Die Bauernpartei als neue Volkspartei?

Von Stefan Garsztecki (Technische Universität Chemnitz)

Zusammenfassung
Lange Zeit wurde die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) von den Beobachtern der politischen Landschaft in Polen kaum wahrgenommen, da sie nur ein Mal bei Parlamentswahlen ein zweistelliges Ergebnis erzielen konnte und ihr konservatives ländliches Profil wenig attraktiv erschien. Dabei ist die Bauernbewegung, aus der sich die PSL rekrutiert, seit Ende des 19. Jahrhunderts die dritte traditionelle Kraft in Polen und hat die PSL weite Abschnitte der polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert mit geprägt. In der Dritten Polnischen Republik seit 1989 gehört die PSL zum politischen Establishment und ist länger in Regierungsverantwortung gewesen als jede andere Partei des Landes. Dabei kann sich die PSL auf eine nach wie vor große Mitgliederzahl, eine tiefe Verankerung im ländlichen Polen und einen festen Wertekanon bei der ländlichen Bevölkerung verlassen. Ihr Erfolg bei den letzten Wahlen zu den Selbstverwaltungseinheiten auf lokaler und regionaler Ebene im November 2014 mit fast 24 Prozent offenbart nun ihre Ambitionen, auch auf nationaler Ebene eine größere Rolle zu spielen. Mit einem jungen Präsidentschaftskandidaten möchte die PSL die Stärke aus der Region nach Warschau tragen und möglicherweise mehr als die dritte Kraft im Lande werden.

Zu den zentralen politischen Strömungen in Polen gehört neben den Sozialisten, den Konservativen, christlichen Strömungen, der Nationaldemokratie und nach 1989 den post-Solidarność-Parteien wie der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) oder der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) auch der sogenannte Ruch Ludowy, d. h. die Bauernbewegung, die heute mit der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) in der Regierung vertreten ist. Zwar gibt es noch andere Parteien und Strömungen im polnischen Parteiensystem, aber nur wenige haben die politische Landschaft Polens so lange und intensiv geprägt wie die Bauernbewegung.

Ihren Anfang nahm die Bauernbewegung wie auch die Nationaldemokratie oder die sozialistische Bewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den unterschiedlichen Teilungsgebieten. Die sich beschleunigenden Modernisierungsprozesse, die Abwehr von Germanisierungs- und Russifizierungsanstrengungen der preußischen bzw. russischen Teilungsmacht und die Zunahme des Bildungsniveaus führten zu einer Stärkung des nationalen Bewusstseins auch in den ländlichen Bevölkerungskreisen.

In diesem Kontext entstand im österreichischen Teilungsgebiet im Jahr 1895 eine selbständige Bauernpartei (Stronnictwo Ludowe), die ab Februar 1903 unter der Bezeichnung Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) figurierte. Ähnliche Parteien entstanden in der Folge auch im preußischen bzw. russischen Teilungsgebiet. Ziele der neuen Partei waren eine bessere soziale, ökonomische und politische Lage der Landbevölkerung und die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens. Die Frage eines möglichen Kompromisses mit den österreichischen Behörden und Diskussionen über den passenden Weg in die Unabhängigkeit führten im Vorfeld des Ersten Weltkrieges im Jahr 1913 zu einer Spaltung der Partei, die unter der Bezeichnung PSL Piast – letzteres der Name einer Zeitschrift, die sich im Titel auf das erste polnische Herrschergeschlecht der Piasten bezieht – bis 1931 existieren sollte. Dominante politische Figur der PSL Piast, langjähriger Vorsitzender und dreimaliger Ministerpräsident in der Zwischenkriegszeit war Wincenty Witos (1874–1945), der sich bis heute größter Anerkennung in der Polnischen Bauernpartei erfreut. Dominante Ideologie der Zwischenkriegszeit war der Agrarismus, der im 19. Jahrhundert in Deutschland entstanden war und verschiedene Ideen umfasste. Zentral waren u. a. eine dominante Rolle für eine selbständige Landwirtschaft als Grundlage der Nation, die Idee der Selbstverwaltung, das Dorf als Keimzelle des gesellschaftlichen Lebens mit ursprünglichen Formen der Vergesellschaftung und eine begrenzte Rolle für den Staat. Verknüpft damit waren patriarchalische Vorstellungen über die Familie.

