Ist die Politik auch weiblich? Die Parlamentswahlen 2015 in Polen aus der Geschlechterperspektive

Von Aleksandra Niżyńska, Małgorzata Druciarek (beide Institut für Öffentliche Angelegenheiten, Warschau)

Zusammenfassung
Die politische Bühne in Polen erlebt revolutionäre Veränderungen. Im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen am 25. Oktober 2015 wurden die beiden größten miteinander konkurrierenden Parteien von Frauen angeführt, der bisherigen Ministerpräsidentin Ewa Kopacz von der liberal-konservativen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und Beata Szydło, stellvertretende Parteivorsitzende der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS). Auch das Parteienbündnis Vereinigte Linke (Zjednoczona Lewicy) stellte mit Barbara Nowacka eine Frau als Kandidatin für das Amt der Regierungschefin auf. Das Wahlergebnis brachte einen Rekordanteil an Frauen in der Geschichte des polnischen Parlamentarismus. Weibliche Abgeordnete erhielten 27 Prozent der Mandate im Sejm. In der neuen Regierung sind von insgesamt 25 Ministern fünf Frauen und an ihrer Spitze steht zum zweiten Mal in Folge mit Beata Szydło eine Ministerpräsidentin.

Noch vor anderthalb Jahren schien es unrealistisch zu sein, dass in Polen in absehbarer Zeit eine Frau an der Spitze der Regierung stehen könnte. Dann erkor im September 2014 der damalige Ministerpräsident Donald Tusk, der nach Brüssel wechselte, Ewa Kopacz zu seiner Nachfolgerin als Vorsitzende der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und Regierungschefin, was sie zur Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin in den kommenden Parlamentswahlen machte. Ein halbes Jahr später gab die größte Oppositionspartei bekannt, dass Beata Szydło Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) in den Wahlkampf führen werde. Wieder ein Jahr später vereinigte sich die verstreute Linke unter der Führung der charismatischen Barbara Nowacka. Im Ergebnis wurden die Parlamentswahlen 2015 von Kandidatinnen dominiert, was auch Einfluss auf die Präsenz von Frauen im neu gewählten Parlament hat.

Wie kam es dazu?

Die stärkere Anwesenheit von Frauen in der parlamentarischen Politik ist die Folge eines wichtigen Erfolgs der polnischen Frauenbewegung, und zwar der Einführung der Quote auf den Wahllisten im Jahr 2011. Dementsprechend muss sich die Kandidatenliste jedes Wahlkomitees aus mindestens 35 Prozent sowohl Frauen als auch Männern zusammensetzen, um registriert zu werden. Die im Jahr 2011 eingeführte Änderung des Wahlrechts führte dazu, dass sich der Anteil der Frauen auf den Wahllisten im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2007 verdoppelte. Der Anstieg des Frauenanteils im Parlament war zwar nicht spektakulär, allerdings war er mit 24 Prozent damals der höchste in der polnischen Geschichte. In den Parlamentswahlen 2011 übernahm zum ersten Mal eine Frau mit dem Amt der Sejmmarschallin die zweitwichtigste Funktion im Staat. Dies war zwar keine direkte Folge aus den Vorschriften des Wahlrechts, das ausschließlich die Anwesenheit von Frauen auf den Wahllisten regelt, aber es ist davon auszugehen, dass die Debatte um die Quote und die Beteiligung von Frauen in der Politik Einfluss auf die Kandidatur von Ewa Kopacz hatte sowie auf ihre spätere Übernahme des Amtes der Regierungschefin, nachdem Donald Tusk Präsident des Europäischen Rates geworden war.

Seit dem Jahr 2011 wächst die Position der Frauen und nimmt ihre Sichtbarkeit auf der politischen Bühne in Polen beständig zu. Dies geschah, obwohl die Veränderungen zugunsten der Teilnahme von Frauen an der Politik keine kohärenten Wahlrechtsreformen waren. Einerseits kam es zum bahnbrechenden Beschluss der Quotenregelung, die mindestens 35 Prozent der Listenplätze Frauen und Männern gleichermaßen garantiert. Dies war ein großer Schritt nach vorn, hin zu einer Angleichung der Beteiligung von Frauen und Männern in den politischen Entscheidungsorganen. Andererseits wurde ein Schritt rückwärts gemacht, indem das System der Ein-Mandats-Wahlkreise für die Senatswahlen eingeführt wurde. Dieses System dient nicht dazu, die Beteiligung von Minderheiten in der Politik zu fördern, wozu in einem gewissen Sinne auch die Frauen gehören. Trotz des geltenden Mehrheitswahlrechts stimmten die Wähler überwiegend für Parteivertreter und nicht für unabhängig kandidierende Personen. Unter den 100 gewählten Senatoren im Senat waren nur 13 Frauen. Diese beiden Tendenzen stoßen auch heute aufeinander.

