Belarus-Analysen

Ausgabe 64 (28.02.2023) — DOI: 10.31205/BA.064.01, S. 2–5

Die Wirtschaft von Belarus und die Sanktionen: Fazit des Jahres 2022

Von Katerina Bornukova (Belarusisches Wirtschaftsforschungszentrum BEROC)

Zusammenfassung
Als Folge der Sanktionen und des Umstandes, dass der ukrainische Markt verloren ging, ist die Wirtschaft von Belarus 2022 um 4,7 Prozent geschrumpft. Das hat das Land um zehn Jahre zurückgeworfen. Die Sanktionen bedeuteten einen ernsten Schlag für ölverarbeitende, Kali- und holzverarbeitende Unternehmen, auch wenn günstige äußere Bedingungen und die Unterstützung durch Russland es ermöglichten, die Folgen für die Wirtschaft abzumildern. Der Rückgang der Einkommen in der Bevölkerung war insgesamt nicht erheblich, wobei die Arbeitslosigkeit angesichts der massenhaften Emigration sogar zurückging.
Die Ereignisse des Jahres 2022 werden auch langfristig Folgen haben: Die Wirtschaft von Belarus verlor ihre Triebkräfte für ein Wachstum sowie für technologische Vorteile und geriet stattdessen in starke Abhängigkeit von der Wirtschaft Russlands, deren Lage wenig versprechend ist. Bleiben politische Veränderungen aus, dürften die Aussichten für 2023 wohl wenig Grund für Optimismus bieten.

Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts 2022

Belarus sah sich 2022 beispiellosen Handels-, Finanz- und Verkehrssanktionen gegenüber. Nach dem 24. Februar 2022 wurden die Sanktionen noch umfassender, sahen sehr viel weniger Ausnahmen vor als früher und wurden schnell in Kraft gesetzt. Darüber hinaus verlor Belarus den ukrainischen Markt, und ein Teil der Branchen schrumpfte, weil Belarus als Partner »toxisch« geworden war. Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwies sich als nicht so beträchtlich, wie das im Frühling des Jahres noch erwartet worden war. Gleichwohl erfolgte 2022 der größte Rückgang der Wirtschaft seit den 1990er Jahren: Das BIP schrumpfte um 4,7 Prozent. Dieser Rückgang bedeutete de facto, dass Belarus um zehn Jahren zurückgeworfen wurde, nämlich auf das Produktionsniveau von 2012.

Der Rückgang des Mehrwerts betraf nahezu sämtliche Sektoren der Wirtschaft. In der ersten Jahreshälfte trat als »Zugpferd« des Rückgangs die verarbeitende Industrie auf, die unmittelbar von den Sanktionen getroffen wurde. Doch auch die direkt damit verbundenen Bereich Großhandel und Transporte schrumpften. In der zweiten Jahreshälfte verlangsamte sich der Rückgang, allerdings gelang es nicht, eine nachhaltige Erholung der Industrie zu erreichen. Der Rückgang der Realeinkommen der Bevölkerung und der Pessimismus der Verbraucher führten zu einem Einbruch beim Einzelhandel, und die depressive Stimmung bei den Investitionen sorgte für einen Rückgang im Bauwesen. In der zweiten Hälfte 2022 setzte sogar in der IT-Branche ein Abschwung ein; die ehemalige Triebkraft der Wirtschaft wies zum ersten Mal einen negativen Beitrag zum BIP auf. Der Grund waren massenhafte Standortwechsel von IT-Firmen ins Ausland.

Die Sanktionen und ihre Auswirkungen: ein kurzer Überblick

Die Handelsbeschränkungen, die im vergangenen Jahr in Kraft traten, haben die wichtigsten Wirtschaftssektoren getroffen, unter anderem holzverarbeitende Betriebe, Hersteller von Kalidüngern, Ölprodukten, Metallen, Plastikmaterialien und Gummierzeugnissen. Im Februar 2022 trat das Verbot für Transittransporte von Kalidüngern durch Litauen in Kraft. Nach dem Beginn der Invasion russischer Streitkräfte in die Ukraine verhängte die EU umfassende Sanktionen gegen Belarus, unter anderem gegen wichtige Exportgüter. Der Anteil dieser Waren an den Exporten in die Europäische Union ist beträchtlich, daher führten die Sanktionen schon bald zu einem Rückgang der Exporte in die EU: Die Beschränkungen traten im Juli 2022 in Kraft, und bereits im September hatten sich die Exporte in die Europäische Union im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 60 Prozent verringert.

