Koalitionsvertrag zwischen der Bürgerkoalition, dem Bündnis Dritter Weg und Die Neue Linke, 10. November 2023

Der Koalitionsvertrag zwischen der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska – KO) dem Bündnis Dritter Weg (Trzecia Droga) und Die Neue Linke (Nowa Lewica) wurde am 10. November 2023 unterzeichnet, kam aber noch nicht zum Tragen, da Präsident Andrzej Duda zunächst eine von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) gebildete Regierung berief (27. November). Nachdem das Parlament Mateusz Morawiecki (PiS) nach Vorstellung seines Exposés das Vertrauen verweigert hatte, wurde am 13. Dezember die Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Donald Tusk vereidigt.

[…]

Teil I Programmatische Vereinbarungen

Geleitet vom Wählerwillen, werden wir gemeinsam und einvernehmlich in folgenden Bereichen tätig werden:

Die Sicherheit der Polinnen und Polen ist für die Koalitionspartner eine Aufgabe von vorrangiger Bedeutung. Angesichts der beispiellosen Gefahr für unsere Sicherheit, hervorgerufen durch die russische Aggression gegen die Ukraine, werden wir die Position Polens auf internationaler Bühne stärken. Wir werden konsequent für die polnischen Interessen eintreten und eine klare und berechenbare Außenpolitik betreiben, lesbar für die Freunde und abschreckend für die Feinde unseres Staates. Die polnische Sicherheit stützen wir auf drei Säulen: auf den Wiederaufbau der nationalen Gemeinschaft, auf die Stärkung der Position in der Europäischen Union und im Nordatlantikpakt sowie auf gestärkte Streitkräfte, die effektiv geführt und mit modernem Gerät ausgerüstet werden.

Die polnische Diplomatie erfordert Professionalisierung und Entpolitisierung. In der Sorge um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger werden wir auch den Wiederaufbau der Zivilverteidigung verfolgen.

Wir werden die Rechtsordnung wiederherstellen, die von den Tätigkeiten unserer Vorgänger erschüttert wurde. Die Gerichte werden frei von politischem Druck, die Staatsanwaltschaft wird unabhängig und apolitisch sein. Wir gewährleisten das rechtmäßige Funktionieren der Justiz und der Verfassungsgerichtsbarkeit. Wir setzen alles daran, um die verfassungsgemäße und apolitische Gestalt des Landesjustizrates (Krajowa Rada Sądownictwa) und des Obersten Gerichts (Sąd Najwyższy) wiederherzustellen. Die Gerichte müssen nahe an den Bürgern sein und sollen ihnen dienen. Wir werden die Bearbeitungszeit verkürzen und die Kosten für Gerichtsverfahren senken. Zwingend erforderlich ist auch die Entlastung der Gerichte von Aufgaben, die durch administrative Verfahren entschieden werden können.

Wir werden die Unparteilichkeit und die Autorität der anderen staatlichen Organe wiederherstellen, die in den letzten Jahren zu Parteianhängseln geworden sind. Wir werden den öffentlichen Dienst wiederaufbauen und eine Reform des Gesetzgebungsprozesses durchführen, um ihn für eine breite gesellschaftliche Beteiligung zu öffnen.

[…]

Wir werden die Frauenrechte stärken, die Schlüsselbedeutung für die Tätigkeit der Koalition haben werden. Wir werden das Urteil des Verfassungstribunals (Trybunał Konstytucyjny) aus dem Jahr 2020 für ungültig erklären [gegenwärtig sind Abtreibungen nur legal, wenn die Gesundheit oder das Leben der Mutter gefährdet sind oder die Schwangerschaft durch eine Straftat verursacht wurde; Anm. d. Übers.]. Frauen haben das Recht, über sich selbst zu entscheiden. Der Staat wird besondere Unterstützung für Paare, die eine Familie planen, leisten, indem er die In-vitro-Fertilisation finanziert sowie den vollständigen Zugang zu kostenfreien pränatalen Untersuchungen. Wir werden die Umsetzung moderner Standards bei der Geburtsbegleitung gewährleisten. Der Zugang zu kostenfreier Narkose wird die Regel sein und nicht die Ausnahme. Besonderer Nachdruck wird auf den Ausbau der Krippenplätze gelegt werden. Gleichzeitig bekennen sich die Koalitionspartner einvernehmlich dazu, dass es für den Aufbau des sozialen Kapitals und die Angleichung der Position der Frauen auf dem Arbeitsmarkt notwendig ist, den Frauen zusätzliche Unterstützung bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz nach dem Mutterschutzurlaub zu gewährleisten. Die Koalitionspartner werden für die Schließung der Lücke im geschlechtsspezifischen Lohngefälle zusammenarbeiten sowie für die Aufhebung anderer Barrieren, die einer Gleichbehandlung am Arbeitsmarkt im Wege stehen. Die Koalition wird den wirksamen Vollzug von Unterhaltszahlungen verfolgen.Wir sind alle gleich, und die sexuelle Orientierung und das Geschlecht können kein Diskriminierungsgrund sein. Der Kampf gegen Hassrede und Taten, die durch Hass motiviert sind, wird unsere Priorität sein. Wir werden das Strafgesetzbuch dahin gehend novellieren, dass Hassrede in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlecht von Amts wegen verfolgt wird.Die sich beschleunigende Klimakrise ist eine unwiderlegbare Tatsache, ebenso dass das Handeln des Menschen die Hauptursache ist. Wir werden einvernehmlich zusammenarbeiten, um den Klimaveränderungen entgegenzuwirken und ihren Einfluss auf das Leben der Einwohner Polens einzuschränken. Insbesondere sind die Koalitionspartner entschlossen, die grüne Energiewende zu beschleunigen. Wir werden einen stabilen Rahmen schaffen, der die gerechte Energietransformation durch den Aufbau von finanziellen und technologischen Unterstützungssystemen mitträgt. Ohne saubere und billige Energie droht Polen, seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Staaten zu verlieren, was sich negativ auf die Lebensqualität und das Einkommen der Polen auswirken wird.

