Die polnische Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union: Herausforderungen, Erwartungen, Pläne und Möglichkeiten

Von Agnieszka Łada (Warschau)

Zusammenfassung
Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hat sich die Bedeutung der rotierenden sechsmonatigen EU-Ratspräsidentschaft verringert. Dennoch erfüllt sie nach wie vor wesentliche Aufgaben, zu denen vor allem die Moderation der Treffen und die Suche nach Kompromissen zwischen den 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie zwischen den EU-Ländern und den EU-Institutionen gehören. Auch wenn die Ratspräsidentschaft die Europäische Union nicht mehr in den Außenkontakten repräsentiert, hat sie doch Einfluss auf die Entwicklungen und Richtungen der innenpolitischen Themen. Polen wird das Amt ab dem 1. Juli übernehmen und bereitet seine Verwaltung seit langem intensiv auf diese Herausforderung vor. Der tatsächliche Erfolg ist allerdings auch von Faktoren abhängig, die nicht in der Hand des Ratsvorsitzenden liegen.

Eine der Hauptherausforderungen der polnischen Ratspräsidentschaft wird es sein, sich im »Lissaboner System« zu bewähren, das sich erst noch etabliert. Warschau wird einige der Regeln für die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen EU-Institutionen ausarbeiten müssen, die bisher noch nicht entwickelt wurden. Unabhängig davon wird die polnische Amtsausübung – eine Premiere für Polen – unter ständiger und kritischer Beobachtung stehen. Jede Premiere wird genauer begutachtet und Fehler werden stärker herausgestellt – und hier insbesondere, weil die vorangegangenen Ratspräsidentschaften der Länder, die 2004 der EU beigetreten sind, nicht besonders positiv bewertet wurden. Slowenien hat als kleines Land viele der Aufgaben an die Beamten in Brüssel abgetreten und sich nicht mit größeren Erfolgen hervorgetan. Die Tschechen blieben trotz ihrer guten Organisation und obwohl sie einige notwendige Reformen durchgeführt haben, wegen ihrer Regierungskrise in schlechter Erinnerung. Auf der aktuellen ungarischen Ratspräsidentschaft lastet der Schatten des ungarischen Mediengesetzes und der Verfassungsreform. Umso mehr muss sich Polen bemühen, dass nicht irgendein Fehler dazu führt, der Gruppe der erfolglosen Novizen zugeteilt zu werden. Eine weitere Herausforderung ist die Tatsache, dass Polen nicht zur Eurozone gehört. Auch nach dem Beitritt zum Euro-Plus-Pakt bleiben das Manövrierfeld und der Einfluss auf bestimmte wirtschaftliche Entscheidungen noch reduziert. Last but not least finden während der Zeit des Ratsvorsitzes in Polen Parlamentswahlen statt, die die Politiker von ihren Aufgaben in Brüssel abhalten werden.

Vorbereitungen

Um den Herausforderungen gewachsen zu sein, bedarf es einer guten Vorbereitung. Polen begann damit bereits im Jahr 2008. Bisher wurde unter anderem das inhaltliche Programm entwickelt (die endgültigen Prioritäten beschließt die polnische Regierung Ende Mai), die einzelnen Ministerien haben ihre Prioritäten festgelegt, die Beamten wurden geschult und es wurden Partner für die Ratspräsidentschaft akquiriert – Firmen, die kostenlos Sachmittel, Geräte oder Dienstleistungen zur Verfügung stellen, wie Getränke bei den Sitzungen, Bezincoupons, Autos oder den Internetzugang. Die Polnische Ständige Vertretung in Brüssel wurde mit doppelt so viel Personal ausgestattet und erhält ab Mai ein neues Gebäude in der Nähe des Sitzes der Europäischen Kommission. Es wurden eine Internetseite, die über den Stand der Vorbereitungen informiert, sowie Seiten auf anderen Internetportalen und eine Seite für die Nichtregierungsorganisationen mit Informationen über die Ratspräsidentschaft freigeschaltet. Ministerpräsident Donald Tusk und Außenminister Radosław Sikorski statten den Staaten in- und außerhalb der Europäischen Union Besuche ab, stellen ihnen dabei die polnischen Vorhaben vor und werben um Unterstützung. Alle diese Vorbereitungen wurden im Bericht der Obersten Kontrollkammer (Najwyższa Izba Kontroli – NIK) Anfang des Jahres positiv beurteilt.