Die Frauen in den Parlamentswahlen 2015

In den Sejmwahlen 2015 war der Anteil der Kandidatinnen mit 42 Prozent ähnlich wie vor vier Jahren. Insgesamt wurden von der Staatlichen Wahlkommission (Państwowa Komisja Wyborcza – PKW) 3.295 Kandidatinnen registriert. Auf Frauen setzte die neu entstandene Partei Gemeinsam (Razem) – fast die Hälfte ihrer Kandidaten waren Frauen (49 Prozent). Unter den Parteien und Parteibündnissen, die in den Umfragen die Fünf-Prozent- bzw. Acht-Prozent-Hürde überschritten, stellte das Bündnis Vereinigte Linke die meisten Frauen auf (44 Prozent) und am wenigsten die Partei PiS (40 Prozent). Die PO und Die Moderne von Ryszard Petru (Nowoczesna Ryszarda Petru) nominierten jeweils 43 Prozent weibliche Kandidaten und die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) 42 Prozent.

Analysiert wurden die Parteien, die in mehr als der Hälfte der 41 Wahlkreise Wahllisten registrieren ließen, das sind die PO, PiS, die Vereinigte Linke, Gemeinsam, die PSL, Die Moderne, die Koalition der Erneuerung der Republik Freiheit und Hoffnung (Koalicja Odnowy Rzeczypospolitej Wolność i Nadzieja – KORWiN) und die Bewegung Kukiz ‘15. Auf deren Listen wurden 28 Prozent des ersten Listenplatzes mit Frauen besetzt. Die meisten Frauen wurden von Gemeinsam und Die Moderne auf den ersten Listenplatz gesetzt (49 bzw. 41 Prozent), die wenigsten befanden sich bei der PSL und bei Kukiz ‘15 auf dem ersten Listenplatz (jeweils 15 Prozent) sowie bei KORWiN (12 Prozent). Die übrigen Wahlkomitees stellten für Frauen einen ähnlich hohen Anteil des ersten Platzes bereit: PO 32 Prozent, PiS und Vereinigte Linke 29 Prozent.

Betrachtet man die Besetzung der ersten drei Listenplätze, liegt die Partei Gemeinsam wieder in Führung: 50 Prozent der auf den ersten drei Plätzen kandidierenden Personen waren Frauen, bei der PO waren es 41 Prozent. Die Geschlechterquote wurde in Bezug auf die ersten drei Listenplätze nur noch von Die Moderne mit 36 Prozent überschritten. Am wenigsten weibliche Kandidaten wurden von der PSL auf die ersten drei Listenplätze gesetzt, hier waren es weniger als eine Fünftel aller Kandidaten für die ersten drei Plätze. Bei KORWiN wurden nur 15 Prozent der ersten drei Listenplätze von Frauen besetzt.

Die Chancen für Frauen in den diesjährigen Parlamentswahlen ließen sich vor dem Hintergrund der Wahlen im Jahr 2011 bewerten. Abhängig davon, wie viele Mandate eine Partei in einem konkreten Wahlkreis erhalten hatte, ließ sich annähernd die Anzahl der sogenannten »Gewinnerplätze« im Jahr 2015 einschätzen. Dies waren die oberen Plätze der Wahlliste, auf denen die Kandidaten und Kandidatinnen mit großer Wahrscheinlichkeit ein Abgeordnetenmandat erhalten würden.

