Konsum, Konservatismus und Staats-Kapitalismus – die PiS beschließt die sozio-ökonomische "Polnische Ordnung"

Von Michael Martin Richter (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen)

Zusammenfassung
Die »Polnische Ordnung« (Polski Ład), das neue Programm von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) zum Umbau von Staat und Wirtschaft, wird von der Regierung als bahnbrechende Konzeption betrachtet. Kritiker sehen in ihm dagegen in erster Linie eine Mogelpackung, die der Wählerschaft der PiS dient und den Einfluss des Staates ausweiten soll. Dabei stellt das neue Programm einen klaren Bruch mit der vormals teilweise wirtschaftsliberalen Einstellung sowohl der Programmatik der PiS als auch des Regierungspersonals dar. Auch wurden die in einem früheren Wirtschaftsprogramm festgesetzten, auf Zukunftstechnologien orientierten Elemente durch kurzfristige, konsumstützende Maßnahmen ersetzt. Politische Instrumentalisierung und Zentralisierung von mehr und mehr Bereichen schreiten voran. Die Erfolgsaussichten dieser Strategie sind jedoch fraglich.

Für die einen ist es Polens wegweisende Strategie, um in puncto Wohlstand noch schneller zu Westeuropa aufzuschließen. Für die anderen ist es eine gefährliche Mogelpackung. Die Ersteren nennen es Polski Ład (Polnische Ordnung), Letztere Polski Wał ( polnischer Depp). Dabei handelt es sich bei der »Polnischen Ordnung«, wie es von Regierungsseite offiziell genannt wird, um ein kontroverses sozio-ökonomisches Maßnahmenpaket, das nicht nur Regierung und Opposition entzweit. Es führte sogar zu Verwerfungen innerhalb des Regierungslagers und im August 2021 zum Rauswurf des Wirtschaftsministers Jarosław Gowin, der dem wirtschaftsliberalen Flügel zuzuordnen war. Dabei offenbart eine genauere Analyse und kontextuelle Einordnung, dass der Inhalt und die Art und Weise der Verabschiedung des Programms weitreichende Konsequenzen haben können. Sie zeigt auch, dass von den vormals in Teilen wirtschaftsliberalen Postulaten der PiS nur noch eine Hülle geblieben ist und die Partei dem Land eine strikt interventionistische und zentristische Ordnung der Wirtschaft und Gesellschaft überstülpen möchte. Diese Ordnung dient dabei eindeutig den politischen Interessen der PiS.

Kerninhalte der »Polnischen Ordnung«

Um dies zu konkretisieren, müssen zunächst die eigentlichen Inhalte der »Polnischen Ordnung« herausgestellt werden. Insgesamt handelt es sich um ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die in Regierungspräsentationen mit Superlativen geradezu überschüttet werden. Dabei werden wirtschaftliche, steuerliche und gesellschaftliche Maßnahmen miteinander verknüpft, um weitreichende Veränderungen auf vielen zentralen Ebenen zu vollziehen. Die am kontroversesten diskutierte Neuerung ist zweifelsohne die Steuerreform. Auf den ersten Blick wirkt sie wie aus dem Wahlprogramm einer wirtschaftsliberalen Partei entsprungen: Vorgesehen ist die deutliche Erhöhung des Steuerfreibetrags auf 30.000 Zloty (ungefähr 7.000 Euro) jährlich. Dadurch würde Polen praktisch auf einen Schlag von der Gruppe der europäischen Länder mit den niedrigsten jährlichen Freibeträgen zu der mit den höchsten aufschließen. Parallel dazu sollen die Berechnungsgrenzen für die verschiedenen Steuerklassen deutlich angehoben werden: von zuvor 89.000 Zloty jährlich auf 120.000 Zloty, ab denen der Einkommensteuersatz von 32 Prozent greift. Unter dieser Marke werden Einkommen mit 17 Prozent belastet. Hinzu kommen eine Reihe von Steuererleichterungen für Unternehmen, insbesondere zur Förderung von Innovationen, und das Stopfen von Steuerschlupflöchern.

