Zwischen Kalkül, Klientelismus und »Leidenschaft«: Ukrainische Oligarchen als Wohltäter und Mäzene

Von Steffen Halling (Berlin)

Zusammenfassung
Während die politische Einflussnahme auf Parteien und Massenmedien sich längst zu einem kollektiven und omnipräsenten Charakteristikum ukrainischer Oligarchen entwickelt hat, hat sich in den vergangenen Jahren ebenso der Trend abgezeichnet, dass Oligarchen zunehmend als Wohltäter und Mäzene in Erscheinung treten und ihr bisheriges Handlungsportfolio damit erweitert haben. Ihre Wohltätigkeits- und Mäzenatenarbeit ist vielschichtig. Ein Blick in den postsowjetischen Raum zeigt, dass diese sowohl regimestabilisierende als auch subversive Funktionen haben kann.

Einleitung

Neben der Pluralisierung und Differenzierung, die die politische Einflussnahme der Oligarchen nach der Orangen Revolution charakterisiert haben und etwaige politische Affiliationen so oft nur vage bestimmbar machen, sticht vor allem auch ihr veränderter Umgang mit der Öffentlichkeit hervor. Diese Öffentlichkeit hatten sie lange Zeit weitgehend gemieden. Als sie jedoch verstärkt zum Gegenstand öffentlicher Kritik wurden und als »Banditen«, deren Entmachtung zu einer zentralen politischen Losung avancierte, öffentlich an den Pranger gestellt wurden, distanzierten sie sich mit Nachdruck vom gängigen Bild der kriminellen Gewaltunternehmer. Viele Oligarchen starteten nun öffentlichkeitswirksame Versuche, um durch gesellschaftliches Engagement patriotisches und verantwortungsbewusstes Handeln zu demonstrieren.

Institutionalisierte Öffentlichkeitsarbeit

Bis heute stechen zwei Bereiche hervor, durch die Oligarchen ihr Erscheinungsbild steuern. Erstens handelt es sich um private Stiftungen, die im Namen der Oligarchen Wohltätigkeitsarbeit verrichten. Sie können als ein Korrelativ zu dem aus der Orangen Revolution hervorgegangenen öffentlich-konfrontativen Umfeld betrachtet werden, da ihre Gründung in den meisten Fällen ab 2005 erfolgte. Unter Präsident Wiktor Juschtschenko zeigte sich dabei sehr deutlich, dass ihre Wohltätigkeitsarbeit ihre Amnestierung begünstigen bzw. legitimieren sollte. Für eine Interpretation, die die indirekte Verpflichtung der Oligarchen zu verantwortungsbewusstem Handeln als eine einvernehmliche Form der symbolischen Kompensation für in der Vergangenheit begangene Rechtsbrüche wertet, spricht vor allem, dass der damalige Präsident nach der Unterzeichnung eines Memorandums, das u. a. Reprivatisierungen eine Absage erteilte, an die Ehre der Oligarchen als verantwortungsbewusste Geschäftsmänner appellierte und sie dazu aufforderte, ihrer nationalen Verantwortung nachzukommen. Später rief er per Dekret das Wohltätigkeitsprojekt »Gib dem Kind Wärme durch Liebe« ins Leben. Die Oligarchen erklärten sich bereit, das Projekt zur Unterstützung sozial schwacher Mehrkindfamilien sowie behinderter Kinder und Waisen auf regionaler Ebene zu realisieren. Neben der Wohltätigkeitsarbeit ragt zweitens ihr massenwirksames Mäzenatentum im Sport hervor. Nicht nur im Fußball, sondern auch in bislang weniger populären Sportarten, wie Eishockey oder Basketball, zeichnet sich eine zunehmende Präsenz der Akteure ab. Dabei ist sowohl im Bereich der Wohltätigkeitsarbeit als auch mit Blick auf das Mäzenatentum in den zurückliegenden Jahren eine Professionalisierung zu beobachten und sich durch eine gewachsene internationale Kooperations- bzw. Konkurrenzfähigkeit auszeichnet.

