Haushaltspolitik in Russland – die nächste Etappe

Von Jewsej Gurwitsch (Moskau)

Zusammenfassung
Der Staatshaushalt 2013 ist Ende September in 1. Lesung im russischen Parlament verabschiedet worden. Bei seiner Zusammenstellung müssen Risiken wie die Euro-Krise und das Schwanken des Ölpreises berücksichtigt werden. Ein Problem stellt auch der relative Rückgang der Staatseinnahmen dar, der strukturell bedingt ist. Belastungen ergeben sich auch aus den Einkommensanhebungen im öffentlichen Dienst, die Putin angekündigt an. Eine Anhebung der Steuern und die Vergrößerung des Defizits sind hier keine sinnvollen Gegenmittel, da sie sich negativ auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken würden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die makroökonomischen Haushaltsdaten und auch die Wiederaufnahme der Haushaltsregeln wichtige Elemente für die Rückkehr zu einer gesunden Haushaltspolitik darstellen. Die Schlüsselaufgabe besteht nun darin, die ungünstige Struktur der Staatsausgaben durch deren Effizienzsteigerung zu kompensieren.

Im Schatten der Finanzkrisen: 1998 und 2008

Die Haushaltspolitik in Russland war in den 2000er Jahren über lange Zeit von der Erinnerung an die schmerzhafte Krise von 1998 geprägt. Damals war der Ölpreis auf 12 US-Dollar pro Barrel gefallen und hatte eine heftige Schulden- und Währungskrise ausgelöst. In der Folge wurden die staatlichen Ausgaben merklich gekürzt und Haushaltsregeln eingeführt, die bei gestiegenen globalen Preisen für fossile Energieträger die Ansparung eines Teils der Öleinnahmen vorsahen. Damit sollten dann im Falle eines erneuten Preisrückgangs die Verluste im Haushalt ausgeglichen werden. Die anschließende Verteuerung von Öl und Gas auf die Rekordwerte, die Mitte 2008 erreicht wurden, führte dazu, dass der Haushalt stabil mit einem Überschluss umgesetzt wurde, der zwischen 2004 und 2008 zwischen vier und acht Prozent betrug.

2009 ließ die internationale Finanzkrise die Haushaltseinnahmen wieder drastisch zurückgehen. Die im Reservefonds akkumulierten Öldollars ermöglichten nicht nur eine Kompensierung der Haushaltsverluste, sondern auch eine Ausgabenerhöhung zur Stimulierung der Endnachfrage. Die Stützung des Bankensystems und des Arbeitsmarktes sowie die Beibehaltung der hohen Sozialausgaben führten zu einer relativ gemäßigten Arbeitslosigkeit und einem nahezu unveränderten Einkommensniveau der Bevölkerung, trotz des merklichen Produktionsrückgangs.

Angesichts der Ausnahmebedingungen einer globalen Krise wurden – wie in anderen Ländern auch – die geltenden Haushaltsregeln außer Kraft gesetzt. Dieses »praktische Experiment« zeigt die Bedeutung, die der Einführung von Beschränkungen bei der Übernahme von Ausgabenverpflichtungen zukommt: Die Regierung hatte diese Verpflichtungen ohne Zurückhaltung deftig ausgeweitet. Die Ausgabenerhöhung wurde dabei nicht immer von der Logik der Krisenbekämpfung diktiert. So war ein beträchtlicher Teil der zusätzlichen Ausgaben nicht einmaliger Natur (wie dies bei Krisenbewältigungsprogrammen üblich ist), sondern es wurden langfristige Verpflichtungen eingegangen. So wurden etwa die Ausgaben des Rentensystems um über drei Prozentpunkte, gemessen am BIP, angehoben.

In den letzten Jahren erfolgte ein Anstieg der Einnahmen und parallel eine Ausgabenkürzung, wodurch bereits 2011 der Haushalt wieder mit einem Überschuss abgeschlossen wurde.