Die Vorbereitungen werden auch in Brüssel positiv aufgenommen. Beamten unterschiedlicher europäischer Institutionen unterstreichen, dass Warschau sich an die Termine hält und manches Mal sogar effektiver und vorausschauender als die vorangegangenen Ratspräsidentschaften arbeitet. Die Anwesenheit der polnischen Vertreter wird wahrgenommen. Die polnische Regierung stattete der Europäischen Kommission schon ein Jahr vor der Amtsübernahme einen Besuch ab. Außenminister Sikorski und andere Minister trafen sich mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments und die polnischen Beamten sind bereits mit den EU-Beamten in Kontakt. Warschau erfreut sich außerdem des Rufs, ein immer wichtigerer, geschickterer und aktiverer Spieler auf der europäischen Bühne zu sein. Solche guten Noten sind allerdings wie zwei Seiten einer Medaille. Einerseits Grund zur Freude, können sie andererseits Anlass zur Sorge geben, denn sie stärken die Erwartungen und hängen die Messlatte immer höher.

Prioritäten

Diese hohen Erwartungen betreffen auch die Prioritäten, die Polen als wesentlich für die Entwicklung Europas definiert. Jede Ratspräsidentschaft legt für sich die Ziele fest, die sich vor allem aus der laufenden EU-Agenda ergeben. Dabei orientiert sich jedes Land auch an seinen eigenen Präferenzen und Möglichkeiten. Die Regierung in Warschau ist sich bewusst, dass das Amt der Ratspräsidentschaft nicht die Zeit ist, sich um die eigenen Interessen zu kümmern, sondern die Entwicklung der gesamten Gemeinschaft im Blick zu haben. Die aktuelle Situation in der EU birgt viele Herausforderungen. Polen bemüht sich, ihnen zu begegnen und konzentriert sich auf drei Schwerpunkte: 1) die europäische Integration als Wachstumsquelle, 2) die europäische Sicherheit und 3) Europa, das von seiner Öffnung profitiert.

Im Rahmen der Aktivitäten zur Stärkung des Wirtschaftswachstums werden die Entwicklung des Binnenmarkts (auch des elektronischen) und die Nutzung des EU-Budgets zum Aufbau eines wettbewerbsfähigen Europas berücksichtigt. Die polnische Ratspräsidentschaft wird die Verhandlungen für den neuen langfristigen EU-Haushalt beginnen. Nach Meinung von Beamten und Experten in Brüssel wäre es ein Erfolg, wenn hier die Gespräche so weit geführt würden, dass Dänemark, Nachfolger Polens in der Ratspräsidentschaft, die Verhandlungen fortsetzen und zu einem erfolgreichen Ende führen könnte. Im Fall des Binnenmarkts wird Polen die Koordination für die Verabschiedung weiterer Elemente des »Binnenmarktakts« übernehmen. Geplant ist unter anderem der Abschluss der Arbeiten am europäischen Patent. Polen plant überdies, die bessere Nutzung des intellektuellen Kapitals Europas zu unterstützen. Dazu gehören die Modernisierung von Universitäten, die bessere Nutzung des wissenschaftlichen Potenzials sowie der Mobilität der Studierenden.

Im Rahmen des Projektes »Sicheres Europa« hat Polen die Absicht, sich aktiv an den Arbeiten an einer neuen Energiestrategie für die nächsten zehn Jahre zu beteiligen. Ein weiteres Element wird die militärische und zivile Stärkung Europas sein. Geplant ist, die Pflege des direkten Dialogs zwischen der EU und der NATO zu unterstützen.