Diese Maßnahmen allein würde vermutlich jeder liberal gesinnte Politiker blind unterschreiben. Jedoch sieht das Paket einen deutlich weiter gehenden Umbau des Steuersystems vor, der eher das Gegenteil von liberal anmutet: Zusätzlich zu diesen Maßnahmen soll der Beitrag für die Krankenversicherung nicht mehr von der Einkommensteuer abziehbar sein. Vorher konnten 7,5 Prozentpunkte des Beitrags in Höhe von neun Prozent vom Bruttolohn abgesetzt werden. Offiziell soll dadurch ein solidarischer Beitrag aller Polen für das Gesundheitssystem gewährleistet werden, zumal die »Polnische Ordnung« gleichzeitig die Anhebung der Ausgaben für das Gesundheitssystem auf sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) bis 2027 anstrebt. Heute gibt das Land knapp 5,2 Prozent des BIP für das Gesundheitswesen aus, was deutlich unter dem EU-Durchschnitt von sieben Prozent liegt. Die Streichung der Absetzbarkeit von der Einkommensteuer ist jedoch nicht damit zu verwechseln, dass dann automatisch mehr Geld in den staatlichen Gesundheitsfonds (Narodowy Fundusz ZdrowiaNFZ) fließt. Faktisch bleibt der neunprozentige Beitragssatz bei »Normalbeschäftigten« unangetastet. Somit handelt es sich bei dieser Maßnahme letzten Endes um eine Möglichkeit zur Erhöhung der Steuerprogression, denn der negative Effekt der fehlenden Absetzbarkeit nimmt mit steigendem Einkommen progressiv zu. Dadurch nivelliert sich der positive Effekt der zuvor genannten liberalen Maßnahmen und ab einem Einkommen von ca. 13.000 Zloty monatlich werden Arbeitnehmer effektiv stärker als zuvor besteuert.

Zusätzlich zu den steuerlichen Maßnahmen zur Finanzierung des Gesundheitssystems nimmt die »Polnische Ordnung« die Förderung junger Familien in den Fokus. Im Stile des vor Jahren eingeführten monatlichen Kindergeldes in Höhe von 500 Zloty (»500+«) ist die Einführung eines Mutterschaftskapitals von 12.000 Zloty zwischen dem zwölften und 36. Lebensmonat eines Kindes vorgesehen. Da es sich dabei runtergerechnet um zusätzliche 500 Zloty pro Monat handelt, wurde dies bereits als »neues 500+« betitelt. Familien mit vier oder mehr Kindern sollen außerdem komplett von der Einkommensteuer ausgenommen sein. Parallel dazu wird die Baugenehmigung für Häuser mit einer Gesamtwohnfläche von maximal 70 Quadratmetern gänzlich abgeschafft. Ergänzt wird das Ganze durch staatliche Kreditgarantien für Immobilienkredite. So soll der Traum von den eigenen vier Wänden, insbesondere für jüngere, finanzschwächere Familien, Realität werden.

Komplettiert wird die »Polnische Ordnung« durch die Ankündigung eines massiven Investitionsprogramms, das knapp 500.000 neue Arbeitsplätze schaffen soll. Es stützt sich jedoch in nennenswertem Umfang auf EU-Fördergelder, deren Verfügbarkeit wiederum vom Ausgang des Streites mit der EU um die Justizreformen abhängt (vgl. Polen-Analysen 283, https://www.laender-analysen.de/polen-analysen/283/). Jene Ankündigungen sind allerdings sehr vage und es erschließt sich nicht, wie und wo konkret diese 500.000 Arbeitsplätze entstehen sollen. Dies ist insofern wichtig, als in Polen eher der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und innovativen Unternehmen ein zentrales Problem ist.

Für jeden etwas, alle glücklich?

Auf den ersten Blick wirken die Einzelreformen der »Polnischen Ordnung« wie ein sozio-ökonomisches Programm, das einen stellenweise liberal-konservativen sowie wohlfahrtsstaatlichen Kern besitzt. Dadurch wird versucht, praktisch alle nennenswerten Zielgruppen zu befriedigen und jedem etwas zu bieten. Dies steht im Einklang mit dem Vorgehen der PiS-Regierung in den letzten sechs Jahren, in denen erhöhte Sozialleistungen mit vermeintlich liberalen Maßnahmen gepaart waren. Beispielsweise wurden selektiv Unternehmenssteuern gesenkt, die Einkommensteuer für Personen unter 26 Jahren bis zu einer gewissen Grenze abgeschafft sowie der niedrigste Einkommensteuersatz leicht von 18 auf 17 Prozent gesenkt. Die Sozialmaßnahmen wurden dabei in erster Linie durch das Stopfen von Steuerschlupflöchern ermöglicht. Bekannt ist in diesem Zusammenhang die Zerschlagung der sogenannten »Mehrwertsteuer-Mafia«, womit illegale Methoden zur Einkommenserzielung durch Manipulationen mit der Umsatzsteuer gemeint sind. Auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch eine deutliche Divergenz zwischen denen, die von der »Polnischen Ordnung« profitieren, und jenen, die tatsächlich eher »zum Deppen gemacht« werden. Dabei kann auch ein Einblick in die Gedankenwelt der polnischen Regierungsparteien gewonnen werden.

