bild von den Vorgängen in Russland zu zeigen. Das sollte verhindern, dass noch mehr Zuschauer sie einfach abschalten. Die von der Regierung kontrollierten Sender berichteten nun, da viele Bürger Russlands auf die Straße gingen, über die Demonstrationen der Opposition und ignorierten sie nicht mehr wie in früheren Zeiten. Eine bedeutsame Veränderung gab es auch am 15. September 2012, als das staatliche Fernsehen Alexej Nawalnyj zeigte, einen der prominentesten Oppositionsführer, der Russlands ausufernde Korruption in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt hatte. Während andere Oppositionsführer wie Boris Nemzow gelegentlich in Nachrichtensendungen zu sehen waren, war Nawalnyj bis zu diesem Zeitpunkt dem Fernsehpublikum vorenthalten worden.

Nach Ansicht von Lew Gudkow vom Lewada-Zentrum übt das Fernsehen weiterhin einen starken Einfluss auf die öffentliche Meinung aus. Gudkow stellt fest, dass die Regierung beispielsweise in der Lage war, eine Unterstützung für das Dima-Jakowlew-Gesetz aufzubauen, das die Adoption russischer Waisenkinder durch US-Amerikaner verbietet: Hierzu wurde in Sendungen die abstoßende (und inkorrekte) Botschaft wiederholt verbreitet, dass amerikanische Eltern, die russische Kinder adoptieren, diese quälen und sexuell missbrauchen würden. Diese Sendungen haben sich auf die tragischen Ausnahmefälle konzentriert und ließen viele Zuschauer durch diese tendenziöse Berichterstattung zu dem (falschen) Schluss kommen, russische Waisen würden sich bei amerikanischen Adoptiveltern in der Regel unter traurigsten Bedingungen wiederfinden.

Die Staatsduma hat Anfang des Jahres sogar damit gedroht, ein eigenes Gesetz zu verabschieden, um einen ihrer offenen Kritiker, den Fernsehmoderator Wladimir Posner zum Schweigen zu bringen. Das Gesetz sollte es Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft verbieten, im Rahmen von Fernsehsendungen den Staat oder dessen Institutionen zu beleidigen. Posner hatte sich den Ärger der Parlamentarier zugezogen, weil er die Duma wegen der Verabschiedung des Dima-Jakowlew-Gesetzes als »Dura« (dt.: »dumme Gans«) bezeichnet hatte. Posner entschuldigte sich schließlich, und der Gesetzentwurf, der ihn von den russischen Bildschirmen verbannt hätte, wurde Ende Januar 2013 zurückgezogen. Abgeordnete der Staatsduma, die den Entwurf getragen hatten, erklärten jedoch, sie würden diesen in der Schublade behalten und hervorholen, falls er in Zukunft benötigt werde.

Darüber hinaus sind viele Themen in Russlands Medien nahezu tabu, zum Beispiel Putins Gesundheit. Putin hatte im Herbst 2012 viele Auftritte abgesagt, doch lieferten die Medien in Russland nur eingeschränkte Informationen zu den Gründen hinter den Absagen.

Eine Rolle für das Radio

Radio spielt in der Medienlandschaft Russlands eine wichtige Rolle, insbesondere durch die große Zahl der Pendler, die in den zahlreichen Verkehrsstaus des Landes steckenbleiben. Das Radio sorgt für mehr Ausgleich in der täglichen Nahrung aus Infotainment, das die redaktionell verkümmerten Fernsehsender bieten. »Echo Moskwy« und andere Radiosender übertragen live von den Demonstrationen der Opposition, und ihre Kommentatoren liefern eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Ansichten.

Bei aller gegenwärtigen Freiheit sind jedoch die organisatorische Autonomie und die redaktionelle Unabhängigkeit von »Echo Moskwy« zunehmend unter intensiven Druck geraten. Am 29. März 2012 hat der Aufsichtsrat den Chefredakteur Alexei Wenediktow, den Ersten stellvertretenden Chefredakteur Wladimir Warfolomejew sowie die unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder Jewgenij Jasin und Alexandr Makowskij aus dem Leitungsgremium des Senders entfernt. Diese Maßnahme stellt sicher, dass Wenediktow leichter als Redakteur abgesetzt werden kann, sollte sich der Kreml zu solch einem Vorgehen entschließen. Gazprom Media hält ein Kontrollpaket des Senders.