Die Bauernbewegung stellte in der Zwischenkriegszeit in der Zweiten Polnischen Republik in den ersten Parlamenten die stärkste politische Kraft dar, trotz der Aufteilung auf verschiedene Bauernparteien. Im Jahr 1929 gründeten die PSL Piast mit den Bauernparteien PSL Wyzwolenie (Befreiung) und der Bauernpartei (Stronnictwo Chłopskie) gemeinsam mit zwei christlichen Parteien die Vereinigung Centrolew (etwa: Mitte-Links), die sich gegen den autoritären Kurs von Marschall Józef Piłsudski wandte, der 1926 per Staatsstreich die Macht im Land ergriffen hatte. Für den Vorsitzenden von PSL Piast Wincenty Witos hatte dies einen Prozess, eine Verurteilung zu anderthalb Jahren Haft und die Emigration bis kurz vor Kriegsbeginn zur Folge. Seine Partei, die PSL Piast, vereinigte sich mit der PSL Wyzwolenie und der Bauernpartei Stronnictwo Chłopskie im Jahr 1931 zur Bauernpartei Stronnictwo Ludowe (SL). Unter diesem Namen wurde die Partei nach dem Zweiten Weltkrieg – in dem die Partei im Untergrund mit einer eigenen militärischen Formation, den sogenannten Bauernbatallionen (Bataliony Chłopskie), agierte –auch wiedergegründet. Da die Partei aber bereits beträchtlich von Kommunisten unterwandert war, riefen der ins Land zurückgekehrte Ministerpräsident der Exilregierung Stanisław Mikołajczyk und Wincenty Witos im August 1945 erneut die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) ins Leben. Nach den gefälschten Wahlen zum verfassungsgebenden Sejm im Januar 1947 und der Flucht von Mikołajczyk in den Westen im Oktober 1947 wurde der Druck auf die PSL und ihre Mitglieder seitens der kommunistischen Machthaber aber immer größer und Ende 1948 kam es schließlich zur Zwangsvereinigung der PSL mit der SL unter dem neuen Namen Vereinigte Bauernpartei (Zjednoczone Stronnictwo Ludowe – ZSL), die als eine der Blockparteien bis 1989 eine der Stützen des Systems war. Dennoch beruft sich die PSL in ihrem Selbstverständnis auf den Widerstand gegen autoritäre Regierungsformen, sowohl in der Zweiten Polnischen Republik unter Piłsudski ab 1926 als auch nach 1945 gegen die kommunistische Herrschaft.

Die Bauernpartei und der Systemwechsel

Der Durchbruch zur Demokratie und die Vereinbarungen am Runden Tisch vom April 1989 erlaubten auch die Wiedererstehung einer unabhängigen Bauernpartei. Zunächst unterstützte die ZSL die Berufung einer von der Gewerkschaft Solidarność getragenen Regierung unter Tadeusz Mazowiecki, der die ZSL mit drei Ministern angehörte. Seitens der Partei wurde der Systemwechsel dann auf einem Sonderparteitag im November 1989 abgerundet. Auf diesem Parteitag beendete die ZSL formal ihre Tätigkeit und die PSL Odrodzenie (Wiedergeburt) wurde ins Leben gerufen. Im August 1989 war parallel dazu von Vertretern der PSL der Jahre 1945–49 und der Solidarność der Individualbauern (Solidarność Rolników Indywidualnych), eine 1980 entstandene Bauerngewerkschaft als Teil der Gewerkschaft Solidarność, in Wilanów, einem Stadtteil Warschaus, die PSL wiederbegründet worden. Beide Parteien, die PSL Odrodzenie und die PSL Wilanowskie vereinigten sich im Mai 1990 unter dem historischen Namen PSL.