Unter dem Stichwort »Europa, das von seiner Öffnung profitiert« werden vor allem die Unterstützung der Erweiterung der Europäischen Union und die Entwicklung der Zusammenarbeit mit den Nachbarländern, vor allem den östlichen, zusammengefasst. Polen beabsichtigt, die Arbeit an der Umsetzung eines erweiterten Angebots für die Nachbarstaaten der EU zu beginnen, in Übereinstimmung mit den Ergebnissen zur Europäischen Nachbarschaftspolitik, die die Europäische Kommission im Mai vorstellen wird. Ein wesentliches Ziel der polnischen Ratspräsidentschaft wird die Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und die Unterzeichnung des Beitrittsvertrags sein. Dies ist jedoch nicht nur von den Bemühungen des Ratsvorsitzenden, sondern auch vom Fortschritt der Arbeiten in Kroatien selbst abhängig.

Für eine Führungsrolle in der Sicherheitspolitik

Was die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik angeht, so trat Polen mit der Initiative zur Stärkung der Kooperation in diesem Bereich hervor und entsprach damit einer ganz aktuellen Notwendigkeit. Zu sehen ist dies insbesondere vor dem Hintergrund der fehlenden Einigkeit in der EU über die Vorgehensweise gegenüber Libyen und nach den eindeutigen Signalen von Seiten der USA, die von den Europäern mehr Initiative erwarten. Selbstverständlich dürfen gerade nach den letzten Schwierigkeiten die Erwartungen, dass die EU mit einer Stimme sprechen wird, nicht zu hoch gehängt werden. Allerdings kann man in Brüssel auch Stimmen hören, dass nur Polen mit seinem ambitionierten Außenminister und als großes Land die Chance hat, Veränderungen in Richtung mehr Einheit zumindest auf den Weg zu bringen. Das polnische Engagement könnte der Sicherheitspolitik einen Stempel aufdrücken, zumal die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik hier keine allzu großen Aktivitäten an den Tag legt. Daher werden neue Ideen gern gesehen. Dabei ist aber darauf zu achten, dass der Verantwortungsbereich von Catherine Ashton nicht angetastet wird, denn das würde einen Bruch des Lissaboner Vertrags bedeuten. Um dieses zu umgehen, wurde zwischen ihr und Außenminister Sikorski vereinbart, dass dieser von Zeit zu Zeit die Hohe Vertreterin in Fragen der Verteidigungspolitik vertreten wird. Die polnische Ratspräsidentschaft muss dabei allerdings sehr genau darauf achtgeben, dass beim Platzwechsel auf den Fahrersitz die ganze Zeit das GPS eingeschaltet bleibt, das in diesem Fall Catherine Ashton und der Europäische Außendienst ist. Gleichzeitig wird das Engagement Polens der Hohen Vertreterin in die Hände spielen, die sich dann mehr auf die Außenpolitik konzentrieren kann, ohne mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, die Verteidigung zu vernachlässigen. Warschau muss sich hier jedoch vergewissern, dass seine Ideen von Catherine Ashton umgesetzt werden, auch noch nach der polnischen Ratspräsidentschaft.

… und in Sachen Osten

Obwohl die Augen Europas auf seine südlichen Nachbarn blicken, erachtet Warschau das Thema Ostpolitik, eine weitere Priorität der polnischen Ratspräsidentschaft, weiter als wichtig und notwendig. Wer, wenn nicht Polen, soll sich damit befassen?, fragen Beamte in Berlin und Brüssel rhetorisch. Der Osten ist und bleibt eine wichtige Region für die gesamte Union. Reformen auf diesem Gebiet werden der Wirtschaft der EU nützen und die Beachtung demokratischer Regeln wird der Stabilisierung an den EU-Außengrenzen dienen. Gleichzeitig wird aber einmütig festgestellt, dass die Umsetzung dieses Schwerpunkts nicht leicht werden wird, da die Ereignisse in Nordafrika von den Bedürfnissen der Länder der Östlichen Partnerschaft ablenken. Hinzu kommt, dass der Erfolg in diesem Programm in hohem Maße von den sechs Partnerländern selbst abhängt, und deren Engagement fällt unterschiedlich aus.

