Belarus-Analysen

Ausgabe 52 (11.11.2020) — DOI: 10.31205/BA.052.01, S. 2–5

Nationaler Dialog, Vermittlung und belarusische Eliten

Von Andrei Kazakevich (Institut für politische Studien »Politische Sphäre«, Vilnius/Minsk)

Zusammenfassung
Die Präsidentschaftswahlen in Belarus im August 2020 haben zu den in der Geschichte des Landes größten Protesten geführt, die drei Monate in Folge nicht abreißen und die im Ergebnis die bisher schwerste politische Krise hervorgerufen haben. In diesem Artikel wird auf die Möglichkeiten einer friedlichen Beilegung des Konflikts durch einen nationalen Dialog eingegangen. Darüber hinaus werden die Probleme analysiert, mit denen die belarusischen politischen Eliten konfrontiert sind. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass eine Bewältigung der Krise durch interne Mittel wegen der Vertrauenskrise und fehlender Mechanismen, die die Umsetzung von Vereinbarungen garantieren würden, praktisch unmöglich ist. Gegenwärtig ist ein ergebnisvoller nationaler Dialog in Belarus nur mit einer Vermittlung von außen denkbar, im Idealfall im Format eines Dreiecks unter Beteiligung von Russland, Deutschland und Frankreich.

Text auf dem Stand vom 28.10.2020

Schwierigkeiten des nationalen Dialogs und Frage der Vermittlung

Der gesamte Präsidentenwahlkampf im Jahr 2020 ging mit den in der Geschichte des Landes größten Verstößen gegen das Wahlrecht und Repressionen einher. Die stärksten Herausforderer von Lukaschenko wurden entweder nicht registriert (Walerij Tsepkalo) oder verhaftet (Wiktor Babariko, Sergej Tichanowskij). Im Ergebnis wurde Swetlana Tichanowskaja zur Einheitskandidatin alternativer Kräfte, weil der Staat in ihr keine Bedrohung gesehen hatte.

Nach offiziellen Angaben konnte Alexander Lukaschenko bei den Wahlen am 9. August 80 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, nach Angaben vieler soziologischer Umfragen und sonstiger indirekter Angaben ging allerdings Tichanowskaja als Siegerin hervor. Zahlreiche Fälschungen sowie die intransparente Stimmenauszählung ließen Zweifel an den offiziellen Ergebnissen aufkommen und führten zu den Massenprotesten vom 9.–12. August, die vom Staat brutal niedergeschlagen wurden, was die ansteigende Proteststimmung nur noch mehr anheizte.

Seit nun drei Monaten in Folge finden regelmäßig Proteste statt, und dem Staat gelingt es, trotz des großen Arsenals an Repressionen, nicht sie zu ersticken. Die Anzahl von Strafverfahren übersteigt mehr als 500, es sind 15000 Menschen verhaftet worden. Das Land taucht immer mehr in eine andauernde politische Krise ein: Der Staat ist nicht in der Lage, mit Protesten fertig zu werden, er ist gleichzeitig nicht gewillt, in einen Verhandlungsprozess mit seinen Opponenten einzutreten. Der Protest, der ausschließlich friedliche Mittel einsetzt, verfügt über keine Mechanismen für den Machtwechsel und setzt langfristig auf weiteren Druck.

Auf welche Art und Weise kann die belarusische Krise bewältigt werden? Im Grunde genommen gibt es hierzu zwei Varianten: Gewaltanwendung durch eine der Seiten oder ein Kompromiss mittels Dialogs, zu dem seit den Ereignissen vom 9.–12. August alle wichtigen Akteure von außen aufrufen – von Russland über die EU bis hin zu den USA.

Die Variante der Gewaltanwendung lassen wir in diesem Artikel außer Acht, denn dies erfordert eine gesonderte Betrachtung. Ob beide Seiten jetzt zum Dialog bereit sind, wird hier ebenfalls nicht analysiert, denn die Situation in Belarus ändert sich schnell und es lässt sich nur schwer vorhersagen, wozu beide Seiten in einem Monat, in zwei Monaten oder in einem halben Jahr bereit sein werden. Das Hauptaugenmerk hier gilt nur einer Frage – In welchem Format ist ein nationaler Dialog überhaupt möglich und welche Einschränkungen gibt es in diesem Zusammenhang.