Ideengeschichtlich knüpft die PSL an die Bauernbewegung Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts und an die Tätigkeit der Bauernparteien in der Zwischenkriegszeit an. Auch der Widerstand gegen die deutsche Besatzung und gegen die Sowjetisierung des Landes sind wichtige Traditionslinien der Partei. Hinsichtlich der Geschichte der ZSL betont die Partei heute, dass die ZSL die einzige, legal mögliche Vertretung der Bauern und der Landbevölkerung gewesen sei, die sich bemüht habe, deren Interessen zu artikulieren. Sowohl die in den fünfziger Jahren von Seiten der Machthaber versuchte Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, die nach dem Oktober 1956 gestoppt wurde, als auch der staatliche Zentralismus, der der von der Bauernbewegung traditionell vertretenen Selbstverwaltung widersprach, stellten die ZSL in eine natürliche Opposition zum System, die sich aber erst im Jahr 1989 in eine unabhängige Bauernpartei umsetzen ließ. Am Runden Tisch war die ZSL noch auf Seiten der Regierungskoalition vertreten. Der legalen Existenz zu Zeiten der Volksrepublik Polen verdankt die heutige PSL aber eine sehr gute Infrastruktur und eine hohe Mitgliederzahl. Organisatorisch ist sie nach eigenen Angaben in allen Woiwodschaften und in über 90 Prozent der Gemeinden vertreten und hat ca. 140.000 Mitglieder, womit sie nach wie vor die mitgliederstärkste polnische Partei ist. Zudem hat sie auch das Parteivermögen der ZSL in die neuen Strukturen überführt. Dank dieser guten Infrastruktur hat sich die ZSL bzw. deren Nachfolger die PSL Odrodzenie auch in der wiederbegründeten PSL durchgesetzt. Der erste Vorsitzende der PSL nach der Vereinigung der Bauernparteien im Mai 1990, Roman Bartoszcze, der mit der Gewerkschaft der Individualbauern verbunden war, übte den Vorsitz nur bis 1991 aus und trat danach aus der Partei aus.

Trotz ihrer Beteiligung am Runden Tisch des Jahres 1989 steht die Partei den ökonomischen Ergebnissen der Transformation durchaus kritisch gegenüber. In einer programmatischen Erklärung, die auf dem Außerordentlichen Parteikongress vom April 2007 angenommen wurde, unterstreichen die Parteivertreter, dass die Erwartungen hinsichtlich der Einführung einer sozialen Marktwirtschaft nicht erfüllt worden seien. Stattdessen sei ein Kapitalismus des freien Marktes eingeführt worden, der sich aus der Doktrin des Neoliberalismus speise und für viele Polen Not bedeute. Der Staat hingegen sei aufgrund einer räuberischen Privatisierung nicht imstande, den Bürgern die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Die materielle Ausdifferenzierung der Gesellschaft setze sich mithin fort. Dieses negative Bild der ökonomischen und sozialen Folgen der Transformation unterstreicht die sozialen Positionen der PSL, war sicherlich aber auch eine Reaktion auf die schwierige ökonomische Situation in Polen in den ersten Jahren des neuen Jahrzehnts, als die Arbeitslosigkeit in Polen an 20 Prozent heranreichte und erst im Frühjahr 2007 unter 15 Prozent fiel. Die ökonomische Situation des Landes und auch der Landbevölkerung hat sich seitdem jedoch deutlich verbessert.

Programmatische Grundlagen

Die programmatischen Grundlagen der PSL haben sich in den letzten Jahren kaum geändert. Nach wie vor steht die ländliche Wählerschaft im Mittelpunkt der Partei. Versuche, aus der PSL eine Volkspartei modernen Typs mit breiter gestreuten programmatischen Losungen zu machen, waren letztlich nicht erfolgreich. Nur bei den Parlamentswahlen im Jahr 1993 konnte die PSL mit 15,4 Prozent ein zweistelliges Wahlergebnis erzielen, blieb ansonsten aber stets zwischen knapp 7 Prozent (2005: 6,96 Prozent) und 9 Prozent (2001: 8,98 Prozent).

Aus den letzten programmatischen Dokumenten zu den Wahlen zum polnischen Sejm im Jahr 2011, den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 und zu den Regionalvertretungen gleichfalls im Jahr 2014 geht ebenso wie aus dem nach wie vor aktuellen Programm aus dem Jahr 2008 hervor, dass sich die PSL für eine soziale Marktwirtschaft mit entsprechender sozialer Absicherung für Rentner, Arbeitslose und die Landbevölkerung einsetzt. Die Entwicklung des ländlichen Raumes und die weitere Umgestaltung und Modernisierung der Landwirtschaft sind erklärte Ziele. Dabei wird der Einfluss der Europäischen Union und des europäischen Integrationsprozesses positiv gesehen und gewürdigt, da er in ihren Augen zur Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit der polnischen Landwirte beigetragen hat. Im Bereich der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung werden eine bessere Finanzausstattung der Organe der Selbstverwaltung und ein Anteil an den EU-Mitteln für die Selbstverwaltungsvertretungen gefordert. Ein weiteres Thema, welches in den letzten Jahren stärker exponiert wurde, sind der Umweltschutz und eine ökologische Landwirtschaft mit gesunden Agrarprodukten, wozu auch das vierblättrige grüne Kleeblatt als Symbol der Partei passt.

