Die politische Ökonomie der Abfallwirtschaft in Russland

Von Olga Masyutina, Ekaterina Paustyan (beide Universität Bremen)

Zusammenfassung
Die Entsorgung von Hausmüll ist eine der zahlreichen ökologischen Herausforderungen, vor denen Russland heute steht. Die landesweite Reform der Abfallwirtschaft im Jahr 2019 soll diesem Problem durch die Förderung von Recycling entgegenwirken. Diese geriet jedoch landesweit ins Stocken, was auf einige Besonderheiten der Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft in Russland zurückzuführen ist. Der Mangel an Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen und die Bedeutung persönlicher Beziehungen zwischen den Unternehmen und den föderalen bzw. regionalen Behörden behindern die Umsetzung der Reform und führen zu suboptimalen Ergebnissen bei der Bekämpfung des Abfallproblems.

Einleitung

Bei Umweltfragen wie Luftverschmutzung oder Waldsterben stehen bedeutende politische und wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel. Hierzu gehören die Interessen der Industrielobby, die sich für niedrigere Umweltsteuern einsetzt, oder die Interessen der grünen Parteien, die genau das Gegenteil erreichen wollen. Die russische Abfallwirtschaft ist hier keine Ausnahme. Viele Akteure sind involviert, und das Politikfeld ist insgesamt höchst umstritten. Auf kommunaler Ebene ist die Lage bei der Entsorgung fester Abfälle erbärmlich, denn mehr als 90 Prozent des Haushaltsmülls werden ohne Weiterverarbeitung auf schlecht betriebene Deponien gebracht. Die Kapazitäten von Deponien sind in Dutzenden Regionen fast erschöpft. Dadurch ist der Haushaltsmüll zu einem besonders akuten Problem geworden. Die föderale Regierung erkannte 2019 endlich den Ernst der Lage und brachte eine landesweite Abfallwirtschaftsreform auf den Weg. Das Ziel der Reform ist, die Nutzung von Deponien zu begrenzen und den Anteil des recycelten Abfalls durch den Einsatz moderner umweltfreundlicher Technologien zu erhöhen. Allerdings blieben sowohl der Entwurf als auch die Umsetzung der Reform bisher hinter den Erwartungen zurück, wie dies so oft in Russland der Fall ist (https://ach.gov.ru/statements/byulleten-schetnoy-palaty-9-274-2020-g). Einige Probleme, die im Zuge dieser Reform auftreten, liegen in der Natur der Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft in Russland begründet.

Russlands Abfallwirtschaft seit 2019

Das System der Abfallwirtschaft blieb nach dem Ende der Sowjetunion jahrzehntelang unreformiert. In den 2010er Jahren wurde überdeutlich, dass das System höchst ineffizient und dringend reformbedürftig war. Das Aufkommen an Haushaltsabfällen ist im Laufe der Jahre stetig gewachsen (336.000 Kubikmeter Haushaltsabfälle im Jahr 2020 im Vergleich zu 210.000 Kubikmeter im Jahr 2007), was auf den gestiegenen Verbrauch und die Urbanisierung zurückzuführen ist. Überfüllte Deponien, fehlendes Abfallrecycling und wiederkehrende Probleme bei der Abfallsammlung und -entsorgung in mehreren russischen Städten machten deutlich, dass die Abfallwirtschaft von Behörden und Entsorgungsunternehmen schlecht gemanagt wurde. Dutzende von Umweltprotesten in ganz Russland brachten die Besorgnis der russischen Bevölkerung über den Missstand in der Abfallentsorgung zum Ausdruck.