Grundprobleme des Haushalts 2013

Die Haushaltspolitik wird in den kommenden Jahren in vielerlei Hinsicht im Zeichen der Bedingungen stehen, unter denen sich die Wirtschaft des Landes zu entwickeln hat. So darf etwa nicht die real bestehende Gefahr außer Acht gelassen werden, dass es zu einer neuen Runde der internationalen Finanzkrise kommt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland im Verlauf des nächsten Jahres den Euro verlässt, bleibt hoch. Dies würde sowohl für die europäische und weltweite Wirtschaftsentwicklung als auch für den Zustand des weltweiten Finanzsystems gravierende Folgen haben.

Ein weiterer grundlegender Faktor, der zu berücksichtigen ist, besteht in dem ab dem kommenden Jahr zu erwarteten Wechsel hin zu einer langfristigen Abnahme der Staatseinkünfte gemessen in Prozent vom BIP. Das lässt sich daraus erklären, dass das physische Volumen der Ölförderung in Russland zu einem Stillstand gekommen ist und nach Regierungsprognosen auf dem derzeitigen Niveau verbleiben wird. In den vergangenen Jahren ist dies durch einen schnellen Anstieg der Ölpreise wettgemacht worden. Sobald jedoch der Ölpreis sinkt oder auch nur – wie in Haushaltsprognose angenommen – stagniert, beginnt das spezifische Gewicht des Ölsektors in der (weiterhin wachsenden) Wirtschaft abzunehmen. Damit würde automatisch das Niveau der Haushaltseinnahmen sinken, da die steuerliche Belastung in der Ölwirtschaft zweieinhalb Mal höher ist als in der übrigen Wirtschaft. Der zentrale Haushalt wird dabei die größten Verluste zu tragen haben, da die Öl- und Gaseinnahmen eben hier konzentriert sind. Die Einnahmen der Zentralregierung werden 2014–2015 von 21 % auf unter 19 % vom BIP sinken. Und schließlich werden die steigenden Verteidigungsausgaben wegen der Umsetzung des weitreichenden staatlichen Rüstungsprogramms in den kommenden drei Jahren weiterhin zunehmen. Zusätzliche Mehrausgaben entstehen aus den Gehaltserhöhungen für Ärzte, Lehrkräfte und andere Mitarbeiter im öffentlichen Bereich. Die waren von Präsident Putin sofort nach dessen Amtsantritt im Mai dieses Jahres per Erlass angeordnet worden. Der größte Teil dieser Ausgabenverpflichtungen soll durch die regionalen und kommunalen Haushalte finanziert werden.

Keine »einfachen Wege«

Wenn die Einnahmen sinken und zusätzliche verbindliche Ausgaben entstehen, bestehen einfache Lösungen in einer Anhebung der Steuern oder aber in einem Anstieg des Haushaltsdefizits. Diese Ansätze würden jedoch dem Wirtschaftswachstum schaden, da in beiden Fällen Ressourcen, die für die Wirtschaftsentwicklung notwendig sind, in den Haushalt abfließen, und die Investitionsanreize für den privaten Sektor zurückgehen.

Vor diesem Hintergrund wurde beschlossen, auf beide »einfache Wege« zu verzichten. In der Haushaltsansprache des Präsidenten, in der die allgemeine Haushaltsstrategie des Landes umrissen wird, wurde versprochen, dass die Steuerbelastung der Nichtrohstoff-Branchen zumindest bis zum Jahr 2018 nicht angehoben werde. Dies würde für Transparenz und Berechenbarkeit in der staatlichen Haushaltspolitik sorgen, die Wettbewerbsfähigkeit des Steuersystems erhöhen und das Investitionsklima insgesamt verbessern. Eine zweite grundlegende Entscheidung besteht darin, dass beginnend mit dem nächsten Jahr die Haushaltsregeln wieder in Kraft gesetzt werden, dass wir also zu einer strikten Haushaltsdisziplin zurückkehren. Die Ausgaben des Haushalts werden dann nicht mehr auf dem zu erwartenden Ölpreis basieren, sondern auf einem langjährigen Mittelwert. Ein solcher Ansatz verringert die Abhängigkeit des Haushalts und der gesamten Wirtschaft von den konjunkturellen Schwankungen des Ölmarktes, da die Ausgaben nicht vom jeweils aktuellen Ölpreis abhängen. Die bei günstiger Konjunktur im Reservefonds akkumulierten Mehreinnahmen stellen eine Versicherung für den Haushalt dar, falls die Ölpreise wieder fallen. Sich an strikte Haushaltsregeln zu halten und gleichzeitig die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen sicherzustellen, ist keine leichte Aufgabe. Als besonders schwer erscheinen die kommenden zwei Jahre, wenn die Ausgaben – real gesehen – auf dem bisherigen Niveau verharren und nur um die Inflationsrate ansteigen werden. Das werden Übergangsjahre sein und erst anschließend, ab 2015, werden wir zu einer vollen Einhaltung der Haushaltsregeln gelangen. Zu diesem Zeitpunkt wird der zentrale Haushalt wieder ausgeglichen sein. Insgesamt werden, gemessen am BIP, die Ausgaben aus dem zentralen Haushalt von 2013 bis 2015 um über zwei Prozentpunkte zurückgehen.