Als vor allem auf dem Land verankerte Partei sind für die PSL traditionelle Werte wie Nation, Familie und Religion bestimmend, wobei sich deren Interpretation je nach Strömung in der Partei in Nuancen unterscheiden kann. Da extreme Positionen selten vertreten werden, ist die PSL sowohl für post-Solidarność-Parteien wie auch für linke und sozialdemokratische Parteien ein potentieller Partner. Nach 1989 hat sie sowohl mit der Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD), die ja aus der vormaligen kommunistischen Partei hervorgegangen ist, von 1993–1997 und von 2001–2004, wie auch mit unterschiedlichen post-Solidarność-Parteien als auch seit 2007 ununterbrochen mit der Bürgerplattform regiert.

Interessant ist auch die interne Struktur und Organisation der Partei. Anders als beispielsweise PiS mit ihrem starken Vorsitzenden Jarosław Kaczyński oder die PO mit ihrem langjährigen Ministerpräsidenten und Parteichef Donald Tusk, der seit Ende letzten Jahres Präsident des Europäischen Rates ist, ist die PSL weniger auf einen dominanten Parteiführer zugeschnitten. Aus einem breiten, 121 Mitglieder zählenden Obersten Rat (Naczelna Rada) rekrutiert sich ein immerhin noch 19 Mitglieder zählender Oberster Exekutivrat (Naczelny Komitet Wykonawczy), so dass der Vorsitzende eine stark eingeschränkte Macht hat. Aktueller Parteivorsitzender ist Janusz Piechociński, ein 54-jähriger Ökonom, der im Mai 2012 in einer Stichwahl den langjährigen Vorsitzenden Waldemar Pawlak ablösen konnte.

Die Stabilität der Partei in Wahlen und in ihren inneren Strukturen drückt sich auch in einer hohen Fraktionsdisziplin im Parlament aus. Nur wenige Abgeordnete haben in der Vergangenheit die Fraktion verlassen, ein Phänomen, was ansonsten in der polnischen politischen Landschaft mit häufigen Abspaltungen von Parteien regelmäßig zu beobachten ist.

Vielleicht haben diese Faktoren, d. h. die hohe innere Disziplin und die geringe Abhängigkeit von einem charismatischen Vorsitzenden gepaart mit der sehr guten Verankerung auf dem Land, dazu beigetragen, dass andere Konkurrenten um die dörfliche Wählerschaft der PSL letztlich nichts anhaben konnten. Am gefährlichsten wurde ihr dabei die 1992 gegründete Bauernpartei Selbstverteidigung der Polnischen Republik (Samoobrona Rzeczpospolitej Polskiej), die unter ihrem Vorsitzenden Andrzej Lepper als Antisystempartei mit linkspopulistischen Schlagworten für Furore sorgte und der es damit gelang, in den Parlamentswahlen von 2001 und 2005 mit 10,2 Prozent bzw. 11,41 Prozent die PSL als stärkste Vertretung ländlicher Interessen zu überflügeln. Die mangelnde Umsetzung der Wahlversprechen, das bisweilen bizarre Verhalten Leppers und diverse Affären sorgten schließlich dafür, dass die Selbstverteidigung, obgleich sie zwischen 2005 und 2007 in zwei von der Partei PiS angeführten Regierungen saß, bei den vorgezogenen Wahlen zum polnischen Parlament im Herbst 2005 nicht mehr in den Sejm einziehen konnte. Lepper selbst beging im August 2011 Selbstmord.