Das größte Ereignis im Zusammenhang mit dieser Priorität, das Highlight der polnischen Ratspräsidentschaft, wird der Gipfel der Östlichen Partnerschaft sein, der ursprünglich im Mai dieses Jahres geplant war und nun für den 29. und 30. September in Warschau vorgesehen ist. Der Gipfel soll den Partnern ein eindeutiges Signal geben, dass der EU an einer Intensivierung der Zusammenarbeit mit dieser Region liegt. Der Gipfel wird – auch wenn er eine günstige Gelegenheit ist, Werbung zu machen, – nicht Polen in die erste Reihe setzen, sondern der EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wird die EU repräsentieren, während Ministerpräsident Tusk nur als Gastgeber auftreten wird. Diese Funktion wird er sich mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán teilen, da das Gipfeltreffen ursprünglich in Budapest während der ungarischen Ratspräsidentschaft stattfinden sollte.

Die Östliche Partnerschaft umfasst vier weit gefasste Tätigkeitsfelder: die Unterstützung der Demokratie und der Stabilität sowie den Aufbau einer effektiven Verwaltung, die wirtschaftliche Integration, die Energiesicherheit und die zwischenmenschlichen Kontakte. Daher werden Aktivitäten auf verschiedenen Feldern aufgenommen. Zu den meistgenannten gehören die Bemühungen, eine Freihandelszone zu etablieren, sowie die Liberalisierung der Visumspolitik (realistisch im Fall Moldawiens Ende 2011). Wesentlich ist aber auch die Intensivierung der Zusammenarbeit in den einzelnen Politikfeldern. In der Verteidigungspolitik wird das beispielsweise die Verstärkung des Anteils der östlichen Nachbarn bei Operationen sein, die von der EU durchgeführt werden. Unter den mehreren hundert Treffen, die im Rahmen der polnischen Ratspräsidentschaft auf unterschiedlichen Ebenen organisiert werden, werden sich viele mit dem Thema der Östlichen Partnerschaft befassen bzw. werden die betreffenden Länder an diesen Treffen teilnehmen. Dies werden zum Beispiel Treffen der Zollbeamten sein, Treffen von Experten im Bereich Bildung, Statistik, Veterinärmedizin, Gesundheit, Sicherheit und Qualität von Lebensmitteln, Umweltschutz und Bekämpfung von Menschenhandel. Die Treffen auf ministerialer Ebene werden von einem Treffen der Außenminister der EU und der Länder der Östlichen Partnerschaft im Dezember in Warschau abgeschlossen.

Eine nicht zu vergessende Rolle spielen bei der Öffnung dieser Länder gegenüber der EU die Nichtregierungsorganisationen. Die polnischen NGOs sind schon seit langem in diesen Ländern tätig und führen gemeinsam mit ihren Kollegen aus der Ukraine und Georgien verschiedene Projekte durch. Daher ist es richtig, dass Polen zum Forum der Bürgergesellschaft der Östlichen Partnerschaft im November in Posen einlädt und dessen Organisation finanziell unterstützt. Dies ist bereits das dritte Treffen von Vertretern der Bürgergesellschaft aus den Ländern der EU und der Östlichen Partnerschaft. Zirka 300 Personen werden in Posen über ihre Visionen und ihre Initiativen diskutieren, Empfehlungen für Regierungen und EU-Institutionen ausarbeiten und Kontaktpflege betreiben. Dies wird für viele, die sich für die Östliche Partnerschaft engagieren, ein wichtiges Signal sein, dass Polen tatsächlich an diesem Projekt gelegen ist.

Auch wenn sich Polen auf den Osten konzentriert, will es nicht die Nachbarn im Süden der EU vergessen. Dies ist der aktuellen Situation in dieser Region geschuldet und zeigt, dass die Länder, die sich auf die Ratspräsidentschaft vorbereiten, auch auf die aktuelle Lage reagieren und ihr Programm entsprechend anpassen müssen. Warschau beabsichtigt, seine Erfahrungen der Systemtransformation den Ländern, die gerade den Weg der Reformen begonnen haben, weiterzugeben. Außerdem ist geplant, intensiv die Demokratiebestrebungen in der gesamten EU-Nachbarschaft zu unterstützen.