Verfehlte Kritik und Probleme

Die jüngsten Schritte in der Haushaltspolitik werden oft von verschiedener Seite kritisiert. So argumentiert ein Teil der Wirtschaftsfachleute, dass die für die kommenden Jahre vorgesehenen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung das Wirtschaftswachstum »untergraben« werden. Diese Überlegung wäre berechtigt, wenn das tatsächliche Produktionsvolumen der Wirtschaft in Russland erheblich niedriger als das potentielle ausfiele. In Wirklichkeit jedoch wächst unsere Wirtschaft derzeit bis dicht an die Grenzen ihres potentiellen Wachstums, da die konkurrenzfähigen Kapazitäten nahezu vollständig eingesetzt werden und die nicht sonderlich hohe Arbeitslosigkeit sinkt. Die wichtigste Aufgabe besteht also nicht wie in den meisten entwickelten Ländern darin, die Nachfrage durch zusätzliche Haushaltsausgaben zu stützen, sondern vor allem darin, die privaten Investitionen steigen zu lassen. Es fließt jedoch nach wie vor Kapital aus Russland ab, wodurch dem Land Ressourcen für Investitionen verloren gehen, und diese Entwicklung muss gestoppt und gewendet werden. Andernfalls werden wir nicht einmal die gegenwärtigen Wachstumsraten erreichen können. Für die Lösung dieser Aufgabe ist eine gesunde makroökonomische Politik von erstrangiger Bedeutung.

Ein weiterer Vorwurf lautet, dass das Zurücklegen von Öl- und Gaseinnahmen im Reservefonds der Wirtschaft Ressourcen entziehe, die für die wirtschaftliche Entwicklung gebraucht werden. Niemand bestreitet dabei die Notwendigkeit einer »Stabilitätsreserve« für den Fall negativer Schocks von außen. Die Regierung hat einen Weg aus Kompromissen abgesteckt: Die Mehreinnahmen aus dem Öl- und Gasbereich werden in den Reservefonds geleitet, bis sich dort Mittel im Gegenwert von mindestens 7 % des BIP angesammelt haben. Danach werden die Mehreinnahmen maximal zur Hälfte für eine Finanzierung von Infrastrukturprojekten eingesetzt.

Wenn strikte Einsparungen unternommen werden, sollte der allgemeine Ansatz darin liegen, die Effizienz der Ausgaben zu erhöhen. Hier besteht ein beträchtliches Reservoir, etwa bei öffentlichen Anschaffungen, durch deren Ineffizienz wir jährlich bis zu einer Billion Rubel (rund 25 Mrd. Euro) verlieren, wie Experten schätzen. Im System der öffentlichen Aufträge sind weitreichende Veränderungen geplant. Ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass die Effizienz der Mittel für den Straßenbau und anderer staatlichen Investitionen in Russland gering ist. Zur Lösung dieser Probleme hat die Regierung ein Programm zur Effizienzsteigerung der Ausgaben verabschiedet, in der neue Stimuli für Empfänger von Haushaltsmitteln angelegt sind. Einer der wichtigsten Punkte des Programms besteht im Übergang zu einem »Programmhaushalt«, bei dem alle Ausgaben an den Effekt geknüpft werden, der mit ihnen erzielt werden soll. Dadurch werden ernsthafte Anreize zur Effizienzsteigerung erzeugt, sowohl im öffentlichen Bereich wie auch bei den jeweiligen Empfängern von Haushaltsmitteln.