Bei den Parlamentswahlen 2015 wurde in den vier größten Parteien fast jeder dritte »Gewinnerplatz« von einer Frau besetzt. Aus den von der Beobachtergruppe für Geschlechtergleichheit des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten (Obserwatorium Równości Płci, Instytut Spraw Publicznych) analysierten Daten geht hervor, dass wie vier Jahre zuvor die PO am stärksten auf Frauen setzte. 39 Prozent der »Gewinnerplätze« auf den PO-Listen wurden von Frauen eingenommen. Damit unterschied sich die PO von den anderen großen Parteien. Auf die PO folgte die Vereinigte Linke, hier wurden 29 Prozent der »Gewinnerplätze« für Kandidatinnen reserviert. PiS sprach den Frauen weniger »Gewinnerplätze« zu (24 Prozent) und am wenigsten Vertrauen in die Frauen zeigte die PSL (14 Prozent).

Wie im Jahr 2011 starteten auch jetzt deutlich weniger Frauen bei den Wahlen zum Senat. Im Vergleich zu den 42 Prozent Sejm-Kandidatinnen, waren die 14 Prozent hier dramatisch niedrig. Dies resultiert aus der Einführung der Ein-Mandats-Wahlkreise für die Senatswahlen. Die Folge dieses extremen Mehrheitswahlrechts war die erdrückende Mehrheit von Männern im Senat der vergangenen, VIII. Wahlperiode. Im Jahr 2011 wurden nur 13 Senatorinnen gewählt.

Im Jahr 2015 kandidierten am meisten Frauen von PiS für den Senat – 13 von 98 registrierten Personen, gefolgt von der PSL mit 10 Kandidatinnen von insgesamt 57. Unter den 83 kandidierenden Personen von der PO waren nur acht Frauen und die Vereinigte Linke und Die Moderne stellten jeweils vier Kandidatinnen in 29 bzw. 16 registrierten Wahlkreisen auf. Das Wahlkomitee von Paweł Kukiz stellte eine Kandidatin bei der Gesamtzahl von zehn auf und Janusz Korwin-Mikke nutzte die Tatsache, dass bei den Senatswahlen kein Mechanismus gilt, der die Chancen von Frauen und Männern einander angleicht. In den elf Wahlkreisen, in denen seine Partei vertreten war, stellte er keine Kandidatin auf. In 57 Prozent der Wahlkreise hatten die Wähler überhaupt nicht die Möglichkeit, für eine Frau zu stimmen. Dagegen betrug der Anteil der Wahlkreise, in denen nur Frauen aufgestellt wurden und die Wähler keine Chance hatten, einem Mann ihre Stimme zu geben, ein Prozent. Dies war nur im Wahlkreis Rzeszów der Fall.

Die Parteiprogramme und die Gleichberechtigung der Geschlechter

Im Folgenden werden die Parteiprogramme mit Blick auf die Inhalte analysiert, die sich unmittelbar auf Frauen beziehen oder die gewöhnlich in der polnischen Politik mit Frauen in Verbindung gebracht werden. In den polnischen politischen Programmen sind dies vor allem Fragen der Kinderbetreuung, der Frauengesundheit und bei manchen Parteien die Forderung nach gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit und Fragen der Gleichberechtigung. Natürlich haben auf die Lebensqualität von Frauen auch die Wirtschaft und der Wirtschaftskurs der Regierungspartei Einfluss. Die neoliberale Politik der Kürzungen im öffentlichen Haushalt und die Austeritätspolitik schlagen sich stärker auf das Leben der Frauen als auf das der Männer nieder. Frauen sind häufiger als Männer im öffentlichen Sektor beschäftigt und übernehmen häufiger die Betreuung der Kinder und älterer Menschen, wenn sich die staatlichen Institutionen aus dieser Rolle zurückziehen. Ein Bewusstsein dieser Verflechtungen wird in den Programmen der drei größten Parteien allerdings nicht sichtbar.

Allgemein lassen sich die Parteien in zwei Gruppen einteilen. Die eine befasst sich mit den Angelegenheiten von Frauen nur in Bezug auf Elternschaft und Fortpflanzung, die anderen gehen über diese Fragen hinaus. Zur ersten Gruppe gehören PiS, PO und KORWiN, während die Vereinigte Linke, die PSL, Gemeinsam und Die Moderne in ihren Parteiprogrammen auch Absichtserklärungen abgeben, die Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt und im öffentlichen Leben zu vergrößern und gegen Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Unter den Forderungen der Vereinigten Linken findet sich die nach »gleichem Lohn für gleiche Arbeit«, eines der ältesten Postulate der globalen Frauenbewegung, nach Unterstützung von alleinerziehenden Müttern, Bekämpfung von Diskriminierung und Gender Mainstreaming. Die Forderung nach Aufhebung von Lohnunterschieden ist auch im Programm der liberalen Die Moderne zu finden, die generell nach vollständiger Gleichberechtigung und Chancengleichheit für Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt strebt. Die Partei Gemeinsam wirbt, ebenfalls vor dem Hintergrund der Lohngleichheit, für die Transparenz von Gehältern und die 35-Stunden-Woche, die sich ihrer Überzeugung nach positiv auf die Situation von Eltern auf dem Arbeitsmarkt auswirken würde. Die PSL widmet sich in ihrem Programm ebenfalls den Frauen auf dem Arbeitsmarkt und fordert Unterstützung für die Beschäftigung von Müttern. Außerdem spricht sie sich für die Angleichung der Rentenberechtigung von Frauen und Männern nach 40 Jahren Berufstätigkeit aus.

Außer dem Arbeitsmarkt nehmen die Parteien auch die Aktivitäten von Frauen in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens in den Blick. Die Vereinigte Linke spricht allgemein von der Politik des Gender Mainstreaming, die alle Bereiche der öffentlichen Politik betreffen soll. Die PSL dagegen konzentriert sich auf die Situation der Frauen in den uniformierten Diensten und schlägt sogar spezielle Zuschüsse vor, um sie für diesen Bereich zu gewinnen. Gemeinsam wiederum unterstützt offen die Frauen, die eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingehen wollen, und spricht sich für deren Legalisierung aus.

Ein wichtiges Problem, das von den Parteien nicht wahrgenommen zu werden scheint, ist die Gewalt gegen Frauen. Allein die Vereinigte Linke fordert die wirksame Verfolgung der Täter und eine umfassende Schulung der Vertreter des Justizwesens zur Bekämpfung von Gewalt und Stereotypen. Dagegen setzte KORWiN in ihr Programm folgende Formulierung: »Wir werden das Gesetz über die Bekämpfung von Gewalt in der Familie vollständig außer Kraft setzen. Polen wird die sogenannte Anti-Gewalt-Konvention aufkündigen.« Die Vertreter von KORWiN behandeln das Thema Gewalt, wozu auch wirtschaftliche Gewalt gehört, besonders nachsichtig. Sie vertreten den Standpunkt, dass Alimente wie alle anderen Verpflichtungen geltend gemacht werden sollen und ihre Nichtzahlung nach den allgemeinen Bestimmungen wie eine Nichtzahlung von Schulden behandelt werden soll. Die Gefängnisstrafe bei nicht erfüllten Alimente-Verpflichtungen soll abgeschafft werden und die Zahlung von Alimenten soll nur bis zur Beendigung des 18. Lebensjahres verpflichtend sein. Gemeinsam dagegen legt Gewicht auf den Anspruch auf Alimente und fordert die Aufhebung des Einkommenskriteriums, wenn man sich um Unterstützung beim Alimente-Fonds bemüht.

Außer Fragen zu den Frauenrechten berücksichtigten die Parteien Probleme der Elternschaft und der Kinderbetreuung sowie der Gesundheitspolitik. Bei ersterem unterscheiden sich die Parteiprogramme deutlich bei den bevorzugten Modellen der Familienpolitik. PO, Vereinigte Linke, Gemeinsam und PSL befürworten den Ausbau des Systems der institutionalisierten Betreuung, das heißt von Kinderkrippen, Kindergärten und anderen Betreuungsformen. Die PSL nennt sogar Zahlen: Krippen- und Kindergartenplätze sollen 1 Zloty kosten und es sollen 50.000 Krippenplätze und 70.000 Kindergartenplätze zur Verfügung stehen. Gemeinsam wiederum schlägt vor, das System der Nachmittags- und Wochenendbetreuung in bestimmten Einrichtungen auszubauen.

Im Programm von PiS liegt der Akzent eher auf der Stärkung der Position der Mütter gegenüber dem Arbeitgeber, das heißt der Verlängerung der Elternzeit, unabhängig von der Art der Beschäftigung. Dieser Lösungstyp forciert beim Arbeitgeber das Bild der Frau als einzigem Elternteil, der Erziehungsurlaub nimmt, es sei denn, dass in den Gesetzen genaue Vorschriften formuliert würden, die eine Aufteilung des Urlaubs zwischen Mutter und Vater vorsehen, was PiS allerdings nicht vorschlägt. Gemeinsam hat in ihr Programm aufgenommen, dass die Elternzeit 480 Tage betragen und zwischen den Partnern gleich aufgeteilt werden solle. Außerdem beabsichtigt sie, die Steuererleichterungen für Kinder aufzuheben und stattdessen ein allgemeines Erziehungsgeld zur Unterstützung einzuführen.

Eine andere Differenzierung der Parteien ist in gesundheitspolitischen Fragen festzustellen, die nur von PiS, der Vereinigten Linken und Gemeinsam umfassend aus der Geschlechterperspektive betrachtet werden. PiS konzentriert sich auf die »Verbesserung der Fürsorge für Mutter und Kind« und unterstreicht die Notwendigkeit, die vollständige Finanzierung der medizinischen Betreuung für Frauen während der Schwangerschaft und bei der Geburt zu garantieren. Die Vereinigte Linke nahm in ihr Programm die Kostenerstattung bei der Behebung von Unfruchtbarkeit mit Hilfe der In-vitro-Methode, die Einführung einer altersgemäßen Sexualkunde für junge Menschen, die Wiedereinführung eines weiter gefassten Rechts auf Abtreibung und die Kostenerstattung für Verhütungsmittel auf. Ähnlich verspricht Gemeinsam die vollständige Kostenübernahme bei Verhütungsmitteln und der Durchführung der In-vitro-Methode und die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes. Beide Sets von Vorschlägen betreffen Gesundheit und Fortpflanzung, die Akzente werden jedoch vollkommen unterschiedlich gesetzt: PiS konzentriert sich auf die Frau in der Schwangerschaft und die Mutter und benutzt Formulierungen wie »Fortpflanzungsgesundheit«, die linken Parteien dagegen sprechen von »Reproduktionsgesundheit« und meinen nicht nur Schwangerschaft und Geburt.

Die Wahlergebnisse im Kontext der Geschlechtergleichheit

Noch nie gehörten dem Sejm so viele Frauen an. Aktuell besetzen sie 125 von 460 Plätzen, was 27 Prozent aller Mandate sind. Dies ist ein Anstieg von vier Prozentpunkten im Vergleich zur vergangenen Wahlperiode. Bereits zum zweiten Mal waren Geschlechterquoten für die Wahllisten verbindlich, die den Anteil der Frauen im Sejm effektiv anhoben. 27 Prozent sind noch weit von der Hälfte entfernt, aber das Ergebnis zeigt eine systematische Verbesserung infolge einer moderaten Quotenregelung – das Gesetz verlangt, dass 35 Prozent der Kandidaten der Wahllisten Frauen sind, was bedeutet, dass ihnen nicht ein Platz im Sejm reserviert wird, sondern nur ihre Chancen auf einen Start bei den Wahlen vergrößert werden, indem die Parteien dazu gebracht werden, Kandidatinnen aufzustellen. Der Wahlsieger der Parlamentswahlen, PiS, wird in der Fraktion mit 23 Prozent weiblichen Abgeordneten vertreten sein. Der zweitgrößten Fraktion, der PO, werden 36 Prozent Frauen angehören. Die Moderne wird mit 43 Prozent am stärksten von Frauen repräsentiert werden. Sowohl die PO als auch Die Moderne haben abgesehen von der obligatorischen Quote zusätzlich aufgrund eigener Regularien den Frauenanteil befördert. Die Moderne hat sich die Regel gesetzt, dass auf jeder Wahlliste mindestens eine Frau auf den ersten drei Plätzen platziert sein muss, was auch auf allen bis auf vier Listen umgesetzt wurde. Der Grundsatz der PO hieß »eine Frau unter den ersten drei, zwei unter den ersten fünf«, eine Ausnahme von der Regel machten nur drei Wahlkomitees. Die Frauen besetzten auf den PO-Listen ein Drittel der ersten Plätze und 39 Prozent der »Gewinnerplätze«, was deutlichen Einfluss auf ihren Wahlerfolg hatte. Diese internen Verabredungen ergänzen das Quotensystem, mit dem letztlich auch »betrogen« werden kann, indem Frauen auf die unteren Plätze gesetzt werden. Die vollkommenste Ergänzung wäre das Reißverschlusssystem, das heißt, dass sich Frauen und Männer auf den Wahllisten abwechseln, was zum Beispiel von der Partei Gemeinsam praktiziert wurde. Die Parteien, die es bei der 35-Prozent-Quote beließen, aber den Frauen keine guten Listenplätze einräumten, verzeichnen den geringsten Frauenanteil in ihren Fraktionen, das sind die PSL mit 19 Prozent und Kukiz ‘15 mit knapp 14 Prozent. In dieser Wahlperiode des Sejm ist die Anzahl der Frauen am höchsten in der polnischen Geschichte. Vollkommen anders sieht es im Senat aus – dort sind nur 13 Senatorinnen vertreten, das heißt 13 Prozent. Wie bereits erwähnt, ist dies die Folge der Ein-Mandats-Wahlkreise. Der Kontrast zur Anzahl der Frauen im Sejm ist deutlich sichtbar. Mehr noch, so wie die Quoten schrittweise den Rang der Frauen in der Politik und ihren Anteil im Parlament systematisch erhöhen, so niedrig blieb der Frauenanteil im Senat – auch in der letzten Wahlperiode wurden 13 Senatorinnen gewählt.

Die Präsenz der Frauen im medialen Wahlkampf

Aus der Perspektive der Geschlechtergleichheit war der Wahlkampf 2015 in Polen außergewöhnlich. Zum ersten Mal traten so viele auf dem Spitzenplatz auf, angefangen von den Parteiführerinnen Ewa Kopacz und Beata Szydło, die sich größter Unterstützung in der Gesellschaft erfreuten. Auch in den Wahlspots der anderen Parteien ließ sich beobachten, dass die Marketingspezialisten für die Präsentation der Geschlechter sensibilisiert waren. Im Vergleich zu den Wahlsendungen der Staatlichen Wahlkommission, wo die Frauen nur als Beigabe zu den wählenden Herren auftraten, stellten sich die Spots der Parteien deutlich besser dar. Allerdings bedeutet besser nicht, dass es bereits gut ist und dass die Kompetenzen beider Geschlechter mit gleicher Aufmerksamkeit und partnerschaftlich behandelt werden.

Zwei von acht Wahlkomitees, die PO und PiS, setzen in ihren Spots eindeutig auf ihre Parteiführerin. Vier, die PSL, Die Moderne, Kukiz ‘15 und KORWiN, präsentierten einen männlichen Akteur und eine unbestimmte Menschenmenge hinter ihm. Die annähernd ausgewogenste Präsentation von Kandidaten und Kandidatinnen hatte Gemeinsam, und zwar gar keinen Parteiführer oder -führerin und stattdessen fünf dominierende Akteure, drei Frauen und zwei Männer. Im Falle der Vereinigten Linken war zwar Barbara Nowacka der führende Kopf, allerdings stellt sie nicht selbst ihre starken Seiten dar, um die Wähler zu überzeugen, sondern Włodzimierz Cimoszewicz, der die einzige Stimme im Spot hat, gibt der Kandidatin gewissermaßen seine Zustimmung.

In den Wahlspots sind Ewa Kopacz und Beata Szydło deutliche und dominierende Figuren. Sie sprechen klar und sachlich, unterhalten sich mit unterschiedlichen Berufsgruppen, mit Studierenden und mit Kindern. Sie äußern sich sowohl zu allgemeinen Fragen wie zur Notwendigkeit, sich der Welt gegenüber zu öffnen, als auch zu speziellen Themen wie zum Steuerrecht oder zu konkreten Beschäftigungsbedingungen. Außer diesen beiden äußern sich in den landesweiten Wahlspots nur die Kandidatinnen von Gemeinsam, Marcelina Zawisza, Magdalena Malińska und Alicja Czubek, fachlich zu bestimmten Themen. Sie sprechen Probleme des Wohnungsmarktes, der Privatisierung öffentlichen Eigentums und der Arbeitnehmerrechte an. Auch Die Moderne präsentiert drei Kandidatinnen, doch diese sprechen eher über allgemeine Dinge und nicht über konkrete Aufgaben.