Die Koalitionspartner werden gemeinsam Maßnahmen ergreifen, um den Anteil der erneuerbaren Energien für die Stromerzeugung zu erhöhen. Dies wird möglich sein u. a. dank der Freisetzung des Potentials der Windenergie an Land, der Photovoltaik und von Biogasanlagen sowie dank der Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit und des Engagements des privaten und kommunalen Sektors. Gleichzeitig werden wir die Voraussetzungen für ein kohärentes Programm zur Entwicklung der Kernenergie erarbeiten und präzise dessen Finanzierung bestimmen. Unser Ziel ist auch die Modernisierung und der Ausbau des Leitungs- und Verteilungsnetzes. […]

Eine der Prioritäten der Koalition ist die Entpolitisierung der Unternehmen mit Staatsbeteiligung, indem transparente Kriterien für die Besetzung von Leitungspositionen eingeführt werden. In den größten polnischen Unternehmen müssen die besten Spezialisten und Manager arbeiten und nicht Personen, die mittels Parteischlüssel oder familiärer Beziehungen ausgewählt werden. Die Koalitionspartner werden gemeinsam für die Implementierung höchster Standards der Unternehmensordnung in den Unternehmen mit staatlicher Beteiligung tätig werden.

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Wissenschaft und Hochschulwesen erfordern Veränderungen, die u. a. die Entpolitisierung, die Wiederherstellung der Autonomie der Hochschulen sowie ein höheres Finanzierungsniveau garantieren. Wir werden das Punktesystem für wissenschaftliche Publikationen ändern. Die Koalitionspartner erklären übereinstimmend, dass für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der polnischen Wirtschaft die entschlossene Aufstockung der Forschungs- und Entwicklungsetats unerlässlich sein wird sowie die Schaffung effektiver Formate für den Wissensaustausch zwischen der akademischen Community und Unternehmern. Der Staat wird besondere Aufmerksamkeit auf Forschungen zum historischen und kulturellen Erbe legen.Die Kultur ist nach Auffassung der Koalitionspartner ein Schlüsselbereich für das Funktionieren des Staates. Die Vorgänger der Koalition führten eine extreme Politisierung der Institutionen, die sich mit der Evaluation und Finanzierung der Kultur befassen, herbei, was häufig die Einführung einer verdeckten Zensur bedeutete. Die Kunst muss frei sein! Die Koalition wird sich dafür einsetzen, die Kultur zu entpolitisieren und den beruflichen Status der Künstler zu regeln, indem ihnen eine Sozialversicherung, Rentenbezüge und der Zugang zum Gesundheitssystem garantiert werden.Wir verbessern und entpolitisieren die öffentlichen Medien. Sie haben in hohem Maße die Spaltung der Gesellschaft zu verantworten, die Verbreitung von Lügen sowie gezielt gesetzte Hetze und Hasskampagnen, was zur Spaltung der nationalen Gemeinschaft geführt hat. Wir verpflichten uns, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um diesem Vorgehen Einhalt zu gebieten, und Konsequenzen gegenüber denen zu ziehen, die mit öffentlichen Geldern Hass säen.Die Koalitionspartner erklären übereinstimmend, dass die Trennung von Staat und Kirche unerlässlich ist. Sie soll auf gegenseitige Unabhängigkeit sowie der Unparteilichkeit des Staates in Sachen religiöser Überzeugungen und Weltanschauungen beruhen.