Die Zusammenarbeit mit EU-Institutionen

Die Umsetzung der Prioritäten hängt stark von der Zusammenarbeit mit den Institutionen der EU ab. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hat insbesondere die Bedeutung des Europäischen Parlaments zugenommen, mit dem die Ratspräsidentschaft eng zusammenarbeitet. Hier hat Warschau mit dem derzeitigen polnischen Parlamentspräsidenten Jerzy Buzek eine gute Ausgangsposition, auch weil dieser in den letzten sechs Monaten seiner Amtszeit ebenfalls einen guten Eindruck hinterlassen will. Darüber hinaus sind die Prioritäten der polnischen Ratspräsidentschaft auch wesentliche Schwerpunkte des Europäischen Parlaments: Die Europaabgeordneten sprechen sich häufig dafür aus, die Demokratie in der Welt zu unterstützen. Die Reform des europäischen Binnenmarktes muss in vielen Aspekten vom Europäischen Parlament unterstützt werden und auch die Arbeit am EU-Budget für die nächsten Jahre sollte in enger Zusammenarbeit mit dem Parlament vonstatten gehen.

Das Gelingen der Zusammenarbeit mit dem Parlament befördern auch häufige Treffen mit den Abgeordneten. Zum Beispiel war die schwedische Ministerin für europäische Angelegenheiten während der schwedischen Ratspräsidentschaft 34 Mal im Europäischen Parlament. Die polnischen Minister haben bereits einige Monate vor Übernahme der Ratspräsidentschaft engere Kontakte mit Brüssel und Straßburg geknüpft und sich mit den Vorsitzenden der entsprechenden Kommissionen getroffen sowie auch mit ausländischen Abgeordneten, die Schlüsselfunktionen in bestimmten Bereichen haben, den Leitern der parlamentarischen Verwaltung und mit den Gruppen polnischer Abgeordneter. In den Ministerien wurde außerdem festgelegt, welche konkreten Aufgaben in ihren Bereichen während der polnischen Ratspräsidentschaft auf der parlamentarischen Agenda stehen werden. Darüber hinaus wurden in den Ministerien Personen berufen, die für den ständigen Kontakt mit dem Europäischen Parlament zuständig sind. In der Ständigen Vertretung Polens in Brüssel wurde dafür eine eigene Abteilung eingerichtet. Außenminister Sikorski hat dem Europäischen Parlament im Februar einen Besuch abgestattet, ein halbes Jahr vor Übernahme der Ratspräsidentschaft, was als effektiv und außergewöhnlich früh angesehen wurde. Der Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Mikołaj Dowgielewicz, ist im Europäischen Parlament ebenfalls bereits bekannt und hat Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit EU-Institutionen. Sein Wissen und Engagement wird in Brüssel sehr positiv aufgenommen.

