Exposé des Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki, 19. November 2019 (Auszüge)

Stenogramm

[…]

Wie alle großen polnischen Patrioten müssen wir alles das tun, was ein starkes und normales Polen aufbaut.

Wir sind Polen, also müssen wir polnische Verpflichtungen haben. Setzt die Klein-Klein-Einstellung etwa Energie zum Handeln frei? Nein, macht sie nicht. Wir brauchen ein mutiges Polen und eine mutige Vision von Polen. Wir müssen weiter an unserer Position im globalen Netzwerk moderner Wirtschaftssysteme arbeiten. Die Währung einer solchen Wirtschaft sind Talent, Wissen, Innovationen, Regulierungen, Effektivität und Tatkraft. Wir müssen uns auch vor Fallen in Acht nehmen. Der freie Markt, für den keine ehrlichen Regeln für Konkurrenz aufgestellt wurden, unterliegt schnell der Deformierung. Das Recht auf Entwicklung unterliegt dann dem Recht des Stärkeren. Es ist die Rolle des Nationalstaates, in diesem ungerechten Ungleichgewicht wieder Normalität herzustellen. Wir sehen viele Anzeichen globaler Ungerechtigkeit – den Anstieg der sozialen Ungleichheit, die Entstehung von Konzernen, die so stark sind, dass sie in der Lage sind, die Steuersysteme der Nationalstaaten zu umgehen, in denen sie Gewinne einfahren, Steuerparadiese, die den Reichen erlauben, der Besteuerung zu entgehen und die soziale Solidarität zu missachten, große Steuerkarusselle, Geldwäsche. Das sind Anomalien und Vorboten einer Zukunft, die wir nicht wollen. Heute haben wir den Wind der Geschichte in den Segeln, insbesondere in den letzten Jahren haben wir die gläserne Decke der Entwicklung durchstoßen. Im Vergleich zu den am höchsten entwickelten Wirtschaften der Welt ist das Niveau der Einkommensentwicklung der Polen am höchsten seit Beginn der Transformation und zugleich das höchste in der polnischen Geschichte.

Unser Hauptziel ist, Polen als den Ort in Europa aufzubauen, wo man am besten lebt, ein Polen der alltäglichen Normalität, des Wohlstandes und der Ruhe auf den Straßen und an seinen Grenzen. Das ist der Traum von Millionen Polen. Wenn wir unser Land konsequent modernisieren, einen gerechten Zugang zu den Früchten der Entwicklung gewährleisten, die Verständigung über die Spaltungen hinweg suchen, zumindest in Bereichen wie Sicherheit, Energiestrategie, Rentensystem oder Demographie, dann liegt die beste Zeit Polens vor uns. Schon jetzt gelingt es uns, die Ungleichheiten wirksam zu bekämpfen, mit denen sich fast der gesamte Westen misst. Der Index für soziale Ungleichheit, der sogenannte Gini-Index, fiel seit 2015 unter 28 Punkte. Das bedeutet, dass wir es in knapp vier Jahren bewerkstelligt haben, dass das Niveau der Ungleichheit so ist wie in Dänemark und niedriger als im europäischen Durchschnitt, in Frankreich, Deutschland, Italien oder Großbritannien. Damit einher geht der Rückgang der Armut.

Innerhalb von drei Jahren haben wir zirka zwei Millionen Polen aus dem Armutsrisiko herausgeholt. Das ist immer noch zu wenig, aber ich freue mich, dass so viele Polen ohne Angst in die Zukunft blicken können. Viele von uns haben die Solidarność in ihrer Biographie. Für uns ist Solidarität nicht nur Geschichte, vor allem ist sie Ziel und Grundsatz unserer Regierungstätigkeit, der Grundstein unserer Politik. Solidarität sind die Sozialprogramme unserer Regierung, deren Gewinner alle Familien sind. Die jüngeren Kinder erhalten 500+ [jeweils 500 Zloty pauschaler Förderung bis zum 18. Lebensjahr, d.Übers.], die älteren, die arbeiten gehen, sind vollständig von der Steuer befreit [betrifft die Einkommensteuer bis zum 26. Lebensjahr, d.Übers.]. Ihre Eltern haben eine gesenkte Einkommensteuer und die Großeltern eine 13. Rentenzahlung. Entwicklung muss gerecht sein. Das ist die Grundlage unseres Gesellschaftsvertrages.

