Afghanistan aus der Sicht Turkmenistans. Schwieriger Nachbar oder Sicherheitsrisiko?

Von Slavomír Horák (Prag)

Zusammenfassung
Die Beziehungen zu Turkmenistan gehören zu den vernachlässigten Themen der afghanischen Außenpolitik und umgekehrt. Beide Länder spielen zwar nur eine unbedeutende Rolle für die Außenpolitik des jeweiligen Nachbarn, aber ihre innenpolitischen Dynamiken haben erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklungen jenseits der Grenze. Die turkmenische Führung ist über die Sicherheitsrisiken in Afghanistan sehr besorgt, und außerdem ist der Export von turkmenischem Strom von entscheidender Bedeutung für die Wirtschaft und die soziale Situation in einigen Teilen Nordafghanistans. Der folgende Beitrag befasst sich vor allem mit dem Stand der bilateralen Beziehungen aus turkmenischer Sicht und unterstreicht, dass sich die afghanische Bedrohung in den letzten zwei Jahren zu einem der gravierendsten Probleme für die Führung Turkmenistans entwickelt hat.

Hintergrund der turkmenisch-afghanischen Beziehungen

Seit der Gründung des unabhängigen Turkmenistan im Jahre 1991 hat sich die Einstellung der in Afghanistan lebenden Turkmenen gegenüber der früheren Sowjetrepublik gewandelt, die historisch bedingt negativ war. (Die meisten Turkmenen in Afghanistan sind Nachfahren von Flüchtlingen, die im Zuge der bolschewistischen Revolution, der Kollektivierung und der Hungersnot der 1920er und 1930er Jahre aus ihren angestammten Gebieten im heutigen Turkmenistan geflohen sind.) Heutzutage sehen sie sogar das Staatsoberhaupt Turkmenistans, wer auch immer es ist, als »ihren« Präsidenten an. Die neue regionale Stellung Turkmenistans eröffnete der Politik neue Möglichkeiten, um Beziehungen mit dem südlichen Nachbarn herzustellen und zu pflegen. Sapamurad Nijasow, der »Führer der Turkmenen«, wählte jedoch den Weg des selektiven Isolationismus, der mit den Slogans von der »positiven« bzw. »ewigen Neutralität« (baky bitaraplyk) verbrämt wurde. Der Schwerpunkt der Politik wurde auf den Export von Rohstoffen und Energie gelegt, Afghanistan spielte hier als Zielland nur eine marginale Rolle. Zwar haben im Februar 1992 beide Staaten diplomatische Beziehungen aufgenommen, doch der Bürgerkrieg in Afghanistan in den 1990er Jahren verhinderte eine Vertiefung der Beziehungen. Der grenzüberschreitende Handel beschränkte sich auf einige Infrastrukturprojekte, einschließlich des neuen Grenzübergangs Imamnasar–Akinah im Südosten Turkmenistans. Turkmenische Flüchtlinge, die gelegentlich wegen des Konflikts in Afghanistan um Asyl in Turkmenistan ersuchten, wurden zurück über die Grenze geschickt. Gleichzeitig weitete sich der illegale Handel aus, insbesondere mit Drogen und Waffen. Als die Taliban in Kabul und später in den nördlichen, teilweise an Turkmenistan angrenzenden Regionen Afghanistans ihre Herrschaft errichteten, nutzte Turkmenistan seine Position als neutraler Staat und seine guten Beziehungen zu einigen Talibanführern, um in den Jahren 1999 und 2000 drei Gesprächsrunden zwischen den Konfliktparteien zu organisieren. Diese Treffen wurden von der turkmenischen Propaganda für den Staats- und Nationsbildungsprozess instrumentalisiert, indem man sie als Beleg für den hohen Respekt darstellte, den das Land und seine neutrale Haltung in der Welt genießen würden. Die Taliban haben damals mehreren Lastwagenkolonnen die Durchfahrt von Pakistan nach Turkmenistan und zurück gestattet, doch die versprochene »Landbrücke« von Zentralasien nach Südasien hat nie große Bedeutung erreicht. Erst der geplante Bau der TAPI-Pipeline (von Turkmenistan über Afghanistan und Pakistan nach Indien) stellte einen wichtigen Auslöser für die Annäherung zwischen Turkmenistan und den Taliban dar.