Die Parlamentswahlen in Polen

Die angemessen frühe Vorbereitung der Ministerien und das bisherige Engagement der Regierung für die europäischen Angelegenheiten stehen angesichts der Parlamentswahlen in Polen im Oktober jedoch noch unter einem Fragezeichen. Wenn die Abfolge der EU-Ratspräsidentschaften geplant wird, wird gewöhnlich darauf geachtet, dass sie nicht mit Wahlen im betreffenden Land kollidieren. So war es auch für Polen vorgesehen, aber die vorgezogenen Parlamentswahlen im Jahr 2007 machten einen Strich durch die Rechnung. Eine Änderung der Reihenfolge zum Beispiel innerhalb des Präsidentschaftstrios (die drei aufeinander folgenden Präsidentschaften) wurde nicht weiter in Erwägung gezogen. Eine Möglichkeit, zu vermeiden, dass sich die EU-Ratspräsidentschaft und die Parlamentswahlen in Polen überschneiden, wären vorgezogene Wahlen gewesen. Dazu müsste der Sejm aufgelöst werden, wozu es der Zustimmung der Regierungskoalition und der Opposition bedarf – dies hätte allerdings in der gegenwärtigen politischen Situation keine Chance gehabt. Außerdem ist es nach Einschätzung der Regierung besser, wenn die aktuelle Regierungsmannschaft und die bereits vorbereiteten Minister und Beamten die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen als eine vollkommen ausgewechselte oder im Fall eines Wahlsiegs der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) zumindest teilweise neu besetzte Regierung nach vorgezogenen Wahlen kurz vor Übernahme der Ratspräsidentschaft am 1. Juli. Die aktuelle Planung geht davon aus, dass die Durchführung der Parlamentswahlen zum spätestmöglichen Termin dazu führt, dass das gegenwärtige Kabinett fast bis zum Ende der EU-Ratspräsidentschaft in der Regierungsverantwortung steht, das heißt fast bis zum letzten wichtigen Termin, der Sitzung des Europäischen Rates Mitte Dezember. Die Einhaltung der von der Verfassung vorgegebenen Termine bedeutet, dass die neue Regierung einige Tage vor der Sitzung des Europäischen Rates berufen werden muss. Sollte die PO die Parlamentswahlen gewinnen, dürfte dies kein größeres Problem darstellen. Sollte sie sie verlieren, stünde sie vor einer großen Herausforderung, denn gerade die letzten Tage der EU-Ratspräsidentschaft sind häufig die wichtigsten, um dieses Amt erfolgreich abzuschließen. Beispielsweise hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende der deutschen Ratspräsidentschaft die Einigung über den Vertrag von Lissabon herbeigeführt.

Abgesehen von den rechtlich-formalen Fragen kann sich die Durchführung der Parlamentswahlen während der Zeit des EU-Ratsvorsitzes negativ auf das Engagement der Regierung für den Ratsvorsitz auswirken sowie auf die Debatten in Polen über die Ausführung dieses EU-Amtes. Dies kann, muss aber nicht sein.

Der beginnende Wahlkampf entwickelt sich schon jetzt zu einem harten Kampf um die Stimmen zwischen den beiden großen Parteien PO und Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), die nach unterschiedlichen Umfragen mal mehr, mal weniger Abstand voneinander haben. Zu erwarten ist, dass die Regierung auch kleine Erfolge in Brüssel außergewöhnlich laut preisen wird und dass die Opposition ihr mangelnde oder die falschen Aktivitäten sowie die Vernachlässigung polnischer Interessen vorwerfen wird. Solche Stimmen sind in Polen schon seit einigen Monaten seitens PiS zu hören und zeugen doch nur von einem falschen Verständnis der Aufgaben der Ratspräsidentschaft, zu denen die Moderation, Koordination und Kompromissfindung zwischen den 27 Mitgliedsstaaten der EU und den EU-Institutionen gehören sowie die Schwerpunktsetzung auf die Interessen der Gemeinschaft und nicht des eigenen Landes. Beispielsweise beschuldigen Politiker von PiS die Regierung, falsche Prioritäten für die EU-Ratspräsidentschaft gesetzt zu haben, die nicht den polnischen Interessen entsprechen, und ungenügend vorbereitet zu sein. Ihrerseits nehmen sie allerdings nicht immer an den Debatten über die Ratspräsidentschaft im Sejm teil. Spannungen zwischen der Regierungspartei und der Opposition sind normal, vor allem vor Wahlen. In diesem Fall beunruhigt aber das Fehlen einer fachlich und sachlich geführten Debatte. Es ist davon auszugehen, dass die Kontroversen bis zum Herbst noch an Schärfe zunehmen werden.

Der laufende Wahlkampf bedeutet auch, dass die Minister, die sich im Wahlkampf engagieren, häufig in ihren Wahlkreisen sein werden. Dies kann ihr Interesse an den europäischen Angelegenheiten mindern und sich negativ auf ihre Aktivitäten in Brüssel auswirken. Andererseits aber wird sich die Regierung bemühen, konkrete und möglichst gute Ergebnisse auf der europäischen Bühne zu erzielen, was wiederum das Engagement auf diesem Feld beflügeln kann.