So profitieren im Einklang mit der Regierungslinie der letzten Jahre in deutlichem Maße Rentner von den Maßnahmen. Insbesondere die Anhebung des Steuerfreibetrags führt dazu, dass die allermeisten von ihnen keine Einkommensteuer zahlen werden. Dies ändert sich auch nicht durch die parallel dazu eingeführte Abschaffung der Absetzungsmöglichkeiten des Krankenversicherungsbeitrags. Jedoch werden hoch dotierte Rentner (ab 5.000 Zloty Monatsrente) zunehmend mehr bezahlen müssen. Dies erinnert in gewisser Hinsicht an die früheren Maßnahmen der PiS in puncto Rentensystem. Beispielsweise führte sie eine 13. Monatsrente und später sogar eine 14. ein, wobei letztere jedoch den ärmeren Rentner vorbehalten ist. Parallel dazu veranlasste sie deutliche Rentenkürzungen für ehemalige Mitarbeiter der Geheimdienste der Volksrepublik Polen. Auf diese Weise sollte, so der Tenor der PiS, größere historische Gerechtigkeit hergestellt werden.

Gerechtigkeit ist ein Schlagwort, das häufig im Kontext der steuerlichen Maßnahmen fällt. Dies ist auch im Zusammenhang mit den Auswirkungen für Arbeitnehmer der Fall. Hier werden in erster Linie Geringverdiener entlastet, während Besserverdienende stärker zur Kasse gebeten werden. Ein spezieller Algorithmus soll bewerkstelligen, dass Arbeiternehmer mit einem Gehalt bis zu 13.000 Zloty monatlich nicht schlechter dastehen als heute. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die irregulären Arbeitsverhältnissen nachgehen. Ein Werkvertrag wird von diesem Algorithmus nicht erfasst und gleichzeitig fallen hier nun auch die obligatorischen Krankenversicherungsbeiträge an. Dadurch werden Werkverträge deutlich weniger attraktiv und Arbeitnehmer in reguläre Arbeitsverhältnisse gedrängt. Von den irregulären Arbeitsverhältnissen machen jedoch insbesondere Studenten und andere junge Menschen aufgrund der Flexibilität und niedrigen Abgaben gern Gebrauch.

Dies soll in Zukunft nicht mehr der Fall sein. Jedoch möchte die PiS, dass junge Menschen auf anderen Wegen profitieren, und zwar durch die zuvor genannten finanziellen Unterstützungen für junge Familien und Erleichterungen für das Errichten bzw. Kaufen von Wohneigentum. So lässt sich eine klare Linie der »Polnischen Ordnung« erkennen: Erstens werden deutliche Sozialmaßnahmen für die Kernwählerschaft, insbesondere Rentner und Geringverdiener, versprochen. Diese passen zum generellen Vorgehen der letzten Jahre der PiS-Regierung, die die Renten durch Zusatzleistungen deutlich aufgestockt und den Mindestlohn konsequent von 1.750 Zloty im Jahre 2015 auf 2.800 Zloty im Jahr 2021 angehoben hat. Gleichzeitig führte die Senkung des Renteneintrittsalters dazu, dass diese Bevölkerungsgruppe noch schneller wächst. Dabei stilisiert sich die PiS als Partei derjenigen, die von der Transformation nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems hart getroffenen wurden, und als politische Schutzmacht dieser Schichten. Das parallel dazu in den regierungsnahen Medien befeuerte Narrativ, dass die Opposition all diese Wohltaten zurückdrehen werde, mobilisiert die Kernwählerschaft der PiS. Wichtig ist dies insbesondere mit Blick auf die für 2023 regulär anberaumten Parlamentswahlen und vor dem Hintergrund der aktuellen Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze, die die Beliebtheitswerte der Regierung zurzeit sinken lässt.

Zweitens stilisiert sich die Partei als Beschützerin der traditionellen Familie. Auch dieser Aspekt ist stark in der »Polnischen Ordnung« vertreten und passt in das generelle Narrativ des Regierungslagers. Vor kurzem stellte die PiS ihre »Demographische Strategie 2040« vor. Sie verfolgt das Ziel, die Geburtenrate in Polen konsequent zu erhöhen und langfristig die anvisierte Kennziffer 2,1 zu erreichen. Kernpfeiler der »Demographischen Strategie« sind ebenfalls in der »Polnischen Ordnung« enthalten, insbesondere die Maßnahmen zur »Verfügbarkeit von Häusern und Wohnungen«. Sichtbar wird hier die doppelte Verwendung einer einzigen Reform, die in zwei Programmen auftaucht und somit bei Erfolg auch für beide reklamiert werden kann. Gleichzeitig wird deutlich, dass all diese Maßnahmen in erster Linie traditionellen Familien zugutekommen. Beispielsweise werden die Eigenkapitalgarantie des Staates für Wohnungsdarlehen junger Menschen nur an Ehepaare vergeben und für jedes geborene Kind übernimmt der Staat einen Teil des Kredites, was ab dem dritten Kind knapp 60.000 Zloty ausmacht.

Auch diese Maßnahmen stehen klar im Einklang mit der bisherigen Politik der PiS und zielen auf die Mobilisierung und Zufriedenstellung ihrer Kernwählerschaft ab. Das heißt, sowohl ältere und sozial schwächere als auch konservative Wähler jeglichen Alters sollen ihr Stück vom Kuchen abbekommen. Gleichzeitig erhöht sich jedoch die Abhängigkeit dieser Gruppen von der Regierung, da der Staat sowohl der Garant für die großzügigen Sozialmaßnahmen für die Rentner als auch der Kreditgeber für junge, traditionelle Familien ist. Dass dadurch die Angst vor einem Regierungswechsel innerhalb dieser Wählergruppen verstärkt werden kann, ist eine wohl nicht zufällig gewählte Strategie. Sie passt in den generellen Rahmen der PiS-Politik, bei der der Staat als zentraler Akteur in Wirtschaft und Gesellschaft immer mehr an Einfluss gewinnt und Polen somit zunehmend in Richtung eines Staatskapitalismus geht.

Zentralisierung und Staatskapitalismus auf Polnisch

Der zunehmende Einfluss des Staates, der im Programm der »Polnischen Ordnung« vorangetrieben wird, könnte auch die Beziehungen zwischen Territorial- und Zentralregierung verändern, denn eine Haupteinnahmequelle der lokalen Selbstverwaltungseinheiten waren die Zuflüsse aus der Einkommensteuer. Diese Einnahmen werden jedoch nun durch die Anhebung des Freibetrages und der Steuergrenzen nennenswert geschmälert. Zwar versprach die Zentralregierung in Warschau Kompensationszahlungen, deren Mechanismen sich auch in den neuen Gesetzestexten wiederfinden, doch reicht dies nach Meinung von Oppositionspolitikern und Experten nicht aus, um die finanziellen Einbußen vollends auszugleichen.

Es gibt dabei zwei Mechanismen, einen sogenannten stabilisierenden und einen verstärkenden in Hinblick auf die Finanzsituationen der lokalen Selbstverwaltungseinheiten. Ersterer sieht bereits für das Jahr 2021 acht Milliarden Zloty Zuschüsse vor, sogar noch bevor die Neuregelung der Einkommensteuer in Kraft tritt. Hier ist ein Detail besonders interessant: Der Bezugspunkt für die Zuteilung von Geldern ist der aktuelle Wohlstand einer lokalen Verwaltungseinheit. Die reicheren Städte werden daher tendenziell weniger und die ärmeren Kleinstädte und Dörfer mehr erhalten. Die einen würden sagen, dass diese Umverteilung zu mehr Gerechtigkeit führt, die anderen aber, dass die PiS dadurch ihre traditionell ärmeren Wählerhochburgen prämiert und die wohlhabenden und weniger wohlgesinnten Großstädte abstraft. Dies ist umso mehr von Bedeutung, als die PiS in keiner Stadt über 100.000 Einwohner den Bürgermeister stellt. Somit kann auch dieser Aspekt als Maßnahme zur Stabilisierung der eigenen Wählerschichten gesehen werden. Der zweite, der verstärkende Mechanismus sieht Finanzierungszuschüsse für lokale Selbstverwaltungseinheiten aus dem Fonds für Infrastrukturmaßnahmen der »Polnischen Ordnung« vor. Hier sollen Zuschüsse von der Bank für Landeswirtschaft (Bank Gospodarstwa Krajowego), dem polnischen Pendant zur Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), gewährt werden. Ein großes Augenmerk wird jedoch auch hier auf die Entwicklung der ländlichen und somit tendenziell PiS-treuen Gebiete gelegt.