Wahlerfolge und Niederlagen

Die PSL ist neben der SLD die einzige polnische Partei, die in allen Parlamenten seit 1989 vertreten war, während es im post-Solidarność-Milieu nach 1989 große Veränderungen gegeben hat. Da war zunächst die Ausdifferenzierung der Gewerkschaft in unterschiedlichste Parteien, unter denen erst die PO und PiS seit 2001 aus der Erbmasse der Wahlaktion Solidarität (Akcja Wyborcza Solidarność – AWS) stabile und erfolgreiche Parteien gründen konnten. Die PSL saß in den 26 Jahren seit dem Durchbruch zur Demokratie in Polen im Herbst 1989 insgesamt 18 Jahre in der Regierung in unterschiedlichen Koalitionen. Keine andere polnische Partei hat so lange Regierungsverantwortung innegehabt und selbst, wenn man alle post-Solidarność-Parteien unterschiedlicher Programmatik zusammenzählt, kommt man lediglich auf 17 Jahre. Ferner hat die PSL mit Waldemar Pawlak zweimal den Ministerpräsidenten gestellt. Während 1992 seine Regierungsbildung nicht von Erfolg gekrönt war, stand er zwischen 1993 und 1995, obgleich er vom kleineren Koalitionspartner kam, einer Regierung bestehend aus SLD und BBWR (Bezpartyjny Blok Wspierania Reform – Parteiloser Block zur Unterstützung der Reformen) vor. Die PSL ist also erstens die Partei des politischen Establishments schlechthin und sie ist zweitens aufgrund ihres nicht allzu kontroversen Programms und ob der Tatsache, dass sie sich in großen polnischen Debatten über die Vergangenheit nicht exponiert hat, koalitionsfähig mit unterschiedlichsten Parteien. Damit ist die PSL ein wesentlicher Faktor der politischen Stabilität in Polen nach 1989 gewesen. Allerdings ist es ihr kaum einmal gelungen, auf nationaler Ebene zweistellige Wahlergebnisse zu erzielen, womit ihr zur Volkspartei noch ein gerüttelt Maß an Unterstützung fehlt.

Trotz dieses beachtlichen Erfolges ist ihr Image eher schlecht. In den großen medialen Debatten sind Politiker der PSL kaum vertreten, bekannte Intellektuelle oder Prominente sind nicht mit der Partei verbunden und über eine regelrechte Wahllokomotive verfügt sie auch nicht. Um dieser intellektuellen Dürftigkeit zu begegnen und die Geschichte der polnischen Bauernbewegung zu erforschen, beschloss der XI. Parteikongress der PSL im November 2012 die Gründung eines Politischen Institutes, benannt nach Maciej Rataj. Rataj war ein Politiker der PSL in der Zwischenkriegszeit, Sejm-Abgeordneter, Sejmmarschall von November 1922 bis März 1928 und Mitglied des Untergrundes während der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg. Im Jahr 1940 wurde er von den Deutschen verhaftet und im Juni 1940 in Palmiry exekutiert. Zum Leiter des Instituts wurde der Europaabgeordnete Czesław Siekierski ernannt, der zwar bereits einige Konferenzen initiiert hat, dem es bisher aber nicht gelungen ist, eine Internetseite für das Institut anzulegen. Es darf daher bezweifelt werden, ob diese Initiative das mediale Image der Partei deutlich verbessern wird.

Mehr dazu könnte der unerwartet deutliche Erfolg der PSL bei den jüngsten Wahlen zu den Selbstverwaltungsvertretungen auf kommunaler und regionaler Ebene im November 2014 beitragen. Bei diesen Wahlen erlangte die PSL mit 23,68 Prozent nach PiS mit 26,85 Prozent und der PO mit 26,36 Prozent das drittbeste Ergebnis und konnte zudem die meisten Mandate in den Woiwodschaften Heiligkreuz (województwo świętokrzyskie) und Ermland-Masuren (woj. warmińsko-mazurskie) gewinnen.