Strukturverschiebungen in den Haushalten

Auch die regionalen Haushalte werden vor dem Problem stehen, auf ineffiziente Ausgaben zu verzichten zu müssen. Der Unterschied zum zentralen Haushalt besteht hier darin, dass die Notwendigkeit für Einsparungen im Falle des zentralen Haushalts durch einen Rückgang der Einnahmen bedingt ist, während sie sich in den Regionen aus den Ausgabensteigerungen für die Gehaltserhöhungen in den Bereichen Bildung und Gesundheit ergibt. Die Regionen werden durch den Verzicht auf weniger vorrangige Ausgaben eigene Quellen zur Effizienzsteigerung und für Binnenreserven erschließen müssen. Dies ist jedoch eine Aufgabe, die nicht in einem Jahr zu lösen ist, da gleichzeitig die Mechanismen für die Finanzierung der Wirtschaftsbereiche und verschiedenen Organisationen geändert werden müssen. Darüber hinaus müssen Anreize geschaffen werden, damit hohe Gehälter auch tatsächlich durch ein entsprechendes Qualifizierungs– und Arbeitsniveau der Fachkräfte gerechtfertigt sind. Anzustreben ist, dass Gehaltserhöhungen im öffentlichen Bereich mit einer Produktivitätssteigerung einhergehen. Russland übertrifft bei der Anzahl der Beschäftigten im öffentlichen Bereich pro Tausend Einwohner sogar entwickelte Länder und Staaten, die der Wirtschaftsgröße nach mit Russland vergleichbar sind. Die Zahlenstärke der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung wird insgesamt bereits ab dem kommenden Jahr abnehmen, und zwar um jährlich 0,3–0,4 Millionen. Damit das Arbeitskräftedefizit nicht zu einem Bremsfaktor für die Wirtschaftsentwicklung wird, könnten bestehende Reserven genutzt werden, etwa durch die Freisetzung überflüssiger Arbeitskräfte im öffentlichen Bereich.

Wenn sich die Haushaltspolitik zwar hinsichtlich der Gesamtstrategie auf dem richtigen Wege befindet, so verändert sich andererseits die Struktur der staatlichen Ausgaben nicht zum Besseren. In der Vorkrisenzeit waren vor allem die Ausgaben für die Wirtschaftsförderung (darunter Investitionen in die Infrastruktur) und die Entwicklung des Humankapitals (Bildung, Gesundheit) gestiegen. Während der Krise rückten dann die Sozialausgaben, vor allem für die Renten, in den Vordergrund. In der gegenwärtigen Phase dominieren die die Ausgaben für Verteidigung und innere Sicherheit. Diese Verschiebungen erscheinen in zweierlei Hinsicht unbegründet. Zum einen liegt in Russland der Umfang der Rentenzahlungen (9 % des BIP) und der Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung (zusammen rund 6 % des BIP) merklich über dem typischen Wert in den Ländern der OECD, der Russland bald beitreten möchte. Dort liegt der erste Wert bei 7,5 % des BIP und der zweite bei 3,5 %. Gleichzeitig bleiben wir bei den Gesundheitsausgaben (3,5 % des BIP) merklich hinter dem Durchschnittsniveau von 5,8 % des BIP in den OECD-Ländern zurück. Ein zweiter Aspekt wäre also, wie auch internationale Studien zeigen, darin zu sehen, dass »produktive« Staatsausgaben, die auf eine Zunahme des physischen und des Humankapitals ausgerichtet sind, ein langfristiges Wirtschaftswachstum fördern, während andere Ausgabenarten diese Wirkung nicht haben.