Die Reform der Abfallwirtschaft begann offiziell im Jahr 2019. Um diese auf den Weg zu bringen, mussten alle russischen Regionen einen oder mehrere regionale Entsorgungsbetriebe bestimmen, die für den gesamten Ablauf von der Sammlung bis zur Entsorgung von Hausmüll in der Region verantwortlich sind. Im Mai 2021 gab es 189 Entsorgungsunternehmen in 83 Regionen Russlands (ohne die Krim und die Stadt Sewastopol, die international als ukrainisches Staatsterritorium anerkannt sind). Die Entsorgungsbetriebe werden über ein öffentliches Ausschreibungsverfahren ausgewählt, und die siegreichen Bieter erhalten einen langfristigen Vertrag (in der Regel für 10 Jahre) im Wert von vielen Hundert Millionen Rubel. In der russischen Abfallwirtschaft geht es um viel Geld. Bis Mitte 2020 beliefen sich die Verträge, die mit regionalen Entsorgungsunternehmen unterzeichnet wurden, auf 2 Billionen Rubel (https://istories.media/reportages/2020/06/18/musornaya-reforma-v-tsifrakh-i-grafikakh/). Es ist jedoch allgemein bekannt, dass das öffentliche Beschaffungswesen in Russland aufgrund von Korruption und fehlender Transparenz mit vielen Mängeln behaftet ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass insbesondere die Zivilgesellschaft Bedenken hat hinsichtlich der Qualität und Effizienz von Unternehmen, die öffentliche Ausschreibungen gewinnen, um die regionale Abfallentsorgung zu übernehmen. Es ist offensichtlich, dass es bei den Ausschreibungen an offenem Wettbewerb mangelt: Bis November 2020 hatten nur 15 Prozent der 227 öffentlichen Ausschreibungen in 80 Regionen mehr als einen Bewerber (https://ac.gov.ru/news/page/sistema-obrasenia-s-tbo-ostaetsa-neprozracnoj-26777). Darüber hinaus hatten diejenigen Unternehmen, die die Ausschreibung gewonnen haben, in mindestens 11 Regionen keine vorherige Erfahrung in der Abfallwirtschaft (https://istories.media/investigations/2020/06/18/v-11-regionakh-rossii-musornimi-operatorami-stali-firmi-bez-opita-obrashcheniya-s-otkhodami/). Zum Beispiel erhielt der Archangelsker Entsorgungsbetrieb »Ekointegrator« im Jahr 2019 von der Regionalregierung einen Vertrag für zehn Jahre über eine Summe von 28,3 Milliarden Rubel, obwohl das Unternehmen erst neu gegründet worden war und nur vier Mitarbeitende hatte. Infolgedessen kommt es in verschiedenen russischen Regionen immer wieder zu Abfallkrisen, wenn Entsorgungsbetriebe ihren vertraglichen Verpflichtungen zur regelmäßigen Sammlung und Verarbeitung von Hausmüll nicht nachkommen.

Dieser Mangel an Wettbewerb spiegelt sich auch in den von den regionalen Entsorgungsunternehmen festgesetzten Tarifen für die Sammlung von Hausmüll wider. Diese sind meist höher, als sie es bei öffentlichen Ausschreibungen wären, die unter wettbewerblichen Bedingungen abgehalten werden. Seit Beginn der Reform der regionalen Abfallwirtschaftssysteme müssen die Bürger:innen viel mehr für die Entsorgung von Hausmüll bezahlen als noch davor. Dabei gibt es sehr große regionale Unterschiede, wie hoch die Gebühren sind, die die Bevölkerung an die regionalen Entsorgungsbetriebe entrichten muss. Je nach Region wurde im Jahr 2019 zwischen 244 und 1411 Rubel für einen Kubikmeter Hausmüll berechnet. Die höchsten Gebühren sind derzeit in Moskau, in der Oblast Leningrad sowie im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen zu verzeichnen. 2021 stiegen die Gebühren um durchschnittlich vier Prozent. Während in einer Reihe von Regionen die Tarife gesenkt wurde (etwa um 9,2 Prozent in der Oblast Magadan), mussten andere Regionen erhebliche Preissteigerungen hinnehmen. In der Oblast Nowosibirsk mussten die Bürger:innen 39,2 Prozent mehr Gebühren als im Vorjahr verrichten, in der Republik Tatarstan waren es 24,8 Prozent mehr (https://www.rbc.ru/society/03/03/2021/603cb7cb9a79475c8729c21e). Außerdem bleibt es für die Bevölkerung in den Regionen undurchsichtig, wie die Gebühren zustande kommen und warum auf einmal für die gleiche Leistung mehr als bisher verlangt wird, während es oft keine Anzeichen für eine Verbesserung der Abfallsituation gibt. Infolgedessen weigerte sich 2019 ein Viertel der Bevölkerung, die Gebühren zu bezahlen. Dies war eine der Ursachen für die prekäre finanzielle Situation einiger regionaler Entsorgungsunternehmen, da diese Gebühren die Haupteinnahmequelle der Betriebe sind (https://ach.gov.ru/statements/byulleten-schetnoy-palaty-9-274-2020-g). Daraus entsteht ein Teufelskreis: Die Haushalte weigern sich, die gestiegenen Gebühren zu entrichten, und dem regionalen Unternehmen fehlen Finanzmittel, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Dies führt bei der lokalen Bevölkerung zu erheblicher Frustration über den Zustand der Müllabfuhr in ihrer Umgebung. Diese Unzufriedenheit ist einer der Gründe, die Gebührenzahlungen schlicht zu verweigern.