Erstaunlich waren dabei insbesondere Umfragen vor und nach den Wahlen. Kurz vor den Wahlen bekannten sich im Oktober 2014 nach einer vom Meinungsforschungsinstitut CBOS durchgeführten repräsentativen Umfrage 6 Prozent der Befragten dazu, bei der Wahl für die PSL stimmen zu wollen. Nach der Wahl erklärten dann im Dezember 2014 14 Prozent wirklich für die PSL gestimmt zu haben, während ihr Stimmenanteil tatsächlich knapp 24 Prozent betrug. Offensichtlich ist es aber nicht opportun sich zur PSL zu bekennen, die als sehr konservativ und als Vertreterin der schlechter ausgebildeten ländlichen Bevölkerung gilt. Norbert Maliszewski von der Universität Warschau erklärt den Wahlerfolg der PSL erstens mit einer großen Mobilisierung ihrer Wählerschaft auf dem Dorf und in den Kleinstädten, wo die PSL in den dörflichen und städtischen Strukturen fest verankert ist und oft den Dorfvorsteher oder den Bürgermeister stellt bzw. in den dörflichen Vereinen oder der Freiwilligen Feuerwehr organisiert ist. Auf dem Land wird aber eher für bekannte Personen als für ein konkretes Programm abgestimmt. Schließlich war auch die Wahlbeteiligung auf dem Land mit 52 Prozent deutlich höher als in den großen Städten mit knapp 40 Prozent. Zweitens sei es der PO nicht gelungen, ihre Wähler zu mobilisieren, die nach einem wenig aufregenden Wahlkampf zu Hause geblieben seien. Und drittens mutmaßt Maliszewski, dass das Wahlprozedere zu kompliziert gewesen sei. Die Anzahl der ungültigen Stimmen in den Wahlen zu den Landtagen (sejmik) sei auf 18 Prozent gestiegen. Der Stimmzettel oder besser das Wahlheft habe zudem auf der ersten Seite die PSL verzeichnet, der die Nummer 1 auf der Liste der Parteien zugelost worden war, so dass sie direkt ins Auge gefallen sei. Ungeachtet dieser und anderer Erklärungsversuche und Hunderter Beschwerden wegen vermeintlicher Wahlfälschung, sieht der stellvertretende Vorsitzende des Obersten Rates der Partei, Stanisław żelichowski, die PSL als dritte große Kraft im Lande. Einstweilen haben Gerichte bezüglich der Wahlen zudem keine Unregelmäßigkeiten feststellen können.

Wahlmilieu und Landleben

Zum Erfolg der PSL und zur hohen Wahlbeteiligung könnten aber auch veränderte Einstellungen auf dem Land beigetragen haben. Die von der PSL selbst noch vor einigen Jahren in ihren programmatischen Erklärungen formulierte skeptische Sicht auf die Ergebnisse der Transformation ist einer positiveren Wahrnehmung gewichen. Die Zufriedenheit mit dem Lebensniveau ist bei den Befragten auf dem Land mit um die 90 Prozent sehr hoch, unabhängig davon, ob die Befragten als Angestellte, auf dem eigenen Hof oder als Selbständige außerhalb der Landwirtschaft arbeiten. Kontinuierlich verbessert hat sich seit 2003 auch die Einschätzung der eigenen ökonomischen Situation und seit 2008 überwiegen die positiven Bewertungen die negativen zunehmend deutlicher. Allerdings sind die Angaben der städtischen Bevölkerung noch positiver. Die ländliche Bevölkerung ist zudem im Schnitt schlechter ausgebildet als die städtische Bevölkerung, sie ist religiöser und sie interessiert sich weniger für Politik, wobei in diesem Punkt das Interesse sowohl der städtischen mit 14 Prozent wie auch der ländlichen Bevölkerung mit 8 Prozent sehr gering ist. Wenn dann nach Umfragen von CBOS kurz vor den Wahlen zu den Selbstverwaltungsvertretungen 59 Prozent der Befragten keinen Kandidaten zu benennen vermögen, dann zählen Parteiverbundenheit und die Loyalität gegenüber dem eigenen Milieu, das auf dem Land stark von der PSL geprägt ist. Weder Personen noch Programme waren hier ausschlaggebend, sondern eher eine allgemein bessere Lebenssituation, die Mobilisierungskraft der PSL und vielleicht auch das schlechte Image sowohl der PSL als auch der Landbevölkerung, die die PSL oft zu ihrer natürlichen Vertretung ländlicher Interessen machte.

Interessant dürfte in diesem Kontext sein, inwiefern sich Normen und Werte und der Zusammenhalt in den Dörfern in den nächsten Jahren ändern werden, da mehr und mehr Stadtbewohner das Landleben durchaus attraktiv finden. Die neuen Dorfbewohner sind aber nicht nur besser ausgebildet, sondern sie sind auch gesellschaftlich aktiver, unterstützen stärker karitative Organisationen und haben insgesamt liberalere Ansichten. Die Bastion PSL könnte also mit der Zeit etwas schwächer werden – es sei denn, der PSL wird es gelingen, den Erfolg bei den Selbstverwaltungswahlen auf die Ebene nationaler Wahlen zum Parlament oder zum Präsidentenamt zu übertragen.

Die PSL als die neue Volkspartei?