Frauen treten auch in anderen Rollen in den Wahlspots auf. Hier überwiegen weiter stereotype Bilder. Es sind dies zum Beispiel die Mütter, die nichts anderes zu tun zu haben scheinen, als sich um die Kinder zu kümmern, oder ältere Frauen, die im Bildungssektor arbeiten. Es finden sich allerdings auch weniger schematisch geformte Personen, wie die Joggerin, die im Wahlspot von Die Moderne allein den Marathon entlang der Weichsel läuft, eine Dame, die der Arbeit eines Bäckers zuschaut (PSL), selbstsichere Frauen bei Gemeinsam und Die Moderne, Berufstätige bei PiS und der PO. Von acht Wahlkomitees ist nur in den Wahlsendungen der Partei Gemeinsam die Sprecherstimme weiblich.

Die Männer werden häufig in traditionellen Rollen gezeigt. Es sind Soldaten, Fußball spielende Jungen, Arbeiter, Unternehmer, Feuerwehrmänner und Bergleute. Allerdings tauchen auch fürsorgliche Väter auf, so bei PiS und Gemeinsam. Weiter werden vor allem Männer als charismatische Führer dargestellt, die mit Überzeugungskraft sprechen und die Massen mitreißen.

Die Präsentation der Frauen in den Medien war während des Wahlkampfes überwiegend korrekt, doch gleich nach Beendigung der Wahlruhe zeigte sich, dass die Parteien zu den althergebrachten Schemata zurückkehrten. Am Wahlabend am 25. Oktober ließ sich beobachten, welches Geschlecht politische Erfolge und Niederlagen haben. Über den Erfolg von Beata Szydło freute sich vor laufenden Kameras Parteichef Jarosław Kaczyński, der gleich nach Ablauf der Wahlruhe die erste Ansprache hielt. Flammend äußerte er sich über den Erfolg von PiS, dankte Beata Szydło, die anfangs gar nicht auf der Bühne war, und begann sogar, ihren Namen zu skandieren. Diese erhielt einen großen Blumenstrauß und begann ihre Rede mit Hortensien vor der Nase. Etwas anders stellte sich die Situation im Wahlstab der Vereinigten Linken und von PO dar. Bei beiden sprachen nur die Hauptakteurinnen, Parteichef Leszek Miller und die Nummer Zwei in der PO, Grzegorz Schetyna, beanspruchten keine einzige Minute auf Sendung. Hinter den Kandidatinnen der Vereinigten Linken und der PO standen ausschließlich Frauen, Barbara Nowacka von der Vereinigten Linken wurde von Paulina Piechna-Więckiewicz und Katarzyna Piekarska unterstützt, und gleich hinter Ewa Kopacz waren Hanna Gronkiewicz-Waltz und Elżbieta Radziszewska zu sehen. Es zeigte sich, dass Frauen in der polnischen Politik Anno Domini 2015 eine Niederlage mit Würde annehmen, während der Erfolg viele Gesichter und vor allem das von Jarosław Kaczyński hat.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Der Text entstand im Rahmen des Monitoring der Parlamentswahlen 2015, das dank der Unterstützung der Heinrich Böll Stiftung in Warschau durchgeführt wurde.

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Analyse

Die Selbstverwaltungswahlen 2010 – der Frauenanteil auf Listen und in Wahlen

Von Aleksandra Niżyńska, Małgorzata Druciarek
Das im Januar 2011 verabschiedete Wahlgesetz sieht vor, dass sich auf einer Wahlliste nicht weniger als 35 % Frauen und nicht weniger als 35 % Männer befinden müssen, damit diese zugelassen werden kann. Schon im Wahlkampf zu den Regional- und Kommunalwahlen 2010 war das Thema der Teilhabe von Frauen an der Politik zu einer Schlüsselfrage geworden. In der Tendenz stellt die Analyse einen systematischen Anstieg des Frauenanteils unter den Kandidaten für politische Ämter fest, doch ging dieser Anstieg von Wahl zu Wahl zurück. Im Vergleich zu 2006 gab es bei den Selbstverwaltungswahlen 2010 nur um 2 Prozentpunkte mehr Kandidatinnen. Die 35%-Regelung kann sich nach Auffassung der Autorinnen nur als effektiv erweisen, wenn die Parteien sich dazu entscheiden, Frauen auf den vorderen Plätzen der Wahllisten zu platzieren. (…)
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