Die Russland-Sanktionen der Europäischen Union: Feigenblatt oder politischer Trumpf?

Von Monika Wohlmann (Düsseldorf)

Zusammenfassung
Die seit März 2014 angesichts der Lage in der Ukraine und gegenüber Russland eingeführten Sanktionen der Europäischen Union (EU) haben bisher als Druckmittel nicht ausgereicht, um eine Lösung des Konflikts in der Ukraine herbeizuführen. Vor diesem Hintergrund werden die von der EU getroffenen Sanktionen näher untersucht und auf ihre Wirksamkeit geprüft.

»Intelligente« Sanktionen

Ende der 1990er Jahre wurde durch die Schweizer Regierung ein Prozess initiiert, um ein Konzept für sogenannte »intelligente« Sanktionen zu entwickeln. Ziel war es, Sanktionen so zu gestalten, dass sie einerseits durch ihre Wirkung auf die politisch Verantwortlichen Druck ausüben, andererseits aber negative Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung oder auf Drittländer minimieren. In diesem Sinne sind auch die Sanktionen im Zuge der Ukraine-Krise als »intelligente« Sanktionen ausgestaltet worden und richten sich gegen ausgewählte natürliche oder juristische Personen und bestimmte Sektoren oder Gütergruppen (s. Tabelle 2 auf S. 15). Alle Maßnahmen werden von der EU laufend überarbeitet und sind bis in das Jahr 2016 hinein verlängert worden.

Sanktionen gegen natürliche und juristische Personen

Anfang März 2014 wurde eine Liste von Personen veröffentlicht, deren Vermögen in der EU eingefroren wurde. Wenig später wurden weitere Personen gelistet, denen darüber hinaus auch die Einreise in bzw. die Durchreise durch die EU untersagt wird. Während den Personen der ersten Liste im Wesentlichen strafrechtliche Handlungen nach ukrainischem Recht vorgeworfen werden, werden in der zweiten Liste Personen mit restriktiven Maßnahmen belegt, die für Handlungen verantwortlich sind, die die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine bedrohen.

Eine Auswertung der von Sanktionen betroffenen natürlichen Personen (s. Grafik 1 auf S. 16 und Grafik 2 auf S. 17) zeigt, dass es sich hier zu etwa der Hälfte um Personen handelt, die zurzeit in der Ukraine aktiv sind. Über 70 Prozent der gelisteten Personen bekleiden bzw. bekleideten politische Ämter. Militärische Akteure machen dagegen nur etwa ein Viertel aus, obwohl diese Kategorie bereits weit ausgelegt wurde, indem auch Mitglieder des Sicherheitsrates hierzu gezählt wurden. Alles in allem richten sich diese Sanktionen damit vorwiegend gegen politische Akteure, die in der Ukraine selbst aktiv sind.

Die Liste der natürlichen Personen wurde im Mai 2014 durch juristische Personen ergänzt, deren Vermögen in der EU eingefroren wurde. In der Mehrheit handelt es sich hierbei jedoch nicht um Unternehmen im eigentlichen Sinn sondern um politische Separatistenbewegungen und bewaffnete Einheiten, die zusammen 62 Prozent der gelisteten juristischen Personen ausmachen (s. Grafik 3 auf S. 17). Die meisten gelisteten juristischen Personen dürften kaum Vermögen in der EU besitzen, so dass sie von der Sanktion des Einfrierens wenig betroffen sein dürften. Die Listung zielt vielmehr drauf ab, auch künftig keine Geschäfte mit diesen Einheiten zu tätigen und ihnen wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung aus der EU zu untersagen.

Die Sanktionen gegen natürliche und juristische Personen richten sich insgesamt ausschließlich gegen unmittelbar mit der Annektierung der Krim und der Separationsbewegung in der Ost-Ukraine verbundene Personen und Körperschaften.

Als Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat die EU im Juni 2014 außerdem restriktive Maßnahmen beschlossen, die die Wirtschaftsbeziehungen mit der Krim stark einschränken. Diese Maßnahmen sind auf bestimmte Sektoren begrenzt, um den Schaden für die Bevölkerung gering zu halten. Die Sanktionen bestätigen, dass die neue Republik Krim und die Stadt Sewastopol auch als Wirtschaftspartner nicht anerkannt werden. Damit üben diese Sanktionen indirekt Druck aus, da die Region in ihrer weiteren wirtschaftlichen Entwicklung behindert wird.