Nachdem 2001 die ISAF-Militäroperationen in Afghanistan begonnen hatten, kooperierte Turkmenistan zum Teil mit den internationalen Akteuren im Nachbarland. Die Beziehungen zu Afghanistan beschränkten sich allerdings auf einige kleinere Aspekte hinsichtlich der TAPI-Pipeline als Hauptthema der bilateralen Kooperation. Durch neue Stromnetze wurde es theoretisch möglich, Herat, Schebirgan und Masar-i Scharif unbegrenzt mit Elektrizität zu versorgen. Das Projekt blieb jedoch, entgegen den ursprünglichen Erwartungen, auf die unmittelbare Grenzregion beschränkt.

»Politik der offenen Tür«

Der Wechsel in der Führung Turkmenistans im Jahre 2006 [durch den Tod Präsident Nijasows, Anm. d. Übers.] führte zu einem grundsätzlichen Umschwenken in der Außenpolitik des Landes, von Isolationismus zur Proklamation einer »Politik der offenen Tür«. Die bilateralen Beziehungen zwischen Turkmenistan und Afghanistan wurden auf mehreren Gipfeltreffen zwischen 2007 und 2009 intensiviert und es kam vermehrt zu Kontakten und einem Austausch mit der zuvor vernachlässigten turkmenischen Minderheit in Nordafghanistan. Die Ausrichtung der Außenpolitik unterschied sich aber nicht wesentlich von der vorangegangenen Periode. Der wirtschaftliche Austausch mit Afghanistan hat zwar (nach den nicht immer zuverlässigen Daten aus Turkmenistan) in den Jahren 2000 bis 2010 um das 15-fache zugenommen, doch den allergrößten Teil des Handelsumsatzes macht der Energieexport aus Turkmenistan aus (Strom, Brennstoffe und Gas). Abgesehen von diesen Gütern umfasst der Handel eigentlich nur eine marginale Anzahl landwirtschaftlicher Produkte und anderer niedrigwertiger Rohstoffe.

2013 wurde der Bau einer Eisenbahnstrecke von Turkmenistan nach Afghanistan und Tadschikistan begonnen. Turkmenistan hat zwar 2015 seinen Streckenabschnitt fertig gestellt, aber die Fortführung nach Afghanistan ist wegen der Sicherheitslage und Finanzierungsproblemen unklar. Obwohl die turkmenische Seite behauptet, dass dieses Projekt globale Bedeutung habe, bleibt es doch bisher faktisch auf die Region beschränkt und seine Fertigstellung ist nicht sicher. Damit ist der Bau der TAPI-Pipeline bis jetzt das einzige Projekt, das nicht auf den bilateralen bzw. regionalen Rahmen beschränkt ist. Obwohl es von Staaten außerhalb der Region (USA) und internationalen Geldgebern (Asiatische Entwicklungsbank) unterstützt wird und potentiell mit dem aufstrebenden indischen Markt in Beziehung steht, sind die Gründe für die andauernden Verzögerungen bei diesem Projekt ähnlich wie die oben geschilderten – Sicherheitsbedenken und folglich mangelnde Bereitschaft externer Geldgeber, substantielle finanzielle Ressourcen bereit zu stellen. Hinzu kommt, dass Afghanistan (und die turkmenisch-afghanischen Beziehungen) selbst wenn der Bau der Gaspipeline Fortschritte machen würde, nur eine Außenseiterrolle spielen.

Auf humanitärer Ebene sind die Beziehungen mit den Turkmenen in Afghanistan in den letzten Jahren etwas intensiviert worden. Abgesehen von der Bereitstellung von Nothilfe hat die turkmenische Seite sich am Aufbau von Infrastruktur und Sozialdiensten sowie im Bildungswesen engagiert. Gleichzeitig ist Aschchabad jedoch weiterhin sehr zurückhaltend, was die Frage der Aufnahme von turkmenischen Flüchtlingen aus Afghanistan angeht. Turkmenistan hatte bis zum Ende der Ära Nijasow ca. 13.000 Flüchtlinge ins Land gelassen, doch heute werden die meisten der ankommenden Flüchtlinge wieder direkt nach Afghanistan zurückgeschickt. Nicht einmal für kurze Besuche gibt es eine Visafreiheit für die afghanischen Turkmenen. Zu Kontakten der turkmenischen Eliten mit führenden Vertretern der Turkmenen in Afghanistan kam es bis vor kurzem nur sehr selten. Diese Haltung veränderte sich erst nach 2013, vor allem aus Sicherheitserwägungen. 2014 besuchte der Außenminister Turkmenistans zum ersten Mal Nordafghanistan, ein Jahr später folgte dann Präsident Berdymuchammedow.

Afghanistan – Sicherheitsrisiko Nr. 1?

Obwohl Afghanistan in den 1990er bis 2000er Jahren weit entfernt davon war, ein stabiles Land zu sein, bestand das Sicherheitsrisiko für Turkmenistan damals eher auf dem Papier. Der Bürgerkrieg hinterließ in Afghanistan eine fragmentierte politische Landschaft und die lokalen Gruppen konzentrierten sich vor allem auf innere Angelegenheiten. Der Aufstieg der Taliban in der Mitte der 90er Jahre, die Unterstützung eines Teils der pakistanischen Eliten für diese Organisation und auch das wachsende Interesse Turkmenistans am Handel mit südlichen Partnern zwang Aschchabad dazu, mehr Kontakte mit den Taliban als der politischen und militärischen Kraft zu suchen, die damals die Schlüsselrolle auf dem Territorium Afghanistans inne hatte. Auch wenn die Taliban keinen Anspruch auf Gebiete außerhalb Afghanistans erhoben, betonten die Führer der Staaten Zentralasiens das Sicherheitsrisiko, das von anderen militanten Gruppierungen, die den Sturz der zentralasiatischen Regime zum Ziel hatten, ausging. Präsident Nijasow verfolgte eine Strategie freundschaftlicher Beziehungen mit den Talibanführern, was das Sicherheitsproblem an der Südgrenze Turkmenistans eine Zeitlang löste. Die Präsenz internationaler Truppen in Afghanistan seit 2001 beseitigte das potentielle Bedrohungsszenario für Turkmenistan zum großen Teil, darüber hinaus profitierte es noch von seiner Rolle als wichtiger Transitkorridor von Europa nach Afghanistan.

Seit 2013 hat sich jedoch die Situation an der turkmenisch-afghanischen Grenze allmählich verschlechtert, bis hin zur vielleicht ernsthaftesten Gefährdung der Sicherheit für das Regime in Aschchabad seit der Unabhängigkeit. Im Verlauf des Jahres 2013 erreichten einige bewaffnete Gruppen aus Afghanistan (angeblich einschließlich Hunderter turkmenischer Kämpfer), die den Taliban oder dem IS ihre Loyalität geschworen hatten, mit ihren Operationen die Grenzen zu Turkmenistan. Auch wenn turkmenisches Territorium nicht von der Infiltration der Kämpfer betroffen war, so wurden doch turkmenische Dörfer in Afghanistan angegriffen und es gab 2014 gelegentliche gewalttätige Zusammenstöße entlang der Grenze, bei denen mehrere turkmenische Grenzschützer und Kämpfer aus Afghanistan getötet wurden. In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 verschlechterte sich die Sicherheitslage in dem an Turkmenistan angrenzenden Gebiet Afghanistans noch mehr. Es kam zu Scharmützeln zwischen örtlichen turkmenischen Milizen und Kämpfern, welche sich verschiedenen radikalen islamistischen Gruppen zuordnen, die nach manchen Berichten Verbindungen zum IS haben. Es scheint, als ob diese Bewegung (die sich selber manchmal als Teil des »Islamischen Staats in der Provinz Chorasan« bezeichnet) erst dabei ist, ihre Operationsstützpunkte in Afghanistan zu etablieren. Zu Beginn des Jahres 2016 konzentrieren sich ihre Aktivitäten hauptsächlich auf den Süden Afghanistans und auf die Auseinandersetzung mit lokalen Gruppen der Taliban.

Die Führung Turkmenistans hat erkannt, dass ihre frühere Strategie der Eindämmung der Sicherheitsbedrohung durch radikale islamische Kräfte in Afghanistan mittels der Etablierung von Beziehungen zur einflussreichsten Gruppierung diesmal möglicherweise nicht funktionieren könnte. Zahlreiche Soldaten wurden in Alarmbereitschaft versetzt und schwere Technik an die südliche Grenze Turkmenistans verlegt. Sollten sich Kämpfer des IS erfolgreich in Afghanistan festsetzen, könnte Aschchabad sich einer realen Gefahr gegenüber sehen, insbesondere wenn sich ethnische Turkmenen Afghanistans in größerer Zahl dieser Bewegung anschließen. Das turkmenische Regime könnte mit eventuellen Angriffen konfrontiert werden, ohne dass es sich auf militärische Unterstützung von außen verlassen kann, denn das Land ist nicht Mitglied einer militärischen Allianz. Besonders die russischen Medien rücken diese Bedrohung in den Fokus und legen Berdymuchammedow – bisher mit gemischtem Erfolg – nahe, sich stärker in prorussischen Bündnissen zu engagieren.

