Korruption und informelle Praktiken im ukrainischen Geschäftsleben

Von Elena Denisova-Schmidt (St. Gallen)

Zusammenfassung
Die Ukraine bietet interessante Möglichkeiten für einheimische und ausländische Unternehmen. Gleichzeitig ist die Ukraine ein Land mit einigen Herausforderungen für Geschäftsleute: Sie ist gekennzeichnet von einem schwachen und unberechenbaren Rechtsstaat sowie durch die selektive Anwendung von Gesetzen und Korruption. Besonders die Korruption gilt als eines der größten Hindernisse für Geschäftstätigkeiten im Land. Im Corruption Perception Index 2013 von Transparency International nimmt die Ukraine zusammen mit Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik, dem Iran, Nigeria und Papua-Neuguinea Platz 144 von 177 Plätzen ein. Andere Länder-Rankings bestätigen diese Ergebnisse (siehe Dokumentation ab S. 20).

Einleitung
Empirische Untersuchung

In diesem Beitrag werden die Ergebnisse einer Studie präsentiert, die Forschende der Universität St. Gallen und der Nationalen Iwan-Franko-Universität Lemberg im Frühjahr 2013 gemeinsam durchgeführt haben. Das Ziel der Untersuchung bestand u. a. darin zu prüfen, wie ukrainische und ausländische Unternehmen in solch einer korrupten Umgebung arbeiten und ob sie so überhaupt arbeiten können. Das Daten-Set besteht aus 625 Unternehmen, die nach Region und Größe ausgewählt wurden. Die Mehrheit der untersuchten Unternehmen waren einheimische Unternehmen (siehe Abbildung 1). 20 % der befragten Firmen waren Kleinunternehmen mit 20 bis 50 Mitarbeitern, 50 % mittelständische Unternehmen mit 51 bis 250 Mitarbeitern und 30 % große Unternehmen mit 251 bis 1.000 Mitarbeitern (siehe Abbildung 2 auf S. 17).

Neben einigen Fragen zu den Unternehmen wurden die Probanden − Eigentümer, CEOs und CFOs − gebeten, über Korruption und informelle Praktiken aus der Sicht ihrer Firmen zu berichten.

Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen, dass die Unternehmen stark von Korruption in ukrainischen Behörden betroffen sind. Auch andere Studien, z. B. BEEPS, bestätigen, dass »Geschenke« gemacht werden, um die Verwaltungsprozesse zu beschleunigen oder überhaupt eine Lizenz zu erhalten. Dies scheint »business as usual« zu sein.

Die Studie hat jedoch gezeigt, dass das Ausmaß der Korruption in den ukrainischen Behörden etwas übertrieben dargestellt wird: Die Wahrnehmung der Korruption ist etwas größer als die Erfahrung der Unternehmer selbst (Tabelle 1 auf S. 18): Die Fragen »Wie oft sind Ihrer Meinung nach folgende Institutionen in Korruption verwickelt?« und »Wie oft wenden mit Ihrem Unternehmen vergleichbare Unternehmen informelle Praktiken (z. B. Geschenke, zusätzliche Zahlungen) an?« führten zu unterschiedlichen Ergebnissen. (siehe Tabelle 1 auf S. 18)

Unsere Ergebnisse haben u. a. einige regionale Unterschiede bei der Bewertung des Verhaltens der Institutionen gezeigt. So beschweren sich Unternehmen im Norden des Landes etwas stärker über korrupte Gerichte und eine korrupte Polizei (Poltawa, Kirowo­hrad, Tschherkasy, Tschernihiw und Sumy). Unternehmer im Süden nahmen dagegen die Korruption im Zusammenhang mit Zoll und Steuerprüfung als schwächer wahr (Cherson, Odesa und Mykolayiw).

Indem die ukrainischen Unternehmen versuchen, die Schuld an der systematischen Korruption im Land auf die Behörden zu schieben, verbergen sie ihre eigene Korruption.

In den Fragebögen fragte man dies geschickt ab, indem man den Begriff »informelle Praktiken« benutzte. So stellte sich heraus, dass mehr als die Hälfte der befragten Firmen (55,5 %) Aufträge nur aufgrund informeller Beziehungen und Abmachungen vergibt – eine verbreitete informelle Praktik, die im Süden übrigens wesentlich weniger angewendet wird und die in der Terminologie von Transparency International als »Klientelism« oder »Nepotism« bezeichnet wird (siehe Tabelle 2 auf S. 18). Unternehmen im Süden zahlen auch weniger Gehälter bar aus und benutzen Firmeneigentum kaum zu ihrem persönlichen Vorteil. Letzteres kommt im Westen (Tscherniwzy, Sakarpattia, Lwiw, Ternopil und Iwano-Frankiwsk) ebenfalls kaum vor. Unternehmen im Zentrum des Landes (Schytomyr, Wynnyza, Chmelnyzkyi, Rivne und Wolyn) erhalten häufiger Zahlungen von Stellensuchenden. Das sind Aktivitäten, die die Betroffenen nicht unbedingt als Korruption betrachten. Diese Einstellung von Eigentümern, CEOs und CFOs erklärt auch die Tatsache, dass in den Firmen kaum Anti-Korruptionsmaßnahmen zum Einsatz kommen (siehe Tabelle 3 auf S. 19).

Im Vergleich mit den anderen Regionen sind Unternehmen im Süden weniger offen für Initiativvorschläge an regionale Behörden. Firmen in der zentralen Region behaupten öfters, Medien und Gerichte gegen Korruption zum Einsatz zu bringen, während Firmen in der West-Ukraine im Umgang mit den lokalen Behörden die Anwendung von Pufferstrategien über Dritte bevorzugen, eine Art »Outsourcing« der Korruption.

Eine der Fragen widmete sich der Rechtfertigung der informellen Praktiken. Die Mehrheit ist der Meinung, dass informelle Praktiken finanzielle Herausforderungen (81,8 %) und andere Hindernisse für ihre Geschäftstätigkeit (78,2 %) darstellen. Gleichzeitig sind die ukrainischen Geschäftsleute überzeugt, dass informelle Praktiken beim Einsparen von Geld und Zeit sehr behilflich sind (46,1 % bzw. 63,2 %).

Ein wesentliches Ergebnis der Studie besteht darin, dass die ukrainischen Unternehmer Korruption nicht als großes Problem wahrnehmen. Die meisten Unternehmer betrachten Korruption als Teil ihrer Geschäftstätigkeit und haben sich entsprechend darauf eingestellt.

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