Oligarchen und Wohltätigkeitsarbeit

Art und Umfang der Wohltätigkeitsaktivitäten ukrainischer Oligarchen sind vielfältig. Heute am zweifellos präsentesten zeigen sich dabei Wiktor Pintschuk und Rinat Achmetow. Vor allem sie waren als besondere Profiteure des Ancien Régime in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Achmetow, der sich nicht nur rhetorisch, sondern auch gerichtlich national und international strikt gegen das Bild eines raffgierigen Oligarchen kriminellen Ursprungs zur Wehr setzte und 2008 zum ukrainischen »Wohltäter des Jahrzehnts« gekürt wurde, rief im Jahr 2005 die »Rinat Achmetow Stiftung für die Entwicklung der Ukraine« ins Leben. Die Arbeit der Stiftung, die jährlich etwa 20 Mio. Euro für Wohltätigkeitsprojekte ausgibt, lässt sich keinem eindeutigen Schwerpunkt zuordnen. Allerdings richtet sie zumindest einen Fokus auf Gesundheitsvorsorge im Allgemeinen und die Bekämpfung von Tuberkulose in der Ostukraine im Speziellen. Dabei betont sie ausdrücklich, dass sie sich hier eines Problemfelds angenommen hat, das von staatlicher Seite vernachlässigt wurde. Während internationale Förderungsanträge der zuständigen Ministerien mehrfach in Folge eines allgemeinen Misstrauens gegenüber der Ukraine sowie intransparenter Prozeduren abgelehnt worden seien, sei es seiner Stiftung gelungen, sich erfolgreich als Partner des von der den G7-Staaten gegründeten Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria zu etablieren und internationale Fördergelder in Höhe von 95 Mio. US-Dollar einzuwerben. Darüber hinaus ist die Stiftung auch in unterschiedlichen anderen sozialen Bereichen aktiv: Hierzu gehören Projekte zur Unterstützung von Waisenkindern und bedürftigen Familien, aber auch Hilfeleistungen in Katastrophen- bzw. Notsituationen, wie etwa bei Grubenunglücken. Bei den meisten Projekten konzentriert sich die Stiftungsarbeit dabei vornehmlich auf die Region Donezk. Teilweise reicht die Arbeit der Stiftung Achmetows aber auch in andere Landesteile: materielle Hilfe erfuhren so etwa die Opfer einer Gasexplosion in Dnipropetrowsk oder auch Geschädigte des Hochwassers 2008 in mehreren westlichen Regionen. Ferner engagiert sich Achmetows Stiftung im Bildungs- und Kultursektor. Sie fungiert dabei u. a. als Partner der Journalistenschule der Kiewer Mohyla-Akademie, wo sie postgraduierte Studienkurse zur digitalen Zukunft des Journalismus sowie ein Doktorandenprogramm zu »Massenkommunikation« finanziert.

Im Unterschied zu Achmetow findet die von Pintschuk betriebene »Philanthropie« in einem deutlich internationaleren Umfeld statt. Dies spiegelt sich nicht nur in der Häufigkeit entsprechender Personenportraits in internationalen Printmedien wider, sondern auch darin, dass die 2006 gegründete »Viktor Pinchuk Foundation« eine eigene Sparte für global ausgerichtete Projekte aufweist. Hierunter fällt u. a. die Yalta European Strategy (YES), deren Konferenzen in Jalta jedes Jahr hochrangige internationale Gäste zusammenführt und sich dabei sowohl mit ukrainischen als auch europäischen und globalen Zukunftsfragen auseinandersetzt. Neben der Kooperation mit einer Reihe von internationalen Stiftungen und Think Tanks organisiert die Stiftung im Rahmen des alljährlichen Weltwirtschaftsforums in Davos ferner das »Ukrainian Lunch« sowie einen internationalen »Runden Tisch der Wohltätigkeit«. Pintschuks internationales und vermeintlich »pro-europäisches« Auftreten hat sich längst zu seinem Alleinstellungsmerkmal entwickelt. Seine Stiftungsarbeit bringt so für ihn den zusätzlichen Effekt der Integration in internationale Elitennetzwerke mit sich. Über Bill Clinton etwa, dessen Stiftung 2011 mit 1,1 Mio. US-$ von Pintschuk geförderte wurde, soll der Kontakt zu Tony Blair hergestellt worden sein. Blair wiederum, dessen »Faith Foundation« im gleichen Jahr eine Spende von Pintschuk über 500.000 Mio. US-$ erhielt, trat bereits mehrfach in der Ukraine auf und erweist sich als Fürsprecher ukrainischer EU-Aspirationen. Zuletzt besuchte er ein zu Pintschuks Interpipe-Konzern gehörendes neu eröffnetes Hüttenwerk in Dnipropetrowsk, das er als eines der »besten und modernsten« seiner Art bezeichnete. Das Streben nach Anerkennung und Respekt, gepaart mit Integrationsbestrebungen in internationale Elitennetzwerke, zeichnet sich schließlich auch darin ab, dass Pintschuk unlängst bekannt gab, die Hälfte seines Vermögens im Rahmen der von Bill Gates und Warren Buffet initiierten Giving Pledge zu spenden. Pintschuk, der offiziell die Bühne der Politik nach den Parlamentswahlen 2006 verlassen hat, ist als Philanthrop aber auch unmittelbar in der Ukraine präsent. So betreibt er mit dem frei zugänglichen PinchukArtCentre das größte Privatmuseum für moderne Kunst im postsowjetischen Raum, engagiert sich durch die Vergabe von Studienstipendium im Ausbildungsbereich, finanziert Hochschulen und hält öffentliche Vorlesungen ab. Darüber hinaus veranstaltet er gemeinsam mit der Anti-AIDS-Stiftung von Elena Frantschuk, seiner Ehefrau und Tochter des ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma, regelmäßig kostenlose Open-Air-Konzerte, die durch die Auftritte international renommierter Musiker ein Millionenpublikum erreichen.

Neben Achmetow und Pintschuk sind weitere Oligarchen als Wohltäter und Spender aktiv, wenn auch nicht in vergleichbarem Ausmaß. Die »DF Foundation« von Dmytro Firtasch zeigte zuletzt im Bereich der Förderung von Wissenschafts- und Kultureinrichtungen im In- und Ausland Präsenz. So spendete sie bspw. der University of Cambridge 6,7 Mio. US-$ für die dauerhafte Inbetriebnahme des Studienprogramms »Ukrainian Studies«. Ein eigenes Stipendienprogramm, das sog. »Cambridge-Ukraine Studentship«, soll ukrainischen Studierenden die Möglichkeit geben, ein Jahr in Cambridge zu studieren. Firtasch soll zudem finanziell am Aufbau des neuen Campus der 2002 wieder eröffneten Katholischen Universität in Lwiw beteiligt sein und auch die Restauration der Nationalen Universität in Tscherniwzi fördern. Dort soll er sich ebenso am Aufbau der orthodoxen Trojeschina-Kathedrale beteiligt haben, wofür ihn Patriarch Kirill mit dem Orden des Seraphim von Sarow auszeichnete. Die Förderung von religiösen Einrichtungen spielt schließlich auch bei Igor Kolomojskij eine Rolle. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Gennadij Bogoljubow errichteten sie zuletzt in Dnipropetrowsk das sog. »Menorah Centre«. Mit Baukosten von über 80 Mio. US-$ stellt das 32.000 Quadratmeter-Bauwerk das größte jüdische Gemeinschaftszentrum der Welt dar. Neben Gemeinschaftsräumen beheimatet es sowohl Museen als auch Geschäfte, koschere Restaurants und ein Hotel. Die in London registrierte »Bogoljubov Foundation« fördert außerdem chassidische Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen in Österreich sowie Rekonstruktionsarbeiten des antiken Jerusalems. Andere Oligarchen treten wiederum in erster Linie in ihren Heimatregionen als soziale und kulturelle Wohltäter in Erscheinung. Hierzu gehören Akteure wie Petro Poroschenko, Oleksandr Feldman und Borys Kolesnikow. Die materielle Unterstützung von bedürftigen Familien, Kindern und Behinderten sowie die Förderung sozialer und medizinischer Einrichtungen stehen dabei ebenso wie der Bau von Gedenkstätten, Monumenten und städtischen Freizeitanlagen im Vordergrund.

Mäzenatentum im Sport

Im Sport, insbesondere im Fußball, sind Investitionen der Oligarchen ein seit längerem zu beobachtendes Phänomen. Eine Art Vorreiterrolle kommt hier den Gebrüdern Surkis sowie Achmetow zu. Erstere erwarben den Traditionsklub Dynamo Kiew 1993 und investierten seitdem mehr als 100 Mio. Euro in den ehemaligen KGB-Verein. Achmetow indes, der »Schachtar« 1996 übernahm, nachdem dessen damaliger Präsident und »Pate« von Donezk, Achat Bragin, während eines Fußballspiels einem Bombenattentat zum Opfer fiel, soll etwa eine halbe Milliarde Euro für den Donezker Profifußball ausgegeben haben. Neben des neuen symbolträchtigen Wahrzeichens der Stadt, der etwa 300 Mio. Euro teuren »Donbass Arena«, errichtete er unter anderem ein hochmodernes Trainings- und Nachwuchszentrum und transferierte internationale Fußballstars in den Donbas. Erfolgreiche Auftritte auf internationaler Bühne haben den Verein längst über die Landesgrenzen der Ukraine hinaus bekannt gemacht. Weitere populäre Beispiele der Oligarchisierung des ukrainischen Fußballs stellen die Vereine Dnipro Dnipropetrowsk und Metalist Charkiw dar. Während sich »Dnipro« im Besitz von Kolomojskij befindet, konnte sich »Metalist« bis zuletzt der Förderung durch Oleksandr Jaroslawskij erfreuen. Dieser machte öffentlich keinen Hehl daraus, sich an Achmetows Modell orientiert zu haben. Auch andere Klubs, wie bspw. Karpaty Lwiw, Metallurg Donezk, Arsenal Kiew oder Worskla Poltawa befinden sich unter der Führung von zumindest einflussreichen Wirtschaftsakteuren.

Warum ukrainische Oligarchen immense Summen für den Fußball ausgeben, ist eine Frage, die sich immer wieder stellt. Das Mäzenatentum im Fußball scheint keinen direkten ökonomischen Profit abzuwerfen. Einnahmen aus Fernsehübertragungen, Eintrittsgeldern, Merchandise-Artikeln und Spielertransfers waren bislang marginal. Das Engagement im Fußball kann daher vielmehr als ein Reproduktionsinstrument lokaler Macht- und vertikaler Klientelverhältnisse betrachtet werden. Wellgraf bemerkt in diesem Zusammenhang zu Recht, dass »das ukrainische Fußballsystem nicht losgelöst vom Herrschaftssystem der Oligarchen verstanden werden kann«. Dass die Vereine unter konkurrierenden Akteuren umkämpft sein und somit gleichzeitig Hinweise auf Konfliktkonstellationen und Verschiebungen innerhalb der Elite liefern können, zeigte jüngst der Fall Metalist Charkiw: Jaroslawskij, bislang bekannt als »König von Charkiw« und sich stets als leidenschaftlicher Metalist-Fan im Stadion präsentierend, verkaufte Ende 2012 den Verein überraschenderweise an den bis dato unbekannten Sergej Kurtschenko. Die Hintergründe des Deals sind bislang unklar. Jaroslawskij selbst erklärte, nicht freiwillig, sondern unter Druck der Charkiwer Administration gehandelt zu haben. Tatsächlich wurde mehrfach über Konflikte zwischen ihm und der regionalen Elite berichtet. Der erst 27-jährige Kurtschenko gilt indes als Emporkömmling der Ära Janukowytsch und soll beste Kontakte zu dessen älterem Sohn Oleksandr pflegen. Als eine Art Inbegriff der immer häufiger zitierten »Familisatsija« – dem sprunghaften Aufsteigen von Angehörigen der Präsidentensippschaft, die in zunehmende Konkurrenz zu den etablierten Akteuren treten – soll die von ihm geführte Unternehmensgruppe »Gaz­Ukraina-2009« bereits im vergangenen Jahr Firtasch beim Kauf einer der langdesweit größten Erdölraffinerien ausgestochen haben. Durch die Übernahme von »Metalist« begibt sich der in den Medien bereits als »neuer Gaskönig« titulierte Kurtschenko nun aus dem Schattendasein. Parallel dokumentieren ukrainische Medien seit Anfang 2013 den Aufbau und die Legalisierung einer neuen finanz-industriellen Gruppe, die unter dem Namen »Osteuropäisches Brennstoff- und Energieunternehmen« über fünfzig Unternehmen von »GazUkraina-2009« zusammenfasst, die bislang alle auf Personen aus Charkiw registriert waren. Sowohl der Kauf von »Metalist« als auch die jüngst erfolgte Übernahme einer weiteren, bislang unter der Kontrolle des russischen Mineralölkonzerns Lukoil gestandenen Ölraffinerie in Odessa lassen die Einflussfähigkeit des innerhalb weniger Monate aufgestiegenen Kurtschenko erahnen.

Basketball – neuer ukrainischer »Trendsport«?

Neben der notwendigen Hervorhebung von öffentlichkeitswirksamen und klientelistischen Aspekten hat es in der Vergangenheit letztlich aber auch Hinweise darauf gegeben, dass das Engagement der Oligarchen im Fußball durchaus finanzielle Dividenden abwerfen kann. Dies zeigte sich vor allem im Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf die Fußballeuropameisterschaft. Das Einflusspotential der Oligarchen in den nationalen Fußballstrukturen, letztlich bedingt durch die entsprechend aufgebauten regionalen Monopolstellungen, machte die erfolgreiche Ausrichtung des Turniers von der Kooperation mit den Oligarchen unabdingbar. Wie mehrfach berichtet wurde, boten das Turnier und die damit verbundenen Infrastrukturprojekte mannigfache Möglichkeiten der persönlichen Bereicherung. Ein Vorgang, der sich in dieses Muster fügen könnte, zeichnet sich nun in den aktuellen Vorbereitungen auf die im Jahr 2015 in der Ukraine stattfindende Europameisterschaft im Basketball ab. Die erfolgreiche Realisierung des Turniers hat Janukowytsch, wie auch im Falle der Euro2012, durch ein eigens eingesetztes Koordinationskomitee zur Chefsache erklärt. Den Zuschlag zur Ausrichtung des Turniers hatte die Ukraine erhalten, nachdem ein Quartett der nationalen Basketballverbände Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Kroatiens eine Gemeinschaftsbewerbung spontan zurückgezogen hatte. Die gemeinsame Austragung des Turniers durch die Verteilung auf mehrere Metropolen sollte Kosten reduzieren und möglichst viele Zuschauer anlocken. Kurz vor Ablauf der Bewerbungsfrist änderte die Europasektion des Internationalen Basketballverbandes FIBA jedoch die Ausschreibungsmodalitäten und verlangte von den Bewerberparteien, finanzielle Garantien vorzuweisen. Während das Konsortium sich nicht im Stande sah, bereits vor einer festen Austragungszusage einen entsprechenden Sponsoren zu präsentieren, reichte die ukrainische Seite ihre Bewerbung nach und präsentierte die zu Kolomojskijs Privat-Imperium gehörende, mittlerweise insolvente Fluggesellschaft Aerosvit als offiziellen Partner. Kolomojskij, der bei Fußalleuropameisterschaft noch das Nachsehen hatte, da Dnipropetrowsk seinen Austragungsstatus an Charkiw verlor, tritt seit geraumer Zeit als der wichtigste Sponsor des ukrainischen Basketballs in Erscheinung. Seiner Einflusszone werden bis zu sieben Basketballvereine der ukrainischen »Superliga« zugerechnet. Welche konkreten Ziele er durch die Förderung einer Sportart verfolgt, die in der Ukraine weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit genießt als Fußball, blieb bislang unklar. Unter der Berücksichtigung der öffentlichen Ausschreibungspraktiken könnte sich allerdings auch Engagement finanziell auszahlen. Zwar ist das Investitionsvolumen deutlich geringer als bei der Euro 2012, allerdings müssen auch im Zuge der Vorbereitungen auf das Turnier 2015 Infrastrukturprojekte größeren Ausmaßes realisiert werden. Entsprechend eines zuletzt präsentierten Regierungskonzeptes belaufen sich die bislang kalkulierten öffentlichen Ausgaben auf knapp 700 Mio. Euro. Vor allem der Bau neuer Landebahnen für die Flughäfen in Dnipropetrowsk und Odessa, die Rekonstruktion des Kiewer Sportpalasts, die Errichtung von Trainingsstätten sowie generelle Infrastrukturmaßnahmen in den Austragungsorten sollen aus dem Staatshaushalt finanziert werden. Weitere 400 Mio. Euro sind für den Neubau von sechs Multifunktionsarenen kalkuliert, die von privaten Investoren im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften größtenteils auf Grundlage staatlich geförderter Kredite errichtet werden. Die Ausschreibung für den Bau von vier dieser Multifunktionshallen (Kiew, Dnipropetrowsk, Odessa und Lwiw) hat die sich im Eigentum von Kolomojskij und Dmitrij Burjak befindende Gruppe »United Basketball Investments« gewonnen. Die in Donezk zu bauende »Kalmius Arena« wird derweil vom städtischen Eishockeyklub »HK Donbass« errichtet. Eigentümer des Vereins, der seit 2012 in der zweitstärksten Liga der Welt, der Kontinentalen Hockeyliga KHL auftritt, ist Borys Kolesnikow. In Charkiw ist es derweil erneut Kurtschenko, der als Hauptinvestor bei den Turniervorbereitungen fungiert und nach Angaben des Bürgermeisters der Stadt somit unterstreicht, dass ihm »das Schicksal Charkiws und der Ukraine nicht gleichgültig ist«.

Fazit

Die zunehmende Präsenz der Oligarchen im Sport, der Kunst und Kultur sowie in der sozialen Wohlfahrt zeigt, dass sie sich als immanentes Charakteristikum des politischen Systems der Ukraine keineswegs als bewegungsunfähige Akteure präsentieren, sondern vielmehr in einem Wechselspiel mit den politischen, ökonomischen und auch sozialen Rahmenbedingungen agieren und auf Veränderungen ihres Handlungsumfeldes entsprechend reagieren. Wohltätigkeit und Mäzenatentum können dabei potentiell mehrere Funktionen erfüllen: Wie Frye mit Blick auf Russland herausgearbeitet hat, lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen dem Handeln der Akteure und der Legitimität ihrer häufig zur Disposition stehenden Eigentumsrechte konstatieren. »Gute Arbeit«, wie sie dort etwa durch die Bereitstellung öffentlicher Grüter verstärkt nach dem Machtantritt Putins beobachtet werden konnte, wirkt sich dabei positiv auf ihre Legitimation aus und trägt zur Regimestabilisierung bei. Einen Erklärungsansatz, der sich stärker noch an den Funktionslogiken eines kompetitiv-autoritären Regimes orientiert, in dem es dem Staat nicht gelingt, die Bedürfnisse der Bevölkerung hinreichend zu befriedigen, liefert derweil Radnitz. Wie von ihm am Beispiel der kirgisischen »Tulpenrevolution« herausgearbeitet, können in Wohltätigkeit und Mäzenatentum zum Ausdruck kommende gezielte symbolische und materielle Investitionen dem Aufbau strategischer Allianzen dienen. Die Schaffung solcher sozialer »Fange­meinden« mittels der »Waffen der Reichen« kann dabei in einem vorherrschenden Klima der Unsicherheit als eine Art vertikale Rückversicherung fungieren. Werden die Interessen der Akteure gefährdet, so können Klientelbeziehungen dieser Art auch einen subversiven Charakter erlangen. Das Beispiel des derzeitigen georgischen Ministerpräsidenten Bidsina Iwanischwili, der als Oligarch im Zuge der Parlamentswahlen auch an seiner Wohltätigkeitsarbeit gemessen wurde, verdeutlicht die Relevanz, die einer strategischen Öffentlichkeits- und Klientelarbeit zukommen kann. Auch im ukrainischen Fall könnte die Wohltätigkeits- und Mäzenatenarbeit der bislang etablierten Akteure im Falle von Interessenskonflikten, wie sie sich derzeit etwa im Zuge der »Familisatsija« abzeichnen, ein relevantes, zusätzliches Machinstrument darstellen.

Lesetipps / Bibliographie

  • Frye, Timothy (2006): Original Sin, Good Works, and Property Rights in Russia, in: World Politics, 58 (4), S. 479–504.
  • Radnitz, Scott (2010): Weapons of the Wealthy: Predatory Regimes and Elite-led Protests in Central Asia, Ithaca: Cornell University Press.
  • Wellgraf, Stefan (2011): Die Millionengaben. Fußball und Oligarchen in der Ukraine, in: Dahlmann, Dittmar et al. (Hsrg.): Überall ist der Ball rund. Zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs ins Ost- und Südosteuropa – Nachspielzeit, Essen: Klartext-Verlag, S. 97–105.

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