Probleme bei der Finanzierung von Recycling-Infrastruktur

Das erklärte Ziel der Reform von 2019 war es, den Recyclinganteil zu erhöhen. Allerdings stellt sich die Frage, wer die dazu benötigte Infrastruktur wie zum Beispiel Abfallsortier- und Recyclinganlagen bauen und finanzieren soll. Regionale Entsorgungsbetriebe sind nicht am Recycling interessiert, da dieses keinen zusätzlichen Profit bringt. Deswegen sind die Anreize gering, in den Bau von Recyling-Einrichtungen zu investieren. Firmen, die Wertstoffe aus dem Recycling nutzen, sind üblicherweise kleine und mittelständische Unternehmen, die keine Ressourcen für Investitionen haben, während die regionalen Budgets schon strapaziert sind (https://expert.ru/expert/2020/46/musornoj-reforme-ne-hvataet-privlekatelnosti/). Auch wenn private Investitionen eine wichtige Rolle in der Abfallwirtschaft spielen, so ist es doch klar, dass es öffentliche Förderung für Investoren geben muss. Schon bei der Organisation der ersten Stufe des Recycling-Prozesses – der Müllsortierung – tun sich große Schwierigkeiten auf. Weder die regionalen Behörden noch die Abfallwirtschaftsunternehmen bemühen sich ausreichend, ein öffentliches Bewusstsein für die Vorteile der Mülltrennung und des Abfallrecyclings zu erzeugen. Eine Analyse regionaler Abfallwirtschaftskonzepte ergab, dass die Hälfte keine Maßnahmen zur Mülltrennung vorsahen (https://ach.gov.ru/statements/byulleten-schetnoy-palaty-9-274-2020-g). Viele Haushalte können den Haushaltsmüll nur mit sehr großem Aufwand trennen, da oft Mülltonnen fehlen, die eine Trennung des Abfalls erlauben. Diesbezüglich gibt es regional sehr große Unterschiede: 2019 hatten etwa 60 Prozent der Bürger:innen in Pensa Recycling-Tonnen in der Nähe ihrer Wohnungen verfügbar, während es in Chabarowsk (einer gleich großen Stadt) nur elf Prozent waren (https://greenpeace.ru/blogs/2020/03/12/rejting-greenpeace-kazhdyj-tretij-zhitel-krupnogo-goroda-rossii-imeet-dostup-k-razdelnomu-sboru/). Aus einer Meinungsumfrage des Lewada-Zentrums aus dem Jahr 2020 wird ersichtlich, aus welchen Gründen Russ:innen ihren Hausmüll nicht sortieren. Während einige keine Zeit oder keinen Platz in ihrer Wohnung haben, um den Hausmüll zu sortieren, ist der eigentliche Hauptgrund, dass viele es als sinnlos empfinden. 29 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass der Hausmüll sowieso auf einer Deponie landen und nicht dem Recycling zugeführt werden würde (https://www.levada.ru/2020/05/13/razdelnyj-sbor-othodov/).

Ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zu einer höheren Recycling-Quote ist die Müllverbrennung als vermeintliche Lösung für das Abfallproblem, die aktiv sowohl von Unternehmen als auch von der föderalen Regierung unterstützt wird. Ursprünglich sah die Reform vor, das Recycling mithilfe von Hochtechnologien voranzutreiben. Allerdings wurde schon im Dezember 2019 deutlich, dass der Müllverbrennung zentrale Bedeutung zukommen würde, als Wladimir Putin ein Gesetz unterzeichnete, das die Müllverbrennung rechtlich dem Recycling gleichstellte (https://www.kommersant.ru/doc/4349953). Eine Erklärung dafür ist, dass die föderale Regierung feststellte, dass sie ansonsten das erklärte Ziel des Nationalprojekts »Ökologie« für die Jahre 2018–2024 nicht erreichen würde, 36 Prozent des Haushaltsmülls zu recyceln. Außerdem gibt es eine mächtige Industrielobby, der auch RT-Invest angehört, ein teilweise von der Staatsholding Rostec kontrolliertes Unternehmen. RT-Invest baut derzeit fünf Müllverbrennungsanlagen in der Oblast Moskau und in der Republik Tatarstan und plant mit den staatlichen Unternehmen Rosatom und VEB.RF 25 weitere Verbrennungsanlagen in den russischen Regionen. Die Entscheidung wurde von Umweltschützer:innen und Wissenschaftler:innen heftig kritisiert, da die Müllverbrennung gegenüber dem Recycling zahlreiche Nachteile aufweist (https://www.rbc.ru/society/08/04/2021/606f18899a7947348f112b50).