Hierzu gesellten sich die Folgen der Verkehrssanktionen, durch die der Transport von Waren auf dem Festland sich nicht nur verringerte, sondern auch teurer wurde. Eine erhebliche Rolle spielten auch die Finanzsanktionen: Einige Banken wurden vom SWIFT-System ausgeschlossen, die Goldreserven der Nationalbank und Geschäfte mit ihnen wurden in der EU blockiert, wodurch ein technischer Bankrott von Belarus erklärt wurde: Das Land konnte seine vertraglich eingegangenen Verbindlichkeiten in Devisen nicht begleichen.

Unternehmen, die unter die Wirkung der Sanktionen geraten sind, versuchen Mechanismen zu finden, mit denen die Auswirkungen der Sanktionen minimiert werden könnten. Gleichwohl haben die Mitarbeiter*innen dort erhebliche Verschlechterungen zu spüren bekommen. So sind zum Beispiel bei »Belaruskalij« die Reallöhne im April 2022 um 40 Prozent gesunken. Das war der Tiefpunkt, nach dem vor dem Hintergrund eines leichten Rückgangs bei den Beschäftigungszahlen eine Erholung einsetzte. Eine ähnliche Entwicklung war in den ölverarbeitenden Unternehmen zu beobachten: Die Löhne und Gehälter erreichten im Mai 2022 einen Tiefpunkt, wonach im Juli wieder eine Erholung erfolgte. Am schlechtesten stellt sich die Situation in der Holzverarbeitung dar; dort sind die Löhne und Gehälter innerhalb eines Jahres um über 20 Prozent zurückgegangen.

Um zu verstehen, auf welche Weise eine Anpassung an die Sanktionen erfolgte, werden im Folgenden einige Branchen etwas eingehender betrachtet.

Kalidünger

Die Probleme mit dem Export von Kaliprodukten hatten schon vor Beginn des Krieges in der Ukraine eingesetzt. Im Februar 2022 hatte Vilnius wegen der politischen Situation in Belarus und der Migrationskrise begonnen, den Transit belarusischen Kalis durch Litauen zu blockieren. Das bedeutete einen ernsten Schlag für Belarus, weil sämtliche Kaliexporte des Landes, die im Schnitt jährlich 10–12 Millionen Tonnen umfassten, über den Hafen von Klaipėda liefen. Eine kurze Zeit schien es, dass Belarus die Exportströme umlenken könnte, nämlich über ukrainische Häfen. Mit Beginn des Krieges jedoch wurde dies unmöglich. Zudem führte der russische Einmarsch in die Ukraine zu einer erheblichen Ausweitung der Sanktionen gegen diese Branche.

Gleichwohl sind die die wichtigsten Abnehmer von belarusischem Kalidünger (Brasilien, Indien, China) weiterhin zum Kauf bereit – ungeachtet der politischen Risiken und der Probleme mit der komplizierter gewordenen Logistik. Nachdem der Weg über Klaipėda nun versperrt ist, zählt Minsk auf eine Hilfe Russlands bei der Organisation der Transporte. Trotz wiederholter Ankündigungen ist jedoch mit dem Bau eines belarusischen Schüttgutterminals in Russland immer noch nicht begonnen worden. Allerdings konnte Belarus wenigstens den Gütertransport auf der Schiene nutzen, um Lieferungen in Richtung China zu organisieren.

Minsk hält zwar die Daten zum Export von Kalidünger unter Verschluss, doch ergeben die gespiegelten Daten der importierenden Länder, dass die Lieferungen nach Brasilien und Indien erheblich zurückgegangen sind, während das Volumen der Verkäufe nach China im Großen und Ganzen aufrechterhalten werden konnte. Eine gewisse Rolle hatte hier die günstige Konjunktur gespielt: Durch den Preisanstieg bei Dünger gelang es Belarus, die beträchtlich gestiegenen Logistikkosten zu kompensieren, ohne die Bedingungen für Abnehmer zu verschlechtern oder Verluste zu machen. Jetzt sind die Kalipreise jedoch gesunken, und die Frage, ob die Anlieferung auf der Schiene gewinnbringend bleibt, wird immer aktueller.

