Brief des Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz, Stanisław Gądecki, an Kyrill, Patriarch von Moskau und der ganzen Rus

Warschau, den 2. März 2022

Eure Heiligkeit,

vielen Dank für die Worte, die im Brief des Metropoliten Hilarion gestern übermittelt wurden. Ich teile die Auffassung Eurer Heiligkeit, dass Feindseligkeit gegenüber jedweder Nation immer unverzeihlich ist. Wir sind alle Brüder, daher nehmen wir auch jedes Unglück der ukrainischen oder der russischen Nation als unser eigenes wahr. Deshalb beten wir aus ganzem Herzen für Frieden in der Ukraine.

Damit unser Gebet jedoch nicht als Ausdruck von Scheinheiligkeit angesehen wird, müssen ihm Taten folgen. Ich glaube, Eure Heiligkeit, dass Du ein Mensch des Friedens bist. Unser Herr, Jesus Christus, lehrte: »Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen«, (Mt 5,9). Deshalb bitte ich Dich, Bruder, dass Du an Wladimir Putin appellierst, den sinnlosen Kampf mit der ukrainischen Nation einzustellen, in dem unschuldige Menschen ums Leben kommen und nicht nur die Soldaten, sondern auch Zivilisten leiden – insbesondere Frauen und Kinder. Ein Mensch kann mit einem Wort das Leid Tausender Menschen beenden – das ist der Präsident der Russischen Föderation. Ich bitte Dich demütigst, dass Du appellierst, das russische Militär aus dem souveränen Staat, der die Ukraine ist, zurückzuziehen.

Kein Grund, kein Recht rechtfertigt jemals die Entscheidung, eine militärische Invasion in ein unabhängiges Land zu beginnen, Wohnsiedlungen, Schulen oder Kindergärten zu bombardieren. Krieg ist immer eine Niederlage der Menschlichkeit. Dieser Krieg – wie ich in meinem vorangegangenen Brief schrieb – ist aufgrund der Nähe beider Nationen und ihrer christlichen Wurzeln umso mehr sinnlos. Darf die Wiege des Christentums auf slawischem Boden, der Ort der Taufe der Rus zerstört werden?

Ich bitte Dich auch, dass Du die russischen Soldaten aufrufst, nicht an diesem ungerechten Krieg teilzunehmen, die Ausführung der Befehle zu verweigern, deren Folge – wie wir bereits sehen – zahlreiche Kriegsverbrechen sind. Die Befehlsverweigerung in einer solchen Situation ist eine moralische Pflicht. Es wird die Zeit der Abrechnung dieser Verbrechen kommen, auch vor internationalen Gerichten. Wenn es jedoch jemand gelingen sollte, der menschlichen Gerechtigkeit zu entgehen, gibt es ein Gericht, dem man nicht entgehen kann. »Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das, was er bei Lebzeiten getan hat, es sei gut oder böse« (2.Kor. 5,10).

Ich glaube, dass viele der in den Krieg geschickten Russen edelgesinnte Menschen sind. »Wir wissen nicht, auf wen wir schießen, sie sehen alle wie wir aus…«, sagte einer Eurer Soldaten. Ich bitte also, dass Du sie aufrufst, schneller nach Hause zurückzukehren und sich nicht die Hände mit unschuldigem Blut zu beflecken.

Als Schüler Christi wissen wir, dass das Hauptwerkzeug des Kampfes, über das die Kirche verfügt, die geistliche Waffe ist. »Aber diese Art fährt nicht aus denn durch Beten und Fasten«, lesen wir beim Evangelisten Matthäus (Mt 17,21; Mk 9,29). In Polen haben wir als Antwort auf den Aufruf von Papst Franziskus heute den Tag des Gebetes und des Fastens für die Errichtung eines gerechten Friedens in der Ukraine ausgerufen. Ich bitte Dich, Bruder, alle orthodoxen Brüder in Russland aufzurufen, ähnliche geistliche Werke auszuüben. Ich glaube, dass unser Herr nicht gleichgültig gegenüber unseren Gebeten und Opfern bleiben wird. Ich glaube, dass Fasten und Gebet das Herz des Menschen verändern.

In Christus

Stanisław Gądecki

Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Quelle: Konferencja Episkopatu Polski [Die Polnische Bischofskonferenz]. https://episkopat.pl/przewodniczacy-episkopatu-w-liscie-do-cyryla-wojna-jest-zawsze-kleska-ludzkosci/ (abgerufen am 10.03.2022).

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Analyse

Die Bedeutung des Kriegs in der Ukraine für Polen

Von Klaus Ziemer
Der Angriffskrieg des russischen Präsidenten Putin auf die Ukraine hat in Polen eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Polen und Ukrainer verbindet eine jahrhundertelange Geschichte, die insbesondere im 20. Jahrhundert etliche, auf beiden Seiten unterschiedlich wahrgenommene tragische Ereignisse umfasst. Die jetzige Offenheit nicht nur der polnischen politischen Klasse (in dieser Frage sind die sonst tief zerstrittenen Lager von Regierung und Opposition vereint), sondern auch der überwältigenden Mehrheit der polnischen Gesellschaft gegenüber den Ukrainern bietet die Chance, langfristig eine auch emotionale Annäherung zwischen beiden Gesellschaften zu erreichen und eventuell auch einen Teil der demografischen Probleme Polens zu lösen.
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