Die hohen Beamten der EU sind sich des Problems bewusst, das die Wahlen in Polen darstellen. In den letzten Wochen vor der Abstimmung werden sie wahrscheinlich vermeiden, sich mit polnischen Politikern zu zeigen, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt werden zu können, sich in den Wahlkampf einmischen zu wollen. Allerdings werden sich die Beamten und Experten in Brüssel nicht allzu beunruhigt angesichts der Wahlen in Polen zeigen. Negativ werden dort wie in anderen europäischen Hauptstädten aber sicherlich antieuropäische Stimmen im Wahlkampf aufgenommen werden, egal ob von Politikern oder der Gesellschaft geäußert.

Die Ratspräsidentschaft als Chance für die EU

In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Polen jedoch positiv von anderen europäischen Nationen und sind starke Befürworter der polnischen EU-Mitgliedschaft. Im Frühjahr 2010 waren 77 Prozent der Polen der Meinung, dass Polen von der Mitgliedschaft profitiert. Wie in den vergangenen Jahren hoben sie sich hier vom europäischen Durchschnittswert ab, der bei 53 Prozent lag. Fast zwei Drittel (62 Prozent) der Befragten waren der Meinung, dass die Mitgliedschaft Polens in der EU etwas Positives sei (der EU-Durchschnitt betrug 49 Prozent). Sieben Jahre nach dem Beitritt beträgt die Akzeptanz für die Zugehörigkeit Polens zu den EU-Strukturen 82 Prozent der Befragten (dagegen sind nur 14 Prozent).

Der Grad der Zufriedenheit und Unterstützung für die Zugehörigkeit zur EU wirkt sich allerdings nicht auf das Interesse daran aus, was in der EU geschieht und welche Rolle Polen in der EU spielt. Teilweise resultiert dies aus einem Informationsmangel in der Mehrheit der Medien, die nicht über Ereignisse auf europäischer Ebene berichten, sondern sich auf die Streitigkeiten im eigenen Land konzentrieren. Die Redakteure erklären dies mit dem fehlenden Interesse der Rezipienten – und so schließt sich der Kreis. So ist die EU-Ratspräsidentschaft gerade der Moment, der zu einem wachsenden Interesse an den Belangen der EU führen sollte, so wie es nach dem Beitritt Polens deutlich gesunken war. Die kommenden sechs Monate sollten nicht nur dafür genutzt werden, eine gute Position Polens in der EU aufzubauen, sondern auch dafür, öffentliche Debatten über europäische Themen in Polen zu führen. Es geht darum, Reflexionen über die Rolle und den Platz Polens in der EU und über die Vision von der Entwicklung der EU zu befördern. Angesichts der schnelleren Integration der Euro-Länder muss zum Beispiel die Frage diskutiert werden, wie lange Polen noch außerhalb dieser Gruppe stehen und auf diese Weise deutlich weniger Einfluss auf Entscheidungen in der EU haben will.

Um die Gesellschaft für die Ratspräsidentschaft und das Funktionieren der EU zu sensibilisieren, hat die Regierung eine Reihe von Aktivitäten geplant. Außer den schon genannten Internetdiensten werden von Nichtregierungsorganisationen Projekte und Initiativen organisiert, die häufig vom Außenministerium oder den lokalen Verwaltungen finanziell unterstützt werden. Das Thema Ratspräsidentschaft taucht jetzt immer häufiger in den Medien auf, es hat also die Chance, auch von der breiten Masse wahrgenommen zu werden. Höchstwahrscheinlich ist sich die Mehrheit aber noch nicht bewusst, was genau die Ratspräsidentschaft bedeutet, so dass die Erwartungen der Polen etwas zu hoch geschraubt sein könnten, was sich ähnlich wie bei zu hohen Erwartungen in Brüssel negativ auf die Wahrnehmung der polnischen Ratspräsidentschaft auswirken könnte. Jene hohen Erwartungen resultieren aber nicht wie bei den EU-Institutionen aus der Überzeugung, dass Polen gut vorbereitet ist und sich seine Möglichkeiten in Europa entwickeln, sondern aus dem fehlenden Verständnis, was die Rolle des Ratsvorsitzes im aktuellen Rechtssystem bedeutet. Zwar gehören nach wie vor die Aufgaben dazu, zu moderieren, wesentliche Kompromisse auszuarbeiten und auf die Agenda der Europäischen Union Einfluss zu nehmen, aber das mit diesem Amt verbundene Prestige wurde deutlich beschnitten. Wenn der Ministerpräsident und der Außenminister die EU nicht mehr nach außen repräsentieren, verringert sich die Sichtbarkeit der Ratspräsidentschaft. Weniger Fotos mit den Staatsoberhäuptern anderer Länder und weniger Kommentare zu Krisen können in der Gesellschaft zu Enttäuschungen führen und zu dem Gefühl, dass nicht viel erreicht wurde.