Die Rentenfrage

Für die Haushaltspolitik sind die Geschicke des Sozialversicherungssystems ein ernstes Problem. 2002 wurde in Russland per Reform ein modernes Rentensystem geschaffen, das drei Komponenten beinhaltet: Basisrenten, die eine Grundsicherung gewährleisten sollen, Renten auf Versicherungsbasis, die nach dem Prinzip nominaler individueller Konten (nach schwedischem Vorbild) organisiert sind, und eine kapitalgestützte Komponente. Die in der Folge unternommenen Schritte haben das Rentensystem allerdings von der ursprünglichen Reformidee entfernt. Die Beschlüsse für eine Absenkung der Rentenbeitragssätze (2005) sowie für Rentenerhöhungen (2009–2010) haben dazu geführt, dass über die Hälfte der Rentenzahlungen aus allgemeinen Haushaltseinnahmen finanziert wurden, und nicht aus Beiträgen. Im Jahr 2010 wurden die Basisrenten wieder abgeschafft und die Regierung erörtert gegenwärtig eine vom Ministerium für Arbeit und soziale Entwicklung vorgeschlagene beträchtliche Umverteilung der Beiträge aus der kapitalbildenden in die umverteilende Komponente. Die Erklärung hierfür ist zum Teil darin zu suchen, dass es der staatlichen Vermögensverwaltungsgesellschaft bis zuletzt nicht gelungen ist, mit den angelegten Beiträge für die kapitalgestützte Komponente einen Ertrag oberhalb der Inflationsrate zu erzielen. Darüber hinaus waren diese Maßnahmen auch durch die notwendige Haushaltskonsolidierung diktiert. Das neue Reformprojekt enthält jedoch keine Vorschläge, wie das Problem der Alterung (der negativen Verschiebung des Verhältnisses von Rentnern und Arbeitsbevölkerung), das in Russland nicht weniger akut ist als in Europa und anderen entwickelten Ländern, zu lösen wäre. Russland wird sich also erneut einer Reform des Rentensystems zuwenden und sich früher oder später für unpopuläre, aber notwendige Reformen entscheiden müssen – für eine Anhebung des Renteneintrittsalters, für eine Verlängerung der für einen Rentenanspruch notwendigen Lebensarbeitszeit, für Beschränkungen beim Rentenbezug durch arbeitende Bürger, für eine wirtschaftlichere Anpassung der tatsächlich bezogenen Renten usw. Gemessen an all diesen Parametern ist das Rentensystem in Russland eines der »großzügigsten«. Hier können Frauen ab dem 55. Lebensjahr und Männer ab dem 60. eine Rente beziehen, wenn sie eine Beitragszeit von fünf Jahren aufweisen. Darüber hinaus hat über ein Drittel der Arbeitnehmer aus verschiedenen Gründen Anspruch auf eine vorzeitige Rente. Für arbeitende Rentner bestehen keinerlei Beschränkungen für den Rentenbezug, wobei rund ein Drittel der Altersrentner zusätzlich erwerbstätig ist.

Der Unwillen der Behörden, für unpopuläre Maßnahmen die Verantwortung zu tragen, ist verständlich. Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass von den 15 postsowjetischen Staaten zwölf bereits eine Anhebung des Rentenalters beschlossen haben. Eine Ausnahme bilden derzeit nur Belarus, Russland und Usbekistan. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter in den postsowjetischen Staaten beträgt 58 Jahre bei Frauen und 62 bei Männern. Die Ukraine hat in diesem Jahr eine allmähliche Anhebung des Rentenalters für Frauen eingeleitet. Das ist ein weiterer Hinweis auf das Natürliche und Unausweichliche solcher Schritte. Eine Aufschiebung solcher Maßnahmen wird die künftige Anhebung des Rentenalters aus wirtschaftlicher und politischer Sicht nur schmerzhafter machen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die makroökonomischen Haushaltsdaten und auch die Wiederaufnahme der Haushaltsregeln wichtige Elemente für die Rückkehr zu einer gesunden Haushaltspolitik darstellen. Die Schlüsselaufgabe besteht nun darin, die ungünstige Struktur der Staatsausgaben durch deren Effizienzsteigerung zu kompensieren. Das ist keine leichte, aber im Prinzip lösbare Aufgabe, falls ihr die Regierung tatsächlich den angemessenen Vorrang einräumt. Gleichzeitig muss eine konsequentere Wirtschaftspolitik betrieben werden, indem diese von Elementen befreit wird, die der verkündeten allgemeinen Priorität einer langfristigen Haushaltsstabilität entgegenstehen.

Übersetzung: Hartmut Schröder

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