Ölverarbeitung

Da es sich hier um eine der wichtigsten Branchen handelt, die von den Sanktionen betroffen sind, unternimmt die Regierung Anstrengungen, sie zu umgehen. Der wichtigste Schritt war hier, dass Minsk am 3. Oktober ein Dokument zur Ausweitung der Integration unterzeichnete, durch das die Wirkung des russischen »Steuermanövers« auf Belarus ausgedehnt wurde Belarusische Produzenten können ihre Erzeugnisse auf dem russischen Markt jetzt zu den gleichen Bedingungen verkaufen wie russische Unternehmen. Dadurch wird der belarusische Staatshaushalt im laufenden Jahr 600 Millionen US-Dollar an Subventionen einnehmen.

Inwieweit dies der belarusischen ölverarbeitenden Industrie helfen wird, die Auswirkungen der Sanktionen auszubügeln, ist bislang unklar. »Naftan« berichtet aktuell, dass das Jahr mit einer Rentabilität von vier Prozent abgeschlossen wurde, und das man damit rechne, 2023 auf dem Niveau des letzten Quartals 2022 wirtschaften zu können. Das bedeutet, dass die durchschnittliche Auslastung des Unternehmens bei etwas weniger als sechs Millionen Tonnen liegen dürfte, gegenüber früheren 9–12 Millionen Tonnen; die Rentabilität dürfte minimal ausfallen.

Holzverarbeitung

Diese Branche hat sehr viel stärker unter den Sanktionen gelitten als die Kali- und ölverarbeitende Industrie, da sie den europäischen Markt verlor und sich nicht auf den russischen Markt umorientieren kann, weil es hier keinen Bedarf für belarusische Erzeugnisse gibt. Für einen Markteintritt in Russland müsste man dort unbesetzte Nischen ausfindig machen, Produkte mit Alleinstellungsmerkmal herstellen oder raffinierte Marketingansätze entwickeln. Bretter mittlerer Qualität lassen sich dort nur zu Dumpingpreisen verkaufen. Auf der Makroebene könnte ein solcher Ansatz allerdings nicht den Verlust des europäischen Marktes kompensieren. In den Medien wurden Recherchen über Methoden veröffentlicht, bei denen das Holz Belarus offiziell nicht verlässt, aber als Holz aus Kasachstan oder Kirgisistan ausgezeichnet wird und doch in die EU exportiert wird. Doch selbst ein erfolgreicher Einsatz solcher Methoden würde nicht mehr als 10 Prozent der Verluste durch den Wegfall des europäischen Marktes ausgleichen.

Wirtschaftsbeziehungen zur Ukraine

Die Rolle, die Belarus beim russischen Einmarsch in die Ukraine spielt, hat dazu geführt, dass der Zugang zum ukrainischen Markt versperrt ist, auf den 2021 rund 14 Prozent der belarusischen Exporte entfallen waren, darunter ein beträchtlicher Anteil der exportierten Ölprodukte. Nachdem die Europäische Union wegen der gefälschten Wahlen von 2020 und der anschließenden Repressionen Sanktionen gegen Belarus verhängt hatte, konnte die Ukraine die Rolle eines alternativen Marktes wie auch eines Transitknotens übernehmen. Nach dem Beginn des Krieges wurde das unmöglich.

Die Ukraine hat zwar gegen Belarus kein formales Embargo wie gegen Russland verhängt, doch ist praktisch der gesamte Handel zwischen den beiden Ländern zum Erliegen gekommen. Und die Aussichten, dass der Handel vor einem Kriegsende wieder aufgenommen wird, sind trübe.