Insgesamt kann dies dazu dienen, eine größere Abhängigkeit der kommunalen Selbstverwaltung von der Zentralregierung zu schaffen, denn Investitionen, für welche die Lokalregierungen aufgrund der geringeren Einnahmen kein Geld mehr hätten, könnten durch Investitionsprogramme der Regierung kompensiert oder gar überboten werden. Außer der zunehmenden Abhängigkeit der Lokal- von der Zentralregierung würde die Möglichkeit geschaffen, unbeugsame und unliebsame lokale Bürgermeister »abzustrafen«. Dass die Großstädte dabei ohne Ausnahme von der Opposition oder parteilosen Akteuren geführt werden, verleiht diesem Aspekt besonderes Gewicht.

Eine weitere Maßnahme der »Polnischen Ordnung« sticht heraus. Vorgesehen ist eine Mindeststeuer von einem Prozent auf die Umsätze von Großunternehmen. Dies ist einer der Hauptaspekte im Kampf gegen die bereits genannten Steuerschlupflöcher. Die Einnahmen sollen direkt in den staatlichen Gesundheitsfonds fließen und rund zwei Milliarden Zloty pro Jahr ausmachen. Jedoch trifft diese Regelung nicht alle Großunternehmen. Explizit ausgenommen sind Firmen in den Branchen der Energiewirtschaft, der Luftfahrt und des Bergbaus. Diese Auswahl ist nicht zufällig zustande gekommen, sondern Resultat der Intervention des Ministers für Staatsaktiva, Jacek Sasin, denn das Gros der umsatzstarken Staatsunternehmen ist in genau diesen Sektoren tätig. Im Ergebnis wird mit knapp 400 Millionen Zloty weniger an Zuflüssen für den NFZ gerechnet, was wiederum die erwarteten knapp 1,5 Milliarden Zloty relativiert. So zeigt auch dieses Beispiel, wie staatsnahe Player von der »Polnischen Ordnung« profitieren bzw. nicht verlieren, während die für die politischen Interessen weniger relevanten Akteure schlechter wegkommen.

Mit dem Gesetz durch den Sejm um jeden Preis

Die Probleme, die zwischen dem Ministerium für Staatsaktiva und den Autoren der Gesetzestexte für die »Polnische Ordnung« aufgetaucht sind, stehen stellvertretend für das wohl größte Problem dieses Programms – fehlende Konsultationen und Ad-hoc-Änderungen. Die einprozentige Umsatzsteuer fand erst im Nachhinein ihren Weg in das Maßnahmenpaket und wurde außerdem entsprechend der Proteste aus anderen Ministerien angepasst, um Ausnahmen für staatsnahe Wirtschaftszweige einzuräumen. Ebenfalls angepasst wurde die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags für Unternehmer.

Ursprünglich sah die »Polnische Ordnung« vor, den bisher geltenden Pauschalbeitrag für die Krankenversicherung von knapp 381,81 Zloty, von dem noch ein großer Teil von der Unternehmenssteuer abgesetzt werden konnte, zu ersetzen, und zwar durch einen Beitrag in Höhe von neun Prozent des Einkommens, der ohne Absetzungsmöglichkeiten von jedem Individualunternehmer im sogenannten Flat-Tax-Modell hätte entrichtet werden müssen. Obwohl das polnische Steuersystem eine Vielzahl von verschiedenen steuerlichen Unternehmensführungsmodellen kennt, ist das populärste das besagte Flat-Tax-Modell, bei dem 19 Prozent Steuern auf den zu versteuernden Gewinn fällig werden. In der ursprünglichen Fassung der »Polnischen Ordnung« hätten also zusätzlich zu den 19 Prozent weitere neun Prozent abgeführt werden müssen, was eine massive Erhöhung der Belastungen für diese Unternehmer bedeutet hätte und lautstarke Proteste auslöste. Es wurden zwar parallel dazu die Steuern für andere, weniger populäre Steuermodelle leicht gesenkt – beispielsweise für die Pauschalbesteuerung, bei der der Umsatz versteuert wird ohne Möglichkeit, die Kosten abzuziehen. Allerdings sind diese Modelle nun einmal viel weniger verbreitet. Hinzu kommt, dass das Pauschalbesteuerungsmodell deutlich weniger Anreize für Investitionen schafft, da diese nur im Flat-Tax-Modell als Kosten veranschlagt werden können. Dieser Aspekt ist insbesondere in der aktuellen Situation, in der Polen einen Negativrekord bei Neuinvestitionen aufweist, von großer Bedeutung. Nicht zuletzt muss angemerkt werden, dass all diese Maßnahmen mit einer minimalen Vorlaufzeit durchgesetzt wurden.

Insbesondere Letzteres ist von großer Tragweite. Alle Änderungen im Steuersystem werden am 1. Januar 2022 in Kraft treten. Die Zeit für Konsultationen war minimal bzw. praktisch nicht vorhanden, da erst Mitte Mai 2021 die Grundpfeiler der »Polnischen Ordnung« vorgestellt und die Gesetzestexte für dieses Programm, die knapp 600 Seiten umfassen, in Windeseile durch das Parlament gebracht wurden. Kurz nach Verabschiedung des Maßnahmenpakets im Sejm wurden auch erste Ungereimtheiten in den neuen Gesetzen aufgedeckt. Manche merkten humorvoll – oder kritisch – an, sie seien »auf den Knien geschrieben« worden. Die geringe Qualität der Gesetzestexte gibt zu denken, insbesondere im Zusammenhang mit enthüllten E-Mails von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki aus seiner früheren Tätigkeit als Vorsitzender einer Großbank in Polen. Darin erklärte er im Jahr 2015, dass sein (damaliges) Ziel »eine tiefgreifende Reform des Steuersystems« sei und dass »ein großes Augenmerk auf das Anheben der rechtlichen Kultur gelegt werden sollte.« Dazu führte Morawiecki selbst das Beispiel der Schweiz an, wo Unternehmen zwei bis drei Jahre Zeit für die Anpassung an tiefgreifende Steueränderungen hätten. Die wenigen Wochen, die Unternehmen nun zur Vorbereitung auf die Maßnahmen der »Polnischen Ordnung« haben, und die eindeutig schlechte Rechtskultur in diesem Zusammenhang stehen in deutlichem Widerspruch zu seinen damaligen Worten.

Da sich in diesem Kontext wenig überraschend starker Widerstand seitens der Unternehmer gegen die bereits genannten Steuererhöhungen formierte, lenkte die Regierung schließlich leicht ein und senkte den Krankenversicherungsbeitrag von neun Prozent auf 4,5 Prozent, was immer noch einer Steuererhöhung für diese Gruppen gleichkommt. Die Auseinandersetzung um die Steuern führten dann, so die offizielle Begründung, zur Scheidung zwischen den liberaler gesinnten Mitgliedern der Regierung um den Wirtschaftsminister Jaroslaw Gowin und seine Partei Verständigung (Porozumienie) und dem Rest des Regierungslagers. Es hatte jedoch seit langem zwischen beiden geknirscht, so dass der Bruch abzusehen und daher für wenige verwunderlich war.

Das Regierungslager, das nun nur noch aus PiS und Solidarisches Polen (Solidarna Polska) besteht, verlor seine absolute Mehrheit und musste sich durch dubiose Deals bei formell unabhängigen Politikern seine Stimmen suchen. Den kontroversesten Partner fand die PiS dabei wohl in Paweł Kukiz, dem ehemaligen Rockstar und Anführer einer nach ihm benannten »Bewegung« (Ruch Kukiz ‘15), die noch vier Parlamentarier im Sejm hat. Vorwürfe der politischen Korruption wurden laut, und bei der Abstimmung zu einem anderen kontroversen Projekt, dem neuen Mediengesetz, wurden offensichtlich Regeln des Parlamentarismus gebrochen. All dies komplettiert das rechtliche und politische Chaos der letzten Monate in Polen, bei denen das Vorhaben »Polnische Ordnung« eine zentrale Rolle einnimmt.

Fazit: Die PiS von wirtschaftspolitisch liberalen Elementen gesäubert

Die PiS macht in ihrem Wirtschaftsprogramm eine ähnliche Kehrtwende wie ihr Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der von 2010 bis 2012 sogar zum Wirtschaftsrat von Donald Tusk, dem aktuellen Erzfeind der PiS, gehörte. Die Maßnahmen der »Polnischen Ordnung« stehen für die Abschaffung liberaler Elemente und die Zementierung eines noch stärker auf Konsum ausgelegten und zunehmend vom Staat kontrollierten Wirtschaftssystems. Besonders deutlich und vielsagend sind die Veränderungen im Vergleich zum früheren Wirtschaftsprogramm der PiS, der »Strategie für eine verantwortungsvolle Entwicklung«. Mit diesem sollten Investitionen in Zukunftstechnologien gefördert werden. Polen sollte sich zum konkurrenzfähigen Standort für den Bau von Drohnen, Elektroautos und Fähren entwickeln. Auch die privaten Investitionen sollten massiv steigen, unterstützt durch ein sicheres rechtliches Umfeld. Dafür wurde nicht zuletzt sogar eine »Verfassung für Unternehmer« eingeführt.

Von all diesen Ankündigungen ist jedoch in der Praxis fast nichts geblieben und das Programm erwies sich im Grunde als Papiertiger. Heute setzt die Regierung mit aller Macht und im Eiltempo ein höchst kontroverses Maßnahmenpaket durch. In der Regierung scheinen nun zunehmend die Vertreter des Etatismus und Interventionismus das Zepter zu übernehmen, was auf Kosten liberaler Ideen geht. So spiegelt das aktuelle Wirtschaftsprogramm die Ideen Konsum, Konservatismus und Staatskapitalismus: Staatlicher Interventionismus und Zentralismus gepaart mit konservativen, katholischen Werten und einem Narrativ, dass Polen sich von den Knien erhebt und seine Regierung den Schwachen und Armen gibt, was jedoch in erster Linie den kurzfristigen Konsum antreibt.

Der einflussreichen Unternehmerschaft tritt die PiS mit ihren eigenen Einflusskanälen auf die Füße. Dadurch polarisiert sie zunehmend und fokussiert sich mehr und mehr auf ihre Kernwählerschaft. Umfragen zur »Polnischen Ordnung« zeigen, dass das Narrativ der Regierung trotz Kontrolle der regierungsnahen Medien sowie Millionenausgaben für die Bewerbung des Programms nicht verfängt. 51 Prozent der Befragten einer im September durchgeführten, repräsentativen Umfrage meinen, dass sie durch die »Polnische Ordnung« Nachteile haben werden. Nur rund 30 Prozent sind gegenteiliger Meinung (siehe Grafik 1 auf Seite 8). Die Frage, ob die Regierung von dem Programm profitieren kann, bleibt offen. Insbesondere in einer Zeit hoher Inflation kann sich herausstellen, dass die moderaten Gewinne für Geringverdiener schnell durch Preissteigerungen nivelliert werden (siehe Tabelle 2 auf Seite 10). Zweifelsohne werden jedoch die Möglichkeiten des Staates zur Kontrolle ausgeweitet, was einen potentiell gefährlichen Pfad zur politischen Instrumentalisierung von immer mehr Bereichen öffnen kann.

Zum Weiterlesen

Analyse

Realisiert Mateusz Morawiecki den »Morawiecki-Plan«? Die Wirtschaftspolitik der PiS-Regierung nach zweieinhalb Jahren im Amt

Von Rafał Riedel
Schon im Jahr 2016 wurde von der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) die »Strategie für eine Verantwortungsvolle Entwicklung« vorgestellt. Das Hauptziel ist, die Polen vor der Falle des mittleren Einkommens, der Durchschnittlichkeit des Produkts, des fehlenden Gleichgewichts, vor der demografischen Falle und der Falle der schwachen Institutionen zu schützen. Als konkretere Ziele setzt die Strategie die Schaffung von guten Einkommensbedingungen für die Einwohner Polens bei gleichzeitigem Anstieg der sozialen, ökonomischen und territorialen Kohäsion. Der Autor kommt zu dem vorläufigen Schluss, dass die Geschwindigkeit, den Rückstand der polnischen Wirtschaft aufzuholen, ungefähr auf dem durchschnittlichen Niveau der beiden vorangegangenen Jahrzehnte bleibe. Verändert wurde allerdings die Allokation der Ressourcen: Die reichen Polen zahlen mehr Steuern, die armen weniger. (…)
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