Selektive Wirtschaftssanktionen

Im September 2014 wurden die bisherigen Maßnahmen durch selektive Wirtschaftssanktionen gegen russische Unternehmen verstärkt. Diese Sanktionen zielen nun direkt darauf ab, die russische Wirtschaft bzw. die russische Regierung zu treffen. Im Unterschied zu den bisherigen Sanktionen sind jetzt nicht nur mit der Ukraine bzw. der Krim in Verbindung stehende Unternehmen betroffen sondern auch russische Unternehmen ohne unmittelbare Beziehungen zur Ukraine oder der Krim. Sanktionen wurden in erster Linie für die Sektoren Finanzdienstleistungen, Rüstung und Energie verhängt.

Größeren Kreditinstituten, die mehrheitlich unter Kontrolle des russischen Staates stehen, sowie deren Tochterunternehmen ist es untersagt, Schuldverschreibungen, Kapitalbeteiligungen und sonstige Finanzierungsinstrumente mit einer Laufzeit von über 30 Tagen im EU-Kapitalmarkt zu begeben oder zu handeln. Die betroffenen russischen Banken sowie einige russische Großunternehmen wurden namentlich aufgelistet (s. Tabelle 3 auf S. 15).

Da der russische Bankensektor in hohem Maße konzentriert und in staatlicher Hand ist, machen die betroffenen Banken mit ihren Töchtern, gemessen am Netto-Anlagevermögen, Ende 2014 fast 60 Prozent des Bankensektors aus (s. Tabelle 3 auf S. 15). Der Bankensektor ist damit durch gezielte Sanktionen maßgeblich betroffen, denn mit der EU fällt ein wichtiger ausländischer Kapitalmarkt weg.

Bei den gelisteten Unternehmen handelt es sich um Unternehmen, die auch für militärische Zwecke produzieren und unter mehrheitlicher Kontrolle des russischen Staates stehen. Finanzsanktionen gegen diese Unternehmen dürften daher konkret dadurch motiviert sein, die Finanzierung der Waffenproduktion zu erschweren.

»Rosneft« ist mit Abstand Russlands größter Erdölproduzent mit einem Marktanteil von rund 38 Prozent (s. Tabelle 3 auf S. 15), »Gasprom Neft« steht an vierter Stelle (6 Prozent Marktanteil) und »Transneft« betreibt das staatliche Monopol der Erdölpipelines. Mit diesen Sanktionen wird gezielt die russische Erdölproduktion als wichtiger Industriezweig Russlands angegriffen, um dadurch Druck auf die politischen Machthaber auszuüben, die nun um Deviseneinnahmen aus dem Erdölgeschäft fürchten müssen. Es wird bisher allerdings nur die Erdöl- und nicht die Gasproduktion sanktioniert, da die Abhängigkeit Europas von russischen Gaslieferungen eine Sanktionierung hier offensichtlich nicht opportun erscheinen lässt.

Neben den bisher beschriebenen Finanzsanktionen, durch die die russischen Erdölfirmen betroffen sind, ist die Sanktionierung dieses Sektors noch durch weitere Maßnahmen verstärkt worden, indem der Know-How-Transfer, konkret die Lieferung von Technologien im Bereich der Erdölförderung in der Tiefsee, der Arktis oder der Gewinnung von Schieferöl, verboten wurde. Insgesamt betreffen die Sanktionen im Erdölsektor weniger die laufende Produktion als vielmehr den Ausbau des Erdölsektors, da der Zugang zu Finanzmitteln durch die Finanzsanktionen erschwert und durch den untersagten Technologietransfer die Erschließung neuer Geschäftsfelder behindert wird.

Der Zuschnitt der Sanktionen im Erdölsektor zeigt die Gratwanderung, die die EU mit ihren Sanktionen gehen muss: Einerseits ist der Energiesektor ein wichtiges Standbein der russischen Wirtschaft, so dass Sanktionen, die hier ansetzen, den Staat empfindlich treffen können. Andererseits ist die europäische Wirtschaft auf russische Energielieferungen angewiesen, so dass sie sich mit Sanktionen ins eigene Fleisch schneiden würde. Diese Überlegungen schränken den Kreis der möglichen und potenziell wirksamen Sanktionen in diesem Sektor deutlich ein.

Des Weiteren wurden die Ein- und Ausfuhr von Rüstungsgütern von und nach Russland sowie die Ausfuhr von spezifizierten Gütern mit doppeltem, also zivilem und militärischem Verwendungszweck – sogenannte Dual-Use-Güter – untersagt. Dieses Verbot erstreckt sich auch auf Dienstleistungen und Finanzhilfen und wurde durch eine Liste von Unternehmen ergänzt, an die keine Dual-Use-Güter verkauft werden dürfen. Hierbei handelt es sich um neun Unternehmen, die auch für militärische Zwecke produzieren (s. Tabelle 4 auf S. 15). Alles in allem sind die Sanktionen gegen die russische Rüstungsindustrie Folge der nicht nur politischen sondern auch militärischen Unterstützung der Separatistenbewegung durch Russland. Daher können Waffenembargos nicht nur auf den Konflikt in der Ukraine begrenzt bleiben.