Was die EU und Russland angeht, so ist durchaus nachvollziehbar, warum sie einen »inklusiven Dialog« anregen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass einseitige Entscheidungen von Lukaschenko nicht dazu führen werden, dass die Krise bewältigt wird, sondern eher dazu, dass sich politische Probleme weiter anhäufen und die politische Instabilität andauert. Das verstehen offensichtlich auch viele, die der politischen Elite angehören, aber gegenwärtig bekommen sie nicht die Oberhand. Es ist so, dass im Machtapparat praktisch diejenigen absolut dominieren, die eine »harte Linie« fahren (hauptsächlich die Sicherheitskräfte) und die jegliche Form eines politischen Kompromisses ablehnen.

1. Beratungen mit den »Seinigen« vs. Inklusion von alternativen Kräften

Gegenwärtig bietet der Staat einen Dialog ausschließlich in einem Beratungsformat an, worin nur die eigene »Seite« involviert ist, das heißt, Vertreter der Exekutive, staatlicher Betriebe, regimetreue Parteien und gesellschaftliche Vereinigungen, ohne dass alternative politische Kräfte wie Tichanowskaja, Babariko und traditionelle politische Parteien hierzu eingeladen werden.

Die Lösung der politischen Krise sehen der belarusische Staat und Russland darin, dass politische Reformen umgesetzt und die Verfassung geändert werden. Politisch gesehen wird dies nichts bringen, wenn man in einem Referendum über eine Verfassung abstimmen lässt, die ausschließlich die eigenen Interessen des Staates widerspiegelt. Eine absolute Mehrheit der Bevölkerung wird diese Änderungen nicht akzeptieren. Darüber hinaus werden sie von alternativen politischen Kräften ganz sicher nicht anerkannt und somit auch nicht von der EU und den USA.

Das betrifft auch jeglichen Wahlkampf. Unabhängig davon, ob es ein Referendum zur Verfassungsabstimmung oder neue Wahlen sind, kann die Gesellschaft den Ergebnissen nur dann vertrauen, wenn es Garantien dafür gibt, dass alles transparent abläuft und alternative politische Kräfte in den Prozess involviert sind. Andernfalls besteht das Risiko, dass es erneut zu einer Situation wie bei den Wahlen im Jahr 2020 mit allen daraus resultierenden Konsequenzen kommt.

Auf jeden Fall ist für die Lösung der politischen Krise durch Kompromiss erforderlich, dass wenigstens die wichtigsten alternativen Kräfte in den Prozess einbezogen werden. Das bedeutet, dass mit ihnen Konsultationen geführt werden müssen, auf die dann die Verabschiedung formeller oder nichtformeller Vereinbarungen folgt. Das Resultat müßte die Einigung darüber sein, nach welchen Regeln die Verfassungsreform und/oder neue Wahlen durchgeführt werden (Fristen, Garantien für transparente Abläufe usw.).

2. Zeitverzögerung

Neben dem direkten Dialog ist nur noch eine nicht auf Gewalt setzende Strategie möglich, die für den Staat in der gegenwärtigen Situation grundlegend ist, nämlich, die Situation so weit in die Länge zu ziehen, bis die Lage sich »von alleine« stabilisiert. Es wird darauf gehofft, dass die Protestbewegung ermüdet, die wirtschaftliche Konjunktur sich erholt oder dass ein unvorhersehbares Ereignis eintritt – ähnlich wie zum Beispiel die Krise in der Ukraine im Jahr 2014, die die politische Situation in der Region komplett verändert hat. Eine solche Entwicklung wird allerdings für alternative politische Kräfte, die Gesellschaft an sich, die EU und die USA und sogar für den Kreml kaum hinnehmbar sein, was man den Erklärungen des russischen Außenministeriums von August bis Oktober entnehmen kann.

3. Vermittlung von außen

Im Idealfall soll bei der Bewältigung eines inneren Konflikts in einem Land keine Beteiligung von außen vorhanden sein. Es gibt eine Reihe von wesentlichen Gründen, die eine friedliche Lösung des politischen Konflikts in Belarus gegenwärtig praktisch unmöglich machen. Die entscheidende Hürde für die Bewältigung des Konflikts mittels eines internen Dialogs ist das fehlende Vertrauen der Seiten zueinander und der fehlende Mechanismus, der die Einhaltung von erzielten Vereinbarungen garantieren könnte.

Vor allem nach den Ereignissen der letzten Monate ist das Maß des politischen Vertrauens in Belarus minimal und Mechanismen, die die Einhaltung von Vereinbarungen garantieren, fehlen ganz einfach. Alternative politische Kräfte haben keinerlei vernünftige Gründe, Lukaschenko zu vertrauen, vor allem nicht, wenn man die zahlreichen Beispiele dafür bedenkt, wie er während seiner politischen Karriere Vereinbarungen konterkariert hat. Lukaschenko seinerseits hat keine Gründe, oppositionellen Kräften zu vertrauen, weil sie in seinen Augen einfach kein gleichberechtigtes politisches Subjekt sind.

Darüber hinaus ist es so, dass Lukaschenko auch auf der internationalen Bühne eher ein zweifelhaftes Ansehen hat, wenn es darum geht, formale und informelle Vereinbarungen einzuhalten. Dies betrifft sowohl die Zusammenarbeit mit der EU und den USA als auch mit Russland. Als Beispiel hierfür kann die Krise im Jahr 2010 angeführt werden, als der amtierende Präsident trotz des gegenteiligen Versprechens die Protestbewegung nach den Präsidentschaftswahlen, die im Dezember abgehalten wurden, brutal niedergeschlagen hat, sowie die Wahlen im Jahr 2020. Was die Beziehungen zu Russland angeht, so hat hier das offizielle Minsk regelmäßig unterschiedliche undurchsichtige Handelsschemata eingesetzt und sich seinen Verpflichtungen im Gegenzug für vergünstigte Preise für russische Energieträger entzogen usw.

Neben dem fehlenden inneren politischen Vertrauen gibt es in Belarus auch keine Institutionen, die in der Lage wären, zu garantieren, dass erzielte Vereinbarungen eingehalten werden, das heißt, Institutionen, die ein hohes Ansehen genießen und über innere Autonomie und Unabhängigkeit dem Staat und der Opposition gegenüber verfügen. Gerichte, Kirche, Berufsverbände und sonstige gesellschaftliche Institutionen können solche Funktionen nicht erfüllen, da sie in Belarus nicht den entsprechenden Status haben, denn sie stehen in kompletter Abhängigkeit vom Staat.

Somit bleibt gegenwärtig nur die Vermittlung von außen als ein Hauptszenario für einen ergebnisreichen Dialog und eine friedliche Lösung der belarusischen Krise. Wenn man die Struktur der belarusischen Politik und des Staates bedenkt, kann nur die Beteiligung der Kräfte von außen die Vertrauenskrise abmildern. Wenn man hierzu noch in Betracht zieht, wie tief die politische Krise ist und dass eine der Seiten jederzeit erzielte Vereinbarungen unilateral auflösen kann, gewinnt die Frage nach den Garantien für die Einhaltung von Vereinbarungen eine Schlüsselbedeutung. Aus diesem Grund ist die Auswahl von potentiellen Vermittlern erheblich eingeschränkt.

In dieser Situation ist die Möglichkeit praktisch völlig ausgeschlossen, internationale Organisationen wie die OSZE als Vermittler einzubeziehen. Die OSZE hat eine ziemlich nachgiebige Struktur und ihre Mechanismen für die Durchsetzung von Entscheidungen fußen auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit. Es ist denkbar, dass die Rolle der OSZE darauf beschränkt sein kann, den nationalen Dialog zu erleichtern, aber nicht darin, zu garantieren, dass Verpflichtungen zur Krisenbewältigung erfüllt werden.

Zu wirklichen Vermittlern können nur nationale Staaten werden, die die Möglichkeit haben, die Situation zu beeinflussen. Aber auch hier gibt es nur wenige Varianten. Die für Belarus günstigste Variante besteht im Dreieck Russland-Deutschland-Frankreich und dies aus folgenden Gründen.

Der Einfluss Russlands in Belarus ist unbestreitbar: Mehr als 40 Prozent der belarusischen Exporte und mehr als 50 Prozent der belarusischen Importe entfallen auf Russland. Russland ist der wichtigste Kreditgeber sowie der wichtigste Lieferant von Rüstungsgütern, es hat tiefe Verbindungen zur politischen Elite, unter anderem zu den Sicherheitskräften. Russische Medien haben einen bedeutenden kulturellen und informationellen Einfluss in Belarus.

Neben Russland können es nur die EU-Länder sein. Die Einbeziehung der USA ist wenig wahrscheinlich wegen der Spannungen mit Russland sowie eines beschränkten Einflusses in Belarus. Wenn man bedenkt, welche Aufmerksamkeit der belarusischen Krise zuteil wurde und wie sich in den letzten zwei Monaten die Erfahrung mit Konsultationen gestaltete, können Frankreich und Deutschland die wahrscheinlichsten Kandidaten sein. Darüber hinaus haben diese Länder mit Russland bei der Ukraine-Krise zusammengearbeitet und sie verfügen über das politische sowie wirtschaftliche Potential. Alle anderen möglichen Länder, die auf der EU-Ebene in den letzten Monaten für eine solche Rolle in Betracht gezogen wurden, haben ein wesentlich geringer ausgeprägtes Interesse an Belarus (Italien), verfügen über kleineres wirtschaftliches und politisches Potential (Schweden), haben ein angespanntes, durch Misstrauen geprägtes Verhältnis zu Russland (Großbritannien) oder befinden sich in einem verschärften Konflikt mit dem offiziellen Minsk (Polen, Litauen und andere baltische Länder).

Einfluss der politischen Krise auf die belarusischen Eliten

Was die Schlüsselpositionen angeht, so sind sie in Belarus gegenwärtig durch jene Funktionäre besetzt, die aufgrund ihrer politischen Loyalität ausgesucht wurden. Dabei ist die Dominanz von Sicherheitsstrukturen, vertreten durch Innenministerium und KGB, auffallend. Ungeachtet dessen führt die derzeitige politische Krise zu wesentlichen Problemen in der Machthierarchie, die den Übergang zu einem Dialog mit alternativen politischen Kräften fördern könnten. Der wichtigste Faktor dabei ist die Zeit, da die Krise für die regierende Klasse unvermittelt eine anhaltende wird. Es liegt klar auf der Hand, dass es nicht gelingt, die Krise schnell zu bewältigen, und dass in vieler Hinsicht die Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Situation nur nach dem Rücktritt von Alexander Lukaschenko möglich ist.

1. Wirtschaftsinteressen

Ungeachtet dessen, dass der Machtapparat nach außen hin loyal bleibt, schadet die derzeitige politische Krise vielen seiner Wirtschaftsinteressen erheblich. Unternehmen, die in Verbindung mit Beamten stehen, erleiden enorme Verluste als Folge des eingetrübten Geschäftsklimas und der der Lage von Recht und Ordnung. Der wesentliche Punkt ist, dass die oberste politische Führung während des gesamten Jahres 2020 es nicht geschafft hat, einen nachvollziehbaren Plan vorzulegen, wie man aus der Wirtschaftskrise herauskommt. Wenn man von der Rhetorik Lukaschenkos und der ihm nahestehenden Personen ausgeht, wird der wesentliche Akzent auf die Modernisierung von Industriebetrieben und auf manuelle Steuerung der Wirtschaft gesetzt (Steuerung durch eine direkte Kontrolle über die Tätigkeit der Betriebe). Die Privatwirtschaft in ihren unterschiedlichen Formen wird hingegen als Ursprung politischer Probleme angesehen, von daher werden in diesem Zusammenhang keine konsequenten Entwicklungs- und Förderprogramme angestrebt.

Momentan können wir nicht genau wissen, wie hoch die finanziellen Verluste für die Vertreter der regierenden Elite sind, aber sie werden erheblich sein, solange die Krise andauert.

2. Entgleitende Stabilität

Neben den wirtschaftlichen Problemen steht die regierende Elite wegen des Verlustes der Stabilität unter Druck. Früher war stabile und beständige Herrschaft einer der Vorteile des autoritären Regierens. Jetzt ist es so, dass die Situation umgekehrt ist. Der bedeutende Teil der Gesellschaft hält gerade das rigorose autoritäre System nicht mehr für hinnehmbar und ist bereit, sich dem zu widersetzen. Somit ist Lukaschenkos Machterhalt eher eine Quelle politischer Instabilität als der Beständigkeit.

3. Stärkung der Sicherheitskräfte

Der dritte und erhebliche Faktor, der zu einer steigenden Spannung innerhalb der politischen Elite führt, ist das gestörte Gleichgewicht der Einflussnahme durch unterschiedliche Gruppen. Bis 2020 existierte eine Balance der Einflussnahme zwischen den Sicherheitskräften, dem Industriebereich, dem Kredit- und Finanzsektor und anderen Bereichen. Gegenwärtig ist eine kritische Verschiebung der politischen Einflussnahme zugunsten der Sicherheitskräfte zu sehen.

Die verstärkte Einflussnahme der Sicherheitsstrukturen bei der obersten politischen Führung ist seit 2018 bemerkbar. Besonders deutlich wird sie aber seit Juli 2020, als Lukaschenko Premierminister Sergej Rumas (er kommt aus dem Bankensektor) entließ und Roman Golowtschenko zum neuen Regierungschef ernannte, der bis dato beim Militärisch-industriellen Komplex tätig war. Die Komplikationen des Präsidentenwahlkampfes sowie die Herausbildung der Protestbewegung nach den Wahlen vom 9. August führten dazu, dass die Sicherheitskräfte zu der politischen Gruppe geworden sind, die die Oberhand gewonnen hat und die in bedeutendem Maße allen anderen überlegen ist. Je länger die Krise andauert, desto mehr werden Vertreter der Sicherheitskräfte die Kontrolle über die Exekutive auf nationaler und regionaler Ebene sowie über die Verteilung von staatlichen Geldern bekommen. Darüber hinaus steigen ihre Möglichkeiten, eigene Wirtschaftsinteressen zu fördern.