[…]

Wenn ein Mensch zur Welt kommt, ist die Familie seine erste Bastion. Die Familie ist nicht nur die erste Bastion eines jeden Polen. Die Familie ist, wie Primas Stefan Wyszyński gesagt hat, auch die Bastion für ganz Polen. Im Westen wird viel über die unsichtbare Arbeit der Frauen gesprochen. Die Arbeit im Haushalt ist häufig mehr als eine ganze Arbeitsstelle. Im Westen tauchen daher Ideen der Art auf, dass, wenn die Frauen so schwer arbeiten, bestimmt die Familie die Schuld daran trage und man sie auseinandernehmen müsse. Wir dagegen stärken die Familie und schätzen die Arbeit der Frauen wert. Als erste haben wir ein enormes Sozialtransferprogramm für Familien aufgelegt. Als erste haben wir konkret auf das Problem der unbezahlten Arbeit der Frauen geantwortet, die mindestens vier Kinder erziehen. In Polen ist der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern niedriger als im Durchschnitt der europäischen Länder, aber die Gleichheit am Arbeitsplatz ist ein Wert, um den wir uns entschieden bemühen werden. Denn wenn unsere Mütter, Schwestern, Ehefrauen, Töchter für dieselbe Arbeit einen niedrigeren Lohn als die Männer erhalten, ist das nicht normal. Wir werden nach einem gerechten Prinzip streben. Die gleiche Arbeit für den gleichen Lohn. Die Polinnen stehen häufig vor der Wahl entweder Arbeit oder Kind. Ein moderner Staat hilft bei dieser Wahl. In den letzten vier Jahren haben wir, neben der ständig steigenden Zugänglichkeit von Krippen, auch die Anzahl der Krippenplätze verdoppelt. Wir erweitern den Zugang zu flexibleren Beschäftigungsformen für Eltern mit Hilfe von Arbeit im Home Office oder Teilzeitstellen. Mit der modernen Wirtschaft eröffnen sich den Polinnen neue Möglichkeiten und Chancen. Für eine Mutter nach dem Mutterschaftsurlaub muss es einfacher werden, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Unsere Maßnahmen werden dem dienen. Alle Eltern wissen, dass eine Familie wie ein großes Unternehmen ist. Arbeit, Schule, Gesundheitsversorgung oder Training, überall muss man rechtzeitig sein und die Interessen der Eltern und Kinder in Einklang bringen. Jede große Familie kann bei diesem Thema bereits mit der Unterstützung des Staates rechnen, die es vorher nicht gab. Für Familien mit drei oder mehr Kindern werden wir zusätzliche Ermäßigungen und Erleichterungen vorschlagen.

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Quelle: https://www.gov.pl/attachment/7c78a2b8-0eb1-4461-b65f-4e6e71efc076

(abgerufen am 07.09.2020).

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

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Analyse

Soziale Gerechtigkeit – eine lange verkannte Komponente der polnischen Transformation

Von Stefan Garsztecki
Die Frage der sozialen Gerechtigkeit steht momentan in Polen aufgrund der Sozialpolitik von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) hoch im Kurs. Damit wird seit einigen Jahren ein Thema zurück auf die politische Agenda geholt, das in Hochzeiten des freien Marktes scheinbar nur eine Aufgabe der gesellschaftlichen Selbstorganisation und nicht des Staates war. Die PiS knüpft hier an Traditionslinien der Gewerkschaft Solidarność an und kann sich zudem auf das Erbe der katholischen Soziallehre wie auch auf große gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Sozialpolitik stützen. Internationale Indizes belegen tatsächlich einen Aufholprozess Polens gegenüber westlichen Ländern bei der Bekämpfung von Armut und bei der Einkommensverteilung, allerdings offenbaren diese Indizes auch, dass hinsichtlich der Generationengerechtigkeit oder mit Blick auf die Diskriminierung von sozialen Gruppen die PiS gegenwärtig nur einige Aspekte von sozialer Gerechtigkeit implementiert.
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