Informelle Verbindungen zwischen Staat und Unternehmen in der Abfallwirtschaft

Informelle Verbindungen zwischen Staat und Unternehmen, etwa zwischen regionalen Entsorgungsbetrieben sowie der Abfallwirtschaft insgesamt und den Verwaltungen, geraten immer wieder ans Licht der Öffentlichkeit. Investigative Journalisten stellten fest, dass die Abfallwirtschaftsreform insbesondere zu solchen Geschäftsabschlüssen geführt hat, die aufgrund von persönlichen Verbindungen zu föderalen oder regionalen Eliten zustande gekommen sind. Im Mai 2021 haben wir eine Datenbank aller regionalen Abfallentsorgungsbetrieben in Russland mit den wichtigsten grundlegenden Informationen zu den Unternehmen zusammengestellt. Wir haben außerdem verschiedene Internetquellen (wie z. B. lokale Medien) nach Informationen über ihre Eigentumsform und Verbindungen zu kommunalen, regionalen oder föderalen Behörden durchsucht. Obwohl es in einer Reihe von Fällen unmöglich war, relevante Informationen zu finden, konnten wir dennoch ein umfassendes Gesamtbild der Eigentumsstrukturen und der informellen Netzwerke regionaler Abfallunternehmen erstellen. Auch wenn die Maßnahme, Entsorgungsunternehmen ins Leben zu rufen, von »oben« – also vom föderalen Zentrum in Moskau – ausging, so konnten wir dennoch selbst innerhalb einer Region verschiedene Eigentumskonstellationen ausmachen. Wie Tabelle 1 zeigt, sind einige Entsorgungsunternehmen ganz oder teilweise im öffentlichen Besitz. In den Oblasten Smolensk und Tambow gehören die regionalen Entsorgungsbetriebe zum Beispiel zu 100 Prozent der regionalen Regierung. In der Oblast Leningrad gehören 25 Prozent des Entsorgungsunternehmens dem regionalen Komitee für die Verwaltung des Staatseigentums, der Rest wird vom privaten Investor »AneksFinans« gehalten.

In rund 30 Regionen gehören die Abfallentsorgungsunternehmen Geschäftsleuten mit persönlichen Verbindungen zu kommunalen oder regionalen Verwaltungen. So sind in der Republik Komi beispielsweise die beiden ehemaligen regionalen Abgeordneten Witalij Gabujew und Jewgenij Ljadow Mitgründer des einzigen regionalen Abfallentsorgungsunternehmens »Uchtashilfond«. In der Oblast Orenburg ist Anatolij Kilanow einer der Direktoren des kommunalen Entsorgungsunternehmens »Priroda«. Zuvor war er Leiter der regionalen Strafvollzugsbehörde und dann stellvertretender Bürgermeister von Orenburg. Es wird auch vermutet, dass Anatolij Tschernjawskij eine:r der Besitzer:innen des Unternehmens ist, der Schwiegersohn des Orenburger Vizegouverneurs Oleg Dimow. Darüber hinaus haben einige der großen Unternehmen im Geschäft mit Feststoff-Abfällen gute Verbindungen zu den föderalen Eliten. So ist »Chartija«, ein regionaler Entsorger in verschiedenen russischen Regionen, einer der größten Akteure im Abfallgeschäft in Russland. Das Unternehmen gehört Igor Tschajka, einem Sohn von Jurij Tschajka, der aktuell Präsidialvertreter im Föderationskreis Nordkaukasus ist und zwischen 2006 und 2020 russischer Generalstaatsanwalt war (https://thebell.io/dengi-ne-pahnut-kto-podelil-rynok-musora-v-200-mlrd-rublej). In Moskau betreibt »Chartija« die Abfallsammlung und -entsorgung in zwei der 12 Bezirke. Die russische Hauptstadt ist ein großer Erzeuger von Haushaltsabfällen und einer der wichtigsten »Abfallmärkte« in Russland. Zwei weitere Moskauer Bezirke werden von »Ecoline« betreut, einem Unternehmen, das angeblich Arkadij Rotenberg gehört, einem russischen Oligarchen und engen Freund von Wladimir Putin (https://istories.media/investigations/2020/06/18/lyudi-iz-okruzheniya-prezidenta-rossii-podelili-mezhdu-soboi-musornii-rinok-na-2-trilliona-rublei/). Diese engen Verbindungen zwischen Abfallwirtschaft und den föderalen und regionalen Verwaltungen führen oft zu Konflikten in den Regionen, die dann Unterbrechungen in der Abfallsammlung und -verwertung nach sich ziehen, wie etwa in der Oblast Kirow in den vergangenen zwei Jahren.