Die Stärkung der Sicherheitskräfte war anfangs als provisorische und außerordentliche Maßnahme gedacht. Die andauernde Krise führt allerdings dazu, dass ihre Position in unterschiedlichen Bereichen gefestigt wird und dadurch auf alle anderen Gruppen und deren Interessen Druck ausgeübt wird. Diese Gruppen büßen ihre politische Einflussnahme und die wirtschaftliche Basis ein, was sich besonders jetzt bemerkbar macht, wo sich die finanziellen Möglichkeiten des belarusischen Staates verschlechtern.

Wenn die derzeitigen Tendenzen andauern, wird die Unzufriedenheit der politischen Eliten zunehmen und eine bedeutende Nachfrage nach Dialog mit der Opposition hervorrufen, um die Krise zu bewältigen. Sollte die Stimmung innerhalb der regierenden Klasse umschlagen, wird der Druck auf Lukaschenko, Macht abzutreten, stärker. Man sollte auch eine Spaltung der Eliten nicht ausschließen oder die Möglichkeit, dass sie Entscheidungen der obersten politischen Führung sabotieren.

Das alles kann günstige Bedingungen für Verhandlungen zwischen dem Staat (mit oder ohne Lukaschenko) und Vertretern alternativer politischer Kräfte (allen voran Tichanowskaja und Babariko) entstehen lassen. Obgleich dies nur eines der möglichen Entwicklungsszenarien ist.

Resümee

Somit bleiben die Aussichten für einen inklusiven nationalen Dialog zur Krisenbewältigung in Belarus unklar. Es ist vorstellbar, dass das Ganze nur durch die Vermittlung von außen möglich ist, da die Konfliktparteien einander nicht vertrauen und die entsprechenden Mechanismen fehlen, die die Einhaltung von erzielten Vereinbarungen garantieren. Das wahrscheinlichste und umsetzbare Format wäre das Format einer Vermittlungsgruppe – Russland sowie Schlüsselländer der EU (Frankreich und Deutschland).

Gegenwärtig ist es so, dass der Staat alternative politische Kräfte komplett ignoriert und den nationalen »Dialog« nur im Format von Konsultationen mit den eigenen Funktionären sieht. Man beobachtet keinerlei Anzeichen dafür, dass der Staat bereit wäre, einen Kompromiss mit der Opposition zu schließen. Zugleich ist die Lage des Staates nach wie vor äußert kompliziert: Die wirtschaftliche Situation verschlechtert sich, das Land erlebt eine tiefe außenpolitische Krise, die sich besonders gegenüber dem Westen zuspitzt, Protestbewegungen reißen nicht ab und nehmen immer neue Formen an.

Zur gleichen Zeit macht sich bemerkbar, dass innerhalb der politischen Elite die Spannungen wachsten. Die derzeitige Krise fügt den Wirtschaftsinteressen vieler Staatsbediensteter einen erheblichen Schaden zu, der Staat ist nicht in der Lage, politische Stabilität sicherzustellen und die Einflussnahme der Sicherheitskräfte hat in der letzten Zeit sichtlich zugenommen, indem sie das vorherige Gleichgewicht zwischen unterschiedlichen Branchen- und regionalen Gruppen wesentlich beschädigt hat. Das alles schwächt den Staat erheblich und kann ihn dazu bringen, in naher Zukunft in einen Dialog mit seinen Opponenten einzutreten, obgleich die Aussichten für eine nationale Aussöhnung ungewiss bleiben.

Übersetzung aus dem Russischen: Viktoria Kirsten

Lesetipps / Bibliographie

Zum Weiterlesen

Analyse

Machtgruppen in der belarussischen Politik

Von Alla Leukavets
Der Beitrag gibt einen Überblick über zentrale Einflussgruppen in der belarussischen Politik. Dabei wird für den Zeitraum seit Mitte der 1990er Jahren auch der Auf- und Abstieg einzelner Gruppen erfasst. Abschließend werden mit der Elitenrotation und Korruptionsprozessen zwei zentrale Instrumente der informellen Machtsicherung durch Präsident Aljaksandr Lukaschenka beschrieben.
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