Politische, wirtschaftliche und andere Sanktionen

Mit den Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise hat die EU erstmalig Sanktionen gegen eine bedeutende politische Weltmacht verhängt, die ihr zudem noch geografisch nahe steht. Damit kommt diesen Sanktionen eine besondere politische Brisanz zu. Neben Sanktionen, die darauf abzielen, den bewaffneten Konflikt zu entschärfen, indem sie die Rüstungsindustrie schwächen, sind auch Sanktionen ergriffen worden, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang zum bewaffneten Konflikt stehen, im Sinne von intelligenten Sanktionen aber Druck auf die politisch Verantwortlichen ausüben sollen. In diesem Zusammenhang sind z. B. die Finanzsanktionen gegen russische Banken und die Sanktionen im Erdölsektor zu nennen.

Da kriegsbezogene Sanktionen den Konflikt in der Regel nicht lösen sondern nur entschärfen können, fällt den politisch motivierten Sanktionen die bedeutendere Rolle bei der Konfliktlösung zu. Im Folgenden werden die getroffenen Sanktionsmaßnahmen daher in diese zwei Kategorien unterschieden. Des Weiteren werden als dritte Kategorie noch Maßnahmen, die die wirtschaftliche Entwicklung der Krim und Sewastopols betreffen, separat gefasst (s. Tabelle 5 auf S. 16).

Gegen militärische Aktionen gerichtet sind alle Sanktionen, die die Produktion von Rüstungsunternehmen und Waffenlieferungen beschränken können. Hierunter fallen sowohl die Finanz- als auch die Ein- und Ausfuhrbeschränkungen. Des Weiteren gehören hierzu auch Einreiseverbote und Vermögenseinfrierungen von politischen und bewaffneten Gruppierungen. Gegen politisches Verhalten richten sich Sanktionen, die politische und militärische Machthaber persönlich betreffen oder Sanktionen, die auf Sektoren wirken, die nicht unmittelbar mit dem bewaffneten Konflikt in Zusammenhang stehen, wie z. B. Sanktionen gegen den russischen Bankensektor und die russische Erdölindustrie. Im weiteren Sinne können hierzu auch die Sanktionen der Kategorie 3, die die wirtschaftliche Entfaltung der Krim betreffen, subsummiert werden, denn durch die wirtschaftliche Ächtung der Krim soll auch politischer Druck aufgebaut werden.

Fazit

Das Erfolgspotenzial der Sanktionen gegen politisches Verhalten hängt von ihren wirtschaftlichen Auswirkungen ab. Nur wenn die wirtschaftlichen Folgen gravierend sind, können die Sanktionen ein ausreichendes Druckmittel darstellen – wenngleich dies allein noch nicht ihren Erfolg garantiert. Die natürlichen Personen aus Militär und Politik sind in ihrer persönlichen Reisefreiheit betroffen. Darüber, ob das Einfrieren ihrer Vermögen auch wirtschaftliche Konsequenzen hat, ist wenig bekannt bzw. es wird zumindest offiziell verneint. Der russische Bankensektor ist durch die Dominanz der Staatsbanken in seiner Auslandsfinanzierung im Vergleich zu früher deutlich eingeschränkt. Mit dem Erdölsektor richten sich die Sanktionen gegen einen bedeutenden Wirtschaftszweig Russlands, durch die Eingrenzung der Sanktionen auf bestimmte Geschäftsfelder (Tiefsee, Arktis und Schieferöl) ist die Betroffenheit aber stark vermindert. Die größten wirtschaftlichen Auswirkungen sind daher im Bereich des Bankensektors zu sehen, der über seine Finanzierungsfunktion auch auf weitere Wirtschaftsbereiche ausstrahlt.

Alles in allem dürfte damit der politische Druck, der durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen ausgeübt wird, begrenzt bleiben, da wichtige Bereiche wie z. B. Deviseneinnahmen aus der laufenden Öl- und Gasproduktion ausgenommen wurden. Dieses Vorgehen steht im Einklang mit der von der EU verfolgten Politik, auf diplomatischem Wege eine Lösung zu finden und daher keine Fronten durch Sanktionen zu verhärten, die Russland empfindlich treffen könnten. Somit reizen die Wirtschaftssanktionen ihre Möglichkeiten nicht aus und bleiben eher das Feigenblatt als das durchgreifende politische Druckmittel.

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