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Die Koalitionspartner unterstützen einvernehmlich die Dezentralisierung des Staates. Wir sind der Auffassung, dass die Übertragung entsprechender Kompetenzen an die Kommunen zusammen mit der Gewährleistung angemessener finanzieller Mittel eine Verwaltung garantiert, die maximal nah an den Menschen ist. Wir werden daher das Ziel verfolgen, den Kommunen eine breite Autonomie zurückzugeben. Wir verstärken ihre Eigeneinkünfte u. a. durch einen erhöhten Anteil an der Einkommensteuer sowie durch die erneute Zuerkennung ihrer Entscheidungskompetenz in den Bereichen, in denen sie sie in den letzten Jahren verloren haben. Wir setzen die Mittel des Landesaufbauplans frei, die den Kommunen endlich erlauben, Schlüsselinvestitionen selbständig zu planen. Wir werden die Praxis der parteinahen Spendenschecks beenden. Wir werden der Praxis des Missbrauchs von Aufsichtsinstrumenten gegenüber den Kommunen eine Grenze setzen.

[…]

Teil II Die Abrechnung mit der Regierung der Vereinigten Rechten

Das Unrecht, dessen wir alle im Laufe der Regierung unserer Vorgänger Zeugen wurden, muss benannt und abgerechnet werden. Ohne Abrechnung der Pathologie und Straftaten der vorigen Regierung gibt es und wird es kein gerechtes und rechtsstaatliches Polen geben. Der Verfassungsgrundsatz, dass sich alle Handlungen der staatlichen Gewalt in die Grenzen des Rechtes einordnen und an dieses rückgebunden sein müssen, wird das Fundament sowohl des Abrechnungsprozesses als auch der Tätigkeiten der von der Koalition gebildeten Regierung sein.

Vor allem

werden wir zur verfassungsrechtlichen Verantwortung diejenigen ziehen, die verantwortlich für den Versuch einer widerrechtlichen Änderung der staatlichen Ordnung, für die Verletzung der Verfassung und Gesetze sowie die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit, für die parteipolitische Instrumentalisierung öffentlicher Institutionen, die Veruntreuung öffentlicher Mittel und ihren widerrechtlichen, nicht zielführenden und unwirtschaftlichen Einsatz sind;werden wir in den Bereichen, die eine besondere und transparente Untersuchung erfordern, entsprechende parlamentarische Untersuchungsausschüsse berufen;werden wir zum Zweck der Abrechnung alle die Personen der unabhängigen Staatsanwaltschaft und den unabhängigen Gerichten zuführen, die sich schuldig gemacht haben:dass Beamte und andere öffentliche Amtsträger Befugnisse überschritten und Pflichten nicht erfüllt haben, oder zu solchen Handlungen verleitet haben;öffentliche Mittel für Parteiziele oder persönliche Zwecke veruntreut zu haben;des Nepotismus in öffentlichen Institutionen und Unternehmen des Staatsschatzes sowie der politischen Korruption, wozu auch gehört, sich auf Beziehungen berufen zu haben;des organisierten Systems, Hass in den Regierungsmedien und anderen Massenmedien zu säen, das gegen die Bürger, Akteure der Opposition und Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen gerichtet war;des Einsatzes öffentlicher Mittel und Institutionen wie Medien und Unternehmen mit staatlicher Beteiligung, um Einfluss auf Wahlentscheidungen der Gesellschaft zu nehmen;der Dokumentenfälschung […]

[…]

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Quelle: Rzeczpsopolita, https://www.rp.pl/polityka/art39387381-pelny-tekst-umowy-koalicyjnej-ko-psl-polski-2050-i-lewicy (abgerufen am 13.02.2024).

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Analyse

Politischer Umbruch in Polen: Demokratischer Reset mit Hindernissen

Von Stefan Garsztecki
Die neue polnische Regierung konnte trotz des klaren Wahlsieges der Opposition nur mit Verzögerung gebildet werden. Seitdem ist sie mit einer Vielzahl politischer, institutioneller und rechtlicher Herausforderungen konfrontiert, die aus der Politik der Vorgängerregierung resultieren. Die anhaltende scharfe politische Auseinandersetzung mit der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), juristische Probleme bei der Rücknahme der Justizreform der PiS oder bei der Entpolitisierung der öffentlich-rechtlichen Medien und die starke institutionelle Stellung des PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda erschweren einen politischen Neuanfang. Demgegenüber sind neue Akzente in der Außenpolitik, verbunden mit einer Stärkung der polnischen Position in der EU und einem Reset in den deutsch-polnischen Beziehungen, leichter umzusetzen, aber hier sind zunächst lediglich Ansätze erkennbar. Innenpolitisch dürfte der Konflikt zwischen der Regierung und der PiS als stärkster Oppositionspartei nicht zuletzt aufgrund der anstehenden Kommunal- und Regionalwahlen und der Wahlen zum Europaparlament in diesem Frühjahr anhalten. (…)
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