Die polnische Ratspräsidentschaft hat die Chance, aktiv und erfolgreich zu sein. Darauf lassen die gute Vorbereitung und das positive Bild der aktuellen polnischen Europapolitik sowie die Offenheit der europäischen Institutionen für eine konstruktive Zusammenarbeit hoffen. Allerdings bewirkt die gegenwärtige globale Situation, dass auch die besten Planungen bestimmte Ereignisse nicht vorhersehen können, und die Herausforderungen, die zurzeit vor der EU stehen, erfordern die Zusammenarbeit aller Akteure. Viele Erfolge, die in Brüssel erreicht werden, werden allein von den Beamten und einigen Politikern wahrgenommen. Deshalb sollten die Erwartungen nicht übersteigert werden. Das bedeutet nicht, dass Polen sich von seinen Ambitionen für die zweite Jahreshälfte 2011 verabschieden sollte. Eine Balance zwischen diesen beiden Aufgaben – einer effektiven, aber bescheidenen Führung im Geiste des Vertrags von Lissabon und einer Aktivität, die von Polen in der gegenwärtigen Situation der EU erwartet wird, – wird mit Sicherheit die größte Herausforderung für Polen sein.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Zum Weiterlesen

Artikel

Zweieiige Zwillinge. PiS und Fidesz: Genotyp und Phänotyp

Von Kai-Olaf Lang
Die regierenden Parteien in Polen und Ungarn haben vieles gemeinsam. Beide streben einen neotraditionalistischen Umbau von Staat und Gesellschaft an. Demokratie verstehen sie als Mehrheitsherrschaft, das Mandat, das sie vom Volk an den Wahlurnen erhalten haben, soll nicht durch „checks and balances“ beschränkt werden. In der EU setzen PiS und Fidesz auf die Sicherung und den Ausbau nationalstaatlicher Hoheitsbereiche. Aufgrund außen- und europapolitischer Differenzen – insbesondere in der Sicherheits- und Russlandpolitik – ist allerdings keine nationalkonservative Achse in Ostmitteleuropa entstanden. (…)
Zum Artikel auf zeitschrift-osteuropa.de
Analyse

Das Schengen-Abkommen als Herausforderung für die polnische Außenpolitik

Von Piotr Kaźmierkiewicz
Der Beitritt Polens zum Schengen-Abkommen am 21. Dezember 2007 war von Befürchtungen auf beiden Seiten der Grenze begleitet. Während die damaligen Schengen-Mitglieder, insbesondere Deutschland, Zweifel daran äußerten, ob Polen schon auf effektive Kontrollen des längsten Abschnitts einer EU-Außengrenze vorbereitet sei, wurde in Warschau über den Einfluss des neuen Status auf das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn, vor allem zum strategischen Partner Ukraine, diskutiert. Versucht man, mehr als drei Jahre nach dem Beitritt Polens zum Schengen-Raum eine vorläufige Bilanz zu ziehen, müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden, die wachsende Bedeutung Polens für die Kontrolle der Migration in die EU und die Notwendigkeit, ein neues Modell für die nachbarschaftlichen Kontakte mit den Ländern außerhalb der EU zu entwickeln. Es kann davon ausgegangen werden, dass »Schengen« zurzeit nicht in technischer, sondern in politischer Hinsicht eine Herausforderung für Polen ist: Es geht um eine angemessene Politik gegenüber den östlichen Nachbarn unter Berücksichtigung der Zugehörigkeit Polens zum Schengen-Raum. (…)
Zum Artikel

Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS