Gastransit durch die Ukraine: alte Probleme, neue Herausforderungen

Von Inna Chuvychkina

Einleitung

Die Zukunft russischer Erdgaslieferungen durch die Ukraine nach Europa bleibt nebulös und ist von mehreren Faktoren abhängig. Zum einen verringert sich die Intensität der russisch-ukrainischen Energiebeziehungen tendenziell mit den zunehmenden Spannungen bezüglich der Diversifikationspolitik Russlands und infolge der politischen Ukraine-Krise von 2014. Zum anderen sind die Perspektiven des Erdgastransits auch durch den künftigen Gasimportbedarf in der EU und disruptive Veränderungen auf den globalen Energiemärkten geprägt.

Mangelndes Vertrauen und das Problem von 2019

Nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden mehrere Gaskonflikte in der Region, unter anderem zwischen Russland und der Ukraine, die besonders spürbar waren und langfristige Konsequenzen für Transformation der Transitgaslieferungen durch die Ukraine hatten. Die Konflikte zwischen Russland als Produzenten und der Ukraine als Transitland, der Einsatz von Energielieferungen als Druckmittel sowie der Wettbewerb mit anderen Energieproduzenten um Lieferrouten und Einflussbereiche haben die Entstehung einer vertrauensvollen russisch-ukrainischen Kooperation verhindert. Harmonisierung der Interessen und Vertrauensbildung werden dadurch stark negative beeinflusst, dass die russischen und ukrainischen politischen und wirtschaftlichen Eliten vorrangig an kurzfristigen Vorteilen und Gewinnen und Macherhalt interessiert sind.

Die ukrainische Wirtschaftskrise 2014–16 und die Krim-Krise haben die negativen Tendenzen in den Kooperationsbeziehungen Produzent-Transitland verstärkt, die zur Reduzierung der russischen Gasimporte geführt haben. Zugleich wurde die Gasversorgung der Ukraine durch den sogenannten Reverse-Flow-Mechanismus aus der EU gewährleistet. Gas aus dem Reverse-Flow hat die Verhandlungsposition der Ukraine gestärkt und die Ukraine erwägt dementsprechend eine Erhöhung der Transitgebühren ab 2019. Russland betrachtet dieses Vorhaben als die Quelle für einen zukünftigen Transitkonflikt und betont weiterhin die Unzuverlässigkeit der Ukraine als Transitland. Russland besteht darauf, den Gastransit nach dem Jahr 2019 zu minimieren oder komplett einzustellen, wenn der aktuelle Gastransitvertrag auslaufen wird.

Ein weiterer wirksamer Hebel der Ukraine bei den Verhandlungen über den Abschluss eines neuen Gastransitvertrages ist die Ausdehnung des europäischen Rechtsrahmens. Die Ukraine trat im Februar 2011 der Europäischen Energiegemeinschaft bei und verpflichtete sich in diesem Zuge zur Übernahme der Regeln des europäischen Energiebinnenmarkts. Diese besagen, dass Kunden ihren Energieanbieter frei wählen können und Dritten der Zugang zu Pipelines und Speichern gewährt werden muss. Außerdem sehen sie eine Entflechtung von Produktion und Leitungsbetrieb. In erster Linie geht es dabei um das ukrainische Öl- und Gasunternehmen Naftogaz. Das dritte Energiepaket wird den Einfluss von Gazprom in der Ukraine weiter verringern, da der Übergabepunkt für Gaslieferungen in die EU von der westlichen ukrainischen an die ukrainisch-russischen Grenze verlegt werden soll.

Die Chance auf eine Einigung über die Parameter eines neuen Transitabkommens ist somit sehr zweifelhaft.

Neue Lieferwege

Die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 als Umgehungspipeline wird zudem auch eine transformierende Wirkung auf die Produzent-Transitland-Energiebeziehungen haben, da Russland die lukrativen und kaufkräftigen EU-Märkte direkt beliefern wird. Die umstrittene Erweiterung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 birgt ein enormes Konfliktpotential. Die deutsche Regierung und deutsche Energieunternehmen weisen darauf hin, dass die Notwendigkeit einer neuen Pipeline wirtschaftlich bedingt ist. Mittelosteuropäische Länder, die durch die neue Pipeline umgangen werden, bekämpfen den Ausbau und begründen dies damit, dass das Projekt nicht im Einklang mit den Zielen der EU-Energieunion steht, weil es keinen Zugang zu neuen Gasquellen ermöglicht und die Position Russlands als größten Lieferanten stärkt.

Die EU-Kommission verweist darauf, dass die Regeln für die Anwendung des EU-Rechts, einschließlich des Dritten Energiepakets, auf Gaspipelines, die am Meeresboden gebaut wurden, unklar sind. In diesem Zusammenhang sollen die betroffenen Staaten (Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland) ihre einschlägigen nationalen Vorschriften anwenden. Ende Januar 2018 wurde vom Energieministerium Mecklenburg-Vorpommerns die Genehmigung für den Bau und Betrieb des Pipelinesystems im deutschen Küstenmeer sowie im Anlandebereich in Lubmin bei Greifswald erteilt. Die Genehmigungen aus anderen betroffenen Staaten stehen noch aus.

Durch eine weitere Umleitungspipeline, Turkish Stream, soll russisches Gas in die Türkei befördert werden. Im Juli 2017 wurde bekannt gegeben, dass die Bauarbeiten am Tiefwasserabschnitt eingeleitet worden sind. Projekte wie Nord Stream 2 und Turkish Stream bieten Russland die Möglichkeit, die Abhängigkeit von den Transitländern zu verringern. Die Ukraine ruft stattdessen zur Modernisierung ihres Gasleitungssystems auf, wobei derzeit die Ressourcen für Ersatz- und Modernisierungsinvestitionen weitgehend fehlen.

Disruptive Veränderungen

In der EU soll durch die Ausweitung der Flüssiggasinfrastruktur und den Ausbau einer alternativen nichtrussischen Pipeline im Mittelmeerraum (Trans-Adriatic-Pipeline) sowie durch Interkonnektoren und eine langfristige Dekarbonisierungsstrategie ein liquider und transparenter Erdgasbinnenmarkt entstehen. Betont wird dabei die stärkere Verwendung erneuerbarer Energien und die Steigerung der Energieeffizienz. Erdgas soll in der Übergangsphase zu erneuerbaren Energien eine Schlüsselrolle spielen. Die Produktionskosten erneuerbarer Energien werden weiter sinken, was es ermöglicht, die Dominanz der fossilen Rohstoffe einzuschränken.

Die Gaskonflikte zwischen Russland und der Ukraine in Verbindung mit hohen Energiepreisen stellten für die EU die kritische transformierende Phase dar, die eine Umorientierung hin zu einer ökologisch nachhaltigen EU-Energieversorgung mitverursacht hat, die auf die Ersetzung fossiler Energieträger durch erneuerbare Energie und die Schaffung eines wettbewerbsfähigen Marktes ausgerichtet ist.

Die Entwicklungstendenzen verweisen auf sich ändernde Spielräume in den Produzent-Transitland-Verbraucher-Beziehungen. Durch eine erhöhte Flexibilität der fossilen Energiemärkte werden beispielweise Nutzeffekte für die Flüssiggas-Expansion (LNG für liquefied natural gas) erzielt. Der Handel mit Flüssiggas durch die LNG-Lieferungen wird immer flexibler und stellt das Konzept einer pipelinegebundenen Gasversorgung in Frage. Der Flüssiggashandel wird immer häufiger auf kurzfristigen Verträgen und dem Einsatz von Swapgeschäften, auf Re-Export und anderen Kurzzeitarrangements beruhen.

Die LNG-Lieferungen in Richtung Europa werden aber durch das Tempo des asiatischen LNG-Nachfragewachstums erheblich beeinflusst werden. Europa gilt als Markt am Ende der Schlange, das heißt ein schnelleres Ansteigen der LNG-Nachfrage in Asien wird die globale Zunahme von LNG-Exporten absorbieren, so dass die russischen (Umgehungs-)Pipeline-Exporte nach Europa ihre führende Position behaupten können. Allerdings können unter Umständen die europäischen Energiemärkte auch mit russischem Flüssiggas beliefert werden. Die erste Linie von Yamal-LNG ist beispielweise im Dezember 2017 in Betrieb genommen worden. Das Gasverflüssigungswerk befindet sich auf der Jamal-Halbinsel in Russland und ist ein Joint-Venture von russischen, französischen und chinesischen Energieunternehmen.

Ausblick

In Anbetracht des mangelnden Vertrauens in der Vergangenheit und Gegenwart stehen die Aussichten auf eine vertrauensvolle Atmosphäre zwischen Russland als Produzent und der Ukraine als Transitland mehr als schlecht. Durch den Bau neuer Umgehungspipelines verliert die Ukraine tendenziell ihre Schlüsselrolle als Gastransitland für Russland. Die EU-Dekarbonisierungspolitik und die steigende Bedeutung von (nichtrussischen) Flüssiggas-Lieferungen stellen die russischen Erdgaslieferungen und den ukrainischen Transit vor neue Herausforderungen. Es ist unwahrscheinlich, dass der Gastransit durch die Ukraine bis 2020 komplett eingestellt wird, da dies von einigen EU-Mitgliedsstaaten sehr negativ gesehen wird und die EU an der Beibehaltung der Rolle der Ukraine als Transitland interessiert ist. Der ukrainische Transitweg ist zumindest für die Erdgasimporte in Südosteuropa der kürzeste und im Falle einer Modernisierung könnte er für alle Beteiligten wirtschaftlich profitabel sein. Die Wirtschaftslogik ist aber bei den russischen und ukrainischen Eliten nicht immer bestimmend.


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