Nach dem unerwartet großen Wahlerfolg der PSL im November letzten Jahres stehen mit den Präsidentschaftswahlen im Mai 2015 und den Parlamentswahlen im Herbst des gleichen Jahres zwei große Bewährungsproben für die PSL an, die mit darüber entscheiden werden, ob es ihr gelingt, zu einer Volkspartei zu werden.

Lange hatte die PSL gezögert, einen eigenen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen gegen den sehr populären Amtsinhaber Bronisław Komorowski aufzustellen, zumal die Erfahrungen mit Präsidentschaftskandidaten in der Vergangenheit nicht die besten waren. Nur in den Präsidentschaftswahlen von 1990, als mit Roman Bartoszcze der damalige PSL-Vorsitzende kandidierte, und in den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 mit der Kandidatur des seinerzeitigen PSL-Vorsitzenden Jarosław Kalinowski konnte mit 7,15 Prozent bzw. 5,95 Prozent die Fünfprozenthürde überschritten werden. Jedoch gelang es den Kandidaten der PSL nicht einmal, in die Stichwahl zu kommen und waren die Ergebnisse größtenteils beschämend und erheblich schwächer als bei den Parlamentswahlen.

Tatsächlich hätte die PSL mit einem schwachen Ergebnis einiges zu verlieren. Anders als bei den Parlamentswahlen wird es keine Wahlkampfkostenerstattung geben, aber der Verlust des Ansehens nach dem guten Wahlergebnis vom November letzten Jahres könnte beträchtlich sein und sich auf die Parlamentswahlen im kommenden Herbst auswirken. Zudem dürfte das Interesse der ländlichen Bevölkerung an einem eigenen Kandidaten nicht allzu groß sein, wenn man das geringe Interesse an der großen Politik und die hohe Popularität des konservativen Amtsinhabers Komorowski betrachtet. Dass die Partei nun am 31. Januar mit Adam Jarubas den gerade 40-jährigen Marschall des Landtages der Woiwodschaft Heiligkreuz zum Kandidaten für das Präsidentenamt erklärt hat, ist also eine mutige Entscheidung. Er reiht sich damit in die Liste junger Kandidaten von PiS mit Andrzej Duda (42 Jahre) und SLD mit Magdalena Ogórek (35 Jahre) ein und kann hier mit Verweis auf seine Jugendlichkeit also wenig gewinnen, zumal die Erwartungen an das Amt des Staatspräsidenten kaum mit Jugendlichkeit verbunden sein dürften.

Offensichtlich hat sich die PSL aber entschlossen, dieses Risiko einzugehen. Erstens verweist es auf den Generationenwechsel auch bei der PSL und mit Jarubas möchte man wohl einen in der Region sehr erfolgreichen Politiker für die nationale Ebene präsentieren. Zweitens scheint man die Gunst der Stunde nutzen und das PSL-Milieu auch auf nationaler Ebene stärker in Stellung bringen zu wollen. Drittens schließlich dürfte der zum konservativen Flügel zählende Jarubas einen Angriff auf die Wählerschaft von PiS darstellen. Da PiS ihren Rückhalt vor allem bei der konservativen Landbevölkerung hat, muss die PSL hier ansetzen, wenn sie eine Volkspartei werden bzw. bei den Parlamentswahlen im Herbst dieses Jahres ein deutlich besseres Ergebnis erzielen möchte. Ob diese Rechnung aufgehen wird, darf heute aber noch bezweifelt werden, da es auf nationaler Ebene seit Jahren einen Zweikampf zwischen PO und PiS gibt und die PSL seit Jahren kein zweistelliges Ergebnis mehr zu verzeichnen hatte. So wäre alles andere als ein Sieg von Amtsinhaber Komorowski eine enorme Überraschung – aber ein zweistelliges Ergebnis für Jarubas nicht minder. Er plädierte zu Beginn seiner Kampagne für ein Ende des innerpolnischen Konfliktes zwischen PO und PiS, der die politische Landschaft seit Jahren dominiert, und möchte die Selbstverwaltungsebene in den Regionen stärken. Ob er mit der Distanzierung von den Gewohnheiten des Warschauer Politikbetriebs wird punkten können, bleibt abzuwarten. In seiner Woiwodschaft Heiligkreuz hat er es in den letzten neun Jahren aber immerhin geschafft, die anderen Parteien weit hinter sich zu lassen und wurde Ende 2014 zum dritten Mal zum Marschall des sejmik gewählt. Somit könnten die Präsidentschaftswahlen unerwartet an Spannung gewinnen.

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