Die Armee Turkmenistans ist nicht auf eine Bedrohung der Sicherheit durch bewaffnete ausländische Gruppierungen eingestellt. Obwohl Präsident Berdymuchammedow offenbar angesichts möglicher Bedrohungen aus Afghanistan sehr besorgt und um die Sicherung der Grenze bemüht ist, bleibt er zurückhaltend, was militärische Hilfe von Seiten Russlands angeht. Offenbar fürchtet er im Falle eines russischen Engagements eine Wiederholung der Szenarien wie in Georgien 2008 und in der Ukraine 2014. Zu erwähnen ist noch, dass Turkmenistan die Strategie »militärische Hilfe gegen Gas« vertritt, d. h. Russland soll bestimmte Mengen an Gas kaufen, damit ihm im Gegenzug gestattet wird, das Sicherheitsrisiko für Russland (und indirekt auch für Turkmenistan) möglichst weit entfernt von der russischen Grenze zu halten, wie es die Absicht des Kreml ist. Obwohl diese Strategie unlogisch erscheint, stand der kürzliche Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Aschchabad unter diesem Motto. Gleichzeitig hört die turkmenische Führung aber nicht auf, ihre Neutralität zu betonen, und dies verkompliziert jedwede potentielle ausländische Militäraktion. Unmittelbar vor Lawrows Besuch hatte Präsident Berdymuchammedow eine neue Militärdoktrin unterschrieben, die den Neutralitätsstatus seines Landes unterstreicht.

Risiken trotz neuer Sicherheitsvorkehrungen

Was die Bedrohungen aus Afghanistan angeht, so sind groß angelegte militärische Operationen mit dem Ziel, Aschchabad zu erreichen und das dortige Regime mit militärischen Mitteln zu stürzen, sehr unwahrscheinlich. Kleinere Operationen können jedoch nicht ausgeschlossen werden. Das primäre Ziel sind wasserwirtschaftliche Anlagen an der Grenze am Amu Darja oder in Grenznähe. Dieses Gebiet ist besonders verwundbar, denn der Amu Darja versorgt über den Karakum-Kanal fast das ganze flussabwärts gelegene Territorium Turkmenistans mit Wasser. Die Regierung in Aschchabad sorgt sich außerdem um die Sicherheit ihrer Gasfelder in den südlichen und südwestlichen Landesteilen. Perspektivisch gesehen ist keine der in Afghanistan operierenden bewaffneten Gruppierungen stark genug, um sich Profite aus dem turkmenischen Gasgeschäft anzueignen (wie es der IS in Syrien und im Irak tut). Doch grundsätzlich ist Turkmenistan in diesem Bereich äußerst verwundbar, denn sein Staatshaushalt basiert zum großen Teil auf den Einkünften aus dem Gasexport. Aschchabad hat von China einen großen Kredit für die Erschließung eines Gasfeldes im Südosten des Landes erhalten und hat gegenwärtig wegen des niedrigen Gaspreises große Schwierigkeiten, seine Verbindlichkeiten und Verpflichtungen zu erfüllen. Ein allmähliches Einsickern bewaffneter Verbände mit dem Ziel der Destabilisierung des Landes stellt deshalb eine weitere Herausforderung für das herrschende Regime dar.

Offizielle turkmenische Medien berichteten zuletzt von Polizeirazzien, bei denen in Geschäften im Gebiet Mary Feuerwaffen und militärische Ausrüstungen konfisziert wurden. Offiziellen Medien des Landes ist nicht unbedingt Glauben zu schenken, doch die Sicherheitsvorkehrungen im Lande werden zweifellos verschärft, inklusive der Einrichtung neuer Checkpoints an Fernstraßen. Zusätzlich scheint Aschchabad sein bisher schon sehr strenges Grenzregime verschärft zu haben. Die Verlagerung regulärer Truppen, die Verstärkung des Grenzschutzes und die Anlage neuer Gräben an der Grenze signalisieren, dass das Regime bemüht ist, den Bedrohungen aus Afghanistan selbständig entgegen zu treten.

Die Einsatzbereitschaft der turkmenischen Armee und der Grenztruppen ist bisher jedoch noch nicht erwiesen. Es fehlt den Sicherheitskräften an gut ausgebildetem Personal, um die gesamte Grenze in vollem Umfang zu schützen. Es ist allgemein bekannt, dass im Bereich der militärischen Rekrutierung Korruption weit verbreitet ist, bei den schlecht trainierten Grenzsoldaten handelt es sich oft um Schulabgänger bzw. Wehrdienstleistende. Die Grenze ist zwar seit sowjetischer Zeit demarkiert und nicht Gegenstand von Streitigkeiten zwischen beiden Ländern (abgesehen von einigen Inseln im Amu Darja), doch der Grenzzaun kann leicht überwunden werden, wie sich 2014 und 2015 bereits mehrfach gezeigt hat.

Die turkmenischen Grenzschützer und die Geheimdienste dürften in enger Zusammenarbeit mit den Elitebrigaden der Armee in der Lage sein, Anschlägen innerhalb der Landesgrenzen vorzubeugen oder sie zu unterdrücken. Es ist jedoch nicht klar, ob sie schlagkräftig genug wären, massiven bewaffneten Übergriffen von der anderen Seite der Grenze Paroli zu bieten oder das Einsickern kleiner terroristischer Gruppen ins Land zu verhindern. Die Vorfälle im Oktober 2015, als mehrere Dutzend Talibankämpfer vor heranrückenden afghanischen Spezialkräften auf eine Insel im Amu Darja flüchteten, scheinen stattdessen die turkmenische Strategie der maximalen Zurückhaltung bzw. des »Abwartens« und der Nichteinmischung in die heftigen bewaffneten Konflikte zwischen den verschiedenen Fraktionen in Afghanistan zu bestätigen.

Fazit

Seit der Unabhängigkeit des Landes nach dem Ende der Sowjetunion bis in die jüngste Zeit spielte Afghanistan in der Außenpolitik Turkmenistans keine wichtige Rolle. Wegen der Politik des Isolationismus und anderer Prioritäten nahm es seinen südlichen Nachbarn ziemlich selektiv wahr. Ein solcher Ansatz schränkte die Etablierung grenzüberschreitender Beziehungen und auch die Herausbildung einer stabileren Achse Aschchabad–Kabul ein. Außenpolitik wurde lange als bloße Erweiterung der Innenpolitik verstanden, sie konzentrierte sich vor allem auf die Legitimierung und das Überleben des Regimes und, im Fall von TAPI, auf den Energieexport über afghanisches Territorium.

Der Führungswechsel 2006 und die Proklamierung einer Öffnung des Landes haben diese Einstellung, trotz verstärkter politischer Kontakte und Zunahme des bilateralen Handels, nicht wesentlich verändert. Es waren hauptsächlich von Afghanistan ausgehende echte Sicherheitsrisiken, welche die Führung Turkmenistans allmählich zu intensiveren Kontakten mit ihren afghanischen Kollegen sowohl auf regionaler als auch auf zentraler Ebene veranlassten. In diesem Kontext können wir die weitere Verbesserung der Beziehungen zum südlichen Nachbarn sogar als eine Frage des Regimeerhalts für die turkmenischen Eliten ansehen (und so wird es in der herrschenden Klasse des Landes auch verstanden).

Der Kampf um Exportdiversifizierung (insbesondere angesichts radikal gefallener Preise für Erdgas) ist ein weiterer wichtiger Anstoß für die turkmenische Führung, engere Beziehungen zu Kabul und den regionalen Machthabern Afghanistans (wer sie auch immer sein mögen) zu suchen. Stabile bilaterale Beziehungen, welche die Sicherheit des Gebiets, durch das die TAPI-Pipeline führt, garantieren können, sind definitiv die allerwichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Fertigstellung dieses Projekts. Doch das Vorhaben ist in einem Teufelskreis gefangen. Die Bereitstellung von Auslandskapital hängt von der Sicherheit in der Region ab, denn die Staaten, die an dem Projekt beteiligt sind, werden schwerlich in der Lage sein, die Pipeline selbst zu bauen. Die letztendliche erfolgreiche Fertigstellung der Pipeline beruht auf der Annahme, dass alle militärischen Kräfte in den betreffenden Gebieten Afghanistans ein Interesse daran haben müssten, den Gastransport als eine ihrer Einkommensquellen zu sehen. Im Moment ist eine solche für den Bau der Pipeline erforderliche Stabilität aber kaum zu erreichen, und dies bedeutet, dass langfristige Kredite nicht zur Verfügung stehen werden. Mit anderen Worten, die Pipeline wird ohne Sicherheitsgarantie nicht gebaut, aber (wenigstens relative) Sicherheit wird es in den betreffenden Regionen Afghanistans ohne die Pipeline nicht geben.

Aus dem Englischen von Brigitte Heuer

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