Der Rundfunk hat darüber hinaus noch andere Probleme zu bewältigen: Eine neue Gesetzesbestimmung verbietet es Radiosendern, die mehrheitlich in ausländischem Besitz sind, in Russland zu senden. Eine Wirkung dieser Gesetzesbestimmung war, dass das russischsprachige Programm von Radio Free Europe / Radio Liberty (RFE/RL), dessen Signal in Russland über lokale AM-Sender weitergeleitetet wird, den Sendebetrieb einstellte. Diese Entwicklung fiel ungefähr in die Zeit, als die Geschäftsleitung von RFE/RL ihren Beschluss umsetzte, plötzlich viele erfahrene Journalisten des russischsprachigen Programms als Teil eines umstrittenen Restrukturierungsplans zu entlassen. Dieser Plan hatte bei dem Sender für beträchtlichen Aufruhr gesorgt.

Die wachsende Bedeutung des Internet

Während die Zuschauerzahlen beim Fernsehen mit der Zeit abnehmen, ist die Zahl der Internetnutzer im Verlauf des Jahres 2012 von 52 auf 57 Prozent der Bevölkerung angewachsen. Die wachsende Beliebtheit des Internet bedeutet, dass die Behörden nun dem Online-Geschehen mehr Beachtung schenken und aktiver darauf reagieren dürften.

Angesichts der Potentiale des Internet für die Mobilisierung von Straßenprotesten betrachtet die Regierung Online-Aktivitäten als eine echte Bedrohung für die eigene Position. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation »Agora« haben die Behörden 2012 in 1.197 Fällen die Freiheit des Internet verletzt; das waren fast zweieinhalb Mal mehr Fälle, als 2011 registriert wurden. Das Internet wird bei den Nutzern in Russland nicht nur immer beliebter, es gibt auch immer mehr Menschen, die es eher als Nachrichtenquelle denn zu reinen Unterhaltungszwecken nutzen. Gegenwärtig besuchen 25 Prozent der Bevölkerung das Netz, um zu erfahren, was im Land und in der Welt vor sich geht. In mancher Hinsicht ist das Internet hierbei sogar beliebter als das Fernsehen: An einigen Tagen wird der Nachrichtendienst von Yandex häufiger besucht als der staatlich kontrollierte Erste Kanal entsprechende Zuschauer hat. Andererseits verbringen die Fernsehzuschauer dabei mehr Zeit mit dem Konsum des Senders als diejenigen, die im Internet unterwegs sind.

Der stetig zunehmende Einfluss des Internet hat in der Führung Russlands für wachsende Besorgnis ausgelöst. Am 1. November 2012 ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, das es dem Staat erlaubt, das Internet zu filtern. Das neue Gesetz weist den Föderalen Aufsichtsdienst für Fernmeldewesen, Informationstechnologien und Massenkommunikation der Russischen Föderation (Roskomnadsor) an, eine schwarze Liste von Websites zu erstellen, die auf dem Gebiet der Russischen Föderation gesperrt werden können. Während die Maßnahme vorgeblich gegen Kinderpornographie und gegen Websites gerichtet ist, die Selbstmord und Drogenkonsum unterstützen, meinen Kritiker, dass die Behörden das Gesetz wegen des vagen Wortlauts auch gegen andere Ziele wenden können als die im Gesetz hervorgehobenen. Hinzu kommt, dass für die Abschaltung einer Website kein Gerichtsbeschluss nötig ist. Wenn auf nur einer Seite Materialien zu finden sind, die beanstandet werden, kann die gesamte Website gesperrt werden. Bis Dezember 2012 hat Russland 640 Websites gesperrt. Die zuständige Behörde hat erklärt, dass sie bereits 19.000 Eingaben über Websites erhalten hat, die bis zum Jahresende 2012 zu blockieren wären, weswegen die Zahl der Sperrungen wohl steigen dürfte. Die Regierungsbehörden für Drogenbekämpfung und Verbraucherschutz sind bei der Sperrung von Websites, die sie für beanstandungswürdig halten, besonders aktiv gewesen.

Das Internet- und Satellitenfernsehen »Doschd TV« (http://tvrain.ru/) ist während der Proteste im Dezember 2011 eine wichtige Informationsquelle gewesen, weil es in der Lage war, zeitnah Berichte vom Ort des Geschehens zu senden. Als Online-Fernsehen bietet es eine alternative Bandbreite an Nachrichten und Meinungen, die einen Kontrast zu den vom Kreml kontrollierten Fernsehsendern bilden. Der Erfolg von Doschd TV lässt sich daran ermessen, dass eine regierungsfreundliche Stiftung, das »Institut für sozio-ökonomische und politische Studien«, eine dreijährige Finanzierung für das kremlfreundliche Kontr-TV (http://kontr.tv/#!/) bereitgestellt hat, das als Online-Alternative zu Doschd gegründet wurde. Die taktische Gründung von Strukturen, die die tatsächlich unabhängigen Organisationen täuschend imitieren sollen, passt in das Muster, das über die Putin-Jahre hinweg deutlich geworden ist.