Schlussfolgerungen

Auch wenn die föderale Abfallreform mit der guten Absicht begonnen wurde, die Regionen vom Haushaltsmüll zu entlasten, sind bisher nur wenige positive Entwicklungen zu verzeichnen. Ohne systematische statistische Analysen lässt es sich nur schwer nachweisen, dass Unternehmen, die enge Verbindungen zu den Behörden haben oder Ausschreibungen ohne Wettbewerb gewinnen, bessere oder schlechtere Leistungen erbringen als andere Entsorgungsunternehmen. Trotzdem ist die Abfallentsorgung ein anschauliches Beispiel, wie die Wirtschaft in Russland tatsächlich funktioniert. Es zeigt eindrücklich, wie Korruption, hartnäckige informelle Praktiken und das Bestreben von Eliten, Renten abzuschöpfen, auch für die Abfallwirtschaft charakteristisch sind und jene Phänomene illustrieren, die in der Wissenschaft als »bad governance« (in etwa »schlechte Regierungsführung«) und »limited access order« (politökonomische Systeme, in denen Konkurrenten von privilegierten Eliten nur beschränkten Zugang zu Ressourcen haben) bezeichnet werden. Ein derartiges (Miss-)Management in der Abfallwirtschaft zieht viele negative Konsequenzen nach sich: Die Haushalte müssen höhere finanzielle Belastungen stemmen, weil sie gezwungen sind, mehr für die Müllentsorgung zu zahlen. Außerdem kommt es zu einer Verschwendung von Geldern für den Bau von neuen Anlangen für das Recycling von Haushaltsmüll, während Städte buchstäblich im Abfall versinken.

Der Krieg in der Ukraine wird das Abfallproblem in Russland nur noch verschärfen. Einerseits werden Investitionen in Hochtechnologie-Recyclinganlagen zusammengestrichen werden. Andererseits wird es nur wenige Möglichkeiten geben, ausländische Recyclinganlagen oder Abfallsammelfahrzeuge zu erwerben. Die Menschen werden zunehmend Schwierigkeiten haben, die Gebühren für die Müllabfuhr zu bezahlen, weil ihr Einkommen sinkt. Dadurch werden Umweltthemen für die Politik immer weniger wichtig werden. Dies wird sich negativ auf den Umweltschutz, die Lebensqualität und die Gesundheit der Russ:innen auswirken.

Übersetzung aus dem Englischen: Yana Lysenko

Eine ausführlichere Analyse des Abfallwirtschaftssystems in Russland ist im IERP-Diskussionspapier der Autorinnen »Environmental Politics in Authoritarian Regimes: Waste Management in the Russian Regions« (https://media.suub.uni-bremen.de/handle/elib/5929) zu lesen. Die Autorinnen bedanken sich bei Grigory Yakovlev für seine Unterstützung bei der Datenerhebung.

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Analyse

Haushaltsmüllentsorgung in Russland: Proteste, Programme und Politik(en)

Von Ellie Martus
Russland hat ein Müllproblem. Die unzureichende Entsorgung von Haushaltsmüll hat in den letzten Jahren zu erheblichen und anhaltenden öffentlichen Protesten geführt. Sie sind eine Reaktion auf die Ausweitung von Mülldeponien, eine schlechte Umweltqualität und Sorgen um die Gesundheit der Bevölkerung. Der Beitrag untersucht die Reformen der Politik zur Hausmüllentsorgung, die als Antwort auf diese Krise unternommen wurden, die sogenannten Müllreformen. Es wird herausgearbeitet, dass die Reichweite der Reformen trotz starker politischer Aktivitäten begrenzt ist und diese sich eher darauf konzentrieren, Investitionen aus dem privaten Sektor anzuziehen als die weitergefassten Fragen des Recyclings und des nachhaltigen Konsums anzugehen. (…)
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