Einbruch im IT-Sektor

Der IT-Sektor war kurz vor Beginn der politischen Krise 2020 zu einer Triebkraft der belarusischen Wirtschaft geworden. Die Branche war dann zwar nicht direkt von den Sanktionen betroffen, doch verschlechterte sich die Lage dort erheblich. Vor dem Krieg lagen die Wachstumsraten in der IT-Wirtschaft bei rund 10 Prozent jährlich, und die Beschäftigungszahlen beliefen sich auf über 100.000. Nach dem 24. Februar 2022 sind viele Entwickler von IT-Produkten, die trotz der politischen Krise in Belarus geblieben waren, gleichwohl abgewandert. Einer der wichtigsten Gründe hierfür war der Wunsch, in den Augen von Partnern und Investoren als »toxisch« zu gelten. Das Unternehmen »Flo« beschloss wenige Tage nach Beginn des russischen Einmarsches, den Standort zu wechseln. Auch »Wargaming«, das zu den Ursprüngen der belarusischen IT-Wirtschaft gehört, hat sich vom belarusischen Markt verabschiedet.

Für die Outsourcing-Firmen ist der Imageschaden nicht ganz so groß wie für die IT-Entwickler, doch gab es auch in deren Tätigkeit ernste Veränderungen. »EPAM Systems« hat die Einstellung neue Mitarbeiter*innen gestoppt und den derzeitigen Mitarbeiter*innen intensiv ein Programm für einen Standortwechsel vorgelegt, was dazu führte, dass die Belegschaft dieses Unternehmens in Belarus geschrumpft ist.

In den großen und mittleren Unternehmen des IT-Sektors, zu denen eine operative Statistik verfügbar ist, gingen die Beschäftigungszahlen 2022 um 25 Prozent zurück: Waren zu Beginn des Jahres in diesen Firmen noch rund 55.000 Menschen beschäftigt, belief sich die Abwanderung von Mitarbeiter*innen in den ersten zehn Monaten des Jahres auf 14.000 Personen. Diese Entwicklung erfolgte anstelle der traditionellen jährlichen Zunahme um 5-10.000 Mitarbeiter*innen. Die Abwanderung hat sich zwar verlangsamt, doch könnte die jüngste Entscheidung, IT-Unternehmer mit Geldstrafen zu belegen, wenn sie 2020 an oppositionelle Stiftungen gespendet haben, diesem Prozess eine neue Dynamik verleihen.

Die IT-Wirtschaft, die noch vor kurzem eine Triebkraft für Wirtschaftswachstum gewesen war, hat das BIP insgesamt um rund einen Prozentpunkt heruntergezogen: Das Entscheidende aber ist: Belarus hat seine einzige Triebkraft für Wirtschaftswachstum verloren – also eine Branche, die sich dynamisch entwickelte –, und es verliert dadurch technische Kompetenzen.

Gewachsene Abhängigkeit von Russland

Russland und Belarus halten die Daten zum Außenhandel unter Verschluss. Wir können lediglich das Volumen der Importe und Exporte sehen, die physischen Volumina werden nicht veröffentlicht. Das geldmäßige Volumen des Handels zwischen den beiden Ländern hat merklich zugenommen, auch wenn das für Belarus keine vollständige Kompensation der Verluste durch den Wegfall der Märkte in Europa und der Ukraine bedeuten. Es gibt immerhin Daten, die mittelbar aufzeigen, dass wenn es eine Zunahme des Volumens gab, diese allerdings nicht besonders groß war. Es ist wohl eher so, dass eine Zunahme der Exporte weniger auf einen gestiegenen physischen Umfang der Lieferungen zurückzuführen ist, als vielmehr aufgrund von Preissteigerungen bei Lebensmitteln, die eine der wichtigsten Komponenten der Exporte nach Russland darstellen.

Die Situation ist auch dadurch eine ungewöhnliche, dass Belarus zum ersten Mal seit vielen Jahren im Handel mit Russland jetzt eine positive Bilanz aufweist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dies auf den Rückgang der Öllieferungen aus Russland zurückzuführen ist. Der erfolgte aufgrund der wegen der Sanktionen geringeren Nachfrage nach belarusischen Ölprodukten. Für die Handelsbilanz könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass es einen Übergang zur gegenseitigen Verrechnung in russischen Rubeln gab.