Übergriffe auf Journalisten

Russland ist für Journalisten ein äußerst gefährlicher Arbeitsplatz. Nach Angaben des Russischen Journalistenverbandes sind in dem Land über die vergangenen 20 Jahre 341 Journalisten getötet worden. Zu den jüngsten Fällen gehört der des Fernsehmoderators Kasbek Gekkijew, der am 5. Dezember 2012 beim Verlassen des Studios in Naltschik (Republik Kabardino-Balkarien) getötet wurde. Putin hat die Behörden aufgefordert, den Fall aufzuklären, und die lokalen Stellen machen militante Islamisten für das Verbrechen verantwortlich. Am 15. Dezember 2011 wurde Chadschimurad Kamalow, Gründer der dagestanischen Zeitung »Tschernowik«, bei einem Anschlag ermordet. Die Zeitung war 2008 bei der Regierung der Republik in Ungnade gefallen, weil sie berichtet hatte, dass bei einer Operation gegen Aufständische Unschuldige ums Leben gekommen waren. Während weiterhin Journalisten getötet werden, bleiben viele Journalistenmorde der letzten Jahre, darunter der an Anna Politkowskaja im Jahre 2006, immer noch unaufgeklärt. Straflosigkeit ist die Regel.

Auch bei der Arbeit selbst sehen sich Journalisten vielen Drangsalierungen ausgesetzt. Nach den Demonstrationen vom 6. bis 9. Mai 2012, die aus Anlass des Amtsantritts von Wladimir Putin in Moskau stattfanden, haben die Behörden Dutzende Journalisten festgenommen, die von den Ereignissen berichteten. Am 6. Mai waren die Websites von Kommersant, Echo Moskwy, Bolschoj Gorod, Doschd und slon.ru das Ziel von DDoS-Angriffen und dadurch für Nutzer, die sich ganz aktuell über die Demonstrationen informieren wollten, nicht erreichbar.

In einem weiteren Schritt zur Schwächung der freien Medien unterzeichnete Putin ein Gesetz, das Verleumdung wieder unter Strafe stellt. Das bedeutet eine scharfe Kehrwende, weil Dmitrij Medwedew erst wenige Monate zuvor, im Herbst 2011 die Strafbarkeit von Verleumdung aufgehoben hatte. Das neue Gesetz sieht erhöhte Strafen von bis zu 5 Millionen Rubel (rund 125.000 Euro) vor.

Schlussfolgerungen: Die Folgen der Medienunterdrückung

Die Bürger Russlands haben gegenwärtig Zugang zu einer beträchtlichen Vielfalt an Informationen, sehr viel mehr als zu sowjetischen Zeiten. Die Flut an Informationen bedeutet jedoch nicht, dass gewöhnliche Nachrichtenkonsumenten auch einen konsistenten Zugang zu einer sinnvollen politischen Berichterstattung haben. Für die Regierung ist die Verhinderung einer offenen Diskussion über das, worauf es tatsächlich ankommt – Nachrichten und Informationen über Politik, Haushaltsentscheidungen und wirtschaftliche Interessen der Regierung – von größter Bedeutung.

Die Medien in Putins Russland liegen weiterhin an der kurzen Leine. Der Staat übt über das wichtigste Medium, das Fernsehen, eine monopolartige Kontrolle aus und verhindert die Ausstrahlung von politischen und Nachrichtensendungen, die andere politische Stimmen und politische Optionen präsentieren könnten. Da das Internet alternative Informationen und Meinungen bietet, gerät es zunehmend unter die Kontrolle des Kreml, da die Behörden versuchen, die Potentiale des Internet für ein gemeinsames, organisiertes Handeln der Opposition zu begrenzen.

Da die Fragen nach der Legitimität der Regierung größer werden, gewinnt das Medien-Management der Regierung für den Machterhalt der Führung Russlands noch mehr an Bedeutung. Die über ein Jahrzehnt verfolgte Strategie einer Untergrabung unabhängiger Medien hat bei den Bürgern tiefe Spuren hinterlassen. Die fortwährende Verweigerung tatsächlich unabhängiger Nachrichtenmedien hat weitreichende negative Folgen für die Fähigkeit der russischen Gesellschaft, sich in einer transparenteren und in höherem Maße demokratisch verantwortlichen Richtung zu entwickeln.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

Lesetipps / Bibliographie

  • Enikolopov, Ruben, Maria Petrova und Ekaterina Zhuravskaya: Media and Political Persuasion: Evidence from Russia, in: American Economic Review, Nr. 101 (Dezember 2011), S. 3253–85.

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