Auf jeden Fall ist 2022 der Anteil der belarusischen Exporte, die nach Russland gingen, beträchtlich gestiegen. Er lag erstmals seit vielen Jahren bei über 70 Prozent. Wir beobachten heute, dass nicht nur bei den Exporten die Abhängigkeit zunimmt, sondern auch die finanzielle Abhängigkeit. Belarus hat im vergangenen Jahr eine Neustrukturierung eines Teils seiner Schulden erreicht und hat sich bereits erneut mit einer ähnlichen Bitte an Russland gewandt. Darüber hinaus wurde Minsk ein Kredit für Maßnahmen zur Importsubstitution gewährt. In der gegenwärtigen Situation sind das zwar keine großen Gelder, doch andere Finanzierungsquellen gibt es für Belarus nicht.

Ein beunruhigendes Signal, das nicht nur die gewachsene Abhängigkeit von Russland belegt, sondern auch einen teilweisen Verlust seiner Souveränität, war die Unterzeichnung des Unionsprogramms über mittelbare Besteuerung im Oktober 2022. Es ist das einzige Programm des Unionsstaates, das nicht nur die Schaffung einer supranationalen Behörde vorsieht, sondern auch der russischen Steuerverwaltung Zugang zu den Transaktionen sämtlicher belarusischer Steuerzahler verschafft. Das Programm war vollständig mit Minsk abgestimmt, da es nur so möglich war, den Erhalt von Subsidien im Rahmen des russischen Steuermanövers zu erreichen.

Erwartungen in der Gesellschaft zur wirtschaftlichen Lage und Entwicklung

Bei Umfragen erreichte die Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage im April 2022 einen Tiefpunkt, danach verbesserten sich die wirtschaftlichen Erwartungen, weil die Belarus*innen nun den russischen Rubel als wichtigsten Indikator für den Zustand der Wirtschaft betrachten. Als der Rubelkurs sich erholte, dachten viele, das Schlimmste sei vorbei.

Zudem gingen die Reallöhne nur um zwei Prozent zurück, einen stärkeren Rückgang gab es nur in einigen wenigen Branchen. Die Rezession hat bislang noch nicht zu einem größeren Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Der Rückgang der Beschäftigungszahlen, den wir beobachten, erfolgt vor allem aufgrund der alternden Bevölkerung und der Emigration eines Teils der Arbeitskräfte.

Auch wenn sich die wirtschaftlichen Erwartungen der Belarus*innen zwar verbessern, können wir anhand der Daten erkennen, dass der Optimismus in der Bevölkerung in Wirklichkeit nicht groß ist. So fiel der Rückgang der Umsätze im Einzelhandel sehr viel beträchtlicher aus als der Rückgang der Reallöhne. Das bedeutet, dass die Menschen ihr Geld lieber zurückhalten und für schwerere Zeiten aufheben.

Wirtschaftsaussichten

Ungeachtet des Umstands, dass sich die Wirtschaft bis Ende 2022 besser an die Sanktionen angepasst hat als erwartet, dürfte 2023 wohl kaum eine Erholung möglich sein. Wenn die belarusischen Exporte 2022 noch von den hohen Weltmarktpreisen für Kalidünger und Nahrungsmittel gestützt wurden, ist das heute nicht mehr zu erwarten.

Die Wirtschaft in Russland hat jetzt erhebliche Probleme, nachdem die Ölpreise gedeckelt wurden. Und wir können im laufenden Jahr von einer weiteren Verstärkung des Rückgangs ausgehen, was sich zweifellos auch auf Belarus auswirken dürfte.

Ein weiterer Indikator ist der Umfang der Investitionen. Er lag 2022 um 30 Prozent unter dem Niveau von 2019. Dieser erhebliche Rückgang bedeutet, dass die wirtschaftlichen Akteure nicht an ein langfristiges Wachstum glauben. Es werden weiterhin neue Sanktionen gegen Belarus verhängt, was die Aussichten auf Wirtschaftswachstum zusätzlich trüben wird. Wenn sich Minsk politisch nicht bewegt, um wenigstens einen Teil der Sanktionen abzuschütteln, werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach einen Niedergang der Wirtschaft erleben. Und mit der Zeit dürfte das auch im Leben der gewöhnlichen Belarus*innen spürbar werden.

Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder

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